Aktenzeichen L 7 AS 241/15
Leitsatz
Hat das Jobcenter ein wirksames Kostensenkungsverfahren durchgeführt und der Leistungsempfänger keinerlei Eigenbemühungen zur Kostensenkung unternommen, hat er nur Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 48 AS 2810/14 2015-03-02 GeB SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 2. März 2015, S 48 AS 2810/14, wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung.
Es ist nur die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung streitig. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes hierauf ist zulässig (vgl. BSG vom 7.11.2006, B 7b AS 8/06 R, und vom 4.6.2014, B 4 AS 42/13 R).
Ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II scheitert bereits daran, dass der Beklagte ein wirksames Kostensenkungsverfahren durchgeführt hat. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 10.9.2013, B 4 AS 77/12 R, Rz 41 ff. festgestellt hat, ist die Kostensenkung seit 1.6.2007 wirksam. Die Klägerin hat keinerlei Eigenbemühungen zur Kostensenkung unternommen.
Die Klägerin hat daher nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Die vom Beklagten mit Änderungsbescheiden vom 3.6.2014, 31.7.2014 und 25.11.2016 zuletzt angewandte Referenzmiete von 590 € für Dezember 2013 ist höher als die für den Bewilligungszeitraum durch Sachverständigengutachten ermittelte Referenzmiete. Die ab 1.1.2014 in Höhe von 610 € bruttokalt angewandte Referenzmiete beruht auf einem schlüssigen Konzept und ist angemessen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. u.a. BSG vom 20.8.2009, B 14 AS 65/08 R, Rz. 13) ist der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren. Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und des Wohnungsstandards ist in einem zweiten Schritt festzustellen, welcher räumliche Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Angemessenheit maßgebend ist. Sodann ist zu ermitteln, wie viel für eine abstrakt angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt im streitgegenständlichen Zeitraum aufzuwenden gewesen ist. Abschließend ist zu prüfen, ob der Hilfesuchende eine solchermaßen abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte anmieten können, ob also eine konkrete Unterkunftsalternative bestanden hat. Letzter Prüfungsschritt wurde allerdings wesentlich eingeschränkt. Wenn ein qualifizierter Mietspiegel, der in einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren aufgestellt wurde, der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde liegt und ihm Aussagen zur Häufigkeit von Wohnungen mit dem angemessenen Quadratmeterpreis entnommen werden können, dann ist davon auszugehen, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu diesem abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis im örtlichen Vergleichsraum gibt (vgl. BSG vom 20.12.2011, B 4 AS 19/11 R und BSG vom 10.9.2013, B 4 AS 77/12 Rz 38). Die konkrete Verfügbarkeit wird somit vermutet.
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 10.9.2013 dargelegt, dass das vom Bay. LSG gewählte Verfahren zur Überprüfung der von dem Beklagten bestimmten Angemessenheitsgrenze von 496,45 Euro vom 1.6.2007 bis 30.6.2008 und von 504,21 Euro bruttokalt für die Zeit vom 1.7.2008 bis 30.11.2008 die Voraussetzungen, die das BSG an ein schlüssiges Konzept stellt, erfüllt.
Der Beklagte hat sich in der Folgezeit dieses Prüfverfahren zu eigen gemacht und lässt seine Mietobergrenze auf der Basis der Daten des jeweiligen Mietspiegels aufgrund wissenschaftlicher anerkannter statistischer Methoden bzw. durch Fortschreibung der Daten nach dem Verbraucherpreisindex im Rahmen eines Gutachtens desselben Sachverständigen wie bei L 16 AS 127710, regelmäßig berechnen. Damit sind die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept auch weiterhin erfüllt.
Für den hier streitigen Zeitraum ergaben sich aus den Berechnungen des Sachverständigen vom 15.5.2013 und 6.8.2014 folgende Mietobergrenzen für Einpersonenhaushalte:
2013
Bestandsmieten: 436,09 €
Neuvermietungen: 564,69 €
ohne Differenzierung 492,51 €
2014
Bestandsmieten: 484,09 €
Neuvermietungen: 586,54 € bei 95% Konfidenzintervall von 563,73 € bis 609,35 €,
ohne Differenzierung 535,03 €.
Nach der Methodik, die noch im Verfahren L 16 AS 127/10 angewandt wurde, wäre der ermittelte Wert von gerundet 493 € für Dezember 2013 und 535 € im Jahr 2014 als die angemessene Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt anzusehen. Nicht zu beanstanden ist dabei, dass der Sachverständige nunmehr zwischen Neuvertrags- und Bestandsmieten differenziert und der Beklagte auf den höheren Mittelwert der Neuvertragsmieten zurückgreift. Der Wert der Neuvertragsmieten bildet noch näher das tatsächliche Mietangebot der letzten 4 Jahre ab und ist für die Leistungsbezieher günstiger als der Mittelwert ohne Differenzierung nach Neu- und Bestandsmieten. Hieraus wäre die angemessene Mietobergrenze im Dezember 2013 565 € und ab 1.1.2014 587 €. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Beklagte ab 1.1.2014 auf den für die Leistungsbezieher günstigeren, oberen Wert des Konfidenzintervalls von 610 € zurückgreift.
Der Beklagte hat rückwirkend zugunsten der Klägerin den Wert von 590 € bruttokalt für Dezember 2013 angewandt. Dieser liegt deutlich über den errechneten Grenzwerten für 2013. Ab 1.1.2014 kommt der statistisch errechnete obere Grenzwert des Konfidenzintervalls zur Anwendung. Folglich ergibt sich kein höherer Anspruch der Klägerin auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II in Höhe von 705 € für Dezember 2013 und ab 1.1.2014 in Höhe von 725 €.
Die von der Klägerin geäußerten Einwände in Bezug auf die Datenauswahl und die Höhe der angesetzten Referenzmiete greifen nicht (vgl. BSG vom 11.7.2011, B 4 AS 77/12 R, Rn 38 ff). Aus der Akte ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Klägerin nunmehr eine kostengünstigere Unterkunft gesucht hätte. Derartiges wurde von ihr auch nicht behauptet. Insbesondere war der Beklagte nicht verpflichtet, auf die Daten der Interessenvertretung der Haus- und Wohnungseigentümer zurückzugreifen. Die bloße tatsächliche Abweichung von den von der Interessenvertretung ermittelten Zahlen beweist nicht die Unrichtigkeit der im Mietspiegel verwendeten Daten. Bereits im Gutachten vom 15.3.2012 hat der Sachverständige festgestellt, dass die von tns Infratest gezogene Stichprobe und das dabei angewandte Stichprobenverfahren nicht verbesserungsbedürftig seien (S. 18). Die Zahlen, die im Rahmen eines Stichprobenverfahrens verwendet werden, müssen nicht mit den tatsächlichen Zahlen der Interessenvertretung übereinstimmen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Interessenvertretung ein grundsätzliches Interesse an möglichst hohen Durchschnittsmieten und einer sich hieraus ergebenden möglichst hohen Vergleichsmiete hat. Die Validität der vom Beklagten getroffenen Datenauswahl kann hierdurch jedoch nicht erschüttert werden.
Da die Klägerin keinen Anspruch auf weitere Kosten der Unterkunft und Heizung hat, kann es dahin stehen, ob die Klägerin im Übrigen hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II war. Aus den in den Beklagtenakten befindlichen Kontoauszügen und vorgelegten Belegen ergibt sich, dass die Klägerin die Miete regelmäßig überwiesen und Strom und Gas bar bezahlt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass sie wegen der Miete, Strom und Gas offenen Forderungen ausgesetzt war. Das Konto wurde -soweit sich dies aus den Akten ergibtnicht überzogen. Gegenteiliges hat die Klägerin auch nicht behauptet. Das bedeutet aber, dass ihr nach Überweisung der Miete und Bezahlung der Strom- und Gasabschläge ab der Mieterhöhung im Februar 2013 nur rund 50 € monatlich für die Bestreitung ihres Lebensunterhalts geblieben sind, was nicht allein durch kostenfreie Verpflegung durch Angehörige auf Dauer in diesem Umfang über einen derart langen Zeitraum -wie von der Klägerin gegenüber dem Beklagten behauptetkompensierbar ist. Die Nachzahlungen durch den Beklagten erfolgten erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind insbesondere im Hinblick auf die Entscheidungen des BSG vom 19.2.2009, B 4 AS 30/08 R und BSG vom 10.9.2013, B 4 AS 77/12 R nicht ersichtlich.