Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Klagebefugnis eines Wohnungserbbauberechtigten bei Verletzung des gemeinschaftlichen Erbbaurechts

Aktenzeichen  M 8 K 15.1775

Datum:
9.5.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2
WEG WEG § 13 Abs. 2, § 30 Abs. 1
ErbbauRG ErbbauRG § 1

 

Leitsatz

Die Klagebefugnis eines Wohnungserbbauberechtigten ist unter denselben Voraussetzungen wie die eines Wohnungseigentümers nach dem Wohnungseigentumsgesetz gegeben. Daher kann eine Verletzung des gemeinschaftlichen Erbbaurechts durch einen etwaigen Abstandsflächenverstoß nur die Wohnungserbbaugemeinschaft, nicht jedoch der einzelne Wohnungserbbauberechtigte geltend machen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist unzulässig. Dem Kläger fehlt die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis, da eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten durch den streitgegenständlichen Vorbescheid vom 30. März 2015 von vornherein ausgeschlossen ist.
I.
Dem Kläger und seiner Ehefrau steht ein Erbbaurechtsanteil von 1/44 in Verbindung mit dem Sondereigentum an den Räumen des Reiheneckhauses …-Straße 11 zu gleichen Teilen zu (Wohnungserbbaurecht nach § 30 Abs. 1 WEG). Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 WEG gelten für das Wohnungserbbaurecht die Vorschriften über das Wohnungseigentum entsprechend, jedoch mit der Maßgabe, dass das Grundstück nicht zum Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft wird, weil gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG nur das Bauwerk auf dem Grundstück zum Eigentum eines Erbbauberechtigten wird (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 72. Aufl. 2013, § 30 WEG Rn. 1).
Daher ist die Klagebefugnis eines Wohnungserbbauberechtigten unter denselben Voraussetzungen wie die eines Wohnungseigentümers nach dem Wohnungseigentumsgesetz gegeben.
II.
Grundsätzlich kann der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (vgl. BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris; BayVGH, B.v. 08.07.2013 – 2CS 13.872 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris) bejaht eine Klagebefugnis des Sondereigentümers, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist. Dies ist möglicherweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum beispielsweise im Bereich der Abstandsflächen liegt oder aber das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft.
1. Vorliegend macht der Kläger geltend, durch einen Abstandsflächenverstoß des streitgegenständlichen Vorhabens in seinen Rechten verletzt zu sein. Aufgrund der Situierung der Gebäude können die Abstandsflächen vor der östlichen Außenwand des geplanten Anbaus ausschließlich auf die Freiflächen des Grundstücks Fl.Nr. … und nicht auf das klägerische Gebäude fallen. Eine etwaige Überdeckung der Abstandsflächen wäre vorliegend nach Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 BayBO zulässig.
2. Gemäß § 1 Abs. 2 ErbbauRG kann sich das Erbbaurechts auch auf Grundstücksteile erstrecken, die für das Bauwerk nicht erforderlich sind, sofern das Bauwerk wirtschaftlich die Hauptsache bleibt. In dem Abschnitt II, § 1 Ziffer 10 der notariellen Urkunde vom 7. Dezember 1989 wurde eine entsprechende Vereinbarung getroffen, so dass auch die Freiflächen und Gartenflächen von dem Erbbaurecht erfasst sind. Daher steht den einzelnen Wohnungseigentümern grundsätzlich ein Mitgebrauchsrecht entsprechend § 13 Abs. 2 WEG (Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Erbbaurechts) auf die zum Erbbaurecht gehörenden Grundstücksteilen zu (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 72. Aufl. 2013, § 30 WEG Rn. 1).
Eine Verletzung des gemeinschaftlichen Erbbaurechts durch einen etwaigen Abstandsflächenverstoß kann allerdings nur die Wohnungserbbaugemeinschaft, nicht jedoch der einzelne Wohnungserbbauberechtigte geltend machen, da er insoweit nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist.
3. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dem Kläger mit notariellem Vertrag vom 20. März 1990 für die Gartenfläche und Terrasse ein Sondernutzungsrecht eingeräumt wurde, das im Grundbuch eingetragen ist.
Ein Sondernutzungsrecht ist das Recht zur befristeten oder unbefristeten Nutzung von Teilen des gemeinschaftlichen Eigentums bzw. Erbbaurechts durch einen Wohnungseigentümer (zuweisende Komponente) unter Ausschluss der übrigen von Mitgebrauch und Nutzungsteilhabe nach § 13 Abs. 2 WEG (ausschließende Komponente). Dabei handelt es sich um eine Änderung der gesetzlichen Regelung des § 13 Abs. 2 WEG und nicht um ein beschränkt dingliches Recht, ein grundstücksgleiches Recht oder eine Gebrauchsregelung im Sinne von § 15 WEG. Der Gegenstand des Sondernutzungsrechts bleibt Gemeinschaftseigentum (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 72. Aufl. 2013, § 13 Rn. 8; Hügel in: Beck´scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, Stand 1.2.2016, § 13 WEG Rn. 10; Dötsch in: Timme, WEG, 2. Aufl. 2014, § 15 Rn. 229 ff.).
Ein Sondernutzungsrecht ist ein aus dem Gemeinschaftsverhältnis resultierender schuldrechtlicher Rechtsanspruch des begünstigten Wohnungseigentümers gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf Gewährung der vereinbarten ausschließlichen Nutzung. Hierdurch wird das Sondereigentum des Berechtigten und der übrigen Wohnungseigentümer inhaltlich bestimmt, so dass ein Sondernutzungsrecht zum Inhalt – nicht aber zum Gegenstand – des Sondereigentums wird (Hügel in: Beck´scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, Stand 1.2.2016, § 13 WEG Rn. 10; Dötsch in: Timme, WEG, 2. Aufl. 2014, § 15 Rn. 240).
Auch die Grundbucheintragung eines Sondernutzungsrechts verändert nicht seine Rechtsnatur, so dass sich ein sog. „dingliches“ Sondernutzungsrecht inhaltlich nicht von einem „schuldrechtlichen“ unterscheidet (vgl. Hügel in: Beck´scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, Stand 1.2.2016, § 13 WEG Rn.12).
4. Da es sich bei einem Sondernutzungsrecht lediglich um eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den einzelnen Wohnungserbbauberechtigten handelt, und zwar unabhängig davon, ob ein Sondernutzungsrecht im Grundbuch eingetragen ist oder nicht, bleibt es im Außenverhältnis bei der grundsätzlichen Regelung des § 13 Abs. 2 WEG. Bei den Freiflächen handelt es sich um gemeinschaftliches Erbbaurecht (vgl. § 1 Abs. 2 ErbbauRG), das in einem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur gemeinschaftlich als Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden kann. Ein einzelner Wohnungseigentümer bzw. Wohnungserbbauberechtigter kann eine Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums bzw. Erbbaurechts nur in den engen Grenzen einer Notgeschäftsführung in Prozessstandschaft für die Eigentümergemeinschaft abwehren (vgl. VG München, U.v. 8.9.2005 – M 8 K 05.1415). Diese Fallkonstellation ist vorliegend ersichtlich nicht gegeben.
Eine etwaige Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist weder von Seiten des Klägers vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Eine nach der Rechtsprechung erforderliche konkrete Beeinträchtigung des Sondereigentums liegt hier nicht vor, so dass die Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abzuweisen ist.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Ziff. 9.7.1
des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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