Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Wohnungsherausgabe

Aktenzeichen  53 S 1915/18

Datum:
13.12.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 52609
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 543 Abs. 2 Nrn. 2 u. 3

 

Leitsatz

1. Ein Kündigungsgrund liegt nicht vor. Die ausgesprochenen Kündigungen haben das Wohnraummietverhältnis nicht wirksam beendet.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Nachbargrundstück ist kein Bestand des Mietverhältnisses. Auf dieses bezogen ist vielmehr von dem Abschluss eines separaten Leihvertrages auszugehen.   (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 C 244/18 (4) 2018-11-02 Endurteil AGKAUFBEUREN AG Kaufbeuren

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgericht Kaufbeuren vom 02.11.2018, Az. 2 C 244/18 wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Beklagten wird ebenfalls zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger . Die Kosten der Nebenintervention trägt der Streiverkündete selbst.
4. Das Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 02.11.2018 (Az. 2 C 244/18) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 02.11.2018 (Bl. 95 ff d.A.)
Mit Schreiben vom 02.08.2019 (Anl. KK 8) hat der Kläger – vorsorglich – erneut eine fristlose Kündigung des Wohnraummietverhältnisses, sowie aller Verschläge auf dem Grundstück der großen Voliere ausgesprochen. Der darauf gestützte Räumunsanspruch ist bei einem noch laufenden Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Kaufbeuren unter dem Az. 3 C 106/19 anhängig.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinem vormaligen Prozessbevollmächtigten Herrn Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 02.05.2019 (Bl. 172 ff d.A.) den Streit verkündet. Dieser ist mit Schriftsatz vom 23.05.2019 (Bl. 176 d.A.) dem Rechtsstreit aufseiten des Klägers beigetreten.
Der Kläger beantragt
1. Das Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 09.10.2018, Aktenzeichen 2 C 244/18 (4) wird in Ziffer 2, 3 und 4 aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung, Erdgeschoss, bestehend aus 4 Zimmern, einer Küche, einem Bad/WC, einer Kammer und einer Garage zu räumen und mit sämtlichen Schlüsseln an den Kläger herauszugeben.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.971,96 € nebst Zinsen in Höhe von je 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus je 262,42 € jeweils ab dem 9. eines Kalendermonats beginnend vom 09.01.2015 und endend mit 09.02.2018 zu bezahlen.
Der Beklagte wird verurteilt,
ab März 2018 je 562,42 € monatlich Nutzungsersatz nebst Zinsen ab dem 9. des jeweiligen Kalendermonats an den Kläger zu zahlen, beschränkt bis zur Räumung.
Der Beklagte beantragt
die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
Ferner beantragt der Beklagte,
dass die Klage unter Abänderung des am 02.11.2018 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Kaufbeuren, Az. 2 C 244/18 gänzlich abgewiesen wird.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagtenseite.
Der Streitverkündete schließt sich den Anträgen der Klägerseite an.
Die Berufungskammer hat am 27.11.2019 zur Sache mündlich verhandelt.
II.
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
2. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
a) Das Amtsgericht Kaufbeuren hat rechtlich zutreffend den klägerseits geltend gemachten Räumungsanspruch betreffend der Wohnung, Erdgeschoss, bestehend aus 4 Zimmern, eine Küche, ein Bad/WC, einer Kammer und einer Garage abgewiesen, nachdem weder die außerordentliche Kündigung vom 21.01.2018 noch die außerordentliche Kündigung vom 14.09.2018 das Wohnraummietverhältnis wirksam beendet hat.
aa) Die auf Zahlungsverzug gestützte (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB) außerordentliche Kündigung des Klägers vom 21.01.2018 scheitert bereits daran, dass das Ausgangsgericht – ohne Rechtsfehler – zu der Überzeugung gelangte (§ 286 ZPO), dass der Beklagte aufgrund einer Vereinbarung der Parteien nur eine reduzierte Miete schuldete.
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Das ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. KG MDR 2004, 533; BGH NJW 2005, 1583).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf.
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen – es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (KG DAR 2004, 223).
An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat sich das Amtsgericht Kaufbeuren im angefochtenen Urteil gehalten.
Die Kammer folgt der Beweiswürdigung auch in der Sache.
So ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach ausführlicher Vernehmung der Zeugen im Rahmen der öffentlichen Sitzungen vom 10.07.2018,sowie 09.10.2018 zu der Überzeugung, sowie der Ehefrau des Klägers der Zeugin gelangte, dass die Parteien eine Vereinbarung der Gestalt getroffen haben, dass der Beklagte nicht den im Mietvertrag vom 05.02.1995 aufgeführten Mietzins nicht im vollen Umfang schuldet. Das Amtsgericht hat dem angefochtenen Urteil dezidiert und gut nachvollziehbar dargelegt, dass und warum es zu dieser Überzeugung gelangt ist. Dies genügt den Anforderungen an eine der ZPO entsprechende Beweiswürdigung (vgl. § 313 Abs. 3 ZPO).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Gerichts keine absolute Gewissheit und keinen Ausschluss jeder Möglichkeit des Gegenteils erfordert, sondern nur eine für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, also einen so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2000, 953).
Daraus dass der Kläger das Beweisergebnis anders werten will, folgt kein Rechtsfehler des Amtsgerichts. Ein Verstoß gegen Beweisregeln oder Denk- und Naturgesetze wird in der Berufungsbegründung nicht aufgezeigt.
Hieran ändert auch der Umstand, dass das Erstgericht sich nicht ausdrücklich in den Urteilsgründen mit den im Rahmen der Sitzung vom 10.07.2018 vorgelegten Kontoauszügen auseinandergesetzt hat, nichts.
Allein die Tatsache, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vg. BGH MDR 2005, 1008; OLG München vom 25.11.2005, Az. 10 U 2378/05) welche vorliegend nicht gegeben sind.
bb) Auch die weitere außerordentliche Kündigung vom 14.09.2018 wegen vertragswidrigen Gebrauchs (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB) hat – wie das Erstgericht rechtlich zutreffend feststellt – das Wohnraummietverhältnis nicht beendet.
Insoweit fehlt es an der gemäß § 543 Abs. 3 S. 1 BGB erforderlichen Abmahnung. Zwar wurde der Beklagte bereits mit Schreiben des Klägers vom 19.10.2009 betreffend der Zustände auf dem vermieteten Grundstück abgemahnt.
Allerdings fehlt es insoweit für die erst am 14.09.2018 ausgesprochene außerordentliche Kündigung am dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen Abmahnung und Kündigung (vgl. Schmidt-Futterer, MietR 14. Aufl., § 543 BGB RdNr. 62 ff). Die weiteren pauschal behaupteten, wiederholten mündlichen Abmahnungen des Klägers datieren ebenfalls aus dem Jahre 2009 und können damit für die hier verfahrensgegenständliche Kündigung keine Bedeutung haben.
Umstände die gem. § 543 Abs. 3 S. 2 eine sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausnahmsweise zulässig machen würden, sind klägerseits nicht vorgetragen. Danach bestehen die vertragswidrigen Zustände schon seit mehreren Jahren, ohne dass zuletzt eine gravierende Änderung eingetreten wäre.
cc) Dem zuletzt geltend gemachten Räumungsanspruch, welcher auf eine fristlose Kündigung des Wohnraummietverhältnisses vom 02.08.2019 (Anl. KK 8) gestütz wird, steht die Rechtshängigkeit der vor dem Amtsgericht Kaufbeuren erhobenen Räumungsklage (§ 261 ZPO) entgegen. Entsprechend der Erklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird auf diese Kündigung klageweise ein Räumungs- und Herausgabeanspruch betreffend der Wohnung gestützt, welcher beim Amtsgericht Kaufbeuren rechtshängig ist. Damit kann dieser Streitgegenstand nicht für ein erneutes klageweise gemachtes Herausgabeverlangen vor dem Landgericht herangezogen werden (vgl. Zöller ZPO 31. Aufl., § 261 RdNr. 7 a ff).
b) Auch die klägerseits geltend gemachte Zahlungsklage in Höhe von 9.971,96 € zuzüglich Zinsen, sowie den Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Nutzungentschädigung in Höhe von 564,42 € ab März 2018 hat das Amtsgericht ohne Rechtsfehler abgewiesen. Insoweit stützt der Kläger seinen Zahlungsanspruch auf § 535 Abs. 2 BGB bzw. § 546 a BGB und macht in der Hauptsache rückständigen Mietzins, sowie Nutzungsentschädigung wegen verspäteter Rückgabe geltend.
Nachdem aber der Beklagtenseite – wie dargelegt – zur Überzeugung des Ausgangsgerichts (§ 286 ZPO) der Nachweis gelungen ist, dass aufgrund parteilicher Vereinbarung nur eine reduzierte Miete geschuldet war, bestehen keinen offenen Mietzinsforderungen bzw. Nutzungsentschädigungsansprüche, sodass das Amtsgericht Kaufbeuren die Zahlungsklagen rechtlich zutreffend abgewiesen hat.
Das Rechtsmittel des Klägers war folglich zurückzuweisen.
II.
1. Die Berufung des Beklagten ist ebenfalls zulässig, nachdem diese form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde (§§ 517, 519, 520 ZPO).
2. In der Sache hat sie jedoch ebenfalls keinen Erfolg. Im Ergebnis zutreffend kommt das Amtsgericht Kaufbeuren zu dem Schluss, dass dem Kläger gem. §§ 604, 985 BGB den Anspruch auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks des Klägers Fl.Nr. 1617 mit der dort befindlichen Vogelvoliere zusteht. Insoweit ist entscheidend, ob es sich bei dem Vertragsverhältnis der Parteien betreffend des Grundstücks Fl.Nr. 1617 und der dort befindlichen Voliere um ein von dem Wohnraummietverhältnis unabhängiges Rechtsverhältnis handelt.
Sind Wohnung und das Grundstück Fl.Nr. 1617 dagegen Bestandteil eines einheitlichen Mietverhältnisses, so ist das gesamte Mietverhältnis nur nach den Kündigungsvorschriften für den Wohnraum kündbar. Eine Teilkündigung des Mietverhältnisses betreffend des Grundstücks Fl.Nr. 1617 ist bei einem einheitlichen Mietvertrag dagegen unzulässig (vgl. BGH NZM 2012, 78).
Entscheidend für die Abgrenzung, ob ein einheitliches Mietverhältnis besteht oder zwei rechtlich selbständige Verträge ist der Parteiwille (vgl. BeckOK BGB § 535 RdNr. 120 ff). In diesem Zusammenhang ist für den gem. §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden Parteiwillen zu berücksichtigen, dass die Nutzung des Grundstücks Fl.Nr. 1617 mit der dort befindlichen Vogelvoliere erst mehrere Jahre nach Abschluss des Wohnraummietvertrages im Jahre 1995 begann.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene schriftliche Mietvertrag enthält diesbezüglich keine Regelung, er wurde auch nicht im Nachhinein dahingehend abgeändert.
Auch sonst sind keinerlei Umstände gegeben die dafür sprechen würden, dass die für das Wohnraummietverhältnis getroffenen Regelungen auch für die auf dem Nachbargrundstück befindliche Vogelvoliere Geltung haben sollen. Insbesondere wurde kein zuzüglicher Mietzins für die Nutzung der Voliere auf dem Nachbargrundstück ausgewiesen.
Danach ist das zwischen den Parteien bestehende Nutzungsverhältnis hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. 1617 als Leihvertrag einzuordnen, sodass der Kläger seinen Rückgabeanspruch auf § 604 Abs. 2 bzw. Abs. 3 BGB stützen kann. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte im Rahmen der öffentlichen Sitzung vom 27.11.2019 zu Protokoll erklärt hat, dass er die Vogelzucht dort nicht mehr betreibt und er die ursprünglich dort befindlichen Vögel bis auf wenige Ausnahmen bereits weggegeben hat.
Die Berufung des Beklagten war daher ebenfalls zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, 101 Abs. 1, 2 Hs. ZPO.
IV.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
V.
Die Voraussetzung der Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die das Berufungsgericht auf der Grundlage vertretener und anerkannter Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur getroffen hat. Die Rechtssache besitzt so weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. 

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