Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens im Wohnungseigentumsrecht ohne Vorbefassung

Aktenzeichen  1 T 3421/17

Datum:
16.6.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133978
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 21 Abs. 5 Nr. 2, § 43 Nr. 3, § 48 Abs. 1
ZPO § 48 Abs. 1, § 485 Abs. 2, § 493

 

Leitsatz

1. Für die Zulässigkeit des Antrags eines Wohnungseigentümers im selbständigen Beweisverfahren gegen den Verwalter genügt es, dass ein Anspruch gegen ihn nicht evident ausgeschlossen ist. Einer Vorbefassung der Eigentümerversammlung mit dem Gegenstand der begehrten Beweisaufnahme bedarf es nicht. (Rn. 21 – 27) (Rn. 28 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Zulässigkeit des Antrags eines Wohnungseigentümers im selbständigen Beweisverfahren gegen die übrigen Eigentümer bedarf es wegen der Beiladungswirkung jedenfalls dann keiner Vorbefassung der Eigentümerversammlung, wenn sich der Antrag zugleich gegen den Verwalter richtet. (Rn. 36 – 41) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

80 H 15/16 WEG 2017-02-10 Bes AGFUERSTENFELDBRUCK AG Fürstenfeldbruck

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 10.02.2017, Az. 80 H 15/16 WEG, aufgehoben.
2. Das Amtsgericht wird angewiesen, einen Beschluss über die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den in der Antragsschrift vom 16.12.2016 zu Ziffer 1., 2., 3. 4. und 5. gestellten Beweisfragen einschließlich der Erweiterung zu 5.k) aus dem Schriftsatz vom 11.2.2017 zu erholen. Eine Bauteilöffnung ist in diesem Zusammenhangnichtgestattet.
3. Die Auswahl des Sachverständigen und die Entscheidung über die Einholung eines geeigneten Kostenvorschusses für den Sachverständigen obliegt dem Amtsgericht.
4. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Wohnungseigentümerin und bildet zusammen mit den Antragsgegnern zu 2 die WEG …, die von der Antragsgegnerin zu 1 verwaltet wird.
Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren beantragt die Antragstellerin, Sondereigentümerin der von ihr bewohnten Wohneinheit Nr. … im Wege der Beweissicherung ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen für Gebäudesanierung für Fragen einzuholen, die den ordnungsmäßigen Zustand des zu ihrer Wohnung gehörigen Balkons sowie mögliche Schäden am Balkon und in ihrer Wohnung aufgrund etwaiger fehlerhafter durch die WEG (vertreten durch die Antragsgegnerin zu 1) in Auftrag gegebenen Arbeiten am Balkon betreffen.
Hintergrund ist, dass die Antragstellerin Anfang 2016 der Antragsgegnerin zu 1) Rostschäden auf ihrem Balkon anzeigte. Die Antragsgegnerin zu 1 beauftragte daraufhin den Handwerker … mit der Sanierung des Balkons im September 2016 und in der Zeit vom 4. bis 7.10.2016.
Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin zu 1 zahlreiche Mängel dieser Arbeit am Gemeinschaftseigentum und dadurch verursachte Schäden an ihrem Sondereigentum mit und setzte mit Schreiben vom 17.10.2017 eine Frist bis 7.11.2016, im Rahmen ihrer Tätigkeit als Hausverwaltung die näher beschriebenen Schäden zu dokumentieren und beheben zu lassen. Die Antragsgegnerin zu 1 erwiderte mit Schreiben vom 21.10.2016 (Anl. ASt. 5), es handele sich im Wesentlichen um Vermutungen und nicht dargelegte Behauptungen, die von ihr nicht geteilt würden; sie hätte Herrn … gebeten, die bestehenden Mangelpunkte zu beseitigen und sich diesbezüglich bei der Antragstellerin anzukündigen.
§ 8 VIII GO lautet (Anlage AG 1): „Der Wohnungseigentümer hat die die Sondereigentumseinheiten abschließenden Türen und Fenster, Terrassen und Balkone und alle dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienenden Einrichtungen, sofern sie im Bereich des Sondereigentums liegen und infolge unsachgemäßer Behandlung durch den Eigentümer bzw. Berechtigten, seiner Angehörigen, seines Mieters usw.schadhaft geworden sind, auf seine Kosten instandzusetzen und instandzuhalten.“
Die Antragstellerin behauptet, der Handwerker habe bei den Arbeiten bis zum 7.10.2016 zahlreiche Beschädigungen am Balkon verursacht. Infolge der Beschädigung der Isolationsschicht und der Dampfsperre werde in großem Umfang Kälte über die Betonaußenfläche des Balkons in ihren Wohnraum eingeleitet. Das führe zu unerträglicher Bodenkälte und außerhalb der Heizperiode zu Schimmelbildung. Die Antragstellerin behauptet ferner, nach dem Schreiben der Antragsgegnerin zu 1 vom 21.10.2016 sei es zu keinen weiteren Maßnahmen etwa der Mangelbeseitigung mehr gekommen.
Die Antragstellerin hat zunächst beantragt:
Im Wege der Beweissicherung wird ohne mündliche Verhandlung ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen für Gebäudesanierung über folgende Fragen in Bezug auf den im Gemeinschaftseigentum der WEG „…“ stehenden Balkon, welcher zur im Sondereigentum der Antragstellerin stehenden Wohnung Nr. … (postalische Anschrift: …) gehört, eingeholt:
1.Wurden die Rostschäden am Balkon der Wohnung der Antragstellerin fachgerecht beseitigt?
2.Sind durch fehlerhafte Arbeiten am Balkon Kältebrücken oder andere nachteilige Folgen zu Lasten der Wohnung der Antragstellerin entstanden, etwa indem Isoliermaterial und Dampfsperren ersatzlos herausgerissen wurden?
3.Wirken sich diese neu entstandenen Kältebrücken oder sonstigen nachteiligen Folgen in technischer bzw. betriebstechnischer (z.B. erhöhter Heizbedarf) bzw. wertmindernd auf die Wohnung der Antragstellerin aus?
4.Führen diese Beschädigungen auch zu einer nicht unerheblichen Erhöhung der Luftfeuchtigkeit in der Wohnung der Antragstellern, sodass in Zukunft mit dem erhöhten Risiko von Schimmelbildung zu rechnen ist und zwar ausserhalb der Heizperiode bzw. wenn nicht im Übermaß Lufttrocknung durchgeführt wird?
5.Sind durch fehlerhafte Arbeiten am Balkon darüber hinaus folgende (und ggf. noch weitere) Schäden entstanden:
a)Planlose und durch die Balkon-Sanierungsmaßnahme nicht gebotene Abringung von Löchern sowie durch eine Vertretung (neu geschaffene Drainagerinne entlang der Balkontüre) sowie durch Silikonreste;
b)Entfernung der Abschlussleiste für drei bodentiefe. Fensterfronten und Rollläden;
c)Verstopfung/Zufugung der Luftanschlüsse der drei bodentiefen Fensterfronten;
d)Verbiegung bzw. Verkürzung der Rollladenschienen am unteren Ende, sodass diese wie auch der Rollladen selbst nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen bis zum Bodenanschluss bzw. bis zum Fenstersimsanschluss reicht und mithin ein lichtundurchlässiger Verschluss (vollständige Verdunklung der Wohnung) ausgeschlossen ist.
e)Beschädigung der Rollladenmechanik durch manuelles Hochschieben des Rollladens von außen;
f)Verbeulung der Verkleidung;
g)Beschädigung des Gümmiabschlusses des Rollladens auf der ganzen Länge;
h)Verschlußkappen für die Löcher in den braunen Metallprofilen fehlen:
i)Fehlen eines Stückes der Beschichtung an der braunen Fensterfront
j)Beschädigung eines Fensterrahmens durch Verwendung einer ätzenden Flüssigkeit
Die Antragsgegnerin zu 1 beantragt die Zurückweisung des Antrags. Sie sei nicht passiv legitimiert. Es sei nicht ersichtlich, welches Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1 bestehen und weiche Ansprüche die Antragstellerin glaubt, ihr gegenüber zu haben. Zudem sei für Instandsetzung und -haltung des Balkons nach § 8 VIII GO die Antragstellerin zuständig.
Die Antragsgegner zu 2 beantragen die Zurückweisung des Antrags, weil es an der erforderlichen Vorbefassung der Wohnungseigentümer fehle. Zudem sei für Instandsetzung und -haltung des Balkons nach § 8 VIII GO die Antragstellerin zuständig. Ein etwaiger Anspruch gem. § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG gegen die Antragsgegner zu 2 käme nur in Betracht, wenn sie Kenntnis von einem konkreten Instandsetzungsbedarf gehabt hätten und sich in einer Eigentümerversammlung mit dem Problem „vorbefassen“ hätten können. Die Pflicht zur Instandhaltung und -setzung des Gemeinschaftseigentums obliege der Gemeinschaft. Die übrigen Eigentümer seien nicht passiv legitimiert. Schuldner des Anspruchs sei nach § 21 Abs. 5 Nr. 2, § 27 Abs. 1 Nr. 3 WEG die Wohnungseigentümergemeinschaft, nicht die übrigen Eigentümer. Zudem bestreiten die Antragsgegner zu 2 das Vorliegen der „streitgegegenständlichen Mängel und den von der Antragstellerin vorgetragenen Sachverhalt mit Nichtwissen“.
Das Amtsgericht hat den Antrag gegen alle Antragsgegner mit Beschluss vom 10.2.2017 zurückgewiesen, weil es an der in Wohnungseigentumssachen erforderlichen Vorbefassung der Eigentümerversammlung fehle.
Mit am 14.2.2017 beim Amtsgericht eingegangene. Schriftsatz vom 11.2.2017 (Bl. 113/114) hat die Antragstellerin die Anträge unter 5. um folgenden Antrag erweitert:
k) Der Dampfausgleich der balkonseitigen Fensterrahmen wurde beschädigt bzw. wurde unzulässigerweise verschlossen mit der Folge, dass dadurch die Fensterscheiben zu erblinden beginnen.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.2.2017 zugestellten Beschluss haben die Antragsgegner zu 1. und zu 2. mit Schriftsatz vom 27.2.2017, eingegangen an diesem Tag beim Amtsgericht, sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 120/130) und verfolgen ihre Anträge, einschließlich des Antrags zu 5.k) weiter. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 28.2.2017 nicht abgeholfen und die Akte zur Entscheidung dem Landgericht München I vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist gegen die Ablehnung eines Antrags im selbständigen Beweisverfahren statthaft gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 490 Rn. 4) und wurde frist- und formgerecht eingelegt, § 568 ZPO.
Zulässig ist auch die erst nach der Entscheidung des Amtsgerichts erfolgte Antragserweiterung zu 5.k), da mit Rücksicht auf § 571 ZPO auch Antragserweiterungen in der Beschwerdeinstanz zulässig sind, solange sie – wie hier – einen hinreichenden Bezug zum Ausgangsverfahren aufweisen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 571 Rn. 3).
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegnerin zu 1, die Verwalterin der WEG, ist nach § 485 ff. ZPO zulässig. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind erfüllt.
a) In der Situation eines – wie hier – noch nicht anhängigen Rechtsstreits kann gem. § 485 Abs. 2 ZPO eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass 1. der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, oder 2. die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
b) Im Streitfall ist der Antrag der Antragstellerin als Wohnungseigentümerin gegenüber der Verwalterin darauf gerichtet, den Zustand einer Sache (Balkon, Dichtungen, Kältebrücken in ihre Wohnung, etc.) sowie die Ursache eines Sachschadens oder Sachmangels (schlechte Dichtungen, Kältebrücken, etc.) feststellen zu lassen. Voraussetzung des § 485 ZPO ist nicht, dass die behaupteten Sachschäden und Sachmängel auch tatsächlich vorliegen.
c) Das rechtliche Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO liegt nach Auffassung der Kammer vor.
aa) Nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO ist das rechtliche Interesse bereits dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Dieses Tatbestandsmerkmal ist vom Gesetzgeber bewusst sehr weit formuliert und wird von der Rechtsprechung auch so weit angewandt (vgl. Nachweise in Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 485 Rn. 7 a). Deshalb wird ein rechtliches Interesse nur dann verneint, wenn kein Rechtsverhältnis, kein möglicher Prozessgegner oder kein Anspruch ersichtlich ist wobei eine Schlüssigkeitsprüfung gerade nicht anzustellen ist (Zöller/Herget a.a.O.). Es kann sich nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, Beschluss, 16.9.2004 – III ZB 33/04, juris Rn. 5).
bb) Eine Situation, in der evident kein Anspruch gegenüber dem Verwalter bestehen kann, besteht im Streitfall indes nicht.
Zwar hat die Antragstellerin zur Begründung eines Anspruchs gegen den Verwalter bislang nicht hinreichend vorgetragen haben. Es ist insbesondere ungeklärt, was nach dem Schreiben der Verwalterin vom 21.10.2016 (Anlage ASt 5) weiter geschah, ob sich der Handwerker … für eine Mängelbeseitigung mit der Antragstellerin in Verbindung gesetzt hat und weshalb es in der Folge nicht zu weiteren Mängelbeseitigungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen kam. Die Schlüssigkeit eines Anspruchs wird für das rechtliche Interesse im selbständigen Beweisverfahren nach den vorstehenden Ausführungen und der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber gerade nicht gefordert.
Ein etwaiger Anspruch der Antragstellerin auf weiteres Tätigwerden der Verwalterin oder auf Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung ist nach Aktenlage – und nur hierauf kommt es an – nicht evident ausgeschlossen.
Den Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft treffen – mit Schutzwirkung auch für den einzelnen Sondereigentümer – zahlreiche Pflichten, bei deren Verletzung auch Schadensersatzansprüche ausgelöst werden können (vgl. statt aller Bärmann/Merle/Becker, WEG, 13, Aufl., § 27 Rn. 345). Soweit die Schadensersatzansprüche das Sondereigentum betreffen, stehen sie auch dem Sondereigentümer allein zur Ausübung zu (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2007 – VII ZR 236/05 – BGHZ 172, 42 Rn. 23).
Zu den Pflichten des Verwalters gehört es, sich grundsätzlich um Mängel am Gemeinschaftseigentum zu kümmern, den Bestand aufzunehmen, wenn ihm solche angezeigt werden, ggfs Instandsetzungs- und Instandhaltungsbedarf zu klären, im Umfang der eigenen Befugnis solche Maßnahmen in Auftrag zu geben, im Übrigen die Wohnungseigentümer darüber zu informieren und in sachgerechter zeitlicher Dimension eine Eigentümerversammlung einzuberufen, für die er die Abstimmung über Instandsetzungs- und Instandhaltungsbedarf sachgerecht vorzubereiten hat. Zudem hat er sich um die Geltendmachung und Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen gegenüber von ihm im Namen der Gemeinschaft beauftragter Unternehmer und Handwerker zu kümmern. Bei der Ausübung solcher Pflichten können Fehler unterlaufen, die zu einer Haftung des Verwalters führen können. Das kann hier derzeit nach Aktenlage nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ein Fall des § 8 Abs. 8 GO liegt hier – entgegen der Ansicht der Antragsgegner – ersichtlich nicht vor. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hier Schäden infolge unsachgemäßer Behandlung durch den Eigentümer bzw. Berechtigten bzw. seiner Angehörigen bzw. seines Mieters entstanden wären.
Vertiefter ist nach den vorstehenden Grundsätzen im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nicht in eine Anspruchsprüfung einzusteigen.
cc) Die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens gegen den Verwalter hängt auch nicht davon ab, ob die Eigentümer in der Versammlung bereits mit der Problematik befasst waren.
(1) Denn die Vorbefassung der Eigentümerversammlung ist grundsätzlich keine Voraussetzung für eine Haftung des Verwalters gegenüber einem Sondereigentümer.
(2) An die Verwalterin wendet sich die Klägerin hier auch nicht zum ersten Mal.
(3) Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil hier auch Schäden und Mängel am Gemeinschaftseigentum in Streit stehen und deshalb Aufgaben der gemeinschaftlichen Verwaltung betroffen sind, für die es grundsätzlich vor der Anrufung staatlicher Gerichte einer Befassung der Eigentümerversammlung bedürfe. Denn betroffen ist hier gleichwohl das Verhältnis zum Verwalter und nicht zu den übrigen.
(4) Auch der Umstand, dass damit eine etwaige Unzulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die übrigen Eigentümer mangels Vorbefassung (hierzu unten 2.) leicht umgangen werden könnte, indem das Verfahren auch gegen den Verwalter gerichtet wird, kann nach Auffassung der Kammer nicht entgegenstehen, solange nicht die – auch sonst geltende – Schwelle der evidenten Anspruchslosigkeit überschritten ist.
Die Gründe, die für die Unzulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens gegen die übrigen Wohnungseigentümer ohne Vorbefassung angeführt werden, insbesondere die Selbstentscheidungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft über Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen einschließlich der Schadensfeststellung, und die Treuepflichten in der Gemeinschaft, greifen nach Auffassung der Kammer nicht auf das Rechtsverhältnis der Wohnungseigentümer zum Verwalter über, der im Zusammenhang mit der Instandsetzung und Instandhaltung von Gemeinschaftseigentum möglicherweise Pflichten verletzt.
Denkbar wäre es zwar, in Konsequenz einer angenommen Unzulässigkeit gegen die Eigentümer aufgrund der Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts und zur Sicherung der Autonomie und des Kompetenzgefüges in der Wohnungseigentümergemeinschaft für das selbstständige Beweisverfahren gegen den Verwalter – anders als in sonstigen Verfahren – ausnahmsweise doch den schlüssigen Vortrag eines Anspruchs zu fordern. So könnte verhindert werden, dass im Wege des selbständigen Beweisverfahrens typische, nach dem gesetzlichen Konzept des WEG dem Verwalter und der Eigentümerversammlung obliegende Aufgaben der Instandhaltung und Instandsetzung von Gemeinschaftseigentum, nämlich die Schadensfeststellung und Ursachenklärung, auf Antrag eines Eigentümers durch gerichtlich eingesetzten Sachverständigen erledigt werden, ohne dass die vom gesetzlichen Konzept des WEG vorgesehenen WEG-internen Abläufe und Mittel ausgeschöpft worden wären.
Eine solche Ausnahme vom sonstigen Verständnis des rechtlichen Interesses in § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO entfernt sich aber zu weit vom Wortlaut und dem Zweck des selbständigen Beweisverfahrens. Nach Auffassung der Kammer rechtfertigen die Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts eine solche teleologische Einschränkung auch nicht. Der Kammer sind diverse Verfahren bekannt, in denen Ablehnung und Verweigerung eines Verwalters gegenüber mängelanzeigenden Wohnungseigentümern dazu führten, dass über lange Zeit nichts passierte und erst durch ein angestrengtes selbständiges Beweisverfahren etwas voranging.
2. Die Kammer sieht in der vorliegenden Konstellation auch die Voraussetzungen für den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegner zu 2 (die übrigen Wohnungseigentümer) als gegeben. Das Rechtsschutzbedürfnis oder das rechtliche Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO kann im Streitfall nicht deshalb abgelehnt werden, weil es an einer Vorbefassung der übrigen Wohnungseigentümer mit der Balkonproblematik fehlt.
a) Zwar mag es grundsätzlich in Betracht kommen, aufgrund der Sondersituation innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft und des Grundsatzes ihrer autonomen Entscheidungsbefugnisse für die Gegenstände gemeinschaftlicher Verwaltung und der erst subsidiären Entscheidungsberufung staatlicher Gerichte auch im selbständigen Beweisverfahren eine in anderen Verfahrensarten für § 485 ff. ZPO nicht existierende Grenze des Rechtsschutzbedürfnisses zu ziehen (in diesem Sinne: Beschluss des LG München I vom 17.11.2015 – 36 T 15903/15, AG Siegburg, Beschluss vom 23.11.2015 – 150 H 1/15, juris = BeckRS 2015 2094; AG München, Beschluss vom 31.1.2017 – 481 H 21666/16, AG München Beschluss vom 21.4.2016 – 482 H 738/16, m Anm. Rüscher; LG Stuttgart, Die Justiz 2000, 88; Elzer/Timmer, 1.3.2017, WEG, § 43 Rn. 259 d; a.A.: LG München I Beschluss vom 18.7.2016 – 1 T 7429/16 BeckRS 2016, 14258 m Anm. Bub, IMR 2016, 536; LG München I Beschluss vom 25.7.2016 und vom 5.10.2016 – 1 T 10029/17, IMR 2016 441).
Diese Erwägungen vermögen aber in der vorliegenden besonderen Sachkonstellation die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens auch gegenüber den übrigen Eigentümern nach Auffassung der Kammer nicht in Frage zu stellen.
Hier wären im Hinblick auf die Antragstellung gegen die Antragsgegnerin zu 1 (die Verwalterin), deren Antragstellung – wie oben ausgeführt – auch zulässig ist, die Antragsgegner zu 2 (die übrigen Eigentümer) beizuladen gem. § 48 Abs. 1, § 43 Nr. 3 WEG. Denn die Beiladungspflicht nach § 48 Abs. 1 WEG trifft nicht nur „klassische Rechtsstreitigkeiten“, sondern auch Verfahren, in denen es etwa um den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung oder um ein selbständiges Beweisverfahren geht (Bärmann/Roth, WEG, 13. Aufl., § 48 Rn. 4; Timme/Elzer, WEG, § 48 Rn. 20). Das Beweisergebnis wirkt dann nach § 493 Abs. 1 ZPO, § 48 Abs. 1 WEG analog auch für und wider die Beigeladenen (Bärmann/Roth, a.a.O.).
Das bedeutet, dass hier eine Bindung der Antragsgegner zu 2 (der übrigen Eigentümer) an das erholte Sachverständigengutachten ohnehin nicht verhindert werden kann und auch nicht von einer Vorbefassung abhängt.
Anders verhielte es sich, wenn man mangels Vorbefassung auch die Beiladung für unzulässig hielte. Aus Sicht der Kammer kann das Vorbefassungsgebot und die dahinterstehende Autonomie der WEG sowie die entsprechende Zurückhaltung staatlicher Gerichtsbarkeit nicht so weit gehen, dass die gesetzlich angeordnete Beiladung nach § 48 WEG einzuschränken wäre.
Dann kann es aber auch nicht gerechtfertigt sein, es der Antragstellerin wegen des Vorbefassungsverbotes zu verwehren, den Antrag auch direkt gegen die übrigen Eigentümer zu richten.
Damit ist auch für die Antragsgegner zu 2 kein Risiko größerer rechtlicher Nachteile verbunden als über die Beiladung: Die Bindungswirkung an das Gutachten ist keine andere. Auch hinsichtlich der Kostentragung ergeben sich keine Unterschiede. Denn die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens trägt grundsätzlich ohnehin der Antragsteller. Nur dann, wenn sich in einem anschließenden Hauptsacheprozess ein Anspruch bestätigt, kommt Kostentragung durch die Antragsgegner in Betracht. Dabei besteht bei den übrigen Wohnungseigentümern aber gerade die besondere Anspruchsvoraussetzung einer erfolglosen Vorbefassung. Denn die Wohnungseigentümer haften für unterbliebene oder verzögerte Instandhaltungs- und -setzungsmaßnahmen nur dann und auch nur in Person derjenigen, die schuldhaft entweder untätig geblieben sind oder gegen die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich enthalten haben (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2014 – V ZR 9/14 –, BGHZ 202, 375 Rn. 21). Das setzt aber überhaupt voraus, dass die Eigentümer mit der Problematik befasst waren. Für Umstände, die die Wohnungseigentümer nicht kannten und nicht kennen mussten, können sie nicht etwa wegen unterbliebener Beschlüsse in Anspruch genommen werden. Eine Zurechnung etwaiger Pflichtverletzungen des Verwalters findet in diesem Zusammenhang – anders als offenbar die Antragstellerseite meint – nicht statt, die Hausverwaltung nimmt ihre Verpflichtungen nach § 27 I WEG im Verhältnis zu den Wohnungseigentümern als eigene Aufgabe wahr (Vandenhouten in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 21 Rn 77). Es kommt allenfalls in Betracht, Verwalterverschulden der Wohnungseigentümergemeinschaft (und nicht die übrigen Eigentümer) zuzurechnen, wenn es um die Umsetzung eines – hier aber nicht vorhandenen – Eigentümerbeschlusses geht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2014 – V ZR 9/14 –, BGHZ 202, 375 Rn. 25).
Deshalb trägt derjenige Antragsteller, der ein selbständiges Beweisverfahren gegen die übrigen Wohnungseigentümer anstrengt, ohne diese vorher mit seiner Problematik auf dem üblichen wohnungseigentumsrechtlichen Weg in der Eigentümerversammlung befasst zu haben, ein ganz erhebliches Kostenrisiko. Unzulässig ist sein Antrag deshalb aber, jedenfalls in der vorliegenden besonderen Konstellation, nicht.
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO, § 100 ZPO.
2. Die Kammer lässt die Rechtsbeschwerde zur Frage zu, ob ein Wohnungseigentümer bei behaupteten Mängeln und/oder Schäden am Gemeinschaftseigentum mit behauptetem Folgeschaden in seinem Sondereigentum ohne Vorbefassung der Eigentümerversammlung ein selbständiges Beweisverfahren gegen den Verwalter und auch gegen die übrigen Eigentümer anstrengen kann. Die Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sie stellt sich in einer Vielzahl von im wesentlichen gleichgelagerten Fällen. In der aktuellen Gerichtspraxis werden im Bezirk des Oberlandesgerichts München vermehrt solche Anträge gestellt. Aus der veröffentlichten Rechtsprechung etwa des LG Stuttgart (Die Justiz 2000, 88) und des AG Siegburg (BeckRS 2015 2094) zeigt sich, dass es kein regionales Phänomen darstellt. Die Frage ist klärungsbedürftig, weil sie vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden ist und die bisher befassten Gerichte zu unterschiedlichen Entscheidungen gelangt sind. Die Frage ist im Verfahren auch entscheidungserheblich.
Der Umstand, dass sich die Anträge nicht nur gegen die übrigen Eigentümer, sondern auch gegen den Verwalter richten, führt nicht dazu, dass es sich um einen besonders gelagerten Einzelfall handeln würde. Denn die Möglichkeit, neben den übrigen Eigentümern den Verwalter als weiteren Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren heranzuziehen, bietet sich für nahezu alle selbständige Beweisanträge über behauptete Mängel/Schäden am Gemeinschaftseigentum mit Folgeschaden am Sondereigentum.

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