Aktenzeichen M 8 K 15.5396
BGB BGB § 1004 Abs. 1
VwGO VwGO § 42 Abs. 2
Leitsatz
1 Sonder- und Miteigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz schließt öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Eigentümergemeinschaft desselben Grundstückes aus. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 15 Abs. 3 WEG iVm § 1004 BGB kann wegen des Gemeinschaftsbezugs nach § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 WEG von der Wohnungseigentümergemeinschaft auch im eigenen Namen gegen einen Wohnungseigentümer geltend gemacht werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Öffentlich-rechtlichen Bestimmungen und Regelungen kommt mit Blick auf § 15 Abs. 3 WEG zunächst und vorrangig Bedeutung bei der Auslegung der primär privatrechtlich zu treffenden wohnungseigentumsrechtlichen Rechtsbeziehungen und der dabei zugrunde liegenden Rechtsvorschriften des Zivilrechts zu. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4 Erst wenn und soweit keine speziellen vertraglichen Regelungen bestehen, gelten ergänzend auch die Normen des öffentlichen Baurechts, und zwar regelmäßig unabhängig davon, ob sie ihrerseits unmittelbar nachbarschützend sind oder nicht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
5 Abwehrrechte gegen ein Vorhaben eines anderen Sonder- bzw. Miteigentümers sind ausschließlich im Wege einer gegen diesen gerichteten Klage vor den Wohnungseigentumsgerichten geltend zu machen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Nachdem die Klägerin den Klageantrag 1b in der Verhandlung vom 22. Mai 2017 nicht mehr aufrechterhalten hat, haben die Beteiligten die Hauptsache insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren war daher in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO insoweit einzustellen und über die Kosten nach billigem Ermessen (§ 161 Abs. 2 VwGO) zu entscheiden. Da sich die Hauptsache nur teilweise erledigt hat, war kein gesonderter Beschluss zu erlassen, sondern die – auch in diesem Fall nicht der Anfechtung unterliegende – Entscheidung über die Verfahrenseinstellung und die Kostentragung zusammen mit der Sachentscheidung über den nicht erledigten Teil im Urteil zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 – juris Rn. 2).
II.
Die Klage ist mit dem verbliebenen Antrag 1a bereits unzulässig, da es der Klägerin an der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) fehlt.
Die nach § 10 Abs. 6 Satz 5 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) teilrechtsfähige und sonach gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähige Wohnungseigentümergemeinschaft (vgl. BayVGH, B.v. 24.07.2014 – 15 CS 14.949 – juris Rn. 19) kann nicht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, dass sie durch das Unterbleiben von bauaufsichtlichen Maßnahmen der Beklagten, insbesondere einer (teilweisen) Nutzungsuntersagung, hinsichtlich einer von ihr nicht gebilligten gastgewerbliche Nutzung der Teileinheit Nr. 11, in eigenen Rechten verletzt wird und in der Folge einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten besitzt (§§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, der das erkennende Gericht folgt, schließt Sonder- und Miteigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Eigentümergemeinschaft desselben Grundstückes aus (vgl. BVerfG, B.v. 7.2.2006 – 1 BvR 2304.05 – NJW-RR 2006, 726; BVerwG, U.v. 12.3.1998 – 4 C 3.97 – NVwZ 1998, 954; BayVGH, B.v. 8.3.2013 – 15 CE 12.236 – juris; VG München, U.v. 7.3.2017 – M 8 K 16.2655 – juris). Dem Wohnungseigentumsgesetz ist eine schutzfähige Rechtsposition des einzelnen Wohnungseigentümers gegenüber anderen Miteigentümern sowie auch dem gemeinschaftlichen Eigentum und umgekehrt zwar nicht fremd (1.), es sieht jedoch zur Erlangung dieses Schutzes ein besonderes gerichtliches Verfahren vor (2.).
1. Wann und in welchem Umfang Abwehrrechte gegen baurechtlich unzulässige Baumaßnahmen auf dem gemeinschaftlichen Grundstück bestehen, ergibt sich materiell-rechtlich aus § 15 Abs. 3 WEG. Nach dieser Vorschrift kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile und des gemeinschaftlichen (Mit-)Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Sofern der Gebrauch nicht den genannten Voraussetzungen entspricht, liegt hierin eine Eigentumsbeeinträchtigung, die Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist. Ein solcher Unterlassungsanspruch kann wegen des Gemeinschaftsbezugs nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Hs. 2 WEG von der Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich auch im eigenen Namen gegen einen Wohnungseigentümer geltend gemacht werden (vgl. BGH, U.v. 5.12.2014 – V ZR 5/14 – juris Rn 6 f.).
§ 15 Abs. 3 WEG setzt voraus, dass die Wohnungseigentümer den Gebrauch des Sondereigentums und des gemeinschaftlichen (Mit-)Eigentums durch Vereinbarung regeln können (§ 15 Abs. 1 WEG). Damit geht § 15 Abs. 3 WEG vom Vorrang des privaten Rechts vor dem disponiblen Gesetzesrecht aus. Im Rahmen der gesetzlichen Regelungen bestimmen sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Sondereigentum in erster Linie nach den getroffenen Vereinbarungen und Beschlüssen. Das Öffentliche Recht regelt hingegen das Verhältnis von Bürgern zum Staat und begründet grundsätzlich keine Rechte von Privaten untereinander. Im Verhältnis der Wohnungseigentümer finden daher die Vorschriften des Öffentlichen Rechts keine unmittelbare Anwendung, sodass auch Verwaltungsakte keine unmittelbare Rechtswirkung innerhalb der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entfalten. Öffentlich-rechtliche Bestimmungen und Regelungen kommt daher mit Blick auf § 15 Abs. 3 WEG zunächst und vorrangig Bedeutung bei der Auslegung der primär privatrechtlich zu treffenden wohnungseigentumsrechtlichen Rechtsbeziehungen und der dabei zugrunde liegenden Rechtsvorschriften des Zivilrechts zu (vgl. aktuell LG München I, U.v. 8.2.2017 -1 S 5582/16 WEG – juris Rn 26 ff.). Erst wenn und soweit keine speziellen vertraglichen Regelungen bestehen, gelten ergänzend auch die Normen des öffentlichen Baurechts, und zwar regelmäßig unabhängig davon, ob sie ihrerseits unmittelbar nachbarschützend sind oder nicht (BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1.86 – NVwZ 1989, 250). Aber auch dann besteht kein selbständiger öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch. Vielmehr beruht die Anwendbarkeit des öffentlichen Rechts auch dann auf der privatrechtlichen Vorschrift des § 15 Abs. 3 WEG. Der Vorrang der privatrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im Binnenverhältnis der Wohnungseigentümergemeinschaft wird vorliegend im Übrigen gerade auch durch den eigenen Vortrag der Klägerin verdeutlicht, die ihr Unterlassungsbegehren maßgeblich insbesondere auf die Teilungserklärung und interne Gebrauchsregelungen der Gemeinschaft stützt. Soweit sich die Klägerin schließlich wiederholt auf den bauplanungsrechtlichen Gebietscharakter, der sich ihrer Auffassung nach als faktisches allgemeines Wohngebiet darstellt, und sodann auf einen entsprechenden Gebietserhaltungsanspruch beruft, ist ihr dies mit Blick auf die Rechtskraft des klageabweisenden Normenkontrollurteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Mai 2012, 2 N 10.2781, gemäß § 121 Nr. 1 VwGO jedenfalls gegenüber der Beklagten ohnehin verwehrt.
2. Abwehrrechte gegen ein Vorhaben eines anderen Sonder- bzw. Miteigentümers sind ausschließlich im Wege einer gegen diesen gerichteten Klage vor den Wohnungseigentumsgerichten geltend zu machen. Gleiches gilt für Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und einem Wohnungseigentümer. Dies ist in § 43 Nr. 1 und 2 WEG geregelt. Es fehlt deshalb den Sonder- und Miteigentümern wie auch der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sowohl für eine Anfechtungsklage gegen die einem Wohnungs- oder Teileigentümer für sein Vorhaben erteilte Baugenehmigung als auch für eine – wie hier – auf bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gerichtete Verpflichtungsklage gegen einzelne Sonder- und Miteigentümer an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO.
Ob ausnahmsweise etwas anderes in solchen Fällen gilt, in denen nicht (nur) Eigentumsschutz geltend gemacht wird, sondern ein Anspruch auf behördliches Einschreiten gegen erhebliche Gesundheitsgefahren (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG), oder unmittelbare Gefahren für andere besonders wichtige Rechtsgüter, die von einer bestimmten Art der Nutzung eines anderen Sondereigentums ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1988 aaO; OVG NRW, U.v. 3.5.2007 – 7 A 3350/06 – juris Rn. 43 ff.), bedarf keiner Entscheidung, da eine solche Situation hier aus mehreren Gründen nicht vorliegt.
Dies zum einen schon deshalb, weil eine Nutzung der Teileinheit Nr. 11 in der von der Klägerin beanstandeten Form einer Shisha-Lounge mit Terrassennutzung unstreitig nicht mehr fortbesteht. Der Betrieb wurde bereits Anfang des Jahres 2016 eingestellt.
Die Klägerin hat zum anderen auch nicht substantiiert dargelegt, inwieweit von dem (vormaligen) Betrieb der antragsgegenständlich zur Nutzungsuntersagung nachgesuchten Gaststätte in der Teileinheit Nr. 11 eine Gefahr für das Sondereigentum einzelner Wohnungseigentümer oder das Gemeinschaftseigentum hätte ausgehen können. Es ist nicht ersichtlich, dass vorliegend eine relevante Beeinträchtigung von Nutzungsmöglichkeiten des Eigentums infolge von Lärm- oder Geruchsimmissionen in solcher Art und Weise vorgelegen hat, die die vorgenannte, hohe Gefahrenschwelle erreichte. Dies ergibt sich aus dem Schutzniveau, das aus den gesetzlichen Bestimmungen und technischen Regelwerken zum Schutz vor Lärm- und Geruchsimmissionen beim Betrieb von Gaststätten und deren Vollzug durch die Beklagte im Einzelfall, hier namentlich in Gestalt der Auflagen zum Schutz der Anwohner in den gaststättenrechtlichen Bescheiden vom 8. April, 8. Mai und 1. Juli 2015, resultierte.
Schließlich ist es der Klägerin ohnehin aus Rechtsgründen verwehrt, etwaige Schutzansprüche von Sondereigentümern unter Berufung auf den Schutz von deren Gesundheit geltend zu machen. Zwar kann eine Wohnungseigentümergemeinschaft – wie vorstehenden bereits ausgeführt – einen etwaigen Unterlassungsanspruch von Sondereigentümern (§ 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG) aufgrund des Gemeinschaftsbezugs grundsätzlich gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Hs. 2 und Abs. 6 Satz 5 WEG vor den Wohnungseigentumsgerichten als gesetzlicher Prozessstandschafter im eigenen Namen geltend machen (vgl. BGH, U.v. 10.7.2015 – V ZR 169/14 – juris Rn. 5; U.v. 5.12.2014 aaO). Etwaige öffentlich-rechtliche Abwehransprüche einzelner Wohnungseigentümer, die im Einzelfall aufgrund möglicher Gesundheitsbeeinträchtigungen auch einen Anspruch auf behördliches Einschreiten nach sich ziehen können, wurzeln jedoch gerade nicht im besonderen wohnungseigentumsrechtlichen Gemeinschaftsbezug der Sonder- und Miteigentümer. Hintergrund für die ausnahmsweise Möglichkeit der Geltendmachung solcher öffentlich-rechtlicher Schutzansprüche gegen den Staat ist gerade, dass diese keine besondere rechtliche Beziehung zwischen Störer und Beeinträchtigtem voraussetzen; die Gesundheit im weiteren Sinne ist ein eigenständiges Rechtsgut, dessen Schutz nicht von einer etwaigen (gleichzeitigen) Betroffenheit als Grundstücks- oder Wohnungseigentümer abhängt (vgl. VGH BW, U.v. 21.9.1993 – 10 S 1735/91 – juris Rn. 28; VG München, B.v. 14.1.2016 – M 16 S. 15.5399 – juris Rn. 22).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Soweit die Beteiligten die Streitsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, entsprach es billigem Ermessen, die Kosten auch insoweit der Klägerin aufzuerlegen, da die Klage auch hinsichtlich des Antrags 1b voraussichtlich mangels Klagebefugnis und Feststellungsinteresse bzw. Rechtsschutzbedürfnis erfolglos geblieben wäre.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).