Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Beeinträchtigung des Mietgebrauchs eines Ladenlokals durch Baulärm und polizeiliche Bewachungsmaßnahmen

Aktenzeichen  32 U 872/17

Datum:
15.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30329
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 536 Abs. 1, § 812

 

Leitsatz

1. Der Betrieb eines Ladengeschäftes wird nach der Verkehrsanschauung durch eine größere, in unmittelbarer räumlichen Nähe befindlichen Baustelle beeinträchtigt, wenn sich die typischen Folgen direkt am und im Ladenlokal auswirken. Dies gilt für in das Ladenlokal eindringende Verschmutzung und dort hörbaren Lärm sowie auch für die Beeinträchtigung der Lage durch die Auswirkungen auf die Fläche direkt vor dem Ladenlokal.  (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Beeinträchtigung des Gebrauchs eines gemieteten Ladenlokals durch Bewachungsmaßnahmen und den Polizeischutz für die im Objekt befindliche Wohnung des Generalkonsuls des Israelischen Staates rechtfertigt keine Minderung, wenn die Beeinträchtigungen wegen eines wenig martialischen Auftretens der Polizeibeamten, einer schon nach dem ersten Gespräch mit der Polizei erfolgten vermehrten Rücksichtsnahme auf die Mieterin, eines überwiegend nicht auf der Straße unmittelbar vor dem Geschäft stattfindenden Aufenthalts der Polizebeamten und deren fehlender schwerer Bewaffnung unerheblich ist. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 12059/16 2017-02-08 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 08.02.2017, Az. 20 O 12059/16, abgeändert:
Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin EUR 107.671,20 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 57.976,80 seit dem 12.08.2016 und aus EUR 13.804,00 seit dem 02.10.2017 und nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 2.760,80 seit dem 12.08.2016 und aus EUR 33.129,60 seit dem 02.10.2017 zu bezahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten beider Instanzen trägt die Klägerin 5/6 und die Beklagte zu 1 1/6. Die Klägerin trägt von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 2/3 und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 vollständig. Die Beklagte zu 1 trägt von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin 1/3.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Gläubiger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 294.640,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin verlangt als Mieterin gewerblicher Flächen von den Beklagten die Rückzahlung von Miete, die aufgrund von Bewachungsmaßnahmen und aufgrund einer Baustelle gemindert gewesen sei.
Die Klägerin vertreibt in ihren Ladenlokalen, die sich in verschiedenen Städten befinden, internationale Möbel und Wohnaccessoires. Bis Mai 2012 hatte die Klägerin Räumlichkeiten im Anwesen B. Straße in München angemietet. Mit dem Mietvertrag vom 09.03./15.03.2012, vorgelegt als K 4, mietete die Klägerin Räumlichkeiten im sogenannten Quartier Hofstatt von der Beklagten zu 1 an. Das Mietverhältnis begann mit der Übergabe des Mietobjekts an die Klägerin am 01.06.2012.
Der Mietvertrag lautet u.a.:
§ 11 Haftung für den Mietgegenstand
11.1 Minderung und Schadensersatz
11.1.1 Minderung der Miete und/oder Schadensersatzansprüche des Mieters wegen vom Vermieter nicht zu vertretender Störungen im Betrieb des Mietgegenstandes und/oder seiner technischen Einrichtungen sind ausgeschlossen. Der Vermieter ist jedoch, soweit seine Haftung nach den Regelungen des Mietvertrages ausgeschlossen ist, verpflichtet, ihm etwa gegen den Verursacher zustehende Ansprüche bis zur Höhe des Schadens des Mieters an diesen abzutreten. Auf. § 11.3 wird verwiesen.
11.1.2 Minderung der Miete und/oder Schadensersatzansprüche des Mieters wegen vom Vermieter nicht zu vertretender Immissionen oder Störungen des Mietgegenstandes und/oder des übrigen Gebäudes oder wegen Baumaßnahmen Dritter sind ausgeschlossen. § 11.1.1. Satz 2 gilt entsprechend. Auf § 11.3 wird verwiesen (…).
11.1.4 Dem Mieter stehen Schadensersatz- und/oder Minderungsansprüche wegen Mängeln des Mietgegenstandes im Übrigen nur dann zu, wenn der Vermieter der Mangel zu vertreten hat und der Mieter den Mangel vorher angezeigt und eine angemessen Frist zur Beseitigung gesetzt hat und der Vermieter mit der Mängelbeseitigung in Verzug gerät. Auf. § 11.3 wird verwiesen.
11.3.4 Soweit das Minderungsrecht des Mieters in diesem Vertrag ausgeschlossen ist, bleiben Ansprüche des Mieters gemäß § 812 BGB unberührt. Dies gilt auch in allen Fällen, in denen das Minderungsrecht des Mieters in diesem Vertrag ohne Hinweis auf diese Ausnahmeregelung begrenzt oder abbedungen ist.
§ 15 Veräußerung von Grundstücken
Veräußerung an die H KG
Dem Mieter ist bekannt, dass der Vermieter das Grundstück bei Abschluss dieses Mietvertrages bereits an die H KG …verkauft hat. Der Mieter stimmt hiermit (a) dem Eintritt des Käufers als neuer Vermieter in dieses Mietverhältnis mit Wirkung zum Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung im Grundbuch zu und zwar auch für den Fall, dass die Voraussetzungen der §§ 566, 567a BGB nicht vorliegen …“
Die Miete betrug zunächst monatlich € 27.608,00 einschließlich Umsatzsteuer.
Die Beklagte zu 1 hatte den Grundbesitz H.str. in München mit notariellem Vertrag vom 15.04.2011, vorgelegt als B 3, an die Beklagte zu 2 veräußert, die nunmehr wie aus dem Rubrum ersichtlich firmiert. Die förmliche Übergabe des Objektes an die Beklagte zu 2 erfolgte am 11.01.2013. Am 25.09.2017 wurde die Beklagte zu 2 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Ziffer 7 des als B 3 vorgelegten Kaufvertrags mit Bauverpflichtung zwischen der Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 2 vom 15.04.2011 lautet u.a.:
„7.4 Mietverträge
7.4.1 Diejenigen Mietverträge und Nachträge, die in Übereinstimmung mit § 8 noch abgeschlossen werden, werden vom Käufer mit Besitzübergang übernommen. Unter der aufschiebenden Bedingung des Besitzübergangs tritt der Verkäufer schon heute alle Ansprüche aus den Mietverträgen, die den Zeitraum ab Besitzübergang betreffen, an den dies annehmenden Käufer ab. Die Abtretung erfasst auch Ansprüche auf und aus den Mietsicherheiten, die von den Mietern zu stellen sind bzw. gestellt wurden. Im Gegenzug stellt der Käufer den Verkäufer von allen Ansprüchen der Mieter frei, die den Zeitraum ab Besitzübergang betreffen.
7.4.2 Der Verkäufer bevollmächtigt hiermit den Käufer, ab dem Übergabetag alle Rechte aus diesen Mietverträgen geltend zu machen, einschließlich des Rechtes, Kündigungen auszusprechen und die Mietverträge zu ändern. Auf Wunsch des Käufers wird der Verkäufer entsprechende schriftliche Vollmachten in der vom Käufer gewünschten Anzahl in gesonderter Urkunde erteilen. Der Verkäufer verpflichtet sich, die Rechte ab dem Besitzübergang hiervon abweichend nicht mehr ohne Zustimmung des Käufers auszuüben oder die Mietverträge aufzuheben, zu ändern oder zu kündigen. Im Innenverhältnis gilt, dass durch die Ausübung der Vollmacht Ansprüche des Verkäufers gemäß diesem Kaufvertrag nicht beeinträchtigt werden dürfen.
7.4.3 Ansprüche gegenüber den Mietern auf Miete und Nebenkosten für die Zeit bis zum Besitzübergang verbleiben beim Verkäufer, ebenso wie dieser verpflichtet bleibt, etwaige Ansprüche der Mieter – auch bei Besitzübergang etwa rückständige Verpflichtungen – aus der Zeit bis zur Besitzübergabe zu erfüllen. …“
Die Beklagte zu 2 hat Räumlichkeiten im selben Objekt in der Nähe des durch die Klägerin angemieteten Ladenlokals vermietet zur Nutzung durch den Generalkonsul des Staates I. als Wohnung. Seit September/Oktober 2017 wird die Wohnung von der Generalkonsulin des Staates I. genutzt.
Gegenüber dem Ladenlokal auf der anderen Straßenseite befindet sich das R.-Palais, auch R.-haus genannt. Dieses wurde im Zeitraum von Mai 2014 bis Ende Juli 2017 umfangreich umgebaut.
Der Bevollmächtigte der Klägerin zeigte in dem als K 16 vorgelegten Schreiben vom 16.07.2015 gegenüber dem Bevollmächtigten der Beklagten zu 2 verschiedene Mängel an, erklärte die Miete weiterhin im Umfang von 25% unter Vorbehalt zu zahlen und verlangte Rückzahlung überzahlter Miete in Höhe von € 125.616,40. In dem Schreiben heißt es u.a.:
„Wir wenden uns an Sie als anwaltlichen Vertreter von Frau G, welche die vorbezeichnete Immobilie erworben hat und damit in die Vermieterstellung eingetreten ist.“
Darauf folgte ein Schreiben des Bevollmächtigten der Beklagten zu 2 vom 03.08.2015, ein Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin vom 20.08.2015, vgl. Anlage SV 2, und ein Schreiben des Bevollmächtigten der Beklagten zu 2 vom 27.08.2015, vgl. Anlage SV 1.
Die Klägerin verlangte mit der Klage vom 18.07.2016 zunächst die Feststellung der Minderung der Miete in dem Zeitraum ab Januar 2014 sowie die Rückzahlung des Anteils der in den Zeitraum vom 11.10.2014 bis einschließlich Mai 2016 (bzw. Juli 2016) bezahlten Miete, der von ihr aufgrund einer Minderung im Umfang von 25% nicht geschuldet war (€ 141.113,60 = 20,2749 Monate x € 6.960,00). Der Beklagten zu 2 hatte die Klägerin zunächst nur den Streit verkündet. In der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2016 wies das Landgericht darauf hin, dass die Beklagte nicht passiv legitimiert sei und sich der Rückforderungsanspruch gegen die Streitverkündete richte. Daraufhin erklärte die Klägerin in der Verhandlung die Erweiterung der Klage in Richtung der Streitverkündeten und beantragte die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen.
Das Landgericht hat in dem angegriffenen Urteil die Klage abgewiesen. Die Beklagte zu 1 sei nicht passiv legitimiert. Da bei einer Minderung die Miete automatisch herabgesetzt sei, läge bei Richtigkeit des klägerischen Vortrags eine Überzahlung vor, die gegenüber der Erwerberin geltend zu machen seien. Zu der Klageerweiterung verhält sich das landgerichtliche Urteil nicht.
Wegen des Vorbringens der Parteien in erster Instanz, des Verfahrensgangs und des Urteilsinhalts wird im übrigen Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen die erstinstanzliche Auffassung, die Beklagte zu 1 sei nicht passiv legitimiert. Sie verlangt im Wege der Klageänderung nunmehr die Zahlung von überzahlter Miete in Höhe von € 294.640,00 für den Zeitraum Januar 2014 bis August 2017.
Sie ist der Auffassung, allein die Beklagte zu 1 sei passiv legitimiert, auch wenn sie die Miete an die Beklagte zu 2 gezahlt habe. Ein Übergang des Mietverhältnisses sei nicht erfolgt. Es handele sich bereicherungsrechtlich um einen Anweisungsfall, bei dem die Rückabwicklung innerhalb des jeweiligen Kausalverhältnisses zu erfolgen habe (BGH NJW 2012, 3373).
Die Klägerin trägt vor, die Miete sei seit Januar 2014 um 20% gemindert wegen des Polizeischutzes für den Generalkonsul des Staates Israel. Zu der ständigen Präsenz von Polizeifahrzeugen und martialisch wirkenden Polizeibeamten kämen die Beeinträchtigungen durch die Wachwechsel und die Straßensperrungen beim Abholen und Bringen des Generalkonsuls hinzu. Das von der Klägerin betriebene Geschäft richte sich an eine vorwiegend weibliche Kundschaft, die durch die Sicherheitsmaßnahmen abgeschreckt werde. Einer Anzeige dieses Mangels habe es nicht bedurft. Die Beklagte zu 1 habe selbst eine Wohnung an den israelischen Generalkonsul vermietet, so dass ihr alle daraus folgenden Konsequenzen bekannt waren.
Die Miete sei außerdem im Zeitraum von Mai 2014 bis Ende Juli 2017 wegen der Bauarbeiten an dem sog. R-Palais gemindert gewesen. Das bestehende Gebäude sei entkernt und kernsaniert worden. Außerdem sei eine Tiefgarage errichtet worden. Durch die Baustelle sei eine erhebliche Verschmutzung durch Dreck und Staub verursacht worden. Die Ausstellungsfenster seien immer wieder verschmutzt worden, der Baustellenschmutz sei auch in die Ausstellungsfläche gedrungen. Ein Offenhalten von Türen oder Fenstern sei nicht möglich gewesen, was vor allem in den Sommermonaten eine Beeinträchtigung darstelle. Eine weitere Beeinträchtigung erfolge durch den An- und Abfahrtsverkehr zu der Baustelle. Große LKWs würden regelmäßig direkt vor dem Ladenlokal be- und entladen. Auch die Anfahrt zu dem Laden und die Möglichkeiten in der Nähe des Ladens zu parken oder auch nur kurzfristig zu halten, um erworbene Ware einzuladen, sei durch die Baustelle beeinträchtigt worden. Schließlich gehe von dem Bauvorhaben auch eine erhebliche Lärmbelästigung aus. Diese sei wegen der unmittelbaren Nähe der Baustelle besonders gravierend. Während der Be- und Entladevorgänge seien Verkaufsgespräche kaum möglich. Das Konzept der Klägerin basiere auf einer intensiven Kundenberatung im Inneneinrichtungsbereich. Dies werde im Hinblick auf das höhere Preissegment auch erwartet. Selbst an im Verhältnis ruhigeren Tagen sei die Lärmentwicklung merklich störend.
Am 10.10.2014 habe eine Besprechung der Parteien stattgefunden, bei dem die Klägerin gegenüber dem Bevollmächtigten der Beklagten zu 1 die Beeinträchtigungen durch die Baustelle als Mangel geltend machte und erklärte, dass die weitere Mietzahlung unter Vorbehalt erfolge. Für die Anzeige der Mängel bei dem Gespräch am 10.10.2014 sei Beweis angeboten worden. Im übrigen habe es keiner Anzeige bedurft. Die gegenständlichen Mängel seien der Beklagten zu 1 bekannt gewesen. Wegen der zu erwartenden Beeinträchtigungen habe die Beklagte zu 1 mit dem Bauherrn der Baustelle im Jahr 2009 eine Nachbarschaftsvereinbarung geschlossen.
Die Klägerin beantragt,
1. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 08.02.2017, Az. 20 O 12059/16, werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 294.640,00 nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
– aus Teilbeträgen in Höhe von EUR 4.640,00 seit 06.01.2014, 06.02.2014, 06.03.2014 und 04.04.2014,
– aus Teilbeträgen in Höhe von EUR 6.960,00 seit 06.05.2014, 05.06.2014, 04.07.2014, 06.08.2014, 04.09.2014, 06.10.2014, 05.11.2014, 04.12.2014, 07.01.2015, 05.02.2015, 05.03.2015, 08.04.2015, 06.05.2015, 05.06.2015, 04.07.2015, 05.08.2015, 04.09.2015, 06.10.2015, 05.11.2015, 04.12.2015, 07.01.2016, 04.02.2016, 04.03.2016, 05.04.2016, 04.05.2016, 04.06.2016, 05.07.2016, 04.08.2016, 06.09.2016, 06.10.2016, 04.11.2016, 06.12.2016, 05.01.2017, 06.02.2017, 06.03.2017, 06.04.2017, 04.05.2017, 06.06.2017, 06.07.2017,
– sowie aus einem weiteren Zahlbetrag in Höhe von weiteren EUR 4.640,00 seit 04.08.2017 zu zahlen.
2. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 08.02.2017, Az. 20 O 12059/16, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 1.318,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte zu 1 beantragt,
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I 08.02.017 vom (Az. 20 O 12059/16) ist unter Berücksichtigung der im Schriftsatz vom 25.09.2017 geänderten Anträge zu Ziff. I und Ziff. II zurückzuweisen.
Hilfsweise wird beantragt, den Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an das Landgericht München I zurückzuverweisen.
Die Beklagte zu 1 trägt vor, sie sei nicht passiv legitimiert. Mit dem Besitzübergang auf die Beklagte zu 2 sei auch das Mietverhältnis wirtschaftlich auf die Beklagte zu 2 übergegangen. Die gesamte Mietvertragskorrespondenz habe seitdem ausschließlich zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 stattgefunden.
Den Mietvertrag mit dem israelischen Generalkonsul habe die Beklagte zu 2 geschlossen. Die Beklagte zu 1 habe keine Kenntnis von den behaupteten Beeinträchtigungen gehabt. Eine Mangelanzeige sei nicht erfolgt. Im übrigen liege schon keine Beeinträchtigung durch das Vorhandensein von Sicherheitspersonal vor. Die Beweisaufnahme habe auch die Behauptungen der Klageseite nicht bestätigt. Von den behaupteten Beeinträchtigungen durch die Baustelle des R-Palais habe die Beklagte zu 1 keine Kenntnis gehabt. Eine Minderung sei nicht nur wegen einer fehlenden Mängelanzeige, sondern auch deswegen ausgeschlossen, weil der Klägerin aufgrund der von ihr selbst zitierten Presseberichterstattung im Vorfeld die geplante Baumaßnahme bekannt gewesen sein muss und weil im innerstädtischen Bereich ein Mieter jederzeit mit Baumaßnahmen rechnen muss. Der Sachvortrag der Klägerin sei unsubstantiiert, insbesondere habe die Klägerin kein Bautagebuch vorgelegt. In der Beweisaufnahme hätten sich die Behauptungen der Klägerin nur für kurze Zeiträume bestätigt.
Die Beklagte zu 2 beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte zu 2 trägt vor, sie sei für die Entgegennahme von Mängelrügen von der Beklagten zu 1 zu keinem Zeitpunkt bevollmächtigt worden. Das Schreiben der Klägerin vom 16.07.2015 stelle keine Mängelanzeige dar und sei an den Bevollmächtigten als anwaltlichen Vertreter der Geschäftsführerin der Beklagten zu 2 gerichtet gewesen, die aber die Immobilie nicht erworben habe. Mängel seien nach § 11 Ziff. 11.1.4 des Mietvertrages der Vermieterin gegenüber anzuzeigen gewesen. Eine Minderung der Miete wegen Baumaßnahmen Dritter sei im übrigen nach § 11 Ziff. 11.1.1 und Ziff. 11.1.2 ausgeschlossen. Eine Rückforderung sei auch nach § 814 BGB ausgeschlossen.
Bezüglich der Einzelheiten des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die von diesen im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat am 09.11.2017 zur Sache verhandelt. Der Senat hat außerdem in der öffentlichen Sitzung vom 08.02.2018 die Zeuginnen E und G vernommen. Auf die Protokolle (Bl. 185 d.A. und Bl. 229 d.A.) wird Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Das angegriffene Urteil des Landgerichts ist daher in dem ausgesprochenen Umfang abzuändern. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1 einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB auf Rückzahlung überzahlter Miete. Die Beklagte zu 1 ist passiv legitimiert. Die von der Klägerin zu entrichtende Miete war im Zeitraum von Mai 2014 bis Juli 2017 aufgrund der auf der gegenüberliegenden Baustelle beruhenden Beeinträchtigungen um 10% herabgesetzt. Die Minderung ist nicht vertraglich ausgeschlossen. Die Minderung ist auch nicht ausgeschlossen, weil die Beeinträchtigungen nicht rechtzeitig angezeigt worden sind.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von € 107.671,20 aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Wird der Mieter in einem Geschäftsraummietvertrag bei Vorliegen eines den Gebrauch einschränkenden Mangels einstweilen zur Zahlung der vollen Miete verpflichtet, kann er die Rückzahlung der überzahlten Miete nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (condictio indebiti) verlangen.
a) Die Beklagte zu 1 ist passiv legitimiert. Der Anspruch des Mieters aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Rückzahlung überzahlter Miete richtet sich auch dann gegen den Vermieter, wenn dieser die Abtretung der Mietansprüche an einen Erwerber dem Mieter angezeigt hat und dieser infolge der Anzeige die Mieten an den Erwerber gezahlt hat.
Zutreffend verweist die Klägerin auf die Rechtsprechung des BGH, nach der die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung, wenn der Schuldner nach Abtretung des Anspruchs an den Zessionar (Abtretungsempfänger) geleistet hat, grundsätzlich nicht direkt in dem Verhältnis dieser Personen stattfindet, sondern zum einen zwischen dem Zessionar und dem Zedenten (Abtretender) und zum anderen zwischen diesem und dem Schuldner (BGH, Urteil vom 06. Juli 2012 – V ZR 268/11, NJW 2012, 3373; BeckOK BGB/Wendehorst § 812 BGB Rn. 206). Die Rückforderung überzahlter Miete, auf die der Mieter für den Fall der Minderung vertraglich verwiesen ist, ist nicht mit der zufälligen Zuvielzahlung des Schuldners an den Zessionar zu vergleichen. Denn ob eine Zuvielzahlung vorliegt, ist anhand des zwischen dem Schuldner und dem Zedenten bestehenden Vertragsverhältnisses zu klären. Auch der Umstand, dass die Erwerberin nach dem Willen aller Beteiligten wirtschaftlich in die Vermieterstellung getreten ist, rechtfertigt nicht eine Rückabwicklung im Zuwendungsverhältnis zwischen Mieter und Erwerber. Denn nach dem ausdrücklichen Willen der Parteien, der im Nachtrag Nr. 1 zum Mietvertrag zum Ausdruck gekommen ist, sollte die Beklagte zu 1 Vermieterin bleiben bis die Beklagte zu 2 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen wird. Damit haben die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass – auch wenn die Beklagte zu 2 wirtschaftlich als Vermieterin agiert – die Beklagte zu 1 letztlich aus dem Mietvertrag verpflichtet und berechtigt bleibt, solange sie Eigentümerin ist.
b) Die Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB wegen der von der Klägerin vorgetragenen Mängel ist nicht vertraglich ausgeschlossen.
Zwar bestimmt § 11 Ziffer 11.1.2 des Mietvertrages, dass die Minderung wegen Baumaßnahmen Dritter ausgeschlossen sei. Zugleich wird aber auf § 11 Ziffer 11.3 des Mietvertrages verwiesen. Nach § 11 Ziffer 11.3.4. bleiben von jeglichen Einschränkungen des Minderungsrechts die Ansprüche des Mieters aus § 812 BGB unberührt. Damit ist der Mieter zwar auch im Falle einer berechtigten Minderung zur Zahlung der vertraglich vereinbarten Miete verpflichtet. Ihm steht aber ausdrücklich die Möglichkeit zu, dass er – so wie im vorliegenden Fall – die seiner Meinung nach überzahlte Miete vor Gericht zurückverlangt.
Die Minderung ist auch nicht nach § 11 Ziffer 11.1.4 ausgeschlossen. Danach kann der Mieter nur mindern, wenn der Vermieter den Mangel zu vertreten hat und der Mieter den Mangel angezeigt hat. Aus dem Zusammenhang mit der Regelung in § 11 Ziffer 11.3.4 folgt auch hieraus nur, dass der Mieter in diesen Fällen auf die Rückforderung überzahlter Mieten verwiesen wird und es im übrigen bei der gesetzlichen Regelung in §§ 536, 536c BGB verbleibt.
c) Die Minderung ist auch nicht nach § 536c Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Nach § 536c Abs. 2 Satz 2 BGB ist der Mieter nicht berechtigt, die in § 536 BGB bestimmten Rechte geltend zu machen, soweit der Vermieter infolge der Unterlassung der Anzeige nicht Abhilfe schaffen konnte.
Die Anzeigepflicht entfällt als leere Formalität, wenn der Vermieter den Mangel kennt. Dabei steht die Kenntnis Dritter, derer sich der Vermieter bei der Erfüllung seiner Pflichten bedient, der Kenntnis des Vermieters gleich (Staudinger/V.Emmerich, 2018, § 536c BGB Rn. 14). Eine Anzeige ist auch entbehrlich, wenn der Vermieter keine Möglichkeit der Abhilfe hatte (BGH NZM 1999, 461; Ghassemi-Tabar in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer, Gewerberaummiete, § 536c BGB Rn. 20; von der Osten in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap III.A Rn. 2410).
Die Beklagte zu 1 hat den Besitz an dem gesamten Grundstück zum 11.01.2013 an die Beklagte zu 2 übergeben. Sie hat zu diesem Stichtag gemäß § 7.4 des Kaufvertrages zwischen den Beklagten alle Ansprüche aus den Mietverträgen an die Beklagte zu 2 abgetreten und diese bevollmächtigt, alle Ansprüche aus den Mietverträgen geltend zu machen. Die Beklagte zu 2 war außerdem berechtigt, die bestehenden Mietverträge zu kündigen und zu ändern. Nach dem Vortrag der Beklagten hat auch die Beklagte zu 2 im eigenen Namen neue Mietverträge abgeschlossen. Bei einer solchen vertraglichen Regelung ist der Erwerber, sofern die Mieter Kenntnis von dieser Regelung haben, als Vertreter des Vermieters anzusehen. Ein Wissen des Erwerbers ist auch dem Vermieter zuzurechnen. Denn er hat auch statt des Vermieters Besitz an den nicht vermieteten Grundstücksteilen.
Nach dem Vortrag der Beklagten hat die Beklagte zu 2 eine Wohnung an den Generalkonsul vermietet. Damit geht der Senat davon aus, dass der Beklagten zu 2 auch die Sicherungsmaßnahmen durch den Einsatz von Polizeibeamten bekannt waren. Jedenfalls wäre eine Unkenntnis als grob fahrlässig anzusehen.
Die Beklagte zu 1 hat nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin mit den Eigentümern des R-Palais im Jahr 2009 eine Nachbarschaftsvereinbarung geschlossen. Damit wusste sie schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin von dem geplanten Bauvorhaben. In dem Mietvertrag ist jedoch nur eine Regelung hinsichtlich weiterer Baumaßnahmen in dem Gebäude getroffen worden. Eine Regelung, die die Mieterin über die anstehende umfangreiche Baumaßnahme informiert und die im Rahmen des § 536b BGB berücksichtigt werden könnte, ist nicht ersichtlich.
Wenn die Beklagte zu 1 vor diesem Hintergrund vorträgt, ihr seien Beeinträchtigungen der Klägerin mangels Anzeige der Mängel nicht bekannt, versteht das der Senat so, dass die Beklagte zu 1 nicht wissen kann, in welchem Umfang es im Einzelnen durch den Dreck und den Lärm der nur wenige Meter von dem Ladengeschäft entfernten Großbaustelle im Laden selbst zu Beeinträchtigungen kam. Es führt jedoch nach § 536 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu einem Ausschluss des Minderungsrechts, wenn die Auswirkungen einer Baustelle nicht konkret im Einzelnen beschrieben werden, sofern ansonsten die Ursachen der Beeinträchtigungen dem Vermieter bekannt sind und typischerweise mit Beeinträchtigungen der Mieter zu rechnen ist.
d) Die von der Klägerin vorgetragenen Beeinträchtigungen durch die gegenüberliegende Baustelle führen nach § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB zu einer Herabsetzung der Miete. Durch die vorgetragenen Umstände ist die Tauglichkeit der Mieträumlichkeiten zum vertragsgemäßen Gebrauch gemindert. Die Minderung ist nicht aufgrund einer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmenden Bestimmung des vertragsgemäßen Gebrauchs im Hinblick auf § 906 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin hat die Umstände ausreichend dargelegt. Die Beweisaufnahme hat den Vortrag der Klägerin bestätigt.
aa) Nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB hat der Mieter für die Zeit, während der die Tauglichkeit der Mietsache durch Mängel gemindert ist, nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Die Minderung tritt kraft Gesetzes ein. Sie ist Ausdruck des das Schuldrecht prägenden Äquivalenzprinzips und hat daher die Aufgabe, die Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen sicherzustellen (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 – XII ZR 132/09 -, Rn. 12, NJW 2011, 514). Ein Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB ist die für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache von dem vertraglich vereinbarten. Zu dem vertraglich vereinbarten Zustand der Mietsache gehören über deren physische Beschaffenheit hinaus auch die tatsächlichen Zustände und rechtlichen Verhältnisse, die mit der Mietsache zusammenhängen und ihre Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigen. Dazu gehören auch Störungen, die außerhalb der Mietsache liegen. Um eine Ausuferung des Fehlerbegriffs zu vermeiden, führen solche außerhalb der Mietsache selbst liegenden Umstände allerdings nur dann zu einem Mangel der Mietsache, wenn sie deren Gebrauchstauglichkeit unmittelbar beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2012 – XII ZR 117/10, Rn. 30, NJW 2013, 44). Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob eine unmittelbare Beeinträchtigung der Mietsache vorliegt, ist danach in erster Linie der von den Parteien vereinbarte vertragsgemäße Gebrauch. Aus dem zur Erfüllung des vertragsgemäßen Gebrauchs erforderlichen Zustand der Mietsache ergibt sich deren geschuldeter Zustand.
Welche Soll-Beschaffenheit eine Mietsache aufzuweisen hat, bestimmt sich in erster Linie nach der Parteivereinbarung. Die Vertragsparteien bestimmen durch die Festlegung des dem Mieter jeweils geschuldeten vertragsgemäßen Gebrauchs, welchen Zustand die vermietete Sache spätestens bei Überlassung an den Mieter und von da ab während der gesamten Vertragsdauer aufweisen muss. Ist keine ausdrückliche Regelung zum „Soll-Zustand“ getroffen, muss anhand von Auslegungsregeln (§§ 133, 157, 242 BGB) geprüft werden, was der Vermieter schuldet. Dabei ist die Verkehrsanschauung als Auslegungshilfe heranzuziehen (BGH, Urteil vom 26. September 2012 – XII ZR 122/11 -, Rn. 20, NZM 2013, 27).
Ausgehend von dem zum vertragsgemäßen Gebrauch erforderlichen Zustand der Ladenräumlichkeiten und der Verkehrsanschauung führen der von der Baustelle ausgehende Lärm, die Verschmutzung, die Verengung der Straße und der Baustellenverkehr zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs. Es liegt nicht lediglich eine abstrakte Gefährdung der Gebrauchstauglichkeit vor.
Vertragszweck ist der Betrieb eines Fachgeschäfts für den Verkauf von Erzeugnissen des Kunsthandwerks und Einrichtungsgegenständen, vgl. § 2 des Mietvertrages vom 09.03./15.03.2012, vorgelegt als K 4. Der Mietvertrag beinhaltet ausdrückliche Regelungen zu den Auswirkungen von Bauarbeiten in dem Mietobjekt selbst. Die Beklagten tragen nicht vor und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die bevorstehende Baustelle auf dem Grundstück direkt gegenüber dem Ladengeschäft Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen sei. Diese vertragliche Abrede daher ist unter Berücksichtigung des Kontextes des Vertragsschlusses, wozu insbesondere die Lage und der Zustand des Mietobjektes gehören, auszulegen (vgl. Staudinger/V.Emmerich, 2018, § 536 BGB Rn. 48).
Der Vortrag der Klageseite ist zutreffend, dass der Betrieb eines Ladengeschäftes – abgesehen von Ausnahmefällen – nach der Verkehrsanschauung durch eine größere, in unmittelbarer räumlichen Nähe befindlichen Baustelle beeinträchtigt wird, wenn sich die typischen Folgen direkt am und im Ladenlokal auswirken (vgl. auch OLG Frankfurt NJW 2015, 2434). Dies gilt für in das Ladenlokal eindringende Verschmutzung und dort hörbaren Lärm. Dies gilt aber auch für die Beeinträchtigung der Lage durch die Auswirkungen auf die Fläche direkt vor dem Ladenlokal. Denn der Mieter kann sich nicht auf Veränderungen des Stadtviertels berufen. Er kann aber geltend machen, dass die Fläche direkt vor dem Geschäft und der Zugang zu dem Geschäft in solcher Weise verändert sind, dass die Attraktivität der Lage herabgesetzt ist, weil weniger Passanten und potentielle Kunden diesen Raum als Weg wählen oder davon abgehalten werden, das Geschäft aufzusuchen.
bb) Die Rechtsprechung des BGH zu dem Erfordernis der ergänzenden Vertragsauslegung hinsichtlich der gegenseitigen Pflichten bei nachträglich auftretenden Geräuschimmissionen ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Jedenfalls konnten die Beklagten die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Minderung nicht vortragen.
aaa) Nach der Rechtsprechung des BGH begründen nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen, bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung, wenn auch der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit nach § 906 BGB als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. Insoweit hat der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil (BGH, Urteil vom 29. April 2015 – VIII ZR 197/14, NJW 2015, 2177). Das Urteil betrifft den Fall einer lärmintensiven Nutzungsänderung auf dem Nachbargrundstück. Bei Baumaßnahmen handelt es sich aber nicht um eine Nutzungsänderung des Grundstücks, sondern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zur Folge haben kann, dass die bisherige Nutzung – auch hinsichtlich der Lärmentwicklung – beibehalten wird. Zudem betrifft das Urteil nicht die Vermietung von nicht zu Wohnzwecken genutzten Räumlichkeiten. Die Mietpreisbildung beruht bei gewerblich genutzten Räumlichkeiten auf anderen Kriterien als bei Wohnräumen. Deshalb muss eine ergänzende Vertragsauslegung bei einem Vertrag über gewerblich genutzte Räumlichkeiten andere Umstände und Interessen der Parteien berücksichtigen. So hat auch der BGH zu einem gewerblichen Mietverhältnis entschieden, dass sich die Grenze der Zumutbarkeit im Sinne von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht nach mietrechtlichen Vorschriften beurteilt. Schon deshalb entsprächen die nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auszugleichenden Beeinträchtigungen nicht ohne weiteres dem Umfang des Minderungsrechts (BGH, Urteil vom 23. April 2008 – XII ZR 62/06 -, BGHZ 176, 191-198, Rn. 22).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Parteien im konkreten Fall für die noch ausstehenden Bauarbeiten im Einkaufszentrum selbst differenzierte Regelungen getroffen haben, die die Interessen auch der Klägerin wahren. Schon deshalb kann die ergänzende Vertragsauslegung im vorliegenden Fall nicht zu demselben Ergebnis führen wie in dem Fall, der der zitierten Entscheidung des BGH zugrunde lag.
bbb) Sofern sich die Beklagte zu 1 darauf berufen will, dass sie die Immissionen nach § 906 BGB hinnehmen muss, trägt sie dafür die Darlegungs- und Beweislast.
Die Mietminderung hindernde Einwände fallen in die Darlegungs- und Beweislast des Vermieters (BGH, Urteil vom 13. Mai 2015 – XII ZR 65/14 -, BGHZ 205, 301-319, Rn. 19). Das gilt auch für den Einwand, dass der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit nach § 906 BGB als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. Der Mieter hat nur die konkreten Auswirkungen auf das Mietobjekt vorzutragen. Die Vorschrift des § 906 BGB betrifft das Verhältnis vertraglich nicht verbundener Nachbarn und somit das Verhältnis des vermietenden Eigentümers zu dem Bauherrn. Die Einwendung beruht auf diesem Verhältnis und ist aus diesem Grund auch von dem Vermieter darzulegen. Dies konnte die Beklagte zu 1 im vorliegenden Fall nicht.
cc) Der Sachvortrag der Klägerin zu den Beeinträchtigungen durch die gegenüberliegende Baustelle ist ausreichend substantiiert.
Eine Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Da die Minderung nach § 536 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes eintritt, genügt der Mieter seiner Darlegungslast schon mit der Darlegung eines konkreten Sachmangels, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt; das Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung (oder einen bestimmten Minderungsbetrag) braucht er hingegen nicht vorzutragen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 – XII ZR 59/14 -, Rn. 4, 5, NZM 2016, 796).
Bei wiederkehrenden Beeinträchtigungen durch Lärm bedarf es nicht der Vorlage eines detaillierten Protokolls. Es genügt vielmehr grundsätzlich eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten (zuletzt BGH, Beschluss vom 22. August 2017 – VIII ZR 226/16, NZM 2017, 694).
Diesen Anforderungen werden die Mängelrügen und der Sachvortrag der Klägerin gerecht. Anders als die Beklagten meinen, bedarf es insbesondere nicht der Vorlage eines Bautagebuchs.
Die Klägerin trägt vor, die Bauarbeiten an dem R-Palais hätten Mai 2014 begonnen und bis Ende Juli 2017, also 39 Monate, angedauert. Sie hat den Umfang der Bauarbeiten beschrieben: Es seien Nachkriegsbauten abgerissen, neue Fundamente gesetzt und die Unterfläche des Gebäudes für eine neu zu errichtende Tiefgarage ausgehoben. Das Gebäude sei kernsaniert und zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut worden. Weiter hat die Klägerin dargelegt, dass mit den Arbeiten eine erhebliche Entwicklung von Dreck und Staub einhergehe, dass es einen erheblichen An- und Abfahrtsverkehr gebe, dass die Straße durch die Baustelleneinrichtung so schmal geworden sei, dass sie nur noch einspurig zu befahren sei und das auch nur kurzfristige Halten in der Nähe des Geschäfts fast unmöglich geworden sei, und dass der Baustellenlärm auch an ruhigeren Tagen merklich und störend, an anderen Tagen aber wiederholt so laut sei, dass Verkaufsgespräche in dem Ladengeschäft nur mit Einschränkungen möglich seien.
dd) Aufgrund der Beweisaufnahme in der öffentlichen Sitzung vom 08.02.2018 durch die Einvernahme der Zeuginnen E und G ist der Senat von der Richtigkeit des Sachvortrags zu den Auswirkungen der Baustelle im Geschäft selbst überzeugt. Die Zeugin E hat den intensiven Lärm während der Aushubarbeiten deutlich beschrieben und auch den in das Geschäft dringenden Lärm und die Erschütterungen sowie die Reaktionen der Kunden. Auch die Zeugin G hat den mit der Baustelle verbundenen Dreck und Lärm ausführlich geschildert.
Der Senat hat keinen Anlass den Zeuginnen nicht zu glauben, insbesondere da deren Aussagen ohne Weiteres mit dem unstreitigen Umfang der Bauarbeiten in Einklang zu bringen sind.
e) Die Miete ist aufgrund der Minderung im Zeitraum von Mai 2014 bis Juli 2017 um € 107.671,20 herabgesetzt. Die Mietzinsminderung tritt automatisch in dem Umfang ein, in dem die Gebrauchstauglichkeit herabgesetzt ist (BGH, Urteil vom 27. Februar 1991 – XII ZR 47/90 -, Rn. 17, juris). Die Minderungsquote ist gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung durch das Gericht zu schätzen (Ghassemi-Tabar in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer, Gewerberaummiete, § 536 BGB Rn. 371). In geeigneten Fällen kann – so wie hier – bei einer zusammenfassenden Betrachtungsweise im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 BGB aus Gründen der Vereinfachung und im Hinblick darauf, dass sich das Ausmaß der Beeinträchtigung fast täglich ändern kann, ein einheitlicher Minderungsbetrag festgesetzt werden für die Monate, in denen eine nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung andauerte (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2011 – I-24 U 186/10 -, Rn. 47, juris).
Der Senat schätzt den Betrag, um den die von der Klägerin zu zahlende Miete monatlich herabgesetzt war, nach § 287 ZPO auf einheitlich € 2.760,80 einschließlich der Umsatzsteuer für die Monate Mai 2014 bis Juli 2017. Denn die Minderung berechnet sich aus der Miete samt Umsatzsteuer. Die Korrekturen gegenüber den Finanzämtern sind jeweils von den Parteien vorzunehmen. Bei der Schätzung hat der Senat berücksichtigt, auf welche Weise und in welchem Umfang der Vertragszweck und der vertragsgemäße Gebrauch beeinträchtigt waren. Insbesondere war zu berücksichtigen, dass es sich um ein Ladengeschäft handelt, dass nach dem Mietvertrag in den Räumlichkeiten Waren verkauft werden sollten, bei denen davon auszugehen ist, dass für die potentiellen Kunden das Umfeld des Ladens und die Einkaufsatmosphäre von größerer Bedeutung ist als bei Läden, in denen vertragsgemäß andere Waren verkauft werden, wie bspw. Güter des täglichen Lebensbedarfs, oder in denen besonders preisgünstige Waren angeboten werden.
f) Die Miete ist nicht aufgrund der Bewachungsmaßnahmen und des Polizeischutzes gemindert. Die durch die Vermietung zur Nutzung als Wohnung durch den Generalkonsul des Israelischen Staates verursachten Beeinträchtigungen können einen Mangel darstellen. Aufgrund der Beweisaufnahme ist der Senat der Auffassung, dass die Beeinträchtigungen nicht erheblich sind, § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB.
aa) Da den Vermieter von Gewerberäumen auch ohne besondere Vereinbarung die vertragliche Verpflichtung trifft, den Mieter vor Störungen des vertragsgemäßen Gebrauchs zu schützen, muss er bei der Vermietung von weiteren Räumlichkeiten in derselben Gewerbeeinheit dafür Sorge tragen, dass der Mieter durch die Geschäftstätigkeit der Mitmieter nicht mehr als nur unerheblich in der Nutzung der von ihm angemieteten Gewerberäume beeinträchtigt wird. Daraus folgt, dass ohne eine konkrete Vereinbarung über eine bestimmte Nutzung der übrigen Mieteinheiten allein aus der Vermietung weiterer Räume in dem Mietobjekt an einen Mieter, von dem die abstrakte Gefahr ausgeht, dass andere Mieter im Gebrauch der Mietsache Beeinträchtigungen erfahren, nicht auf einem Mangel i. S. v. § 536 Abs. 1 BGB geschlossen werden kann ((BGH, Urteil vom 26. September 2012 – XII ZR 122/11 -, Rn. 21, NJW-RR 2012, 1480 zum „Mietermix“). Erst wenn bei einem Mieter eine konkrete und mehr als nur unerhebliche (vgl. § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB) Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache eintritt, liegt ein Mangel der Mietsache vor, der gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Minderung der Miete führt. Die Präsenz von Polizeibeamten kann zu einer Beeinträchtigung des Betriebs eines Ladengeschäftes führen. Denn die Gegenwart von – insbesondere schwer bewaffneten – Polizeibeamten lässt für den Passanten auf das Vorhandensein einer erheblichen, konkreten Gefahr schließen.
bb) Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten, dass die Beweisaufnahme keine erhebliche Beeinträchtigung der Mietsache durch den Polizeischutz erbracht hat. Nach § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB bleibt eine unerhebliche Minderung außer Betracht. Als unerheblich ist ein Fehler nach der Rechtsprechung dann anzusehen, wenn er leicht erkennbar ist und schnell und mit geringen Kosten beseitigt werden kann, so dass die Geltendmachung einer Minderung gegen Treu und Glauben verstieße (BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – XII ZR 251/02 -, Rn. 13, NZM 2004, 776).
Die Geltendmachung einer Minderung durch die Klägerin wegen der Umstände, die sich aufgrund der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates bestätigt haben, verstieße gegen Treu und Glauben. Denn das Auftreten der Polizeibeamten war in keiner Weise so martialisch wie von der Klageseite zunächst vorgetragen. Schon nach dem ersten Gespräch mit der Polizei wurde mehr Rücksicht auf die Klägerin genommen. Nach den Aussagen befindet sich die Polizei überwiegend auch nicht auf der Straße unmittelbar vor dem Geschäft und ist auch nicht schwer bewaffnet.
2. Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 2 BGB iVm Art. 229 § 34 EGBGB. Mit der Klage vom 18.07.2016 wurde zunächst die Rückzahlung der Mieten für den Zeitraum Oktober 2014 bis Juli 2016 verlangt. Für die Ansprüche für die Monate Oktober 2014 bis Juni 2016 beträgt der Zinssatz 8%-Punkte, für den Anspruch für den Monat Juli 2016 9%-Punkte, jeweils über dem Basiszinssatz. Rechtshängigkeit trat mit Zustellung der Klage am 12.08.2016 ein. Der Anspruch auf Rückzahlung für die übrigen 17 Monate wurde mit Zustellung der Klageerweiterung vom 25.09.2017 am 02.10.2017 rechtshängig. Der Zinssatz für die Ansprüche für die Monate Mai bis September 2014 beträgt 8%-Punkte und für die Ansprüche für die Monate August 2016 bis Juli 2017 9%-Punkte, jeweils über dem Basiszinssatz.
3. Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten ist nicht schlüssig dargelegt. Das Schreiben vom 16.07.2015, Anlage K 16, auf das sich die Klägerin für die Begründung des Verzugs beruft, ist nicht an die Beklagte zu 1 gerichtet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92, 100 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren richtet sich nach den Anträgen des Rechtsmittelführers, § 47 GKG. Der nach der Klageerweiterung verlangte Betrag in Höhe von € 294.640,00 bestimmt das wirtschaftliche Interesse der Klagepartei.

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