Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Keine Pflicht des Berufungsgerichts zur sofortigen Zuständigkeitsprüfung in WEG-Sachen

Aktenzeichen  11 S 17/15 WEG

Datum:
3.5.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 135564
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 233, § 517
GVG § 72 Abs. 2

 

Leitsatz

Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, sofort nach Eingang der Berufung seine Zuständigkeit zu prüfen. Dies wird im Anwendungsbereich des § 72 Abs. 2 GVG ohne Vorlage der Akten im Regelfall nicht möglich sein. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

30 C 444/14 2015-01-20 Urt AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 20.01.2015, Az.: 30 C 444/14 WEG, wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens nach Kopfteilen. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt die Nebenintervenientin selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Würzburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft Die Kläger sind Sondereigentümer der Wohnung Nr. 48 im ersten Obergeschoß, die Beklagten sind Sondereigentümer der direkt darüber liegenden Wohnung Nr. 50 im zweiten Obergeschoß. Die Wohnanlage ist ca. 1977/78 errichtet worden.
Die Kläger haben in erster Instanz nach vorangegangenem selbstständigem Beweisverfahren (Az. Amtsgericht Würzburg: 30 H 54/10 WEG) vorgebracht, von den im Fußboden der Sondereigentumseinheit der Beklagten verlegten Heizungsrohren gingen sowohl tagsüber als auch nachts erhebliche und störende Knackgeräusche aus, die in der Wohnung der Kläger deutlich zu vernehmen seien und die nicht lediglich kurzzeitig auftreten würden.
Die Kläger sind der Ansicht, dass die Heizungsrohre im Sondereigentum der Beklagten stehen.
Die Kläger haben in erster Instanz beantragt,
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von den in ihrem Sondereigentum stehenden Heizungsrohren ausgehende Knackgeräusche, welche Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Amtsgericht Würzburg (Az. 30 H 54/10 WEG) waren, durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden.
Das Amtsgericht hat die Klage entsprechend dem Antrag der Beklagten mit Endurteil vom 20.01.2015 (Bl. 137 ff. d. A.; veröffentlicht in ZMR 2015, 647) abgewiesen. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der Erwägungen des Amtsgerichts wird im Einzelnen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 23.01.2015 zugestellt worden. Es enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung:, wonach statthaftes Rechtsmittel die Berufung zum Landgericht Bamberg ist.
2. Mit Schriftsatz vom 13.02.2015, eingegangen per Fax am gleichen Tag, haben die Kläger Berufung zum Landgericht Würzburg, Az.: 42 S 237/15, eingelegt (Bl. 158 f. d. A.). Am 17.02.2015 hat der Vorsitzende der dortigen Berufungskammer von der Berufungseinlegung Kenntnis genommen (Bl. 160 d. A.). Die von der Serviceeinheit unter dem 16.02.2015 vorausgefüllte Verfügung nennt das vollständige Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens mit dem Zusatz „WEG“ und ordnet den Rechtsstreit dem Sachgebiet 25 -„Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nummer 1 bis 4 WEG (Binnenstreitigkeiten)“ – zu. Am Ende ist eine Wiedervorlage mit Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vermerkt. Auf die Berufungsschrift vom 13.02.2015 sowie die Verfügung vom 16./17.02.2015 wird vollinhaltlich Bezug genommen.
Nach Eingang der Berufungsbegründung hat das Landgericht Würzburg die Kläger mit Verfügung vom 14.04.2015 (Bl. 178 d. A.), den klägerischen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 20.04.2015, auf seine aus §§ 43 Nr. 1 WEG, 72 Abs. 2 Satz 1 GVG folgende Unzuständigkeit hingewiesen. Daraufhin haben die Kläger mit Schriftsatz vom 28.04.2015 (Bl. 182 f. d. A.) die Berufung vor dem LG Würzburg zurückgenommen.
3. Mit Schriftsatz vom 29.04.2015, eingegangen per Fax am gleichen Tag, haben die Kläger Berufung zum Landgericht Bamberg eingelegt und beantragt, ihnen gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Bl. 197 ff. d. A.).
Zur Begründung machen die Kläger im Wesentlichen geltend, die Adressierung der Berufung an das unzuständige Gericht sei wegen eines Fehlers des Landgerichts Würzburg für die Versäumung der Berufungsfrist nicht ursächlich geworden. Das Landgericht Würzburg habe seine Unzuständigkeit ohne weiteres bereits bei Eingang der Berufungsschrift erkennen können. Bei Erteilung eines entsprechenden Hinweises wäre noch eine rechtzeitige Berufungseinlegung beim zuständigen Landgericht Bamberg möglich gewesen.
Die Kläger und die Nebenintervenientin beantragen im Berufungsverfahren zuletzt, den Klägern und Berufungskläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
In der Sache beantragen sie sodann:
1. Das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 20.01.2015 wird aufgehoben.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von den in ihrem Sondereigentum stehenden Heizungsrohren ausgehenden Knackgeräusche, welche Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Amtsgericht Würzburg (Az. 30 H 54/10 WEG) waren, durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden.
Die Beklagten beantragen,
den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen und die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2016 Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unzulässig, weil verfristet. Die Berufungsfrist des § 517 ZPO lief am Montag, 23.02.2015, 24:00 Uhr, ab. Ein Wiedereinsetzungsgrund gemäß § 233 ZPO besteht nicht.
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Ursächlichkeit einer schuldhaften Fristversäumnis entfallen kann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht (BGH NJW 2011, 2053 Rn. 13 unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BVerfG).
2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
a) Der Vorsitzende der Berufungskammer beim Landgericht Würzburg hat die Berufungsschrift vom 13.02.2015 am 17.02.2015 zur Kenntnis genommen. Die Akte selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt noch beim Amtsgericht Würzburg und wurde erst auf richterliche Verfügung vom 19.02.2015 (Bl. 157R d. A.) an das Landgericht Würzburg versandt. Nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang wurde das Verfahren dem Vorsitzenden erst wieder mit Eingang der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt und nicht bereits mit Eingang der Akten (vgl. die in der Verfügung vom 16.02.2015, Bl. 160 d. A., angeordnete Wiedervorlage). Einziger Ansatzpunkt für den von den Klägern geltend gemachten „Fehler“ des Landgerichts Würzburg ist das Vorgehen des Vorsitzenden der Berufungskammer am 17.02.2015.
b) Der Umstand, dass das Landgericht Würzburg am 17.02.2015 keinen Hinweis auf seine Unzuständigkeit erteilt hat, begründet kein „offenkundig nachlässiges Fehlverhalten“ in der Diktion von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht (NJW 2011, 2053 Rn. 13). Dabei wird zu Gunsten der Kläger im Folgenden unterstellt, dass sowohl der per Telefax übermittelten als auch der im Original auf dem Postweg versandten Berufungsschrift vom 13.02.2015 eine vollständige Ablichtung des angefochtenen Urteils beigefügt war (was anhand der Akten nicht mehr nachvollziehbar ist).
aa) Aus Sicht des Landgerichts Würzburg war die Unzuständigkeit am 17.02.2015 nicht „leicht und einwandfrei“ mit einem Blick auf Urteil und Berufungsbegründung zu erkennen. Vielmehr lassen sich weder aus dem Aktenzeichen-Zusatz „WEG“ (es kann sich auch um eine Sache nach § 43 Nr. 5 WEG oder um eine Grundlagenstreitigkeit handeln) noch aus der von der Geschäftsstelle vorgenommenen Sachgebietseinteilung (diese kann falsch sein) eindeutige Rückschlüsse auf die Zuständigkeit ziehen. Anders als in der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2011, 2053), in der die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Landgerichts allein auf der Belegenheit des Amtsgerichts in einem anderen Bezirk beruhte, war hier die Frage zu klären, ob § 72 Abs. 2 GVG einschlägig ist oder nicht. Die Antwort darauf fällt – anders als die örtliche Zuordnung eines Amtsgerichts zu einem bestimmten Landgerichtsbezirk – nicht „sofort und ohne weitere Prüfung ins Auge“. Die Berufungskammer des Landgerichts Würzburg ist ständig mit Rechtsmitteln gegen Urteile des Amtsgerichts Würzburg befasst. Entgegen der Konstellation in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, in dem eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts von vornherein unter keinem Gesichtspunkt denkbar war, war die Unzuständigkeit hier nicht schon anhand der Bezeichnung des erstinstanzlichen Gerichts erkennbar.
bb) Die Argumentation der Kläger geht im Übrigen schon deshalb ins Leere, weil das Berufungsgericht vor Eingang der Berufungsbegründung und der vollständigen Akten regelmäßig weder verpflichtet noch überhaupt im Stande ist, die Zulässigkeit des Rechtsmittels verbindlich zu beurteilen.
(1) Es ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende der Berufungskammer des Landgerichts Würzburg die ihm vorgelegte Eingangsverfügung der Geschäftsstelle abgezeichnet hat, ohne die Zuständigkeit zu prüfen. Gerade im Anwendungsbereich des § 72 Abs. 2 GVG erfordert die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage zumindest eine sorgfältige Lektüre des angefochtenen Urteils. Eine solche ist allerdings bei einer rationellen Arbeitsweise des Gerichts, die es vermeidet, Vorgänge unnötig mehrfach in die Hand zu nehmen, zu diesem Zeitpunkt nicht veranlasst. Die Eingangsverfügung und die mit ihr angeordneten notwendigen Handlungen des Gerichts (insbesondere die Bekanntgabe an den Gegner und die Anforderung der Akten der Vorinstanz) werden von der Serviceeinheit vorgenommen; die Verfügung wird dem Vorsitzenden der Berufungskammer lediglich zur Kenntnisnahme vorgelegt. Eine Zulässigkeitsprüfung der Berufung erfolgt erst dann, wenn sie vollständig möglich ist, d. h. wenn die Akten und die Berufungsbegründung eingegangen sind. Würde man bereits in einem früheren Stadium die angefochtene Entscheidung vollständig durchlesen und Überlegungen zur Zuständigkeit anstellen, handelte es sich im Ergebnis um nutzlos aufgewendete Zeit, da nach Eingang der Akten und Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ohnehin eine gründliche Befassung mit der Angelegenheit erfolgen muss. Vor diesem Hintergrund versteht die Kammer die Andeutung in dem zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs „… mit einem Blick auf die Berufungsschrift… und das als Anlage beigefügte Urteil des AG …“ (NJW 2011, 2053 Rn. 14) mitnichten dahingehend, dass das Berufungsgericht schon bei Eingang der Berufungsschrift zur Lektüre des Urteils verpflichtet ist: In der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Konstellation war die Unzuständigkeit auch ohne Kenntnis des Urteilsinhalts offensichtlich.
(2) Darüber hinaus ist Folgendes zu bedenken: Wenn das Ausgangsgericht eine falsche Rechtsmittelbelehrungerteilt hat, wird Wiedereinsetzung regelmäßig ohnehin gewährt werden müssen, vgl. § 233 Satz 2 ZPO. Ist die Anwendbarkeit von § 72 Abs. 2 GVG für bestimmte Fallgruppen höchstrichterlich noch nicht geklärt und können hierzu mit guten Gründen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, kommt ausnahmsweise eine entsprechende Anwendung von § 281 ZPO in Betracht (vgl. BGH NJW 2010, 1818). Die Interessen der Betroffenen und der Anspruch auf ein faires Verfahren sind also in diesen Konstellationen von vornherein auf andere Weise geschützt. Von einer Zuständigkeitsprüfung bereits mit Eingang der Rechtsmittelschrift würde mithin – wie hier – allein derjenige profitieren, der trotz korrekter Rechtsbehelfsbelehrung:und trotz eindeutiger Rechtslage die Berufung beim falschen Gericht einlegt. Ein solcher Rechtsmittelführer ist aber nicht schutzwürdig. Dementsprechend gebietet es der Anspruch auf ein faires Verfahren nicht, eine zu diesem Zeitpunkt an sich unnötige Zuständigkeitsprüfung vorzunehmen, nur um Fälle wie den hier Streitgegenständlichen zu vermeiden. Eine andere Handhabung würde in der Summe der Verfahren auch durchaus eine nennenswerte (Mehr-) Belastung für die Berufungskammern darstellen.
(3) Soweit die Kläger einen Beschluss des Bundesgerichtshofs zitieren, in dem ausgeführt wird, das angerufene Gericht könne seine Unzuständigkeit regelmäßig erkennen, wenn der Rechtsmittelführer eine Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung einreiche (NJW 2011, 3240), ist dieser nicht einschlägig. Die Entscheidung betrifft eine Beschwerde nach dem FamFG, für die eine gesonderte Begründungsfrist nicht zwingend vorgesehen ist (vgl. § 65 Abs. 2 FamFG). Zudem fiel die vom Bundesgerichtshof beanstandete Vorgehensweise des Beschwerdegerichts in den Zeitraum nach Inkrafttreten des FamFG, in dem bei allen Beteiligten mit einer erhöhten Fehlerquote zu rechnen war. Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer – die regelmäßig genauso verfährt – ist die Vorgehensweise des Landgerichts Würzburg am 17.02.2015 im Ergebnis jedenfalls nicht als „offenkundig nachlässiges Fehlverhalten“ anzusehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und Satz 2, 709 Satz 2 ZPO.
IV.
Bei der Streitwertfestsetzung ging die Kammer für § 49a I 2 GKG davon aus, dass die Wertminderung der klägerischen Wohnung durch die streitgegenständlichen Geräusche mit bis zu 5% des Verkehrswerts zu beziffern sein dürfte. Bei einem Quadratmeterpreis von ca. 1.500,00 Euro/m2 und einer Größe von ca. 99 m2 errechnet sich ein Betrag von maximal 7.425,00 €. Zu einer Abweichung von der erstinstanzlichen Festsetzung in Höhe von 7.000,00 € bestand daher kein Anlass.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Mietrecht: Was tun bei Heizungsausfällen?

Gerade in den kälteren Monaten ist eine funktionierende Heizung für die Wohnqualität von Mietern unerlässlich. Ein plötzlicher Heizungsausfall kann nicht nur unangenehm sein, sondern auch rechtliche Fragen aufwerfen. Hier sind einige wichtige Informationen, was Mieter beachten sollen.
Mehr lesen