Aktenzeichen 9 U 4327/15 Bau
ZPO § 287
WEG § 21 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 2
Leitsatz
1 Der einzelne Erwerber kann den Bauträger wegen eines Mangels am Gemeinschaftseigentum selbständig auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, sofern der Mangel das Sondereigentum des Erwerbers beeinträchtigt, die Beseitigung des Mangels unmöglich ist und der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Schaden nicht entstehen kann (ebenso BGH BeckRS 9998, 165176; Rn. 12, 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 In einem solchen Fall ist der einzelne Erwerber auch berechtigt, einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zu stellen und damit den Lauf der Verjährung der Mängelansprüche zu hemmen (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der dem einzelnen Erwerber zustehende Schadensersatzanspruch, der angelehnt an die Minderung des Erwerbspreises zu berechnen ist, bemisst sich nicht starr nach den Anteilen der Fläche der betroffenen Räume. Vielmehr ist zu berücksichtigen, inwieweit wesentliche Räume von dem Mangel betroffen sind (Rn 18). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
8 O 8281/13 2015-10-28 Urt LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.10.2015, Az. 8 O 8281/13, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Der Streithelfer trägt seine Kosten selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger erwarben von der beklagten Bauträgerin im Jahr 2004 Eigentumswohnungen. Am 25.05.2005 übergab die Beklagte das Gemeinschaftseigentum an die Erwerber. Diese rügten im April 2010 Tritt- und Luftschallschutzmängel und beantragten am 18.05.2010 die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens. Die Beklagte bot Mangelbeseitigung durch Einbau „biegeweicher Vorsatzschalen“ an, die die Kläger für untauglich hielten.
Die Kläger begehren Ersatz von Schäden, die durch die Schallschutzmängel in ihrem Sondereigentum angefallen seien. Hinsichtlich der anstehenden Treppenhaussanierung ermächtigte die WEG den Kläger zu 1) zur Prozessführung.
Die Beklagte hielt die Ansprüche für verwirkt, weil die angebotene taugliche Nachbesserung abgelehnt worden sei. Die Kläger seien nicht prozessführungsbefugt, weil es sich um gemeinschaftsbezogene Ansprüche handle. Diese seien außerdem verjährt. Die Kläger seien zum Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens nicht aktiv legitimiert gewesen und die Mängel seien nicht ausreichend bezeichnet worden.
Sachverständig beraten hat das Landgericht die Klage weitgehend als begründet angesehen. Die Schallmängel beträfen durchweg das Gemeinschaftseigentum. Die Trittschallmängel seien durch Beseitigung von Schallbrücken zu beseitigen (LGU, Ziffer 4 des Tenors). Die Luftschallmängel gingen auf ungünstige Schwingungseigenschaften der verwendeten Ziegel zurück und könnten nicht beseitigt werden. Die von der Beklagten vorgeschlagenen „biegeweichen Vorsatzschalen“ würden nicht im Einklang mit den vertraglichen Vereinbarungen stehen und nicht zu einer Mangelbeseitigung führen, selbst wenn der Schallschutz verbessert werden würde. Daher sei im Rechtssinne die Mangelbeseitigung unmöglich und könnten die einzelnen Erwerber direkt Schadensersatz verlangen für Schäden im Bereich ihres Sondereigentums. Ferner hätten daher auch die Anträge der Erwerber auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens die Verjährung gehemmt. In der Wohnung des Klägers zu 1) seien das Kinderzimmer und das Schlafzimmer vom Schallmangel betroffen, in der Wohnung der Kläger zu 2) und 3) das Esszimmer und das Schlafzimmer, in der Wohnung der Kläger zu 4) und 5) das Schlafzimmer. Die Schäden hat das Landgericht ausgehend von einem Teilbetrag von 7% des jeweiligen Erwerbspreises für den Schallschutz geschätzt; das Landgericht hat dann davon je nach festgestellter Betroffenheit einen Schadensbetrag von 18.564 €, von 22.775,20 € und von 20.090 € je nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 22.08.2013 zugesprochen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beantragt:
Das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.10.2015 wird in den Ziffern I. 1, 2 und 3 sowie II. aufgehoben. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kläger treten der Berufung entgegen und beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufung richtet sich nicht gegen die Verurteilung in Ziffer 4 des Tenors wegen der Trittschallmängel, sondern nur gegen die Verurteilung im Übrigen. Die Schadensersatzansprüche seien verjährt, weil die Erwerber keine Kompetenz für die Anträge auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens gehabt hätten. Denn es handle sich um Gemeinschaftseigentum. Außerdem greift die Berufung die zugesprochenen Schadenshöhen an, nicht im Ausgangspunkt, sondern wegen der Würdigung der unterschiedlichen Betroffenheit der drei Wohnungen.
Auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze, das angefochtene Urteil vom 28.10.2015 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2016 samt Senatshinweisen wird zur Sachverhaltsdarstellung ergänzend Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Auf die zutreffenden tatsächlichen Feststellungen und Entscheidungsgründe des Ersturteils wird mit folgenden Erwägungen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Die mit der Berufung weiterverfolgte Verjährungseinrede kann nicht durchgreifen.
Denn unstreitig kann der Schallmangel objektiv nicht beseitigt werden. Der Einbau „biegeweicher Vorsatzschalen“ könnte zwar die Schalldämmung auf das vertragsgemäße Maß erhöhen, würde aber andere Mängel begründen (Verkleinerung der Räume, Wände dann nicht mehr in der geschuldeten Massivbauweise). Aus dem Sachvortrag der Parteien und aus dem Gutachten des Sachverständigen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere, vertragskonforme Methode der Mangelbeseitigung.
Obwohl die mit einem Schallmangel behafteten Wohnungstrennwände das Gemeinschaftseigentum betreffen, kann – wie vom Landgericht zutreffend herausgearbeitet -nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einem solchen Fall der unmöglichen Mangelbeseitigung der einzelne Erwerber ausnahmsweise direkt den Bauträger auf Schadensersatz in Anspruch nehmen (BGHZ 110, 258). Denn der WEG als solcher kann bei dieser Sachlage kein gemeinschaftsbezogener Schaden entstehen, sondern nur den einzelnen Erwerbern Ansprüche auf Minderung und Schadensersatz bezüglich ihres
Sondereigentums. Die Geltendmachung sich widersprechender Ansprüche ist nicht zu befürchten.
Für die Berechtigung zur Stellung eines Antrags auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens kann nichts anderes gelten. Auch diesen muss dann nicht die WEG stellen, sondern er kann von den einzelnen Erwerbern direkt gestellt werden.
Überdies haben die einzelnen Erwerber auch Erfüllungsansprüche, deren Ausübung nicht der Gemeinschaft zusteht. Auch deshalb besteht die Berechtigung der einzelnen Erwerber zur Stellung eines Antrags auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens. Infolgedessen hemmte der Antrag vom 18.05.2010 den Ablauf der Verjährung, selbst wenn -was streitig ist – am 25.05.2005 die Abnahmewirkungen eintraten.
2. Die Berufung erschüttert nicht die Schätzung der Schadenshöhe durch das Landgericht. Mit der Berufung nicht angegriffen wird, dass entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen jeweils 7% der Erwerbspreise von 312.000 €, 392.000 € und von 410.000 € den Ausgangspunkt der Schätzung bilden. Davon hat das Landgericht unter Berücksichtigung des sachverständig festgestellten Ausmaßes des Schallmangels in den betroffenen Zimmern 85%, 83% bzw. 70% als Schaden zugesprochen. Dies überzeugt den Senat (§ 287 ZPO).
Denn die Bezifferung des Prozentsatzes kann nicht strikt aus dem Anteil der Fläche der betroffenen Räume an der Gesamtfläche der Wohnung entnommen werden. Der Schadensersatz ist angelehnt an die Minderung des Erwerbspreises zu berechnen. Sind wesentliche Räume einer Wohnung vom Schallmangel betroffen (hier insbesondere Schlafzimmer), ist der Nutzungswert der gesamten Wohnung eingeschränkt. Dies würde die mit der Berufung begehrte strikt flächenanteilige Berechung nicht angemessen berücksichtigen.
Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 97, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 543 ZPO nicht vorliegen. Die Sache hat keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung.