Aktenzeichen 424 C 10003/15
Leitsatz
1. Es stellt keine unerlaubte Gebrauchsüberlasung an einen Dritten dar, wenn sich ein türkischer Staatsangehöriger nur noch 3 Monate im Jahr in seiner bereits im Jahre 1982 angemieteten Mietwohnung in Deutschland aufhält und sie im ürigen von seiner Tochter, die bereits seit Kindheitstagen die Wohnräume ihrer Eltern mitbewohnt, genutzt wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Recht zur Aufnahme naher Verwandter wie der Tochter besteht, solange der Mieter die Wohnung noch in eigener Person nutzt. Eine eigene Nutzung liegt nicht mehr vor, wenn der Mieter in der Wohnung lediglich einzelne Gegenstände zurückgelassen hat oder den Gewahrsam über die Wohnung vollständig aufgibt und den ihn treffenden Obhutspflichten nicht mehr nachkommt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Der Streitwert wird auf 6.660,00 € festgesetzt.
Gründe
A.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Das Mietverhältnis besteht ungekündigt fort. Der Kläger hat kein Recht zur Kündigung, weder zur fristlosen noch zur ordentlichen.
I.
Darin dass die Beklagte zu 2) in der streitgegenständlichen Wohnung wohnt(e) ist keine unbefugte Gebrauchsüberlassung an Dritte im Sinn von § 540 BGB zu sehen. Denn die Beklagten zu 2) gehört als Tochter des Beklagten zu 1) zum privilegierten Personenkreis, eine Nutzung durch sie neben oder zusammen mit den Beklagten zu 1) fällt nicht unter § 540 I S. 1 BGB (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage 2015, § 540 Randnummer 24).
Dem Kläger ist zuzugeben, dass das Recht zur Aufnahme naher Verwandter wie der Tochter nur besteht, solange der Mieter die Wohnung noch in eigener Person nutzt. Der Mieter darf die Wohnung seinen Verwandten nicht zur alleinigen Benutzung überlassen. Von einem solchen Sachverhalt ist aber nur dann auszugehen, wenn der Mieter die Wohnung nur noch sporadisch nutzt oder wenn er dort lediglich einzelne Gegenstände zurückgelassen hat (id., Randnummer 26).
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Insbesondere ist bei einem Bewohnen der Wohnung für einen Zeitraum von drei Monaten, welcher auch nach dem Vortrag des Klägers vorliegt, entgegen der Ansicht des Klägers nicht von einer nur sporadischen Nutzung auszugehen. Immerhin handelt es sich bei drei Monaten um den vierten Teil eines Jahres. § 540 I BGB schützt das Interesse des Vermieters, darüber zu befinden, ob das Mietobjekt, dass er dem von ihm ausgewählten Mieter zum vertragsgemäßen Gebrauch überlassen hat in die Hände Dritter gelangt oder nicht (BGH, Urt. v. 28.11.1984 – VIII ZR 186/83 = NJW 1985, 2527, 2528). Die Aufnahme naher Angehöriger in die Mietwohnung steht jedoch, da der Vermieter sie ohnehin zu dulden hat, außerhalb seines Einflussbereichs.
Daraus folgt, dass die Fälle der Gebrauchsüberlassung an Dritte einerseits und die an nächste Angehörige anderseits unterschiedlich zu behandeln sind (so auch LG Hamburg, Urt. v. 05.10.1999 – 316 S 133/98 = NJW-RR 2000, 602).
Außerdem gebietet es die soziale Wirklichkeit, an die Aufnahme naher Angehöriger in die Wohnung andere Maßstäbe anzulegen als an die Aufnahme anderer Personen (id.).
Nach Ansicht des Gerichts ist der Begriff der sporadischen Nutzung daher eng auszulegen. Die Auslegung hat in der Gestalt zu erfolgen, dass die erfassten Fälle denjenigen ähneln, die ansonsten als Ausnahmefälle von der privilegierten Nutzung durch Angehörige in der Rechtssprechung anerkannt sind, nämlich denjenigen Fällen, in denen der Mieter in der Wohnung lediglich einzelne Gegenstände zurückgelassen hat (z.B. AG Zwickau, Urt. v. 21.04.1995 – 4 C 438/95 = WuM 1996, 409) oder in denen der Mieter den Gewahrsam über die Wohnung vollständig aufgibt und den ihn treffenden Obhutspflichten nicht mehr nachkommt (s. LG Hamburg, Urteil vom 05.10.1999 – 316 S 133/98).
Welche Zeitspanne genau die Grenze zu solchen vergleichbaren Fällen unterschreitet, muss hier nicht entschieden werden. Bei einer Nutzung der Wohnung über einen Zeitraum von 1/4 Jahr ist dies nach Auffassung des Gerichts jedenfalls nicht der Fall. Wenn die Klägerseite vorträgt, der Beklagte zu 1) halte sich „allenfalls 3 Monate“ in der Wohnung auf, impliziert dieser Vortrag, dass eine Aufenthaltsdauer von bis zu drei Monaten unstreitig ist.
Nachdem nach Ansicht des Gerichts bei einer Eigennutzung von drei Monaten eine privilegierte Nutzung durch nahe Angehörige zu bejahen ist, kam es auf die beiderseits angebotenen Zeugen für die Frage der Nutzungszeit nicht an. Die Klage war vielmehr unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhalts abzuweisen.
Das Gericht hatte hierauf bereits im 1. Termin hingewiesen (Blatt 61 der Akte).
Unschädlich ist, dass im weiteren Verlauf des Rechtsstreites die Referatsvertreterin zunächst dennoch die Einvernahme von Zeugen angeordnet hat (Blatt 84 der Akte). Denn das erkennende Gericht hat diese Anordnung widerrufen und nochmals darauf hingewiesen, dass es auf die Einvernahme der Zeugen nicht ankommt (Blatt 91 der Akte).
Deshalb kommt es auch auf die weiter zwischen den Parteien streitigen Frage, ob die Beklagten zu 2) überhaupt noch in der Wohnung wohnt nicht an und auch nicht auf die Rechtsfrage, wie sich ein etwaiger nachträglicher Auszug, und sei er auch bereits vor Anhängigkeit erfolgt, auf ein Kündigungsrecht auswirken würde.
Ebenso wenig kommt es noch darauf an, ob es hier einer Gebrauchsüberlassung an Dritte im Sinne von § 540 I BGB entgegensteht, dass die Beklagten zu 2) bereits von Beginn des Mietverhältnisses an die Wohnung mit Wissen des Klägers bereits mitbewohnte.
II.
Nachdem hier also jedenfalls eine privilegierte Gebrauchsüberlassung an einen nahen Verwandten stattfand, hat der Beklagte zu 1) keine Vertragsverletzung begangen, so dass auch ein ordentliches Kündigungsrecht ausscheidet.
III.
Ebenso wenig hat der Kläger ein Recht zur Kündigung, weil die Beklagten ihn als Rassisten darstellen würden. Es muss hier nicht entschieden werden, ob die Bezeichnung als Rassist oder der Vorwurf von Rassismus auch im Rahmen einer Rechtsverteidigung als Beleidigung zu werten wäre, denn ein solcher Ausdruck findet sich in den streitgegenständlichen Schriftsätzen nicht.
Vorgeworfen werden dem Kläger „abwegigen Ideen, wie mit Türken in Deutschland umzugehen sei“ (Blatt 30 der Akte) und dass „fremdenfeindliche Überlegungen der Klagepartei dort möglicherweise im Unterbewusstsein angesiedelt“ sind (Blatt 43 der Akte). Weiter findet sich die polemische Bemerkung, dass „für die Ausweisung von Ausländern das Mietgericht nicht zuständig“ sei (Blatt 31 der Akte).
Das Gericht gibt der Klageseite Recht, dass solche Formulierungen den Rahmen einer sachlichen Prozessführung überschreiten. Im Rahmen der Rechtsverteidigung ist bei der Frage, was bereits eine Beleidigung darstellt und was sich noch im Rahmen der zulässigen Rechtsverteidigung hält, jedoch eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Recht der eine Seite auf Meinungsfreiheit und dem Interesse an der Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen und dem Recht der anderen Seite auf Integrität ihrer persönlichen Ehre.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Verlieren der Wohnung für gekündigte Mieter einen tiefgreifenden Einschnitt in ihre persönlichen Verhältnis darstellt und mit erheblichen finanziellen und tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist, da Ersatzwohnraum nur mit großem Zeit- und Kostenaufwand zu beschaffen ist. Abgesehen davon verlangt das Suchen einer neuen Wohnung und dann ein Umzug auch eine große Anpassungsleistung. Diese drohenden Belastungen und der damit verbundene emotionale Druck sind zu berücksichtigen, wenn ein Mieter sich in einem Rechtsstreit gegen eine Kündigung verteidigt, deren Berechtigung im Streit steht.
Unter Berücksichtigung dessen und bei Abwägung des ehrverletzenden Gehalts der Äußerungen mit den Interessen der Beklagten an ihre Rechtsverteidigung halten sich die o.g. Äußerungen in den streitgegenständlichen Schriftsätzen nach Ansicht des Gerichts noch im Rahmen zulässiger Rechtsverteidigung und überschreiten nicht die Grenze zur Beleidigung.
Dies gilt umsomehr, als die Beklagten sich im weiteren Verlauf des Rechtsstreits nach einer Auswechslung ihres Prozessbevollmächtigten von den ehemaligen Äußerungen klar distanziert haben.
Deshalb kam es auch nicht darauf an, ob der ehemalige Rechtsanwalt der Beklagten die Äußerungen mit Willen und Wissen der Beklagten in die Schriftsätze aufnahm oder dies selbständig ohne deren diesbezügliche Beauftragung tat, so dass das Gericht hierüber auch keinen Beweis erhoben hat.
Mangels Pflichtverletzung hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten, sodass die Klage insgesamt abzuweisen war.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 S. 1 ZPO.
D.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
E.
Der Streitwert bemaß ich hier gem. § 41 I GKG nach dem Jahresbetrag der Nettokaltmiete (12 × 555,– €)