Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Bindungswirkung der Verweisung – Zuständigkeit für Rückgewährsklagen aus Eheverträgen

Aktenzeichen  2 AR 12/18 (2)

Datum:
29.11.2018
Fundstelle:
FamRZ – 2019, 721
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 24, § 281
FamFG § 113 Abs. 1, § 267

 

Leitsatz

1 Einem Verweisungsbeschluss kann die bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nicht offensichtlich unhaltbar ist es anzunehmen, dass § 24 ZPO alle Anträge auf Rückübertragung von Immobilien erfasst, weil er Klagen, durch die das Eigentum an einer unbeweglichen Sache geltend gemacht wird, einem ausschließlichen Gerichtsstand unterstellt, obwohl er nur Klagen, durch die das Eigentum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht wird, nicht dagegen Rückgewährsklagen nach Rücktritt oder Geltendmachung der Nichtigkeit eines obligatorischen Vertrages erfasst und damit keine Rückgewährsklagen aus Eheverträgen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Als für die Anträge zuständiges Gericht wird das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek bestimmt.

Gründe

I.
Die Beteiligten sind seit 15.10.2017 rechtskräftig geschiedene Eheleute, der Antragsteller befindet sich zur Zeit in Haft in der JVA H. in G., die Adresse der Antragsgegnerin ist geheim. Mit Schriftsatz vom 29.12.2016 beantragte der Antragsteller, ihm für einen beabsichtigten Antrag auf Zahlung von 166.441,48 € (Ziffer 1), Rückübertragung einer Immobilie in R. (Ziffer 2) und einer Immobilie in O. (Ziffer 3) sowie die Herausgabe sämtlicher Mietverträge, Versicherungsunterlagen und aller Schlüssel für das Objekt R. (Ziffer 4) Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Zur Begründung der Zuständigkeit des Amtsgerichts München gab er an, dass Scheidungsantrag beim Amtsgericht München gestellt worden sei.
Mit Beschluss vom 20.06.2017 lehnte das Amtsgericht München den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ab.
Mit Schriftsatz vom 27.12.2017 beantragte der Antragsteller nunmehr unbedingt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Immobilie in O. (Ziffer 1) und in R. (Ziffer 2) an den Antragsteller aufzulassen und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen, sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, sämtliche Mietverträge, Versicherungsunterlagen und Schlüssel für das Objekt in R. an den Antragsteller herauszugeben (Ziffer 3).
Zur Begründung führte er an, die Antragsgegnerin sei aufgrund von § 6 des zwischen den Beteiligten geschlossenen notariellen Ehevertrags vom 12.09.2014 zur Rückübertragung für den Fall der Scheidung verpflichtet. Zudem wurde unter dem Datum 29.12.2016/25.07.2018 der im Jahre 2016 als Entwurf eingereichte Antrag in Ziffern 1 – 4 erneut gestellt.
Mit Verfügung vom 16.08.2018 wies das Amtsgericht München darauf hin, dass es für das vorliegende Verfahren nach § 266 Abs. 2 FamFG, § 24 Abs. 1 ZPO örtlich nicht zuständig sei.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2008 beantragte die Antragsgegnerin, die Anträge zurückzuweisen, da die geltend gemachten Ansprüche nicht bestünden. Zugleich rügte sie die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts und wandte Verjährung ein.
Mit Schriftsatz vom 04.10.2008 beantragte die Antragstellervertreterin, den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen und wies darauf hin, dass die Anschrift der Antragsgegnerin nicht bekannt sei.
Mit Beschluss vom 05.10.2108 trennte das Amtsgericht München den Antrag zu Ziffer 3 aus der Antragsschrift vom 29.12.2016 ab, erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren nach Fürstenfeldbruck.
Mit Beschluss gleichen Datums, berichtigt mit Beschluss vom 26.10.2018, trennte es die Anträge zu Ziffer 2 und 4 aus der Antragsschrift vom 29.12.2016 in der Fassung der Anträge zu den Ziffern 2. und 3. der Antragsschrift vom 27.10.2017 ab, erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren nach Antrag des Antragstellers an das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek.
Zur Begründung dieses Beschlusses führte es an, die Entscheidung beruhe auf §§ 112 Nr. 3, 113, 266 Abs. 1, 267 Abs. 2 FamFG, 12 f. 281 Abs. 1 ZPO. Das angerufene Gericht sei für die abgetrennten Anträge örtlich unzuständig. Da eine Ehesache im Sinne des § 121 FamFG nicht anhängig sei, bestimme sich die Zuständigkeit nach der ZPO, mit der Maßgabe, dass in den Vorschriften über den allgemeinen Gerichtsstand an die Stelle des Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt trete. Danach sei das Gericht örtlich zuständig, an welches das Verfahren verwiesen werde. Das Amtsgericht Reinbek sei für die abgetrennten Anträge nach § 276 Abs. 2 FamFG, 24 Abs. 1 ZPO ausschließlich örtlich zuständig.
Mit Verfügung vom 19.10.2018 sandte das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek die Akten das Amtsgericht – Familiengericht – München ohne Übernahme zurück, da eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Reinbek nicht erkennbar sei. Die örtliche Zuständigkeit bestimme sich vorliegend gemäß § 267 Abs. 2 FamFG nach den Vorschriften der ZPO. Gemäß § 12 ZPO sei dies in Familiensachen der Ort des allgemeinen Aufenthalts. Bei Rechtshängigkeit des Antrags sei die Antragsgegnerin in München wohnhaft gewesen. Eine Anschrift in Reinbek sei aus der Akte nicht zu entnehmen. Auf den besonderen Gerichtsstand des Gegenstands gemäß § 23 ZPO könne nicht mehr zurückgegriffen werden, da der Antragsteller diesbezüglich sein Wahlrecht mit Antragstellung ausgeübt habe. Ein ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand gemäß § 24 ZPO liege nicht vor. Da der Verweisungsbeschluss willkürlich erscheine, sei er für das Amtsgericht Reinbek auch nicht bindend. Darüber hinaus habe es sich bei der Antragsschrift vom 29.12.2016 lediglich um einen Entwurf gehandelt, so dass der Verweisungsbeschluss dahingehend auszulegen sei, dass lediglich eine Abgabe an das Amtsgericht Reinbek vorliege.
Mit Verfügung vom 26.10.2018 sandte das Amtsgericht München die Akten an das Amtsgericht Reinbek zurück und wies darauf hin, dass von einer ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Reinbek nach § 267 Abs. 2 FamFG, § 24 ZPO auszugehen sei und der Beschluss nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend sei. Eine willkürliche Sachbehandlung liege nicht vor, da es sich bei dem abgetrennten Antrag zu Ziffer 2 um einen Antrag handle, durch den das Eigentum geltend gemacht wird, und der Antrag zu Ziffer 3 hiermit im Sachzusammenhang stehe.
Mit Beschluss vom 30.10.2018 lehnte das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek die Übernahme des Verfahrens ab. Zur Begründung führte es an, der Verweisungsbeschluss sei gemäß § 3 Abs. 3 FamFG für das Amtsgericht Reinbek nicht bindend, da die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig sei, so dass sie objektiv willkürlich erscheine. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Reinbek sei unter keinem Gesichtspunkt gegeben. Eine Zuständigkeit nach § 24 Abs. 1 ZPO liege nicht vor, da hiervon nur Klagen auf Feststellung des Eigentums, auf Berichtigung des Grundbuchs oder Klagen, bei denen das Eigentum Anspruchsgrundlage sei, betroffen seien, nicht dagegen Klagen des persönlichen Gläubigers auf Einräumung des Eigentums. Da der Antragsteller sein Recht aus dem Ehevertrag herleite, handle es sich gerade nicht um einen Antrag aus dem Eigentum. Im Hinblick auf möglicherweise gegebene besondere Gerichtsstände (§ 29 ZPO) habe der Antragsteller sein Wahlrecht mit dem Gerichtsort München bereits ausgeübt. Es verbleibe daher bei dem allgemeinen Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthalts der Antragsgegnerin, der in München liege.
Mit Verfügung vom 12.11.2018 legte das Amtsgericht München die Akte dem Oberlandesgericht München zur Bestimmung der Zuständigkeit vor.
II.
Das Oberlandesgericht München ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek und dem Amtsgericht – Familiengericht – München gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zuständig.
Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor, da sowohl das Amtsgericht – Familiengericht – München als auch das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek sich für örtlich unzuständig erklärt haben.
Als zuständiges Gericht war das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek zu bestimmen. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Reinbek folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nach § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG, 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind im Interesse der Prozessökonomie sowie zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und Verteuerungen in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindungswirkung entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung. Einem Verweisungsbeschluss kann daher die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (vgl. Zöller/Geiger, ZPO, 32. Aufl., § 281 Rz. 17, 17a).
Hierfür genügt es aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung, der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH, MDR 2008, 1117, Rz. 6). Allein die Abweichung von einer Rechtsauffassung, die sowohl in der Fachliteratur als auch in der Rechtsprechung vielfach vertreten wird, mag den Vorwurf der Willkür noch nicht zu begründen, da dem deutschen Recht eine Präjudizienwirkung grundsätzlich fremd ist. Zur Annahme, dass der Verweisungsbeschluss jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedarf es deshalb zusätzlicher Umstände (vgl. OLG Hamm, MDR 2014, 1106, Rz. 17). Weicht ein Gericht allerdings von einer einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, muss es sich mit dieser Meinung zumindest dann auseinandersetzen, wenn es hierzu konkreten Anlass hat, insbesondere wenn ein Verfahrensbeteiligter ausdrücklich darauf hingewiesen hat. Ein übereinstimmender Antrag der Beteiligten kann eine unzureichende Begründung der Verweisung aber unschädlich machen (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 10).
Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Verweisungsbeschluss (noch) nicht als willkürlich anzusehen. Zwar hat das Amtsgericht Reinbek zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Zuständigkeit nach § 267 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 24 ZPO nicht gegeben ist, da ein „Anspruch aus dem Eigentum“ nicht geltend gemacht wird. Hiervon erfasst werden nur Klagen, durch die das Eigentum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht wird, nicht dagegen Rückgewährsklagen nach Rücktritt oder Geltendmachung der Nichtigkeit eines obligatorischen Vertrages (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 32. Aufl., § 24 Rz. 8 und 9). Da vorliegend ein Rückgewähranspruch aufgrund einer Scheidungsklausel im notariellen Ehevertrag geltend gemacht wird, der sich aus § 812 BGB ergibt, liegt keine Klage nach § 24 ZPO vor. Auch eine Zuständigkeit nach § 29 ZPO (vertraglicher Erfüllungsort) als besonderer Gerichtsstand ist nicht gegeben, da der Antragsteller sein Wahlrecht gemäß § 35 ZPO durch Antragstellung ausgeübt hat. Es entfällt damit auch die Annexzuständigkeit für die Herausgabe der Unterlagen.
Ein Ausnahmefall, der die grundsätzlich geltende Bindung des Verweisungsbeschlusses aufheben würde, liegt aber nicht vor.
Verstöße gegen das rechtliche Gehör oder den Anspruch auf den gesetzlichen Richter sind nicht gegeben, insbesondere wurden beide Beteiligte zur Frage der örtlichen Zuständigkeit angehört und haben eine Verweisung beantragt bzw. die örtliche Unzuständigkeit ausdrücklich gerügt.
Auch eine willkürliche Verweisung liegt nicht vor.
Zwar hält sich die Begründung im Verweisungsbeschluss am untersten Rand des erforderlichen und nennt lediglich die Vorschrift des § 24 ZPO, den es irrtümlicherweise offenbar auch bei schuldrechtlichen Klagen auf Rückübertragung des Eigentums für anwendbar hält. Die Entscheidung steht daher im Widerspruch zu der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur.
Dies allein ist nach dem oben Gesagten nicht ausreichend. Beide Beteiligte haben ausdrücklich die Zuständigkeit des Amtsgerichts München gerügt und sich nicht gegen eine Zuständigkeit nach § 24 ZPO gewandt. Das Gericht hatte daher auch, anders als in dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall, keinen zwingenden Anlass, seine Entscheidung umfangreich 02 zu begründen. Da der vom Familiengericht München angeführte § 24 ZPO zudem Klagen, durch die das Eigentum an einer unbeweglichen Sache geltend gemacht wird, einem ausschließlichen Gerichtsstand unterstellt, kann bei oberflächlicher Betrachtung durchaus der Schluss gezogen werden, dass hierunter alle Anträge auf Rückübertragung von Immobilien einzuordnen sind. Auch wenn der Verweisungsbeschluss sachlich falsch ist, ist er daher bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht als völlig unverständlich und offensichtlich unhaltbar anzusehen.
Die Bindungswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil eine lediglich formlose Abgabe vorlag, da die Verweisung nicht in dem – durch Beschluss vom 20.06.2017 abgeschlossenen – Verfahrenskostenhilfeverfahren erfolgte, sondern in dem neu durch Anträge vom 27.12.2017 (unter Einbeziehung der lediglich als Entwurf gestellten Anträge vom 25.07.2018) unbedingt eingeleiteten Verfahren.
Da das Amtsgericht – Familiengericht – Reinbek daher gemäß § 112, 113, 267 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO aufgrund der bindenden Verweisung örtlich zuständig ist, war dieses Gericht als das zuständige Gericht zu bestimmen.

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