Aktenzeichen 5 C 228/16
ZPO ZPO § 263, § 495
Leitsatz
Bei einer Mehrheit von Mietern kann jeder Mieter gegenüber dem Vermieter in einem separaten Schreiben kündigen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit müssen die separaten Kündigungserklärungen jedoch in einem engen zeitlichen Zusammenhang zugehen, damit der Vermieter alsbald weiß, ob die an ihn adressierte Kündigung formell wirksam ist. (redaktioneller Leitsatz)
Der geforderte zeitliche Zusammenhang der separaten Kündigungen ist jedenfalls dann nicht mehr gewahrt, wenn zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung des einen Mieters beim Vermieter und dem Zugang der Kündigungserklärung des anderen Mieters beim Vermieter ein Zeitraum liegt, der dazu führt, dass unterschiedliche Beendigungszeitpunkte gegeben wären. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit selber Höhe leistet.
4. Der Streitwert wird auf 6.153,- € festgesetzt.
Gründe
I.
1. Die Klage ist, soweit die Klägerin ihren Räumungsantrag auf die fristlose Kündigung vom 04.03.2016, Anlage K14, stützt, bereits unzulässig, weil die Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen.
Mit Schriftsatz vom 29.03.2016 wurde klägerseits hilfsweise ein neuer Streitgegenstand (Lebenssachverhalt) eingeführt. Das Räumungsverlangen der Klägerin wird zwar primär mit den Mieterkündigungen aus dem Jahr 2015 weiterverfolgt, jedoch nunmehr noch hilfsweise auf eine fristlose Kündigung der Vermieterseite vom 04.03.2016 wegen Zahlungsverzug der Mieterseite gestützt. Es liegt daher eine Eventualklageänderung nach §§ 495; 263 ZPO vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 04.02.2015, zitiert nach juris, dort Rn. 14, m. w. N.). Die Eventualklageänderung ist jedoch nur zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet, §§ 495; 263 ZPO.
An diesen Voraussetzungen fehlt es hier:
Der Beklagte hat der Eventualklageänderung in der Sitzung vom 06.04.2016 widersprochen, eine wirksame Einwilligung des Beklagten liegt mithin nicht vor.
Die Eventualklageänderung ist auch vorliegend nicht sachdienlich. Das Gericht hat hierbei einen Ermessensspielraum. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass eine Klageänderung grundsätzlich schon dann sachdienlich ist und das Ermessen auf null reduziert wird, wenn sie der Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits dient. Allerdings ist eine Klageänderung beispielsweise dann nicht sachdienlich, wenn der Partei, zu deren Nachteil sich die Klageänderung auswirkt, hier dem Beklagten, materielle Rechte verloren gingen, sich der Rechtsstreit verzögert und die bisherigen Prozessergebnisse nicht oder nur teilweise nutzbar bleiben, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn ein komplett anderer Lebenssachverhalt eingeführt wird (vgl. Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Auflage, 2016, Rn. 7 zu § 263, m. w. N.).
So liegt der Fall hier: die Klägerin stützt ihre Kündigung vom 04.03.2016 auf Zahlungsverzug. Würde das Gericht die Klageänderung als sachdienlich zulassen, würde dies dazu führen, dass dem Beklagten (und seiner Ehefrau als weitere Mieterin) die ihm nach dem Gesetz eingeräumte Heilungsmöglichkeit nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB möglicherweise genommen würde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte (und dessen Ehefrau) von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und daher die Kündigung vom 04.03.2016 im Verlaufe des Prozesses unwirksam wird. Ein Folgerechtsstreit ist daher nicht zwingend zu besorgen. Im Übrigen wird ein völlig anderer Lebenssachverhalt (ursprünglicher Streitgegenstand: Mieterkündigungen, jetziger Streitgegenstand: Vermieterkündigung) eingeführt, so dass die bisherigen Prozessergebnisse allenfalls teilweise nutzbar bleiben.
2. Im Übrigen ist die Klage auch unbegründet.
a) Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch nach § 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietsache zu, weil das Mietverhältnis durch die Kündigungen der Mieterin […] vom 01.09.2015 und der des Beklagten vom 01.10.2015 nicht wirksam zum 31.01.2016 beendet wurde.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur einhellige Meinung, dass bei einer Mehrheit von Vertragspartnern Gestaltungsrechte wie das Kündigungsrecht von Verträgen nur einheitlich durch alle Vertragspartner ausgeübt werden können (so bereits BGH, Urteil vom 26.11.1957 – VIII ZR 92/57, BGHZ 26, 102). Zur Vertragsaufhebung durch Vereinbarung mit dem Vermieter oder zur Vertragsbeendigung durch Kündigung sind nur alle Mieter gemeinschaftlich berechtigt (so auch Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage 2015, Rn. 346 vor § 535 BGB, vom BGH jedoch bislang offen gelassen, vergleiche zuletzt BGH, Urteil vom 16.03.2005 – VIII ZR 14/04, NJW 2005, 1715). Es ist üblich, aber nicht zwingend, dass eine Kündigung eines Mietverhältnisses von mehreren Mietern auch in einem Schreiben gegenüber dem Vermieter ausgesprochen wird. Vielmehr kann bei einer Mehrheit von Mietern, wie hier in Gestalt des Beklagten und der [.], jeder Mieter auch gegenüber dem Vermieter in einem separaten Schreiben kündigen. Allerdings wird aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei separaten Kündigungserklärungen gefordert, dass die Kündigungserklärungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang zugehen, denn der Kündigungsempfänger, hier der Vermieter, muss alsbald wissen, ob die an ihn adressierte Kündigung formell wirksam ist; dies setzt in Fällen der vorliegenden Art voraus, dass beide Mieter zeitnah eine Kündigung gegenüber dem Kündigungsempfänger aussprechen. Der Bundesgerichtshof hat (auch) diese Rechtsfrage, soweit ersichtlich, bislang noch nicht entschieden. Das Gericht beantwortet diese Rechtsfrage daher dahingehend, dass der geforderte zeitliche Zusammenhang jedenfalls dann nicht mehr gewahrt ist, wenn zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung des einen Mieters beim Vermieter und dem Zugang der Kündigungserklärung des anderen Mieters beim Vermieter ein Zeitraum liegt, der dazu führt, dass unterschiedliche Beendigungszeitpunkte gegeben wären (ähnlich auch Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage, 2015, Rn. 30 zu § 542 BGB, m. w. N.).
So ist dies hier jedoch nicht mehr der Fall:
Die Mieterin […] kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 01.09.2015, Anlage K2. Aus der Anlage K2 geht zwar nicht hervor, wann diese Kündigung bei der Hausverwaltung eingegangen ist, das Datum auf dem Eingangsstempel ist in der vorgelegten Kopie nicht ersichtlich. Auch hat die Klägerin hierzu trotz Hinweis des Gerichts in der Verfügung vom 26.02.2016 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nichts vorgetragen. Die – erstmals dem Schriftformerfordernis genügende – Kündigung des Beklagten erfolgte jedoch erst mit Schreiben vom 01.10.2015, Anlage K4, eingegangen bei der Hausverwaltung am 07.10.2015.
Einmal unterstellt, die Kündigung vom 01.09.2015 wäre noch bis 03.09.2015 bei der Hausverwaltung eingegangen, würde dies zu einer Beendigung zum 30.11.2015, spätestens jedoch zum 31.12.2015 führen, da davon auszugehen ist, dass die Kündigung der Hausverwaltung jedenfalls bis Ende September 2015 zugegangen ist, da es ansonsten kein – nicht unterzeichnetes – Schreiben des Beklagten (bereits) vom 29.09.2015, vorgelegt als Anlage K3, gegeben hätte. Die Kündigung des Beklagten vom 01.10.2015 ging jedoch erst am 07.10.2015 zu, führt also zu einer Beendigung zum 31.01.2016, wie auch von der Hausverwaltung angenommen.
Der aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geforderte enge zeitliche Rahmen liegt daher – jedenfalls vorliegend – nicht vor, weil aufgrund der Einheitlichkeit der Kündigungserklärungen auch ein einheitliches Kündigungsdatum festzustellen ist. Es bedarf daher keiner Beweiserhebung über die bestrittene Tatsachenbehauptung der Klägerin, bei der Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben vom 01.10.2015, Anlage K4, handle es sich um die des Beklagten.
Dahinstehen kann auch, ob die Hausverwaltung in der Folgezeit mit dem Beklagten, wie im Schriftsatz vom 29.03.2016 dargestellt, über das Schicksal der Kündigungen und eine anderweitige Beendigung des Mietverhältnisses korrespondiert haben. Diese Verhandlungen, sofern und soweit sie überhaupt stattgefunden haben, stellen allenfalls Angebote der Klägerin auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages dar. Eine „Kündigungsannahme“, wie die Klägerin meint, geht bei Gestaltungsrechten nicht. Ein Aufhebungsvertrag als Verfügungsvertrag muss jedoch von allen Vertragspartnern abgeschlossen werden, also muss zu dessen Wirksamkeit zwingend auch die Mieterin […] beteiligt werden, und muss diese eine eigene übereinstimmende empfangsbedürftige Willenserklärung abgeben. Denn nur weil ein Mitmieter (ggf. sogar in Absprache mit dem Vermieter) aus dem Mietobjekt auszieht, wie hier die Mieterin […], endet das Mietverhältnis mit ihm nicht, sondern besteht mit ihm weiterhin fort (vgl. unter anderem LG Berlin, Beschluss vom 24.07.1998 – 64 S 230/98, NZM 1999, 758; AG Dortmund, Urteil vom 08.02.2000 – 125 C 10797/99, NZM 2001, 94). Eine förmliche Beteiligung der Mieterin […] an den Gesprächen zwischen der Hausverwaltung und dem Beklagten ist jedoch nicht erfolgt.
b) Dies vorausgeschickt wäre die Klage aber – als reines obiter dictum – auch in Ansehung der – nicht zulässigen – Eventualklageänderung unbegründet, weil die Kündigung vom 04.03.2016 nicht namens der Klägerin als Vertragspartnerin, sondern von einer […]-GbR ausgesprochen wurde. Es versteht sich von selbst, dass die Klägerin eine GmbH, also eine juristische Person, ist, wohingegen die […] GbR eine Personengesellschaft ist. Es handelt sich um zwei verschiedene Rechtssubjekte. Die Hausverwaltung als Bevollmächtigte handelt in fremdem Namen. Da jedoch der Name der Vermieterin ein falscher ist, nämlich der der […] GbR, kann die Kündigung der Hausverwaltung keine Rechtswirkungen entfalten.
Hinzu kommt, dass die Kündigungserklärung der weiteren Vertragspartnerin […] gar nicht zugegangen ist. Nach dem Vortrag der Klägerin auf Seite sechs der Klageschrift führt die Klägerin aus, dass die Ehefrau aus der Wohnung mit den Kindern ausgezogen ist. Dieser Vortrag ist unstreitig. Die an den Beklagten und […] an die Mietwohnung gerichtete Kündigung der Hausverwaltung konnte der […] daher auch nicht zugehen. Der Beklagte ist – auch nicht nach § 1357 BGB – empfangsbevollmächtigt. Ein Mietaufhebungsvertrag und demzufolge eine Kündigung des Mietvertrages stellt keinen Fall des § 1357 Abs. 1 BGB dar (so auch LG Köln, Urteil vom 10.01.1990 – 10 S 174/89, zitiert nach Juris, dort Rn. 6). Folglich ist ein Ehegatte auch nicht nach § 1357 Abs. 1 BGB gesetzlich empfangsbevollmächtigt zur Entgegennahme einer Kündigung, die (auch) an den anderen Ehegatten gerichtet ist; diese muss dem anderen Ehegatten seinerseits zugehen. Dies ist jedoch, was sich von selbst versteht und sich zudem aus § 1357 Abs. 3 BGB ergibt, bei Auszug des anderen Ehegatten aus der Ehewohnung und mithin Getrenntleben der Ehegatten ohnehin selbst bei Anwendbarkeit von § 1357 Abs. 1 BGB nicht möglich.
Die Kündigungserklärung vom 04.03.2016 geht daher aus zweierlei Gründen de jure ins Leere.
II.
1. Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 41 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 2 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung:
[…]