Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Erfolglose Klage auf Erteilung eines Negativtestes für Wohngebäude

Aktenzeichen  M 9 K 15.3230

Datum:
14.12.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
ZeS § 3 Abs. 3 Nr. 5, § 10

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung des beantragten Negativattests, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 3 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. § 10 Var. 1 der Satzung der Beklagten über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS).
Gemäß § 10 Var. 1 ZeS besteht auf Antrag ein Anspruch auf Ausstellung eines Negativattests bei einer Maßnahme, für die eine Genehmigung nicht erforderlich ist, weil Wohnraum nicht vorhanden ist. Das Nichtvorhandensein von Wohnraum kommt hier in Betracht auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Nr. 5 ZeS. Danach liegt Wohnraum nicht vor, wenn ein dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist, weil der Raum einen schweren Mangel bzw. Missstand aufweist und die Wiederbewohnbarkeit nicht mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand wiederhergestellt werden kann. Letzteres ist stets der Fall, wenn die aufzuwendenden finanziellen Mittel nicht innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren durch entsprechende Erträge ausgeglichen werden können oder die Kosten des Abbruchs zuzüglich der Neuerrichtung die eines vergleichbaren Gebäudes erreichen.
Ursprünglich handelte es sich bei den streitgegenständlichen Wohngebäuden zwischen den Beteiligten unstreitig um sog. geschützten Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsrechts, § 3 Abs. 1, 2 ZeS. Die Wohnraumqualität ist auch nicht nach § 3 Abs. 3 Nr. 5 ZeS weggefallen.
Dabei ist davon auszugehen, dass der zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit erforderliche zumutbare Instandsetzungsaufwand nur diejenigen Maßnahmen erfasst, die unbedingt erforderlich sind, die objektive Eignung zum Bewohnen und die Annahme des Wohnraums durch den Markt unabhängig von der Miethöhe wiederherzustellen, nicht darüber hinausgehende wünschenswerte oder sinnvolle Modernisierungsmaßnahmen zur Erzielung einer höheren Rendite (BayVGH, U.v.30.5.1990 – 7 B 88.2097 – BayVBl. 1991, 83).
Vorliegend ist nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Gebäude vor dem Abbruch mit einem in diesem Sinne zumutbaren Aufwand hätten instandgesetzt werden können (1.). Verbleibende Zweifel hieran, die allenfalls in Bezug auf den weitgehend unbekannten Zustand der Gebäudesubstanz vorhanden sind bzw. sein könnten, gehen zu Lasten der Klägerin, da die Gebäude abgerissen wurden (2.).
1. Unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgelegten Begutachtungen der streitgegenständlichen Gebäude im Hinblick auf den kostenmäßigen Aufwand für eine Wiederherstellung der Wiederbewohnbarkeit spricht zunächst alles dafür, dass die Wiederbewohnbarkeit mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand hätte hergestellt werden können.
Die von der Beklagten vorgelegten Begutachtungen ihres Fachbereichs Technik (technisches Gutachten vom 20. April 2015 sowie die erneute Stellungnahme vom 2. Juli 2015, welche wegen der enormen Differenzen zu den von der Klägerin vorgelegten Begutachtungen eingeholt wurde) sind plausibel und nachvollziehbar. Das auf der Grundlage dieser Begutachtungen erzielte Ergebnis, dass mit einem erzielbaren Reinertrag über zehn Jahre in Höhe von ca. 3.500.000,- Euro die für die Wohnhäuser erforderlichen baulichen Maßnahmen in Höhe von rund 1,9 Mio. Euro finanziert werden können, zeigt, dass die Voraussetzungen gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 5 Variante 1 ZeS nicht gegeben sind.
Die dagegen von der Klägerin vorgelegten Begutachtungen (das Privatgutachten vom 12. Dezember 2014 sowie die ergänzende Stellungnahme der Ingenieure vom 5. Mai 2015) sind von vornherein für den hiesigen Prüfungszweck, nämlich die Prüfung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens der Unzulässigkeit oder Unzumutbarkeit des dauernden Bewohnens, weil der Wohnraum einen schweren Mangel bzw. Missstand aufweist, ungeeignet, da sie von einer ganzen Reihe unzutreffender Prämissen ausgehen.
Neben vielen weiteren Details folgt das insbesondere aus mehreren grundsätzlichen Gesichtspunkten.
Erstens geht das Privatgutachten bereits von der falschen Aufgabenstellung aus und kann deshalb notwendigerweise nicht zur den richtigen Ergebnissen vor dem Hintergrund der Regelung in § 3 Abs. 3 Nr. 5 Var. 1 ZeS führen. Unabhängig davon, dass das Privatgutachten vom 12. Dezember 2014 als „Aufnahme des Gebäudezustands“ betitelt ist, ist der Gutachtensauftrag „Feststellung des Gebäudezustands am Objekt … Straße … in M. mit monetärer Bewertung des erforderlichen Modernisierungs- und Umbauaufwands zur Weiternutzung als Wohngebäude“ vor dem Hintergrund der zweckentfremdungsrechtlichen Prüfung ungeeignet. Bei der Frage, was zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit einzustellen ist, geht es um Maßnahmen der Instandsetzung bzw. Instandhaltung, gerade nicht jedoch um Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen. Daher kann diese Fragestellung bereits von vornherein nicht zu einem brauchbaren Ergebnis für die Erteilung eines zweckentfremdungsrechtlichen Negativattests wegen Unbewohnbarkeit führen. Hierbei handelt es sich auch nicht etwa um eine unscharfe Begrifflichkeit des Privatgutachtens, vielmehr zieht es sich auch in inhaltlicher Hinsicht gleichsam wie ein roter Faden durch das klägerische Gutachten, dass es darin nicht um die Instandsetzung im Sinne einer „Wiederbewohnbarmachung“ geht, sondern um eine Modernisierung und einen teilweise sehr weit gehenden Umbau im Sinne der Herstellung von Wohnraum nach aktuellstem gehobenen Standard.
Zweitens leidet das Privatgutachten grundlegend daran, dass eine völlig unzutreffende Wohnfläche zugrunde gelegt wird. Das Privatgutachten setzt eine Bruttogeschossfläche von 5.175 m² an und schließt damit sämtliche zur Verfügung stehenden Flächen, eingeschlossen auch Gewerbe- und Nutzflächen (z.B. eine halbe Million Euro für die Garagenanlagen und Außenanlagen), mit ein. Die Flächen sind in dem Privatgutachten der Klägerin überwiegend jeweils durch Planabgriff bestimmt worden. Das ist vor dem Hintergrund des Umstands, dass nicht alle bisher genutzten Flächen Wohnraum darstellen, fehlerhaft, weil dadurch auch Flächen Berücksichtigung finden, die mit dem Zweckentfremdungsrecht überhaupt nichts zu tun haben. Dadurch erzielt das klägerische Gutachten einen viel zu hohen Flächenwert, für den es dann dieselben hohen Modernisierungssätze ansetzt. Das stellt einen der Gründe dar, warum sich nach dem Privatgutachten der Klägerin ein – gemessen an den Anforderungen des Zweckentfremdungsrechts – viel zu hoher Modernisierungsaufwand ergibt, unabhängig davon, dass nach dem oben Gesagten auch nicht auf eine Modernisierung, sondern auf eine Instandsetzung abgestellt werden darf.
Dagegen hat der Fachbereich Technik der Beklagten einen Wert von 3.011 m² Wohnfläche ermittelt, was vor dem Hintergrund der zweckentfremdungsrechtlichen Betrachtung, nach der eben nur Flächen mit bisheriger Wohnnutzung einzubeziehen sind, der zutreffende Wert ist. Die Klägerin kann sich durch den Umstand, dass sie durch einen Umbau, der einem Neubau gleichkommt, ganz neue Wohnungszuschnitte mit ggf. unter dem Strich einem „Mehr“ an Wohnraum erzielt, nicht komplett von den Bindungen des Zweckentfremdungsrechts befreien, indem sie die Kosten für die Herstellung des neuen zusätzlichen Wohnraums dazu addiert. Der Umstand, dass ein „Mehr“ an Wohnraum geschaffen wird, kommt der Klägerin in wirtschaftlicher Hinsicht bereits zugute bei der hier nicht streitgegenständlichen Genehmigung der Zweckentfremdung durch Abbruch kombiniert damit, dass unter Zugrundelegung der Erhaltungssatzung der Beklagten, die nur hinsichtlich des bisher bestehenden Wohnraums greift, bereits „freier“ Wohnraum entsteht. Im Zuge dessen fallen außerdem einige kostenmäßig erhebliche Punkte, welche das von der Klägerin vorgelegte Gutachten ansetzt, weg (z.B. Grundrissänderungen).
Ebenso ist zu berücksichtigen, dass bei Instandsetzungsmaßnahmen, die auf die gesamte Gebäudefläche, also auf die Wohn- und Gewerbeflächen, umgelegt werden müssen, nach den Ermittlungen des Fachbereichs Technik der Beklagten nur die Kosten anteilig zur Wohnfläche gerechnet wurden (vgl. technisches Gutachten, ergänzende Stellungnahme vom 2. Juli 2015, dort Seite 3 unten).
Bereits aus diesen beiden eben genannten Punkten ergibt sich rechnerisch ein großer Teil der enormen Kostendifferenz zwischen dem Privatgutachten und den Stellungnahmen des Fachbereichs Technik der Beklagten. Allerdings entspricht wie gezeigt nur die Betrachtung des Fachbereichs Technik der Beklagten dem hier anzuwendenden rechtlichen Hintergrund, nämlich dem des Zweckentfremdungsrechts.
Schließlich gibt es auch keinen Grund, die Nutzung des Vordergebäudes als Asylbewerberunterkunft von vorneherein als den heutigen Wohnverhältnissen oder -standards nicht mehr angemessen einzustufen und entsprechend die Erforderlichkeit kompletter Umbaumaßnahmen vorzusehen. Denn diese Sichtweise steht mit dem Zweckentfremdungsrecht nicht in Einklang. Das folgt aus der Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 ZeS, wonach auch Wohnheime Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsrechts darstellen. Das bedeutet nicht, dass die Klägerin das Vordergebäude nicht umbauen darf (vgl. auch den nicht streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom … Juli 2015). Das bedeutet aber, dass die Klägerin bei der Bemessung der Unzumutbarkeit im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 5 Satz 1 ZeS nicht Kosten für einen Umbau zu Grunde legen darf, der zweckentfremdungsrechtlich nicht veranlasst ist. Nach Maßgabe der zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften korrekt ist dagegen das Vorgehen der Beklagten, die nur die Kosten berechnet, die nötig wären, um das Wohnheim wieder in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen.
Darauf, dass noch weitere Ungereimtheiten vorliegen, etwa, dass nach dem klägerischen Gutachten der finanzielle Kostenaufwand für das Vordergebäude um ca. eineinhalb Millionen Euro höher sein soll als für das Rückgebäude, obwohl beide Beteiligte in ihren Begutachtungen davon ausgehen, dass das Vordergebäude, obwohl deutlich älter, eine viel bessere Substanz aufweist als das aus den 60er Jahren stammende Rückgebäude, kommt es nicht mehr an.
2. Da sich allerdings die Gutachten beider Beteiligter ausdrücklich nicht oder kaum (mit Ausnahme der Anlage 7.3 zum klägerischen Gutachten) zur Gebäudesubstanz und zum baulichen Zustand, soweit dieser nicht sichtbar bzw. nicht offen zugänglich ist, verhalten, kann nicht mehr abschließend geklärt werden, ob die von der Beklagten angenommenen Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten nicht doch in tatsächlicher Hinsicht teurer werden, weil sich herausstellt, dass aufgrund nicht sichtbarer Schäden an baulichen Anlagen und Bauteilen, die nicht offen zugänglich sind, kostenträchtigere Eingriffe bzw. Neuherstellungen in der Gebäudesubstanz erforderlich sind.
Konkret unter diesem Blickwinkel kommt es in der Tat entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten im – ohnehin erst nach dem Urteil eingegangenen – Schreiben vom 23. Dezember 2016, in dem breit ausgeführt wird, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht auf die Gebäudesubstanz verengt werden dürfe, auf die Gebäudesubstanz an.
Da aber insofern wegen des Abbruchs des Gebäudes keine weiteren Feststellungen mehr getroffen werden können, ist der Rechtsstreit auf der Grundlage der vorliegenden Feststellungen und Gutachten zu entscheiden. Zwar hat die Klägerin mit dem Abbruch ordnungsgemäß von der nicht streitgegenständlichen Zweckentfremdungsgenehmigung (Abriss) mit Bescheid vom … Juli 2015 Gebrauch gemacht. Die Ursache dafür, dass kein Augenschein oder ein gerichtliches Sachverständigengutachten hätten beschlossen werden können, hat dadurch jedoch ebenfalls die Klägerin gesetzt, weshalb sie die Nichtaufklärbarkeit etwaiger für ihre Position günstige Umstände trägt, sog. materielle Beweis- oder Feststellungslast.
Eine weitere Beweiserhebung ohne das Vorhandensein der streitgegenständlichen Gebäude hingegen kommt im konkreten Fall nicht in Betracht. Eine Begutachtung allein auf der Grundlage der vorhandenen gutachterlichen Feststellungen der Beteiligten ist nicht möglich, was das Gericht auf Grund der vorliegenden fachlichen Stellungnahmen der Beteiligten wiederum selbst feststellen kann. Sowohl die Ermittlungen des Fachbereichs Technik der Beklagten als auch die Begutachtungen, welche die Klägerin vorgelegt hat, enthalten deutlich zu wenig Anknüpfungstatsachen für eine Begutachtung ohne weiteres Vorhandensein des Objekts. Die Ansätze, die sich insbesondere aus dem Gutachten der Klägerin vom 12. Dezember 2014 ergeben, sind hierfür eindeutig zu wenig. Das folgt bereits aus dem Gutachten selbst, das sich nicht nur ausdrücklich auf eine reine Sichtprüfung beschränkt, sondern auch keine Funktionsprüfungen vorgenommen hat und die festgestellten Schäden ausdrücklich auch nur teilweise durch Fotoaufnahmen dokumentiert hat (vgl. S. 6 unten des Gutachtens vom 12.12.2014). In tatsächlicher Hinsicht dokumentiert sind jeweils immer nur Ausschnitte bzw. Stichproben. Es fehlt jedoch an einer kompletten oder doch wenigstens ausreichenden, d.h. über Einzelbeispiele und Stichproben hinausgehenden Aufnahme des Gebäudezustands.
Da somit eine weitere Ermittlung des Sachverhalts und der Grundlagen für die Beurteilung für den Kostenaufwand zur Instandsetzung nicht mehr möglich ist, bleibt es dabei, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall des Wohnraums gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 5 ZeS nicht vorliegen, weil die Wiederbewohnbarkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt vor dem Abbruch mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand hätte hergestellt werden können.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

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