Aktenzeichen 473 C 4290/19
Leitsatz
Es ist Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verwertungskündigung gem. § 573 II Nr. 3 iVm I BGB, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich vorgelegen hat. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 10.01.2020, Az. 473 C 4290/19 bleibt aufrechterhalten.
2. Die Klagepartei hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
I.
Der Einspruch ist form- und fristgerecht i.S.v. §§ 339 f. ZPO mit der Folge des § 342 ZPO eingelegt worden.
II.
Das Versäumnisurteil ist aufrechtzuerhalten, § 343 S. 1 ZPO.
Es entspricht der Sach- und Rechtslage.
Die klägerseits zum örtlich und sachlich zuständigen Amtsgericht München erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.
1. Ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe nach § 546 Abs. 1 BGB besteht nicht. Das Mietverhältnis ist weder durch die ausgesprochene Kündigung vom 05.02.2019 noch durch die Schriftsatzkündigungen vom 07.03.2019 und 12.07.2020 beendet worden. Auf die Frage der wirksamen Bevollmächtigung auf Klägerseite bei den ersten beiden Kündigungen kommt es nicht an, da diese jedenfalls bei Ausspruch der letzten vorlag. Alle drei Verwertungskündigungen nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB sind bereits aufgrund desselben Umstandes unwirksam, denn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungen war unstreitig keine Genehmigung nach Art. 2 BayZwEwG vom 10.12.2007 i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 5, § 5 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 15.12.2017 erteilt. Die Zweckentfremdungsgenehmigung lag vielmehr unstreitig zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 noch immer nicht vor.
2. Die ausgesprochene Kündigungen sind unwirksam. Die von der Klagepartei unter Hinweis auf das Urteils des Landgerichts Mannheim vom 16.01.2004, Az. 4 S 100/03 (NZM 2004, 256) geführte Argumentation, wonach die Wirksamkeit einer Verwertungskündigung nicht davon abhänge, ob bereits baurechtliche oder sonstige erforderliche öffentlich-rechtliche Genehmigungen beantragt seien oder gar vorlägen, überzeugt nicht. Im Einzelnen:
Die weit überwiegende Ansicht in Literatur und Rspr. erachtet es als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verwertungskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich vorgelegen hat. Streit besteht dagegen vor allem hinsichtlich der Frage, ob im Kündigungsschreiben auf die Zweckentfremdungsgenehmigung ausdrücklich Bezug genommen werden muss. Letztere Frage ist vorliegend nicht relevant, da weder zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine Zweckentfremdungsgenehmigung vorlag, auf welche die Klagepartei in dem Kündigungsschreiben hätte Bezug nehmen können. Eine Verpflichtung des Vermieters, im Kündigungsschreiben darauf hinzuweisen, dass er bislang keine Genehmigung für die von ihm geplante Nutzung beantragt hat, ist dagegen nicht geschuldet (Häublein, NZM 2011, 668, 671). Dahinstehen kann auch, ob das Erfordernis einer Zweckentfremdungsgenehmigung dogmatisch bei der materiellen Rechtmäßigkeit der Kündigung zu verorten ist oder einen Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB darstellt.
a) Nach der Entscheidung des LG Mannheim vom 16. 1. 2004, Az. 4 S 100/03 (NZM 2004, 256), soll es ausreichen, wenn die Zweckentfremdungsgenehmigung während des Laufs der Kündigungsfrist erteilt worden sei und jedenfalls zum Datum der Wirksamkeit der Kündigung vorliege (vgl. auch BeckOGK/Geib, Stand: 1.4.2020, BGB § 573 Rn. 114). Das Landgericht Mannheim führt in seiner Entscheidung aus, dass seinem Wortlaut nach § 573 BGB keine Genehmigung fordere. Außerdem würde, so das Landgericht Mannheim, der Vermieter, der in Fällen der vorliegenden Art i.d.R. zuvor geprüft habe, ob er seine Absichten auch verwirklichen könne, dem Mieter zu verstehen geben, dass die im Kündigungsschreiben genannten Absichten auch tatsächlich zu verwirklichen seien. Wenn dem der Mieter nicht traue, dann liege es an ihm, daraus die Konsequenzen zu ziehen und sich darüber Gewissheit zu verschaffen (NZM 2004, 256, 257). Im Übrigen zieht das LG Mannheim vor allem auch praktische Erwägungen für seine Ansicht heran: So seien angesichts der Länge der Kündigungsfristen ohne weiteres Fälle denkbar, in denen es nicht angezeigt sei, bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung die öffentlich-rechtliche Genehmigung einzuholen, weil diese befristet und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erloschen sein könne. Darüber hinaus würde sich eine solche Genehmigung als überflüssig herausstellen, wenn das Mietverhältnis auf Grund eines Fortsetzungsverlangens des Mieters verlängert werde, weil dann die Pläne der Vermieter nicht oder jedenfalls erst viel später verwirklicht werden können. Die für die Genehmigung angefallenen Gebühren seien dann vergeblich aufgewandt, so dass das Argument des Verbots der Vorratskündigung hier gerade nicht trage (NZM 2004, 256, 257).
Im Anschluss an diese Entscheidung und an einen vom Kläger zitierten Rechtsentscheid des BayOLG vom 31.08.1993 – REMiet 2/93 (NJW-RR 1994, 78ff.), der sich allerdings mit der Baugenehmigung und nur mittelbar mit der Zweckentfremdungsgenehmigung befasst, ist der Kläger der Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, ob die formalen Voraussetzungen für den Beginn der Arbeiten (Abbruch und Neubau) bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorlägen, sondern darauf, ob im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung mit einiger Sicherheit festgestellt werden könne, dass der Vermieter die beabsichtigte Verwertung im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses durch die Kündigung alsbald verwirklichen könne und auch verwirklichen wolle. Ob eine solche Erwartung gerechtfertigt sei, sei Tatfrage und könne nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles geprüft werden.
Selbst wenn man diese Ansicht teilen würde, hat der Kläger durch den Verlauf des Verfahrens seit Ausspruch der Kündigungen gezeigt, dass seine beabsichtigte Verwertung nicht alsbald zu verwirklichen war: Die erste Verwertungskündigung erfolgte im Februar 2019, die zweite Verwertungskündigung mit der Klageschrift im März 2019. Im Mai 2020 lagen noch immer keine Zweckentfremdungsgenehmigung und auch noch keine Baugenehmigung vor. Im konkreten Einzelfall kann seitens des Gerichts nicht festgestellt werden, dass bei Zugang der Kündigungen eine alsbaldige Verwertung bei Beendigung des Mietverhältnisses vorlag. Es stellt sich vielmehr für das Gericht so dar, dass gleichsam als Vorratskündigungen Verwertungskündigungen ausgesprochen wurden und dann nach Anberaumung des ersten Verhandlungstermines am 20.09.2019 so lange Verlegungsanträge gestellt wurden, bis das Gericht erstmals am 10.01.2020 verhandeln konnte. Bei diesem Termin ließ der Kläger ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen. Auch der Einspruchstermin am 15.05.2020 konnte erst nach mehrmaligen Verlegungsgesuchen der Klagepartei stattfinden.
Selbst nach der Mindermeinung liegen die Voraussetzungen einer wirksamen Verwertungskündigung hier nicht vor.
b) Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hält es im Anschluss an den Rechtsentscheid des OLG Hamburg vom 23.03.1981 (WuM 1981, 155) dagegen für zwingend erforderlich, dass die Zweckentfremdungsgenehmigung, anders als die Baugenehmigung, jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich vorgelegen hat (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 153; Cramer, Mietrecht 2019, Kap. H Rn. 180 m.w.N.; BeckOK MietR/Siegmund, 19. Ed. 1.3.2020, BGB § 573 Rn. 58, 59; NK-BGB/Werner Hinz, 3. Aufl. 2016, BGB § 573 Rn. 78; LG München II, Urt. v. 29.09.1994 – 8 S 2264/94, WuM 1997, 115; AG München, Urt. V. 18.11.2013 – 463 C 9569/13, ZMR 2014, 553; AG Hamburg Urt. V. 29.08.2013, Az. 44 C 20/13 -juris; zum Ganzen auch Bub/Treier-Fleindl, Handbuch der Geschäftsraummiete, 5. Aufl. 2019, § 573 Rn. 16). Das Gericht folgt dieser Auffassung. Die Einwände des Klägers zur Eigentumsgarantie überzeugen nicht. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat der Vermieter zu achten. Das Erfordernis der Zweckentfremdungsgenehmigung als Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung bei Zugang der Erklärung birgt keinen derart erheblichen Nachteil für den Vermieter, dass er vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 2 GG nicht hinzunehmen wäre.
Auszugehen ist vom Sinn und Zweck des Zweckentfremdungsrechts. Die Zweckentfremdungsgenehmigung hat, anders als die Baugenehmigung, nach ihrer Zielsetzung mieterschützenden Charakter. Die Baugenehmigung soll dagegen lediglich sicherstellen, dass das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Baunormen entspricht (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 153). Außerdem dient das Zweckentfremdungsrecht einem wohnraumbewirtschaftungspolitischen Zweck, weil es einer Verringerung des Wohnungsangebots durch Nutzung von Wohnraum als Geschäftsraum entgegenwirkt (dazu Häublein, NZM 2011,668, 669). Während das öffentliche Zweckentfremdungsrecht den Erhalt von Wohnraum als Zielsetzung hat, schützen die §§ 573 ff BGB vor der Beendigung eines konkreten Mietverhältnisses (Häublein, NZM 2011, 668, 669). Wenn sich nun aufgrund einer Nutzungsuntersagung der angegebene Nutzungswunsch des Vermieters nicht realisieren lässt, kann ihm auch kein Vorrang vor dem Bestandsinteresse des Mieters zukommen, denn einer Nutzung, die nach dem öffentlichen Recht unzulässig ist, steht das öffentliche Recht entgegen und gerade nicht das bestehende Mietverhältnis. Liegt die Sachlage so, dass die angegebene Nutzung jedenfalls gegenwärtig nicht zu realisieren ist, handelt es sich um eine fiktive Nutzungsabsicht, und die hierauf gestützte Kündigung wäre als Vorratskündigung unzulässig (vgl. Häublein, NZM 2011, 668, 670). Würde man dem Vermieter die Kündigung und gegebenenfalls die Räumung bereits vor Antragstellung bzw. im laufenden Genehmigungsverfahren gestatten, würde die Gefahr bestehen, dass das Mietobjekt jedenfalls während des Antragsverfahrens leer stehen würde. Dies aber ginge mit dem Zweckentfremdungsrecht nicht konform. Im Übrigen kann der Vermieter den Zeitpunkt der Beantragung einer erforderlichen Genehmigung steuern und diesen rechtzeitig stellen. Es wäre unbillig, dem Mieter gleichsam auf Verdacht die Wohnung zu nehmen, obwohl es allein der Vermieter in der Hand hat, ob er von der Möglichkeit einer vorherigen Antragstellung Gebrauch macht (Häublein, NZM 2011, 668, 670). Zutreffend erachtet Häublein die Auffassung des LG Mannheim als lebensfremd in Bezug auf den Umstand, dass der Vermieter die Kündigung nur erkläre, wenn er die Realisierbarkeit des Nutzungswunsches geprüft habe.
Es ist, wie auch im vorliegenden Fall offensichtlich, zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht transparent, ob die Behörde die Genehmigung erteilen oder verweigern wird. Ist der Mieter aber dennoch ausgezogen und wird später keine Genehmigung erteilt, sind Fakten geschaffen, die allein dem Vermieter nützen; dies bietet Anreize für Kündigungen ins Blaue hinein (Häublein, NZM 2011, 668, 670). Diese Erwägungen führen zurück auf den Sinn und Zweck des Zweckentfremdungsrechts und auf die Sozialbindung des Eigentums. Auch das Landgericht München II hat dies in seiner Entscheidung vom 29.09.1994 bereits plastisch ausgedrückt, wenn es formuliert, dass die Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigung im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde stehe und im Falle des Abbruchs in der Regel nur unter Auflagen erteilt werde. Ein Vermieter könne erst nach der Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigung und Kenntniserlangung von den Auflagen letztlich entscheiden, ob er das geplante Bauvorhaben durchführen könne und ob die Durchführung für ihn bei Berücksichtigung der Auflagen noch wirtschaftlich sinnvoll sei (LG München II, Urt. v. 29.09.1994, Az. 8 S 2264/94, WuM 1997, 115).
Wenn aber erst mit Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigung und Kenntniserlangung eventueller Auflagen feststehe, ob der Vermieter das geplante Bauvorhaben durchführen kann und ob die Durchführung für ihn bei Berücksichtigung der Auflagen noch wirtschaftlich sinnvoll ist, dann gebietet es die Sozialbindung des Eigentums vor der Kenntniserlangung dieser Umstände keine Verwertungskündigung rechtswirksam aussprechen zu können.
Das LG München I hat sich kürzlich mittelbar ebenfalls mit dieser Problematik auseinandergesetzt, als es zum Erfordernis einer denkmalschutzrechtlichen Abrissgenehmigung, als weiterer Fallgruppe des Problemkreises Verwertungskündigung, Stellung bezogen hat. In dieser Entscheidung überträgt das LG München I die Überlegungen zur Zweckentfremdungsgenehmigung teilweise auf die denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung und erklärt das Vorliegen einer denkmalschutzrechtlichen Abrissgenehmigung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zur Wirksamkeitsvoraussetzung, da auch die denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung ebenso wie die Zweckentfremdungsgenehmigung (und jeweils anders als die bloße Baugenehmigung) mieterschützenden Charakter haben. Ohne die Notwendigkeit des Vorliegens einer denkmalschutzrechtlichen Abrissgenehmigung im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ergebe sich ein erhebliches Missbrauchspotential und es widerspreche auch der Sozialbindung des Eigentums (vgl. LG München Beschluss vom 21.09.2016 und v. 17.11.2016 – 14 S 9176/16). Dieser Umstand verbindet Zweckentfremdungsgenehmigung und denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung, und grenzt diese von der normalen Baugenehmigung ab.
Da die Zweckentfremdungsgenehmigung vorliegend schon zu keinem Zeitpunkt vorlag, deren Erfordernis bei Zugang der Kündigung aber auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, sind die Kündigungen unwirksam, und die Klage war daher abzuweisen.
II.
Die Kostenfolge beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
IV.
Bezüglich der Streitwertfestsetzung verbleibt es bei dem Beschluss vom 10.01.2020 (Bl. 156 d.A.).