Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Wahlrecht von Käger im Falle subjektiver Klageerweiterung

Aktenzeichen  8 SA 27/18

Datum:
8.8.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20137
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 17, § 32, § 35, § 36 Abs. 1 Nr. 3, 6 u. Abs. 2, § 261 Abs. 3 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 5, § 692 Abs. 1 Nr. 1, § 696 Abs. 1, § 700 Abs. 3

 

Leitsatz

Das einer Klagepartei gemäß § 35 ZPO zustehende Wahlrecht besteht stets nur zu Beginn eines Rechtsstreits, hingegen entsteht es nicht jedes Mal neu mit jedem Hinzutreten einer weiteren Beklagtenpartei. Dies gilt auch dann, wenn mit der Klageerweiterung die Klage gegen den zuerst Beklagten zurückgenommen wird. (Rn. 23)

Verfahrensgang

15 C 28/18 2018-06-27 Bes AGCOBURG AG Coburg

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Coburg.

Gründe

I.
Die Klägerin nahm zunächst – nach vorgeschaltetem Mahnverfahren – die Beklagte zu 1), bei der es sich um eine Rechtsschutzversicherung handelt, als Versicherungsunternehmen ihres Verkehrsunfallgegners auf Schadensersatz in Höhe von 515,27 Euro in Anspruch. Der Verkehrsunfall hatte sich am xx.xx.2014 in ihrem Wohnort in A., d.h. im Bezirk des Amtsgerichts Lemgo, ereignet. Die Klägerin hatte im Mahnverfahren als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden soll, das Amtsgericht Coburg benannt. Nach Widerspruch wurde der Rechtsstreit antragsgemäß dorthin abgegeben.
In der Anspruchsbegründung beantragte die Klägerin, den Rechtsstreit im schriftlichen Verfahren an das nach § 32 ZPO zuständige Amtsgericht Lemgo zu verweisen.
Das Amtsgericht Coburg wies mit Verfügung vom 23.01.2018 (Bl. 19-20 d.A.) die Klägerin darauf hin, dass sie ihr nach § 35 ZPO zustehendes Wahlrecht bereits ausgeübt habe und für eine Verweisung kein Raum mehr sei.
Nach mehreren Versuchen der Klägerin, die richtige Haftpflichtversicherung zu benennen, erklärte sie mit Anwaltsschriftsatz vom 02.05.2018 (Bl. 41 d.A.), dass sie ihre Klage nunmehr auch gegen die B. als Beklagte zu 2) richte. Nach „Umsetzung“ solle die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurückgenommen und der Rechtsstreit an das Amtsgericht Lemgo verwiesen werden.
Das Amtsgericht Coburg erweiterte zwar das Rubrum um die Beklagte zu 2), eine Zustellung des Anspruchsbegründungsschriftsatzes an sie erfolgte jedoch bislang nicht.
Mit Verfügung vom 04.06.2018 (Bl. 50 d.A.) leitete das Amtsgericht Coburg die Akten an das Amtsgericht Lemgo zur Abgabe/Übernahme. Es vertrat hierin die Ansicht, dass das Amtsgericht Lemgo durch den Unfallort auch zuständig sei, weil die Klägerin noch vor Rechtshängigkeit der gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Klage das Amtsgericht Lemgo als das für den Rechtsstreit zuständige Gericht ausgewählt habe. Eine bindende Auswahl des Amtsgerichts Coburg sei nicht erfolgt.
Das Amtsgericht Lemgo lehnte mit Verfügung vom 12.06.2018 die Übernahme des Verfahrens ab (Bl. 53 d.A.). Eine Unzuständigkeit des Amtsgerichts Coburg lasse sich nicht feststellen, denn die Beklagte zu 2) habe ihren Sitz ebenfalls in C..
Das Amtsgericht Coburg erklärte sich daraufhin mit Beschluss vom 27.06.2018 für örtlich unzuständig und legte die Verfahrensakten dem Oberlandesgericht Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor (Bl. 62 ff. d.A.). Dem klägerischen Antrag auf Abgabe/Verweisung an das Amtsgericht Lemgo sei nachzukommen. Die Klägerin habe für ihre Klage das Amtsgericht Lemgo als Gerichtsstand gewählt.
Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vertritt die Ansicht, dass die Ablehnung der Übernahme des Rechtsstreits durch das Amtsgericht Lemgo unzulässig gewesen sei und bittet um Herbeiführung einer Entscheidung gemäß § 36 Abs. 2 ZPO. Er beantragt, das Amtsgericht Lemgo als zuständiges Gericht zu bestimmen.
II.
Der Zuständigkeitsstreit ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO durch das Oberlandesgericht Bamberg zu entscheiden, weil das zu seinem Bezirk gehörende Amtsgericht Coburg zuerst mit der Sache befasst war.
Eine bindende Verweisung durch das Amtsgericht Coburg an das Amtsgericht Lemgo liegt zwar bislang ebenso wenig vor wie eine Unzuständigkeitsentscheidung des Amtsgerichts Lemgo. Stattdessen haben die beteiligten Gerichte lediglich eine Abgabe und eine Ablehnung der Übernahme verfügt.
Doch auch in einem solchen Fall ist in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 eine Gerichtsstandsbestimmung zulässig (vgl. BGH MDR 1983, 466). Bei Sachlagen der vorliegenden Art, in denen zwei beteiligte Gerichte bereits klar zum Ausdruck gebracht haben, ihre Unzuständigkeit feststellen und Verweisung und Rückverweisung anordnen zu wollen, erscheint es nach dem Zweck des § 36 Nr. 6 ZPO, langwierige Streitigkeiten der Gerichte über ihre Zuständigkeit zu vermeiden, geboten, in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift das örtlich zuständige Gericht bereits im derzeitigen Verfahrensstadium zu bestimmen, zumal ohne eine solche Zuständigkeitsbestimmung nicht mit einer baldigen Beilegung des Zuständigkeitsstreits zu rechnen ist (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 36 Rn. 35).
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Coburg.
Für den vorliegenden Rechtsstreit bestand von Anfang an eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Coburg (Geschäftssitz der Beklagten, § 17 ZPO) und eine des Amtsgerichts Lemgo (Unfall- und Schadensort, § 32 ZPO). Die Klägerin hatte die Wahl zwischen diesen beiden Gerichtsständen, § 35 ZPO.
Da die nach früherer Rechtslage gegebene „Abgabeautomatik“ an den Gerichtsstand des Beklagten nicht mehr besteht, muss ein Kläger von dem ihm nach § 35 ZPO zustehenden Wahlrecht bereits im Mahnbescheidsantrag Gebrauch machen, §§ 690 Abs. 1 Nr. 5, 692 Abs. 1 Nr. 1, 696 Abs. 1, 700 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH MDR 2002, 1446). Grundsätzlich erlischt das Wahlrecht mit Zustellung des Mahnbescheids. Vorliegend hatte die Klägerin das nach § 17 ZPO auch tatsächlich zuständige Amtsgericht Coburg ausgewählt. Für ein fortbestehendes Wahlrecht nach Überleitung des Mahnverfahrens in das streitige Verfahren bestand deshalb ebenso wenig Anlass wie für einen Verweisungsantrag (worauf das Amtsgericht Coburg mit Verfügung vom 23.01.2018 auch zutreffend hingewiesen hat).
Etwas anderes gilt lediglich in den Fällen, in denen im Laufe des Mahnverfahrens erstmals ein Wahlrecht entsteht, etwa weil eine Wahlmöglichkeit zum Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrags noch gar nicht bestand (vgl. hierzu etwa OLG Köln, NJW-RR 2014, 319; KG, NJW-RR 2001, 62; OLG München, MDR 2007, 1278) oder der Antragsteller trotz ordnungsgemäßer Prozessvorbereitung erst später Kenntnis erlangt von einem möglichen anderen Gerichtsstand (vgl. hierzu etwa OLG München, MDR 2007, 1154).
Etwas anderes würde schließlich auch dann gelten, wenn sich der Mahnbescheid gegen mehrere Antragsgegner mit unterschiedlichen Wohnsitzen richtet und Abgabe an das jeweilige Wohnsitzgericht beantragt wurde. In diesem Falle kann das zuständige Gericht, wenn mehrere Antragsgegner Widerspruch oder Einspruch eingelegt haben, noch nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt werden, wenn der Antragsteller einen entsprechenden Antrag mit der Anspruchsbegründung stellt (vgl. BGH MDR 2013, 1422).
Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Vielmehr bestand – jedenfalls für die hier zu fordernde ordnungsgemäß prozessvorbereitende Klägerin – das Wahlrecht (Coburg / Lemgo) unverändert von Anfang an.
Durch die erst nach Überleitung in das streitige Verfahren erfolgte subjektive Klageerweiterung [auf die Beklagte zu 2) ] haben sich weder Änderungen an der Wahlmöglichkeit der Klägerin ergeben (auch für die Klage gegen die Beklagte zu 2) besteht eine Zuständigkeit der Amtsgerichte Coburg und Lemgo) noch hat sich eine Situation ergeben, in der eine Zuständigkeitsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu treffen wäre.
Zwar ist die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage (mangels Zustellung) noch nicht rechtshängig, das bedeutet aber nicht, dass die Klägerin das ihr lediglich zu Beginn „eines Rechtsstreits“ bis zur Rechtshängigkeit einer Klage zustehende Wahlrecht gemäß § 35 ZPO „neu“ erworben hätte oder „neu“ ausüben könnte.
Eine Parteierweiterung auf Beklagtenseite (§ 263 ZPO) erfolgt grundsätzlich in einem laufenden Rechtsstreit, in dem die Wahl des Gerichtsstandes bereits getroffen wurde. Mit „Hereinnahme“ eines weiteren Beklagten kann ein neues Wahlrecht schon grundsätzlich nicht entstehen. Möchte der Kläger den Rechtsstreit gegen den weiteren Beklagten vor einem anderen Gericht führen, bleibt ihm immer noch die Möglichkeit, unter Verzicht auf eine Parteierweiterung im laufenden Prozess den Rechtsstreit in einem gesonderten Verfahren zu führen oder, soweit die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegeben sind, eine Gerichtsstandsbestimmung zu beantragen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht für einen Fall der vorliegenden Art, in dem die Klägerin unmittelbar nach Parteierweiterung auf Beklagtenseite die Klagerücknahme gegenüber dem Beklagten zu 1) ankündigt. Selbst wenn die Klagerücknahme tatsächlich erklärt werden sollte, führen diese Prozesserklärungen zwar dazu, dass die Rechtshängigkeit der gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage rückwirkend entfällt (§ 269 Abs. 3 ZPO) und die Klage gegen die Beklagte zu 2) zwar anhängig, aber (auch derzeit) noch nicht rechtshängig ist, allerdings „versetzen“ sie den Rechtsstreit selbst nicht in jenes Anfangsstadium, in dem das Wahlrecht der Klägerin gemäß § 35 ZPO noch bestanden hatte. Vielmehr erfolgen die Prozesserklärungen zu einem Zeitpunkt, zu dem – wie vorstehend ausgeführt – die Wahl des Gerichtsstands bereits getroffen ist. Das einer Klagepartei gemäß § 35 ZPO zustehende Wahlrecht besteht also stets nur zu Beginn eines Rechtsstreits, hingegen entsteht es nicht jedes Mal „neu“ mit jedem Hinzutreten einer weiteren Beklagtenpartei. Eine andere Auslegung würde nicht zuletzt dem Grundsatz „perpetuatio fori“, § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, widersprechen.
In einem solchen Fall kann also allenfalls eine Verweisung oder eine Gerichtsstandsbestimmung in Betracht kommen, aber auch nur dann, wenn eine Zuständigkeit des zunächst angegangenen Gerichts bezüglich der neu hinzutretenden, in der Folge alleinigen Beklagtenpartei unter keinen Umständen gegeben wäre. Vorliegend sind jedoch auch diese Voraussetzungen nicht gegeben.
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Amtsgericht Coburg von der Klägerin als tatsächlich zuständiges Gericht wirksam ausgewählt wurde und weder eine Feststellung der Unzuständigkeit noch eine Verweisung an ein anderes Gericht in Betracht kommen kann.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Mietrecht: Was tun bei Heizungsausfällen?

Gerade in den kälteren Monaten ist eine funktionierende Heizung für die Wohnqualität von Mietern unerlässlich. Ein plötzlicher Heizungsausfall kann nicht nur unangenehm sein, sondern auch rechtliche Fragen aufwerfen. Hier sind einige wichtige Informationen, was Mieter beachten sollen.
Mehr lesen