Aktenzeichen 5 C 1232/15
Leitsatz
Eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Vermieter eines Parkplatzes in einer im Jahre 1976 errichteten Tiefgarage liegt vor, wenn nach den im Unfallzeitpunkt geltenden Normen das Garagentor eine zweite Sicherheitseinrichtung haben muss (hier: Lichtschranke neben vorhandenem Drucksensor) und der Einbau einer zweiten Sicherheitseinrichtung erforderlich und zumutbar ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.677,45 € sowie weitere 334,75 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jeweils seit 29.10.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 85% und die Klägerin 15% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 3.110,50 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
A.
Anspruch dem Grunde nach Die Klägerin hat gegen die Beklagte gem. §§ 535, 280 Abs. 1, 278 BGB dem Grunde nach Anspruch auf Schadenersatz, weil die Beklagte eine Nebenpflicht aus dem Mietvertrag schuldhaft verletzt hat und dadurch der Klägerin ein Schaden entstanden ist.
Das Gericht ist auf Grund der Anhörung der Klägerin und insbesondere der Aussage des Zeugen K… davon überzeugt, dass am 04.02 2015 das Fahrzeug der Klägerin beim Ausfahren aus der Tiefgarage des Anwesens …straße … in K… durch das sich schließende Tiefgaragentor beschädigt wurde.
Die Klägerin kann als Geschädigte die Beklagte aus dem Mietvertrag des Ehemanns mit der Klägerin über den Tiefgaragenstell Platz vom 16.09.1976 auf Schadenersatz in Anspruch nehmen, auch wenn sie nicht Vertragspartnerin der Beklagten ist. Die Klägerin ist nämlich als Ehefrau des Mieters in den Schutzbereich des Mietvertrags einbezogen und kann daher gegen die Beklagte vertragliche Ansprüche geltend machen (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage 2015, Vorbemerkungen zu § 535 BGB, Rdnr. 348).
Die Beklagte schuldet Schadenersatz weil sie die sich aus dem Mietvertrag ergebende Nebenpflicht der Fürsorge verletzt hat:
Vermieter sind auf Grund des Mietvertrags verpflichtet, dem Mieter den ungestörten und vertragsgemäßen Mietgebrauch zu gewähren und zu sichern. Vermieter trifft daher die Pflicht, durch Vorsorge Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs zu vermeiden und die Mietsache in einem verkehrssicheren Zustand zu halten (a. a. O., § 535 BGB, Rdnr. 99). Konkret ergibt sich aus der Fürsorge / Verkehrssicherungspflicht für den Vermieter die Verpflichtung, die Mietsache auf mögliche Gefahren zu überprüfen und alle zumutbaren und erforderlichen Schutzvorrichtungen einzurichten (a. a. O., Rdnr. 100). Gegen diese Pflicht hat die Beklagte verstoßen.
Aus dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. B… ergibt sich, dass spätestens seit 01.05.2005 neue motorbetriebene Garagentore von Miethäusern (S. 17 Zeilen 6 bis 8 des Gutachtens – Bl. 104 d.A.) zwei Sicherungen benötigen, die Unfälle möglichst unwahrscheinlich machen (S. 21-23 d. GA – Bl. 108/110 d.A.). Tatsächlich verfügt das Tiefgaragentor jedoch nur über eine Sicherheitseinrichtung, einen optoelektronischen Drucksensor, der allerdings im Zusammenspiel mit dem Torantrieb wegen des zu langen Nachlaufwegs nicht ordnungsgemäß funktionierte (S. 14 Zeile 13-19 d. GA – Bl. 101 d.A.). Da eine zweite Sicherheitseinrichtung, zum Beispiel Lichtschranken in erforderlicher Zahl, fehlt, hat die Beklagte ihre Verpflichtungen aus dem Mietvertrag verletzt.
Die Beklagte kann sich nach Ansicht des Gerichts nicht, jedenfalls nicht mehr, auf Bestandsschutz berufen. Zwar trifft die Ansicht der Beklagten, dass sich die nach dem Mietvertrag geschuldete Beschaffenheit der Mietsache nach den zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden technischen Normen richtet, grundsätzlich zu (a. a. O., § 536 BGB, Rdnr. 30). So datiert der Mietvertrag auf den Errichtungszeitpunkt der Tiefgarage und besondere Beschaffenheitsanforderungen wurden nicht vereinbart. Auch trägt die Klägerin nicht vor, dass erhebliche bauliche Maßnahmen am Haus, die einem Neubau ähnlich kommen, oder grundlegende Veränderung des Gebäudes (z. B. Umgestaltung des bisher ungenutzten Dachbodens in eine Dachgeschosswohnung) erfolgt seien.
Nach Ansicht des Gerichts gilt der Bestandsschutz aber nur für Fragen des (statischen) Nutzungskomforts bzw. des Ausstattungsstandards der Mietsache. Für Fragen der (dynamischen) Betriebs- und Nutzungssicherheit der Mietsache sind nach Ansicht des Gerichts auch aktuelle Normen und alle vorgenommen Änderungen an der Mietsache und alle eingetretenen Änderungen im Umfeld der Mietsache zu berücksichtigen (vgl. a. a. O., Rdnr. 25 u. 26 sowie 36). Nur so lassen sich die Ziele der Fürsorgepflicht und der Verkehrssicherungspflicht, andere Personen vor Schäden zu bewahren, erreichen. Der Vermieter wird hierdurch nicht unbillig benachteiligt. Er ist dadurch ausreichend geschützt, dass die zu ergreifenden Maßnahmen dem Gebot der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit entsprechen müssen.
Ausgehend hiervon liegt eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte vor:
– Nach den derzeit geltenden Normen müsste das streitgegenständliche Garagentor eine zweite Sicherheitseinrichtung haben.
– Der Einbau einer zweiten Sicherheitseinrichtung ist erforderlich und zumutbar:
Bei einem Unfall drohen hohe Schäden. Tatsächlich ist der Schaden im vorliegenden Fall beträchtlich.
Derartige Unfälle sind nicht so selten, dass keine Maßnahmen zu ergreifen wären. Das Gericht hatte in jüngster Zeit über einen gleichgelagerten Fall zu entscheiden.
Der Einbau einer zweiten Sicherheitseinrichtung ist ohne großen Aufwand möglich und würde die Sicherheit des Garagentors „deutlich erhöhen“. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass das Garagentor durch Einbau von 3 Lichtschranken auf aktuellen Stand gebracht werden könnte und dass sich die Kosten hierfür auf rund 1.100 € brutto belaufen würden (S. 25 d. GA – Bl. 112 d.A.).
Das Erfordernis einer zweiten Sicherheitseinrichtung besteht für neue Tore seit 01.05.2005. Am Garagentor wurden 2006/2007 neue Federpakete eingebaut. Nach Ansicht des Gerichts, das sich dem Gutachter insoweit anschließt, hätte damals im Rahmen der Fürsorgepflicht und der Verkehrssicherungspflicht eine Gefahrenanalyse durchgeführt und in der Folge eine zweite Sicherheitseinrichtung eingebaut werden müssen.
Jedenfalls war das Tor angesichts des (nunmehr) geringen Nachrüstungsaufwands aufgrund der mietvertraglichen Fürsorge- und Prüfpflicht nach Ablauf von 10 Jahren nach Inkrafttreten der neuen Anforderungen, also bereits 2015, in einen aktuellen verkehrssicheren Zustand zu bringen.
Die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit des Einbaus einer Lichtschranke liegen daher nach Ansicht des Gerichts eindeutig vor.
Ursächlichkeit und Verschulden liegen vor, so dass die Beklagte dem Grunde nach zum Schadenersatz verpflichtet ist.
Wären die drei Lichtschranken eingebaut gewesen, so wäre es nach Überzeugung des Gerichts mit der für ein Urteil erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall gekommen, weil die Lichtschranken ein Schließen des Tors verhindert hätten. Die Beklagte hat schuldhaft gehandelt. Sie hat nur die Wartung des Tors in Auftrag gegeben und nicht wie nach dem Mietvertrag geschuldet eine Überprüfung des Tors auf aktuelle Verkehrssicherheit und Nachrüstmöglichkeiten. Gegebenenfalls hätte die Firma R… auf die Nachrüsterforderlichkeit und Nachrüstmöglichkeit hinweisen müssen. Hat sie dies getan, kam die Beklagte den Hinweisen nicht nach, so dass Verschulden vorliegt. Hat die Firma R… die Hinweise unterlassen, so handelte die Firma RUKU schuldhaft. Das Verschulden der Firma R… muss sich die Beklagte nach § 278 BGB zurechnen lassen.
B.
Anspruch der Höhe nach Die Höhe des Schadens beträgt 2.677,45 €.
Fahrzeugschaden – netto 2.158,91 €
Umsatzsteuer auf die Zierleiste 7,14 €
Sachverständigenkosten 511,40 €
Summe 2.677,45 €
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
– Umsatzsteuer
Die Klägerin hat den tatsächlichen Anfall von Umsatzsteuer über 7,14 € hinaus nicht nachgewiesen. Die Klage auf Zahlung von weiterer Umsatzsteuer in Höhe von 403,05 € ist daher nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB unbegründet.
– Auslagenpauschale
Die Klägerin trägt keine tatsächlichen Umstände vor, anhand derer das Gericht die Höhe der geringfügigen Schadenspositionen nach § 287 ZPO schätzen könnte. Derartiger Sachvortrag ist lediglich im Rahmen der massenhaft vorkommenden Verkehrsunfälle, die durch Beteiligung von zwei Straßenverkehrsteilnehmern geprägt werden, entbehrlich. Am vorliegenden Unfall ist jedoch nur ein Straßenverkehrsteilnehmer beteiligt, die Klägerin, so dass Schätzungsgrundlagen vorzutragen gewesen wären. Die Klage auf Zahlung von 30,00 € ist daher unbegründet.
C. Nebenforderungen
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betragen bei einem Schadenersatzbetrag von 2.677,45 € nur 334,75 €. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die beantragten Prozesszinsen waren nach § 291 BGB ab Rechtshängigkeit, also ab Zustellung der Klage am 29.10.2015 (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) zuzusprechen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Klagepartei ist in Höhe von 570,79 € (433,05 € Hauptsache + 78,89 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten + 54,35 € Zinsen + 4,50 € Zinsen) unterlegen. Dies entspricht in etwa 15% der Klageansprüche und der Nebenforderungen (3.110,50 € + 413,64 € + 177,65 € + 23,62 €). Nebenforderungen sind bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen (Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 92 Rdnr. 3), während sie bei der Streitwertberechnung gemäß § 4 ZPO außer Betracht bleiben.
III.
Das Urteil ist für die Klagepartei nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 709 Satz 1 ZPO), da der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 € übersteigt und somit keine Alternative des § 708 ZPO vorliegt, insbesondere nicht § 708 Nummer 11 Alternative 1 ZPO.
Das Urteil ist für die Beklagte allenfalls nach § 708 Nummer 11 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die von der Beklagtenpartei vollstreckbaren Kosten überschreiten die Wertgrenze von 1.500,00 € nicht (§ 708 Nummer 11 Alternative 2 ZPO). Die Abwendungsbefugnisse beruhen auf § 711 ZPO.
IV.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 GKG.