Aktenzeichen S 9 AS 218/19
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 01.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat mit diesem Bescheid zu Recht die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum 31.08.2018 teilweise in einem Umfang von 3.828,46 Euro zurückgenommen, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt sind. Die Festsetzung einer Erstattung in Höhe von 3.828,46 Euro erfolgte in Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ebenfalls zu Recht.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er gemäß § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sind nach Überzeugung der erkennenden Kammer im vorliegenden Fall erfüllt. Insbesondere war die Leistungsbewilligung für die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum insoweit rechtswidrig, als der Klägerin Leistungen für Unterkunft und Heizung in einer Gesamthöhe von 3.828,46 Euro bewilligt wurden (im Folgenden unter 1.). Darüber hinaus kann sich die Klägerin nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil die rechtswidrige Leistungsbewilligung nach dem SGB II auf Angaben beruhte, die sie vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (im Folgenden unter 2.).
1. Die im streitgegenständlichen Bescheid vom 01.03.2019 genannten Bewilligungsbescheide waren insoweit rechtswidrig, als der Beklagte der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 31.08.2018 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 150,00 Euro monatlich – bzw. im Januar 2018 in Höhe von 78,46 Euro – und damit in Höhe von insgesamt 3.828,46 Euro bewilligt hat.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden bei der Leistungsberechnung Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich eindeutig, dass der Grundsicherungsträger nur solche Kosten zu übernehmen hat, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. Dies sind in erster Linie Kosten sein, die durch (Unter-)Mietvertrag entstanden sind, wie sie die Klägerin vorliegend auch geltend macht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegen „tatsächliche Aufwendungen“ im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für eine Wohnung allerdings nicht nur dann vor, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reicht es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (BSG, U. v. 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R).
Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs hatte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 31.08.2018 keinen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im sozialgerichtlichen Verfahren ist die erkennende Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin in dieser Zeit keinerlei Mietzahlungen an ihre Mutter geleistet hat und demnach keine tatsächlichen Aufwendungen für die von ihr (mit-)genutzte Wohnung hatte und dass sie in dieser Zeit auch keinen entsprechenden Forderungen ihrer Mutter ausgesetzt war.
Zu dieser Überzeugung ist die erkennende Kammer auf der Grundlage des gesamten Akteninhalts sowie der Aussagen der Zeuginnen B., B., F. und M gelangt. Zwar liegen (insgesamt drei) Untermietverträge sowie eine Vielzahl von Quittungen vor, die die Unterschrift der Zeugin B. tragen und die für regelmäßige Zahlungen in Höhe von 150,00 Euro von der Klägerin an ihre Mutter sprechen. Auch ist nicht zu verkennen, dass die Zeugin B. in der mündlichen Verhandlung davon gesprochen hat, dass sie ab und zu ein bisschen Geld von der Klägerin bekommen habe. Allerdings ist die Aussage der Zeugin B. nach Auffassung der erkennenden Kammer aus mehreren Gründen nicht uneingeschränkt verwertbar. Zunächst ergibt sich das daraus, dass die Zeugin B. zu den angeblichen Zahlungen der Klägerin keinerlei Einzelheiten schildern konnte. Sie konnte weder zur Häufigkeit noch zur Höhe der Zahlungen irgendwelche Angaben machen. Hinzu kommt, dass die Zeugin B. nach der lautstarken Unterbrechung ihrer Vernehmung durch die Klägerin erkennbar verunsichert war. Ihre Angaben zu den Zahlungen und zu ihrer Unterschriftsleistung waren sehr zurückhaltend und zögerlich. Zum Teil wirkte die Zeugin B. hier fast hilflos. Auch berief sie sich selbst darauf, dass sie sich nicht mehr an viel erinnern konnte. Insgesamt blieben die Angaben der Zeugin B. zu den angeblichen Zahlungen durch die Klägerin und zu ihrer Unterschriftsleistung sehr vage, ausweichend und ungenau. So war die Zeugin B. auch erkennbar erleichtert, als bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung keine Fragen mehr zu den Zahlungen der Klägerin gestellt wurden und stattdessen das Verhältnis der Zeugin zu ihrer Tochter thematisiert wurde. Bei diesem Thema war die Zeugin B. deutlich auskunftsbereiter und gesprächiger und machte bereitwillig und ohne Zögern Angaben. Weiter kommt hinzu, dass die Angaben der Zeugin B. in der mündlichen Verhandlung am 08.06.2020 deutlich von ihren eigenen Angaben als Zeugin im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abweichen. Dort hatte die Zeugin B. ausgesagt, dass sie von der Klägerin keine Miete erhalten habe. Als ihr dies in der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurde, reagierte die Zeugin B. sehr ausweichend und konnte keine näheren Erklärungen dazu abgeben. Aus den genannten Gründen ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass aufgrund der Aussage der Zeugin B. nicht davon ausgegangen werden kann, dass seitens der Klägerin Mietzahlungen an die Zeugin geleistet worden wären. Vielmehr ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass seitens der Klägerin keine Mietzahlungen im streitgegenständlichen Zeitraum erfolgt sind. Dies ergibt sich zunächst aus den Angaben, die von der Zeugin B. am 03.01.2019 und am 29.05.2019 im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gemacht hat und die von der Zeugin K. als vernehmende Polizeibeamtin aus schlüssigen und nachvollziehbaren Gründen für glaubwürdig gehalten wurden. Weiterhin ergibt sich dies für die erkennende Kammer aus den Aussagen der Zeugin B. im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung am 08.06.2020. Die Zeugin B. hat in der mündlichen Verhandlung schlüssig, glaubhaft, detailliert sowie ohne Zögern und ohne innere Widersprüche insbesondere ausgesagt, dass sie sowohl von der Klägerin als auch (mehrfach) von ihrer Mutter gehört habe, dass ihre Mutter in den letzten Jahren von der Klägerin kein Geld erhalten habe und dass vielmehr umgekehrt die Klägerin von ihrer Mutter finanziell unterstützt worden sei. Aufgrund des Näheverhältnisses, das nach den übereinstimmenden Angaben der Zeuginnen B. und B. zwischen den beiden besteht, erscheint es der erkennenden Kammer plausibel und glaubhaft, dass die Zeugin B. – wie sie es selbst in der mündlichen Verhandlung geschildert hat – von solchen Zahlungen erfahren hätte, wenn sie tatsächlich in einer solchen Regelmäßigkeit erfolgt wären, wie es von der Klägerin vorgegeben wird. Schließlich hat auch die Zeugin F. nachvollziehbar und glaubwürdig ausgesagt, dass die Zeugin B. ihr gegenüber mehrfach gesagt habe, dass sie jedenfalls die angeblich geschuldete Miete in Höhe von 150,00 Euro monatlich nicht von der Klägerin erhalten habe. Aufgrund der Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren sowie aufgrund des gesamten Akteninhalts ist die erkennende Kammer somit der Überzeugung, dass seitens der Klägerin keine (Miet-)Zahlungen für die Benutzung des Zimmers in der Wohnung ihrer Mutter erfolgt sind. Es fehlt somit im streitgegenständlichen Zeitraum an „tatsächlichen Aufwendungen“ im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II.
Darüber hinaus war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nach Überzeugung der erkennenden Kammer auch keiner wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung im Sinne der oben dargestellten BSG-Rechtsprechung ausgesetzt. An dieser Stelle kann offen gelassen werden, ob die von der Klägerin vorgelegten Untermietverträge bzw. einzelne oder alle von der Klägerin vorgelegten Quittungen von der Zeugin B. unterschrieben wurden. Erhebliche Zweifel daran müssen allerdings schon aus dem Grund bestehen, dass die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung angab, dass sie einzelne Quittungen selbst für ihre Mutter unterschrieben habe. Letztlich kann dies sowohl für die vorgelegten Quittungen als auch für die vorgelegten Untermietverträge offen bleiben. Für die Quittungen ergibt sich das schon aus der Erwägung, dass – wie oben ausgeführt – die Zeugin B. im streitgegenständlichen Zeitraum keine Mietzahlungen von der Klägerin erhalten hat. Selbst wenn also die Zeugin B. – aus welchen Gründen auch immer – einzelne oder alle Quittungen unterschrieben hätte, so würde dies nur bedeuten, dass Zahlungen quittiert worden wären, die tatsächlich nicht erfolgt sind, und dass die Klägerin dem Beklagten somit inhaltlich falsche Quittungen vorgelegt hat. Darüber hinaus kann auch für die von der Klägerin vorgelegten Untermietverträge – insbesondere für den auf den 01.06.2020 datierten Vertrag – offen gelassen werden, ob sie von der Zeugin B. unterschrieben wurden. Insoweit erscheint es der erkennenden Kammer aufgrund der (in der mündlichen Verhandlung deutlich gewordenen) Unbedarftheit der Zeugin B. und aufgrund des sehr fordernden und bestimmten Auftretens der Klägerin nicht ausgeschlossen, dass die Zeugin diese Verträge möglicherweise selbst unterschrieben hat. Selbst wenn dies aber – trotz der oben genannten Zweifel – der Fall gewesen sein sollte, so ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass dadurch keine „ernsthafte Mietzinsforderung“ im Sinne der oben dargestellten BSG-Rechtsprechung entstanden ist. Denn zum einen sind tatsächliche Zahlungen – wie oben eingehend ausgeführt – seitens der Klägerin nicht erfolgt. Zum anderen fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Zeugin B. aus irgendeinem der vorgelegten Untermietverträge ernsthaft Forderungen gegen die Klägerin hergeleitet bzw. gegenüber der Klägerin geltend gemacht haben könnte. Vielmehr ist nach dem im Gerichtsverfahren gewonnenen Gesamtbild eher davon auszugehen, dass die Klägerin von ihrer Mutter finanziell unterstützt wurde. Selbst wenn also die Zeugin B. die vorgelegten Untermietverträge unterschrieben hätte, so ist nach Auffassung der erkennenden Kammer jedenfalls davon auszugehen, dass sie sich der Bedeutung dieser Unterschriftsleistung nicht im Klaren war und somit auch keine ernsthafte Forderung gegen die Klägerin herleitete.
Im Ergebnis ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum keinerlei Mietzahlungen an ihre Mutter geleistet hat und demnach keine tatsächlichen Aufwendungen für die von ihr (mit-)genutzte Wohnung hatte und dass sie für diese Zeit auch keinen entsprechenden Forderungen ihrer Mutter ausgesetzt war. Die in dieser Zeit erfolgte Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für Unterkunft und Heizung war somit in einem Umfang von insgesamt 3.828,46 Euro rechtswidrig im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X.
2. Die Klägerin kann sich vorliegend nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil die rechtswidrige Leistungsbewilligung auf Angaben beruhte, die sie vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Die rechtswidrige Bewilligung von Leistungen durch den Beklagten beruhte im vorliegenden Fall darauf, dass die Klägerin die bereits mehrfach erwähnten Untermietverträge und Quittungen vorgelegt hat und auch im Schriftverkehr wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die quittierten Zahlungen in Höhe von 150,00 Euro monatlich an ihre Mutter leiste. Dies entsprach allerdings – wie oben ausgeführt wurde – nach Überzeugung der erkennenden Kammer nicht den Tatsachen. Dies muss der Klägerin auch bewusst gewesen sein. Sie hat somit vorsätzlich gegenüber dem Beklagten unrichtige Angaben zu den (vermeintlich) anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung gemacht mit der Folge, dass sie sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann.
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X im vorliegenden Fall erfüllt sind und dass der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 01.03.2019 in rechtmäßiger Weise die Leistungsbewilligungen für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 31.08.2018 in einem Umfang von insgesamt 3.828,46 Euro zurückgenommen hat, ohne dass ihm insoweit ein Ermessen zugestanden hätte (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III). Auch die Festsetzung einer Erstattung in dieser Höhe erfolgte in Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu Recht.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und der Erwägung, dass die Klage erfolglos geblieben ist.