Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Nichtigkeit eines Eigentümerbeschlusses wegen Unbestimmtheit (Anerkennung von Vergleichsverhandlungen)

Aktenzeichen  36 S 13356/16 WEG

Datum:
13.7.2017
Fundstelle:
ZMR – 2017, 928
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
GKG § 49a
WEG § 10 Abs. 4 S. 1, § 21 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Der Beschluss “Die Eigentümerversammlung beschließt, die mit Herrn RA … und Herrn … geführten Vergleichsverhandlungen in der Sache „Schadensersatz des Vorverwalters …“ anzuerkennen.” ist wegen Unbestimmtheit nichtig. Er lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob er Vergleichsverhandlungen anerkennt oder das Ergebnis der Verhandlungen genehmigt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Deklaratorische Beschlüsse sind unbedenklich, wenn sie eine klarstellende Funktion haben und keine Zweifel an der Rechtslage aufkommen lassen. Im Regelfall werden Beschlüsse gefasst, um eine Regelungswirkung zu erzielen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Eigentümerbeschluss, der einen Vergleich genehmigt, muss den Vergleichstext oder seinen wesentlichen Inhalt enthalten oder wirksam darauf Bezug nehmen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

484 C 28968/15 WEG 2016-07-05 Endurteil AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 06.07.2016, Az. 484 C 28968/15 WEG, aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 04.11.2015 zu TOP 6 nichtig ist.
3. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten könnten die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr, 1 ZPO wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen sowie der Antragssteilungen erster Instanz zunächst Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts München vom 05.07.2016 (Bl. 69/75 d.A.).
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.07.2016 abgewiesen. Es war der. Ansicht, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 04.11.2015 zu TOP 6 weder unter einem formellen Mangel leide noch inhaltlich nicht hinreichend bestimmt wäre. Die von der Klagepartei erhobene Rüge der Nichteinhaltung der Ladungsfrist habe sich lediglich auf eine Ladung per Post, nicht jedoch auf eine Ladung bezogen, welche durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt wurde.
Der Inhalt des streitgegenständlichen Beschlusses sei im Wege der Auslegung feststellbar. Durch diesen werde gerade nicht der zwischen den Wohnungseigentümern und der ehemaligen Hausverwaltung abgeschlossene Vergleich genehmigt. Ausweislich des Beschlusswortlauts würden vielmehr ausschließlich die Vergleichsverhandlungen durch Rechtsanwalt E und Herrn M genehmigt. Eine Genehmigung des Vergleichs hätte nach Auffassung des Amtsgerichts ausdrücklich im Beschluss Erwähnung finden müssen. Zudem fehle es an einer Bezugnahme auf den Vergleichstext.
Gegen dieses der Klägervertreter am 08.07.2016 zugestellte Urteil hat diese mit Schriftsatz vom 04.08.2016, eingegangen beim Berufungsgericht am 05.08.2016, form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese fristgerecht innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 06.10.2016 (Bl. 95/103 d.A.) begründet.
Die Klagepartei begründet ihre Berufung zunächst damit, dass der streitgegenständliche Beschluss unbestimmt und intransparent sei. Der Inhalt des Beschlusses sei auch vor dem Hintergrund der Einladung vom 20,10,2015 zu TOP 6, wonach das Ergebnis der Vergleichsverhandlungen mit € 26.000,00 bestätigt werden sollte, unklar. Soweit hierin eine Genehmigung des Vergleichsabschlusses zu sehen sein sollte, wäre der Beschluss inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, da zumindest die wesentlichen Eckpunkte des Vergleichs entsprechend hätten dargestellt werden müssen. Mit der Genehmigung von Vergleichsverhandlungen sei eine weitere Auslegungsvariante denkbar, insoweit wäre der Beschluss nach Auffassung des Klägers aber wiederum nicht ordnungsgemäß, weil der Beschluss keine Eckpunkte für die für die Gemeinschaft vorzunehmenden Verhandlungen vorgibt.
Schließlich beruhe das amtsgerichtliche Urteil auf einer Verletzung von § 286 ZPO. Das Amtsgericht habe die zur stritten Frage des rechtzeitigen Einwurfs der Ladung in den Briefkasten des Klägers erforderliche Beweisaufnahme unterlassen.
Der Kläger beantragt,
1. Unter Abänderung des am 05.07.2016 verkündeten Urteils des Amtsgerichts München mit dem Aktenzeichen 484 C 28968/15 wird die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 6 der Eigentümerversammlung vom 04.11.2015 mit dem Wortlaut:
Die Eigentümerversammlung beschließt, die mit Herrn RA E. und Herrn M. geführten Vergleichsverhandlungen in der Sache „Schadenersatz des Vorverwalters S.“ anzuerkennen.
Ja-Stimmen 674,00
Nein-Stimmen 119,00
für ungültig erklärt.
2. Die Beklagten und Berufungsbeklagten tragen die Kosten beider Rechtszüge.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten sind in ihrer Berufungserwiderung vom 29.11.2016 (Bl. 107/110) der Ansicht, dass der streitgegenständliche Beschluss nicht die Genehmigung des Vergleichsabschlusses beinhalte. Bereits am 22.12.2014 sei an den Miteigentümer M. eine uneingeschränkte Ermächtigung erteilt worden, für die WEG zu verhandeln und einen Vergleich nach eigenem Ermessen abzuschließen. Mit dem Beschluss sei lediglich eine „Anerkennung“ der Bemühungen des Eigentümers M. erklärt worden. Das Verhalten des Klägers sei auch als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Er setzte sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, da er hinsichtlich des abzuschließenden Vergleichs bereits mit Klage gedroht habe.
Das Bestreiten der fristgerechten Zustellung der Ladung in der Berufungsinstanz sei verspätet und im Übrigen nicht hinreichend substantiiert.
Die Kammer hat am 13.07.2017 mündlich verhandelt (vgl. Protokoll Bl, 119/126 d.A), Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2017.
II.
Die Berufung der Klagepartei ist zulässig und begründet.
Die Berufung wurde frist- und formgerecht gemäß §§ 517, 519 ZPO und unter Beachtung der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen eingelegt.
Das Rechtsmittel der Klagepartei hat auch in der Sache Erfolg, da entgegen der Ansicht des Amtsgerichts der streitgegenständliche Beschluss wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit als nichtig anzusehen ist.
1. Der Beschluss erfüllt nicht die Mindestanforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit. Der Beschluss lässt mehrere Auslegungsvarianten zu. Die sich hieraus ergebenden inhaltlichen Unklarheiten lassen sich auch nicht im Wege der Auslegung beseitigen.
Das Bestimmtheitserfordernis dient sowohl dem Schutz der derzeitigen Wohnungseigentümer als auch den gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 WEG ohne Weiteres an die bestehenden Beschlüsse gebundenen zukünftigen Wohnungseigentümern. Ein Beschluss ist ausreichend bestimmt, wenn er aus sich heraus genau erkennen lässt, was gilt. Er muss sein Regelungsproblem vollständig lösen. Die Abgrenzung zwischen Nichtigkeit wegen vollständiger inhaltlicher Unbestimmtheit und Anfechtbarkeit wegen zweifelhaften Inhalts wird regelmäßig danach vorgenommen, ob der Beschluss überhaupt eine durchführbare Regelung erkennen lässt (Kümmel, in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Auflage, § 23, Rz 76 mwN).
Der Beschlusswortlaut lässt im vorliegenden Fall verschiedene Auslegungen zu:
a) Soweit ein rein deklaratorischer Beschluss im Raum steht, mit welchem lediglich eine Würdigung der durch den Wohnungseigentümer M. vorgenommenen Verhandlungen ausgesprochen werden soll, gilt Folgendes:
Deklaratorische Beschlüsse sind unbedenklich, wenn sie eine klarstellende Funktion haben und keine Zweifel an der Rechtslage aufkommen lassen (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 80/09, NJW 2010, 933 Rn. 13). Vorliegend bestehen jedoch bereits deshalb Zweifel an der Rechtslage, weil unklar ist, ob es sich um einen deklaratorischen Beschluss handelt.
Die Beklagten vertreten vorliegend die Auffassung, der streitgegenständliche Beschluss habe gar keine Regelungswirkung, sondern es erfolge lediglich eine Kundgabe von Wertschätzung für bereits vollzogene Vergleichsverhandlungen im Beschlusswege.
Eine derartige Auslegung ließe sich zwar noch mit dem Wortlaut des Beschlusses vereinbaren Insoweit wäre „beschließen anzuerkennen“ im Sinne von „Anerkennung aussprechen“ verwendet, wodurch ein positives Werturteil zum Ausdruck gebracht würde.
Die verwendete Formulierung „beschließt (…) anzuerkennen.“ spricht zwar eher dafür, dass hier Rechtswirkungen erzeugt werden sollten. Im juristischen Sprachgebrauch wird hierdurch im Allgemeinen zum Ausdruck gebracht, dass man bestimmte Rechtsfolgen oder Forderungen gegen sich gelten lassen will. Es ist in die Überlegungen auch einzubeziehen, dass Beschlüsse im Regelfall gefasst werden, um eine Regelungswirkung zu erzielen (vgl. etwa Schultzky in Jennißen, WEG, 5. Aufl., § 23 Rn. 26).
b) Unabhängig davon, dass bereits zweifelhaft erscheint, ob der Beschluss eine Regelungswirkung haben soll oder nicht, ist darüber hinaus unklar, welche Regelung der streitgegenständliche Beschluss bewirken soll. So könnte eine „Anerkennung von Vergleichsverhandlungen“ sowohl die Ermächtigung zum Führen von Vergleichsverhandlungen beinhalten als auch ‘die Genehmigung des Ergebnisses ebenjener Verhandlungen – mithin des Vergleichs selbstbetreffen.
Soweit das Amtsgericht der Auffassung ist, der streitgegenständliche Beschluss beziehe sich lediglich auf die Berechtigung zum Führen von Vergleichsverhandlungen, so stellt dies eine weitere mögliche Auslegungsvariante dar. Insoweit wäre Beschlussgegenstand die Erteilung von Vollmachten zur Durchführung von Vergleichsverhandlungen oder -da nicht gänzlich außer Betracht bleiben kann, dass die Vergleichsverhandlungen bereits abgeschlossen sind, was sich bereits aus der Einladung zur Eigentümerversammlung ergibt, eine Bestätigung, dass sich das Ergebnis des Vergleichs im Rahmen der bereits erteilten . Es bestehen jedoch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände, wie sie ihren Niederschlag in der Einladung gefunden haben, Bedenken, ob dies tatsächlich das vollständige Regelungsprogramm des vorliegenden Beschlusses darstellt.
Für eine Genehmigung des Vergleichsabschlusses, selbst könnte die Bezugnahme auf den Beschlussantrag zu TOP 6 in der Einladung sprechen, der als Gegenstand der Beschlussfassung die Bestätigung des Ergebnisses der Vergleichsverhandlungen ankündigt und neben einer konkreten Vergleichssumme auch mitteilt, dass der Vergleichsbetrag auf dem Konto der WEG gutgeschrieben sei.
Eine solche Auslegung würde ebenfalls die Wortlautgrenze nicht überschreiten. Es stellt sich die Frage, ob sich die ausgesprochene „Anerkennung“ auch auf das Ergebnis der Vergleichsverhandlungen bezieht oder nicht bzw. ob die Eigentümer durch den angegriffenen Beschluss im Innenverhältnis bestätigen, dass der konkret abgeschlossene Vergleich sich aus Sicht der Wohnungseigentümer im Rahmen der in der Eigentümerversammlung vom 22.12.2014 erteilten Vollmachten hält. Insoweit kommt sowohl eine im Ergebnis deklaratorische wie auch eine genehmigende Wirkung des Beschlusses in Betracht. Insoweit ist auch auf die obigen Ausführungen zur Ordnungsmäßigkeit von deklaratorischen Beschlüssen Bezug zu nehmen.
Soweit der Beschluss eine Genehmigung eines konkret abgeschlossenen Vergleichs beinhaltet, wäre er im Übrigen zu unbestimmt, da er nicht auf einen konkreten Vergleichstext Bezug nimmt und auch im Wege der Auslegung der Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs nicht ermittelbar ist. Die Bezugnahme auf eine Vergleichssumme reicht hierfür nicht aus, weil – worauf die Klagepartei zu Recht hingewiesen hatauch klar sein muss, welche Ansprüche im Einzelnen insoweit abgegolten sein sollen.
Zwingend erscheint nach alledem keine der denkbaren Auslegungsvarianten. Der Beschluss ist dementsprechend zu unbestimmt, weil ein vollziehbarer Regelungsgehalt nicht erkennbar ist und es sich auch nicht um einen hinreichend klaren rein deklaratorischen Beschluss handelt.
2. Der Klage kann auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden.
Nach § 21 Absatz 4 WEG hat jeder Miteigentümer einen individuellen Rechtsanspruch auf eine ordnungsgemäße Verwaltung des Gemeinschaftseigentums. Das Verlangen nach ordnungsgemäßer Verwaltung kann zwar im Einzelfall nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein. Das ist jedoch im Streitfall nicht anzunehmen. Die Beklagten übersehen in diesem Zusammenhang, dass das Anfechtungsrecht nicht nur einem etwaigen persönlichen Interesse des anfechtenden Wohnungseigentümers oder dem Minderheitenschutz, sondern dem Interesse der Gemeinschaft an einer ordnungsgemäßen Verwaltung dient (Bärmann/Roth, WEG, 13. Aufl., § 46 Rn. 112). Der Kläger hat jedenfalls ein berechtigtes Interesse daran, einen in seinen rechtlichen Wirkungen unklaren Eigentümerbeschluss durch Anfechtungsklage zu beseitigen. Auf die Frage, ob der Kläger bereits wirksam an einen entsprechenden Vergleich gebunden ist, kommt es insoweit nicht an.
3. Nachdem der streitgegenständliche Beschluss die Mindestanforderungen an die erforderliche Bestimmtheit nicht erfüllt, war antragsgemäß dessen Nichtigkeit festzustellen. Einer Antragsumstellung bedurfte es insoweit auf Grund des einheitlichen Streitgegenstands nicht. Das amtsgerichtliche Urteil war auf die Berufung der Klagepartei entsprechend aufzuheben.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO, Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit unterbleibt auch dann nicht, wenn die Revision nicht zugelassen ist (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., § 708 Rn. 11).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 49a GKG und entspricht der zutreffenden, unbeanstandet gebliebenen amtsgerichtlichen Wertfestsetzung.

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