Aktenzeichen 15 W (pat) 9/13
§ 4 PatG
§ 21 PatG
§ 34 Abs 3 PatG
§ 34 Abs 3 Nr 3 PatG
§ 47 Abs 1 PatG
Leitsatz
Polyurethanschaum
Der Sinngehalt der Merkmale von Patentansprüchen ist auch im Prüfungsverfahren aus der Sicht des zuständigen Fachmanns auszulegen. Sofern das zur Auslegung notwendige Wissen keinen oder nur unvollständigen Eingang in die Patentanmeldung gefunden hat, ist es durch die Prüfungsstelle zu ermitteln und gegebenenfalls zu dokumentieren, um den beanspruchten Gegenstand in nachvollziehbarer Weise für die sich anschließende Prüfung auf Patentfähigkeit festzulegen.
Verfahrensgang
vorgehend BPatG München, 29. Oktober 2014, Az: 15 W (pat) 9/13, Beschluss
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2010 007 713.5
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 24. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein und der Richter Heimen, Dr. Wismeth und Dr. Freudenreich
beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse C 08 L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. Januar 2013 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung über die Patentanmeldung DE 10 2010 007 713.5 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Am 12. Februar 2010 ist beim Deutschen Patent- und Markenamt die die Innere Priorität der DE 10 2009 016 632.7 vom 1. April 2009 in Anspruch nehmende Patentanmeldung mit der Bezeichnung
2
„Polyurethanschaum zur thermalen Isolation bei Tiefsttemperaturen“
3
eingereicht worden, welche am 7. Oktober 2010 als DE 10 2010 007 713 A1 offengelegt worden ist.
4
Mit in der Anhörung vom 30. Januar 2013 verkündeten Beschluss (die Begründung des Beschlusses datiert vom 4. Februar 2013) hat die Prüfungsstelle für Klasse C 08 L des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung wegen fehlender Patentfähigkeit nach § 48 PatG zurückgewiesen.
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Dem Beschluss liegt der in der Anhörung vom 30. Januar 2013 vorgelegte Anspruchssatz mit den Patentansprüchen 1 bis 4 und 6 zugrunde. Der einzige unabhängige Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
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6
Die Zurückweisung der Patentanmeldung ist unter Verweis auf § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG damit begründet worden, dass im geltenden Patentanspruch 1 nicht klar und deutlich angegeben sei, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll.
7
Im Einzelnen sei die Formulierung in Patentanspruch 1 „wobei der Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix des Polyurethanschaums zwischen 70 und 85 Gewichtsprozent beträgt“, welche offensichtlich ein entscheidendes Merkmal gegenüber dem Stand der Technik darstelle, missverständlich und damit unklar, da in der gesamten Anmeldung nicht offenbart sei, was mit „Urethan“, „Ester“ und „aromatischen Ringen“ gemeint sei und wie dieser Gewichtsanteil berechnet bzw. ermittelt werde. Falls unter „Urethan“ der gesamte Polyurethanschaum verstanden werden solle, dann sollte der Gewichtsanteil 100% betragen. Falls nur die Urethangruppen (-N-CO-O-) und die Estergruppen (-O-CO-) sowie die aromatischen Ringe (vermutlich aus dem aromatischen Polyester-Polyol) gemeint seien, dann sei deren Anteil an der Gesamtmasse der Polymermatrix angesichts der eingesetzten Edukte viel zu niedrig, als dass ein Gewichtsanteil von 70% oder mehr resultieren könne. Die Bestimmung eines Gewichtsanteils sei für den Fachmann aufgrund fehlender Angaben somit nicht möglich.
8
Analoges gelte für die Formulierung „das Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit zwischen 500 und 700 liegt“. Auch dieses offensichtlich entscheidende Merkmal sei gegenüber dem Stand der Technik missverständlich und damit unklar, da aus der gesamten Anmeldung nicht hervorgehe, wie der Begriff „Verzweigungseinheit“ definiert sei. Da in der Polymermatrix sowohl das als Präpolymer eingesetzte Polyisocyanat als auch das Polyether-Polyol als Verzweigungspunkte dienen könnten, seien sowohl die chemische Struktur des Verzweigungsursprungs als auch die räumliche Abgrenzung der „Verzweigungseinheit“ gegenüber der gesamten Polymermatrix undefiniert. Eine Angabe eines Molekulargewichts sei für den Fachmann ohne diese Angaben ausgeschlossen.
9
Patentanspruch 1 lasse somit nicht zweifelsfrei erkennen, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden solle, und mache es der Öffentlichkeit zudem nicht möglich, zu erkennen, ob ein vorliegender Polyurethanschaum in den Schutzbereich der vorliegenden Anmeldung falle. Hierzu verweist die Prüfungsstelle auf die Entscheidung BGH GRUR 1979, 461 – „Farbbildröhre“, wonach die Formulierung der Patentansprüche im Interesse der Rechtsicherheit geeignet sein müsse, den Anmeldungsgegenstand eindeutig zu kennzeichnen und vom Stand der Technik abzugrenzen.
10
Auch die Angabe der beiden unklaren Merkmale in der Tabelle 1 (Fig. 1) als Polymermatrix-Parameter zu den Beispielen 1 bis 7 und die Bezeichnung „Mc“ für das Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit änderten an der mangelnden Klarheit dieser Merkmale nichts, da es an Erläuterungen bezüglich der Definition der Begriffe bzw. der praktischen Bestimmung der Merkmale fehle.
11
Weiter hat die Prüfungsstelle festgestellt, dass keine Bedenken gegen die ausreichende Offenbarung der Gegenstände der Patentansprüche bestehen. Die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Anmeldegegenstands hat sie offen gelassen.
12
Mit Schriftsatz vom 1. März 2013, beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen am 2. März 2013, hat die Patentanmelderin Beschwerde gegen den ihr am 7. Februar 2013 zugestellten Zurückweisungsbeschluss eingelegt.
13
Eine im Beschwerdeschreiben angekündigte Begründung der Beschwerde ist nicht eingereicht worden, so dass die Patentanmelderin ihr Patentbegehren mit dem Anspruchssatz vom 30. Januar 2013 verteidigt.
14
Die Anmelderin stellt mit Schriftsatz vom 1. März 2013 sinngemäß den Antrag,
15
den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. Februar aufzuheben und ein Patent mit Patentansprüchen 1 bis 4 und 6 vom 30. Januar 2013, den Beschreibungsseiten 1 bis 9 vom 23. Januar 2013 sowie den Figuren 1 bis 3 gemäß Anmeldetag zu erteilen.
II.
16
Der Senat hat am 29. Oktober 2014 durch Beschluss der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes den Beitritt zum Verfahren anheimgegeben.
17
In dem Beschluss hat der Senat die Frage der Auslegung des § 34 PatG, im Besonderen des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG aufgeworfen. In dieser Vorschrift fänden sich neben Formvorschriften wie § 34 Abs. 1 (Anmeldeerfordernis) auch materiell rechtliche Regelungen wie § 34 Abs. 4 (Ausführbarkeit).
18
Nicht geklärt sei der Regelungsgehalt des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG, auf den die Prüfungsstelle ihre Zurückweisungsentscheidung im Hinblick auf von ihr als „missverständlich und unklar“ bezeichnete Merkmale des Hauptanspruchs gestützt habe.
19
Die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts ist dem Verfahren beigetreten und hat unter anderem zu der vom Senat im Beschluss vom 29. Oktober 2014 aufgeworfenen Frage Stellung genommen. Sie bestätigt den Senat in der Auffassung, dass die Frage der Auslegung des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG in der jüngeren Rechtsprechung des Bundespatentgerichts umstritten sei, wobei sie davon ausgehe, dass im Rahmen des Prüfungsverfahrens die beantragten Patentansprüche unter Heranziehen der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen seien, um den Gegenstand des beantragten Patents zu ermitteln. Auch der angegriffene Zurückweisungsbeschluss wende diesen Maßstab an. So nehme dieser eine Auslegung des Patentanspruches 1 vor und ziehe dabei die „gesamte Anmeldung“ heran.
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Entscheidend sei die grundsätzliche Rechtsfrage, ob eine Patentanmeldung aufgrund eines Patentanspruchs, der trotz einer Auslegung unter Heranziehung der Beschreibung sowie der Zeichnungen unklar oder unverständlich ist, nach § 48 PatG in Verbindung mit § 45 Abs. 1, § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG zurückgewiesen werden darf, weil nur dann die Anforderung des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG, wonach eine Patentanmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten muss, in denen angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll, erfüllt sei, wenn die Patentansprüche klar und verständlich sind. Dafür sprächen ihrer Meinung nach die Regelungen gemäß § 14 PatG, wonach der Schutzbereich des Patentes und der Patentanmeldung durch die Patentansprüche bestimmt sei und sich Außenstehende darauf verlassen können müssen, dass die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung vollständig umschrieben ist. Dies gelte aus Gründen der Rechtssicherheit für eine Auslegung des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG, nach welcher der Patentanspruch klar und verständlich sein müsse. Da dem erteilten Patentanspruch auch ein Rechtsnormcharakter zukomme, ergebe sich dies auch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit. Gemäß der im § 21 Abs. 1 PatG enthaltenen abschließenden Aufzählung der Widerrufsgründe, die im Rahmen von Einspruchsverfahren und Nichtigkeitsklagen Anwendung findet, stelle die mangelnde Klarheit eines Patentanspruches keinen Widerrufsgrund dar, weshalb die Gewährleistung der Klarheit der Patentansprüche nur im Patenterteilungsverfahren erfolgen könne. Diese Aufgabe könne das DPMA nur erfüllen, wenn es Anmeldungen, die auf unklaren und undeutlichen Patentansprüchen beruhen, zurückweisen darf, sofern sich der Anmelder auf diese Fassung des jeweiligen Patentanspruches festgelegt habe.
21
Gegen eine Auslegung, dass die Anforderungen des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG nur dann erfüllt seien, wenn die Patentansprüche klar und verständlich sind, könne nach ihrer Auffassung bei einer systematischen Auslegung des § 34 PatG sprechen, dass dieser anders § 34 Abs. 3 Nr. 2 PatG keinen Wortlaut, wonach die Erfindung kurz und genau zu bezeichnen ist, enthält. Ihrer Ansicht nach spreche die Gesetzgebungsgeschichte gegen diese streng am Wortlaut orientierte Auslegung, da es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass der historische Gesetzgeber bei der Einfügung des Erfordernisses von Patentansprüchen bewusst auf eine Formulierung verzichtet habe, wonach die Patentansprüche „klar“ zu formulieren seien.
22
Ein Vergleich des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG mit der Regelung des Art. 84 EPÜ erscheine aufgrund des voneinander abweichenden Wortlauts der beiden Normen wenig hilfreich.
23
Im vorliegenden Fall ist die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts der Auffassung, der geltende Patentanspruch 1 lasse nicht klar, deutlich und zweifelsfrei erkennen, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll. Das von der Prüfungsstelle als missverständlich und damit unklar beanstandete Merkmal „Der Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix des Polyurethanschaums beträgt zwischen 70 und 85 Gewichtsprozent“ ermögliche dem Fachmann aufgrund fehlender Angaben auch durch Auslegung keine Berechnung bzw. Ermittlung desselben. Hieraus resultiere eine Rechtsunsicherheit bezüglich des Schutzbereichs. Wenn der Fachmann nämlich durch die Angaben in der Anmeldung (besser gesagt: durch die fehlenden Angaben in der Anmeldung) und sein Fachwissen nicht in die Lage versetzt werde, ein Anspruchsmerkmal exakt nachzuvollziehen und korrekt auszurechnen, kann er auch nicht exakt feststellen, was Gegenstand des Patents ist und ob ähnliche bzw. gattungsgemäße Gegenstände unter den Schutzbereich des Patentanspruchs 1 fallen oder nicht, wonach im vorliegenden Fall der Zurückweisungsbeschluss eine den Anforderungen des § 47 Abs. 1 PatG genügende Begründung enthalte.
III.
24
1. Die Beschwerde der Patentanmelderin ist zulässig und hat auch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Anmeldung an das Deutsche Patent- und Markenamt.
25
2. Die Patentanmeldung vom Anmeldetag ist gemäß der Beschreibung (vgl. Offenlegungsschrift, Abs. [0001]) auf einen Polyurethanschaum zur thermalen Isolation bei Tiefsttemperaturen, hergestellt durch eine Reaktion von Polyisocyanat und Polyolen, die mindestens zwei aktive Wasserstoffatome enthalten, einem Kettenverlängerer, einem Treibmittel, einem Schaumstabilisator und Katalysatoren und auf dessen Verwendung gerichtet.
26
Weiter ist in der Beschreibung (vgl. Abs. [0004] – [0007]) ausgeführt, dass bei der Verwendung von Polyurethanschäumen (PUR) für die thermische Isolierung von Flüssiggas-Tanks wegen der unterschiedlichen Ausdehungskoeffizienten des Isoliermaterials und des Wandmaterials des Tanks thermische Spannungen resultieren, die zu Verformungen und Rissen im Isoliermaterial führen können. Insbesondere bei Anwendungen in der Raumfahrt sind besondere Eigenschaften des Isolationsmaterials, wie eine hohe Druckfestigkeit, ein hoher Widerstand gegen thermische Dehnungen und zugleich eine hohe Isolationswirkung bei einem Minimum an Masse gefordert.
27
Zum Stand der Technik verweist die Beschreibung auf in den Druckschriften FR 27 87 796 B1, KR 1020000010023 A, JP 2000063477 A und US 38 95 146 A beschriebene Schäume (Offenlegungsschrift: Absätze [0007] und [0008]), deren Eignung zu Lagerung von Flüssiggas, insbesondere von Flüssigwasserstoff fraglich erscheine.
28
Gemäß Beschreibung liegt der Anmeldung daher die Aufgabe zugrunde, einen Polyurethanschaum der eingangs genannten Art bereitzustellen, der eine Verwendung des gemäß diesem Verfahren hergestellten Werkstoffs als Tieftemperatur-Innenisolierung von Tanks für den Transport und die Lagerung von Kryoflüssigkeiten ermöglicht, wobei es sich bei diesen Flüssigkeiten hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, um flüssigen Wasserstoff (LH2) handelt. Die makroskopischen Eigenschaften des nach diesem Verfahren hergestellten Polyurethanschaums sollen gleichzeitig die oben beschriebenen Anforderungen erfüllen. Insbesondere soll er eine hohe Beständigkeit gegenüber Verformungen, die als Folge von thermischen Spannungen beim Befüllen des Tanks mit LH2 auftreten können, sowie eine hohe Bruchdehnung unter Zugbeanspruchung, eine hohe Druckfestigkeit sowohl bei Umgebungstemperaturen als auch bei 77 K bei gleichzeitig möglichst geringer Dichte aufweisen (Offenlegungsschrift: Absatz [0009]).
29
Diese Aufgabe wird nunmehr gemäß geltendem Patentanspruch 1 durch einen Tank gelöst, der nach Merkmalen gegliedert den folgenden Wortlaut hat:
30
M1 Tank mit einer Tieftemperatur-Innenisolierung aus einem Polyurethanschaum,
31
M1.1 wobei der Polyurethanschaum einen Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen enthält,
32
M1.2 wobei der Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix des Polyurethanschaums 70 bis 85 Gewichtsprozent beträgt,
33
M1.3 wobei der Polyurethanschaum durch eine Reaktion von Polyisocyanat mit einer Polyolmischung hergestellt wird,
34
M1.4 mit einem Treibmittel,
35
M1.5 mit einem Schaumstabilisator,
36
M1.6 mit Katalysatoren,
37
M1.7 wobei das Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit zwischen 500 und 700 liegt,
38
M2.1 wobei die aus Polyolen mit wenigstens zwei aktiven Wasserstoffatomen bestehende Polyolmischung umfasst
39
M2.2 15 bis 45 Gewichtsprozent eines Kettenverlängerers mit der Funktionalität 2,
40
M2.3 25 bis 45 Gewichtsprozent eines aromatischen Strukturpolyester-Polyols mit einem OH-Wert zwischen 200 und 280 mg KOH/g mit der Funktionalität 2.0,
41
M2.4 Polyether-Polyol
42
M2.4.1 mit einem Polyether-Polyol, das durch Polyaddition von Propylenoxid und Ethylenoxid zu Sorbit oder Saccharose hergestellt wird,
43
M2.5 die Summe der Komponenten aus M2.2 bis M2.4 beträgt 100 Gewichtsprozent,
44
M3.1 die Funktionalität des Polyisocyanats liegt zwischen 2,1 und 2,9.
45
3. Die Merkmale M1 bis M3.1 der geltenden Anspruchsfassung gehen in zulässiger Weise aus den Unterlagen vom Anmeldetag hervor, da sie sich auf die Patentansprüche 1, 2 und 7 in Verbindung mit Seite 5, 3. Absatz, erster Satz und Seite 6, 2. Absatz der Unterlagen vom Anmeldetag zurückführen lassen. Nach Patentanspruch 2 vom Anmeldetag werden als Polyolmischung Mischungen aus Kettenverlängerer (Merkmal M2.2) und Strukturpolyester-Polyolen (Merkmal M2.3) genannt. Zu den Polyolen zählen aber auch die auf Seite 6, 2. Absatz und in den Beispielen 1 bis 5 der Anmeldeunterlagen als Bestandteil der für sich 100 Gew.-% bildenden Polyol-Mischung genannten Polyether-Polyole (Merkmalsgruppe M2.4), welche deshalb in der Merkmalsgruppe 2 in zulässiger Weise aufgezählt werden. Die Merkmale der Unteransprüche 2 bis 4 und 6 finden ihre Stütze in den Unteransprüchen 3 bis 5 und 8 vom Anmeldetag.
46
4. Für die Beurteilung der Patentfähigkeit wurden von der Prüfungsstelle für Klasse C 08 L des Deutschen Patent- und Markenamts die Druckschriften D1 bis D4 ermittelt, von denen die Druckschrift D1 bereits in den Anmeldeunterlagen der Voranmeldung als Stand der Technik genannt ist, während die Druckschriften D2 bis D4 das Ergebnis der vom Deutschen Patent- und Markenamt durchgeführten Recherche zum Stand der Technik bei der prioritätsbegründenden Patentanmeldung bilden.
47
D1 FR 2 787 796 A1
48
D2 KR 1020000010023 A
49
D3 JP 2000063477 A
50
D4 US 3 895 146 A
51
Zur Berechnung des Anteils Urethan, Ester und aromatische Ringe in der Polymermatrix (UEA-Anteil; Merkmal M1.2) werden die im Rahmen einer Recherche durch den Senat aufgefundenen Druckschriften D5 bis D7 herangezogen:
52
D5 BASF: Lupraphen® – Product Overview. URL: http://www.polyurethanes.basf.de/pu/solutions/en/content/productbrand/lupraphen [abgerufen am 17.09.2014].
53
D6 VITKAUSKIENE, Irena et al.: Thermal Properties of Polyurethane-Polyisocyanurate Foams Based on Poly(ethylene terephthalate) Waste. In: Materials Schience (Medziagotyra), Vol. 17, No. 3, 2011, S. 249-253. ISSN 1392-1320.
54
D7 BASF Polyurethanes GmbH Lupranat® M70R. Technisches Merkblatt. Lemförde, Stand 01.14. URL: http://www.polyurethanes.basf.de/pu/solutions/de/function/conversions:/publish/content/group/Arbeitsgebiete_und_Produkte/Grundprodukte/lupranat/Lupranat_M70R.pdf [abgerufen am 17.09.2014].
55
Zum Merkmal „Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit“ (Merkmal M1.7) sind im Rahmen einer Recherche durch den Senat die Druckschriften D8 bis D10 ermittelt geworden:
56
D8 DE 102 57 396 A1
57
D9 FLORY, Paul J.: Molecular Theory of Rubber Elasticity. In: Polymer Journal, Vol. 17 , No. 1, 1985, S. 1-12.
58
D10 US 7 175 915 B2
59
5. Zur Klarheit und zur Ausführbarkeit
60
Gemäß der Beschreibung vom Anmeldetag weisen die erfindungsgemäßen Polyurethanschäume zwei die zugrunde liegende Aufgabe lösende und damit erfindungswesentliche Merkmale auf (Anmeldeunterlagen: Seite 6, 1. Absatz bzw. Absatz [0010] der Offenlegungsschrift), nämlich einen Anteil von Urethan, Ester und aromatischen Ringen (UEA-Anteil) in der Polymermatrix von 70 bis 85 Gewichtsprozent (Merkmal M1.2) und ein Molekulargewicht zwischen 500 und 700 pro Verzweigungseinheit (Merkmal M1.7). Diese Merkmale bedürfen der Auslegung, denn für die Prüfung, ob der Patentanspruch patentfähig ist, ist es grundsätzlich erforderlich, dass zunächst sein Gegenstand ermittelt wird, indem der Patentanspruch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen aus der Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ausgelegt wird. Für die Prüfung der Patentfähigkeit im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren gilt dies ebenso wie für das Nichtigkeitsverfahren (BGH, Urt. v. 07.11.2000, Az. X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 – Brieflocher) und den Verletzungsprozess (BGHZ 159, 221, 226 – Drehzahlermittlung). Erst wenn diese Auslegung erfolgt ist, steht der Gegenstand der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2007, Az. X ZB 9/06, GRUR 2007, 859 Rz. 13 – Informationsübermittlungsverfahren I).
61
In der Beschreibung vom Anmeldetag ist zu diesen Merkmalen ausgeführt (Anmeldeunterlagen: Seite 11, zweiter Absatz, erster Satz), dass die Spannungs-Dehnungs-Eigenschaften von PUR-Schäumen vor allem von ihren Polymermatrix-Parametern abhängen, d. h. vom Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit (Mc) und vom Gehalt an Urethan, Ester und aromatischen Ringen. Bei herkömmlichen PUR-Hartschaumstoffen liegen die Mc-Werte gewöhnlich im Bereich von 300 bis 500 und der Gehalt an Urethan, Ester und aromatischen Ringen unter 70 Gewichtsprozent (Beschreibung vom Anmeldetag, Seite 11, 2. Absatz, dritter Satz), was mit dort beschriebenen Nachteilen verbunden ist. Erfindungsgemäß liegt der Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen jedoch bei 70 bis 85 Gew.-% (Merkmal M1.2) und das Molekulargewicht (Mc-Wert) der Verzweigungseinheiten bei 500 bis 700 (Merkmal M1.7). Eine Zuordnung des Mc-Wertes zum Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit findet sich weder als Merkmal des geltenden Patentanspruchs 1 noch sind die das Fachwissen des Fachmanns betreffenden Ausführungen in der Beschreibung durch druckschriftliche Nachweise gestützt.
62
In den Unterlagen vom Anmeldetag sind auch experimentelle Befunde beschrieben, die herausragende Druck- und Zugeigenschaften bei den die Anforderungen der Merkmale M1.2 und M1.7 erfüllenden PUR-Schäumen belegen (Anmeldeunterlagen, Tabelle 1 in Figur 1 und Tabelle 2 in Figur 2: Materialien 1 bis 5 im Vergleich zu den nicht erfindungsgemäßen Materialien 6 und 7).
63
5.1 Zum Anteil von Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix (UEA-Anteil; Merkmal M1.2)
64
Die Auffassung der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts, dass bei dem geltenden Patentanspruch 1 nicht klar, deutlich und zweifelsfrei zu erkennen sei, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll, da das von der Prüfungsstelle als missverständlich und damit unklar beanstandete Merkmal „Der Anteil an Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix des Polyurethanschaums beträgt zwischen 70 und 85 Gewichtsprozent“ (Merkmal M1.2) dem Fachmann aufgrund fehlender Angaben auch durch Auslegung keine Berechnung bzw. Ermittlung desselben ermögliche, hält nach Meinung des Senats einer näheren Überprüfung nicht stand.
65
Zunächst ist im Wege der (auch) im Erteilungsverfahren gebotenen Auslegung (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2007, Az. X ZB 9/06, a. a. O.) die Frage zu klären, ob der Fachmann ausgehend von Edukten, wie sie bereits bevorzugt in der Patentanmeldung genannt sind, zu den erfindungsgemäßen Polyurethanen gelangt, die den beanspruchten Anteil von 70 bis 85 Gewichtsprozent Urethan, Ester und aromatischen Ringen in der Polymermatrix aufweisen
66
.Wegen der dreidimensional vernetzten Ausbildung der Polymermatrix kann der Fachmann bei den Begriffen Urethan, Ester und aromatische Ringe nur die in der Matrix auftretenden strukturellen Einheiten verstehen. Damit ergeben sich als „Ester“ zweifach mit organischen Resten substituierte COO-Gruppen mit Molekulargewicht 44, als „Urethane“ zweifach mit organischen Resten substituierte NHCOO-Gruppen mit Molekulargewicht 59 und als „aromatische Ringe“ die üblicherweise in den eingesetzten Polyisocyanaten oder Strukturpolyester-Polyolen auftretenden C6H4-Phenylene mit Molekulargewicht 76, die gegebenenfalls substituiert sein können. Da weitere diesbezügliche Angaben in der Patentanmeldung fehlen, können die Substituenten den aromatischen Ringen zugerechnet werden, womit sich deren Molekulargewicht und damit deren Anteil in der Polymermatrix erhöht. Im Sinne einer strengen Auslegung wird im vorliegenden Fall beim Auftreten eines monosubstituierten Phenylens nur die Struktureinheit C6H3 gerechnet.
67
Die Prüfungsstelle für C 08 L zieht in der Begründung ihres Zurückweisungsbeschlusses vom 4. Februar 2013 gleichermaßen diese Strukturmerkmale in Betracht, kommt aber zu dem Schluss, dass deren Anteil an der Gesamtmasse der Polymermatrix angesichts der eingesetzten Edukte viel zu niedrig sei, als dass ein Gewichtsanteil von 70 % oder mehr resultieren könne (Zurückweisungsbeschluss: Seite 3, Punkt II., vorletzter Absatz).
68
Die Erreichbarkeit des beanspruchten Gehaltes an Urethan, Ester und aromatischen Ringen (UEA-Anteil) sei nachfolgend beispielhaft anhand der in der Patentanmeldung verwendeten Edukte gezeigt.
69
Nach Merkmal M2.2, nach Unteranspruch 3 und nach den Ausführungsbeispielen kann es sich bei dem Kettenverlängerer um Diethylenglycol handeln, dessen Anteil in der Polyolmischung mindestens 15 Gewichtsprozent beträgt. Diethylenglycol hat ein Molekulargewicht MG von 106 und besitzt 2 Hydroxylgruppen (MG 17), die mit dem Isocyanat zu Urethangruppen reagieren. Die Bisethylenoxygruppe des Moleküls (MG 72) bildet im Polymer weder ein Urethan, noch einen Ester, noch aromatische Ringe aus. Somit liegt der UEA-Anteil beim Edukt Diethylenglycol wegen der zwei Hydroxylgruppen bei (2*17/106 =) 32,1 Gew.-%. Werden beispielsweise 15 g Diethylenglycol eingesetzt, beträgt deren UEA-Anteil in der Polymermatrix 4,81 g.
70
Nach Merkmal M2.3 und den Ausführungsbeispielen kann es sich bei dem Strukturpolyester-Polyol um Lupraphen 8007® handeln, das auf Terephthalsäure basiert, bifunktionell ist und ein Molekulargewicht von 470 hat (gutachtlich des nachveröffentlichten Datenblattes zur Lupraphen®-Produktreihe (D5) und der wissenschaftlichen Publikation (D6): Seite 250, linke Spalte, erster Absatz). Dies entspricht unabhängig von den die Dicarbonsäuren über Esterbindungen verknüpfenden (Ether)-Polyolen, einem Polyesterpolyol mit dem Strukturfragment von mindestens 2 aromatischen Dicarbonsäuren (OOC-C6H4-COO; MG 164), welche zusammen mit den zwei freien Hydroxylgruppen einen UEA-Anteil von (2*164+2*17)/470 =) 77,0 Gew.-% bilden. Werden nach Merkmal M2.3 beispielsweise 45 g Lupraphen 8007® eingesetzt, beträgt deren UEA-Anteil in der Polymermatrix 34,66 g.
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Nach den Merkmalen M2.4, M2.4.1 und M2.5 sowie den Ausführungsbeispielen muss das Polyether-Polyol zumindest teilweise das Additionsprodukt von Propylenoxid und Ethylenoxid an Sorbit oder Saccharose darstellen, wobei sich die drei Arten Polyole zu 100 Gewichtsprozent ergänzen. Das Additionsprodukt von je zwei Äquivalenten Ethylenoxid (MG 44) und Propylenoxid (MG 58) an Saccharose (MG 342) liefert ein Polyether-Polyol mit einem Molekulargewicht von 546.
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Saccharose (Quelle: Wikipedia)
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Saccharose besitzt 8 Hydroxylgruppen, wonach der Anteil der urethangruppenbildenden Hydroxylgruppen (UEA-Anteil) in diesem Molekul (8*17/546 =) 24,9 Gew.-% beträgt. Werden entsprechend Merkmal M2.5 40 g des Adduktes eingesetzt, beträgt deren UEA-Anteil in der Polymermatrix 9,96 g. Der UEA-Anteil lässt sich durch Addition geringerer oder höherer Mengen Ethylenoxid oder Propylenoxid über weite Bereiche variieren.
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Das vorliegende Polyolgemisch bestehend aus 15 g Diethylenglycol (difunktionell, 0,283 Mol Hydroxylgruppen), 45 g Lupraphen 8007® (difunktionell, 0,191 Mol Hydroxylgruppen) und 40 g saccharidbasiertem Polyether-Polyol (oktafunktionell, 0,586 Mol Hydroxylgruppen) enthält in der Summe 1,060 Mol Hydroxylgruppen, die zur Urethanbildung mit mindestens einem Äquivalent Isocyanatgruppen umgesetzt werden müssen.
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Bei der Polyisocyanatkomponente (Merkmal M3.1) mit einer Funktionalität von 2,1 bis 2,9 wird der Fachmann auf aromatische Polyisocyanate wie geläufige (D1: Patentanspruch 1(2); D6: Absatz [0034]) polymere Diphenylmethandiisocyanate (MDI) oder polymere Toluylendiisocyanate (TDI) zurückgreifen, da nur diese aromatische Ringe und Isocyanatgruppen in ausreichend hoher Konzentration aufweisen, um den geringeren UEA-Anteil aus der Polyolmischung zu kompensieren.
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Lupranat® M 70 der BASF SE beispielsweise stellt ein derartiges polymeres MDI mit einer Funktionalität von 2,9 (Merkmal M3.1) dar, das aus höherfunktionellen Oligomeren und Isomeren besteht und einen NCO-Gehalt (MG 42) von 31,4 g/100g, also 0,748 Mol NCO/100 g, aufweist (Produktdatenblatt D7). Werden die Methylengruppen (MG 14) als dem aromatischen Ring nicht zugehörig herausgerechnet, liegt ihr Anteil bei etwa 7% (im Fall des trimeren MDI ergeben sich (2*14)/381=7,35%) und der UEA-Anteil des Polyisocyanats bei 93 Gew.-% (gleichermaßen kann die Methylengruppe als Substituent am Aromaten aufgefasst werden, wonach der UEA-Anteil 100% ausmacht).
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79
Beispiel für ein MDI-Polymer (Quelle: Druckschrift D1)
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Zur quantitativen Reaktion der 1,060 Mol Hydroxylgruppen müssen mindestens 141,7 g Lupranat® M 70 (1,060 Mol Isocyanat) mit einem UEA-Anteil von 131,8 g umgesetzt werden. Die Gewichtsanteile der Polyole und des Polyisocyanats ergänzen sich zu 15 g + 45 g + 40 g + 141,7 g = 241,7 g mit einem UEA-Anteil von 4,81 g + 34,66 g + 9,96 g + 131,8 g = 181,23 g entsprechend 75 Gew.-% und liegen innerhalb des nach Merkmal M1.2 beanspruchten Bereiches.
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In diesem Beispiel liegt das Verhältnis von dem in der Hauptsache aromatische Ringe und Urethangruppen beitragenden Polyisocyanat zum eingesetzten Polyolgemisch mit 1,42 am unteren Ende der in der Patentanmeldung beispielhaft genannten Zusammensetzungen (Anmeldeunterlagen: Tabelle 1, Zusammensetzungen 3 oder 4), bei welchen das Polyisocyanat/Polyol-Gewichtsverhältnis bis zu 1,67 beträgt (Anmeldeunterlagen: Tabelle 1, Zusammensetzung 1).
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Der Fachmann kann somit bei strenger Beschränkung auf COO-, NHCOO- und C6H4 /C6H3- Strukturelemente den nach Merkmal M1.2 beanspruchten Anteil selbst mit den in der Patentanmeldung genannten Verbindungen ausrechnen und damit feststellen, was Gegenstand des Patents ist.
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Wie die bereits im Rahmen des Prüfungsverfahrens ermittelte Druckschrift FR 2 787 796 A1 (D1) belegt, ist die Reaktion von Polyolgemischen mit aromatischen Polyisocyanaten dem Fachmann bei der Herstellung von Polyurethanen geläufig (D1: Beispiel 1), weshalb der Senat auch im Übrigen keinen Grund sieht, eine mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung im Sinne des § 34 Abs. 4 PatG anzunehmen.
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5.2 Zum Molekulargewicht pro Verzweigungseinheit (Merkmal M1.7)
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Nach den Ausführungen der Beschreibung (Anmeldeunterlagen: Seite 11, Absatz 2, erster und dritter Satz) muss bezüglich der gebildeten Polymermatrix zwischen verzweigenden und nicht verzweigenden Einheiten unterschieden werden.
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In der Druckschrift DE 102 57 396 A1 (D8: Absatz [0046]) ist ausgeführt, dass sich die mittlere Molmasse zwischen zwei chemischen Vernetzungsstellen einer Polymerkette (Mc-Wert) aus den Massenanteilen und Funktionalitäten der Einsatzstoffe berechnen und einstellen lässt. Die Druckschrift D8 verweist in Absatz [0046] diesbezüglich auf eine Untersuchung von P.J. Flory (D9) zum Quell- bzw. Stauch- und Streckverhalten von Polymeren, in welcher aus theoretischen Überlegungen hergeleitete Kenngrößen experimentellen Daten, insbesondere zum Quellverhalten von Polymeren mit organischen Lösungsmitteln, gegenübergestellt werden. Dieses mittlere Molekulargewicht wird gemäß der Druckschrift US 7 175 915 B2 (D10) auch als Molekulargewicht pro Verzweigung („final molecular weight per-crosslink (Mc)“) bezeichnet, wobei für starre Schäume und damit für solche mit hoher Druckfestigkeit typische Werte von 300 bis 800 beschrieben werden (D7: Spalte 2, Zeilen 47 bis 54), was im beanspruchten Bereich der Patentanmeldung liegt.
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Die Bestimmung des Molekulargewichts pro Verzweigungseinheit (Merkmal M1.7) ist hinsichtlich der das Fachwissen des Fachmanns belegenden Druckschriften D8 bis D10 verständlich und klar. Auch an der Ausführbarkeit solcher Bestimmungen besteht kein Zweifel.
IV.
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Wie oben dargelegt lassen sowohl die geltenden als auch die ursprünglichen Patentansprüche im Wege der gebotenen Auslegung erkennen, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG). Da der Schutzbereiches des Patents und der Patentanmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird (§ 14 PatG), richtet sich dessen Auslegung an das Verständnis des Fachmanns, an den sich der Patentanspruch wendet. Der Fachmann wird zum allgemeinen Verständnis der Begriffe die Ausführungen in der Beschreibung heranziehen.
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Mithin gibt es keine Rechtsgrundlage dafür, dass dem Fachmann geläufiges Wissen in der Patentanmeldung druckschriftlich zu belegen sei. Dies mag in bestimmten Fällen Auswirkungen auf den Prüfungsumfang haben, wenn sich, wie vorliegend geschehen, bestimmte Merkmale erst durch eine Recherche des gattungsgemäßen Standes der Technik als für den Fachmann klar oder durch zeitaufwändige mathematische Prüfung als ohne Weiteres zu verwirklichen ergeben.
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Im Hinblick auf die vollumfängliche Erfüllung der Aufgabe des Deutschen Patent- und Markenamts, für klare und deutliche Patentansprüche zu sorgen, erscheint damit zur Überprüfung dessen, was aus dem Verständnis der Patentanmeldung allein heraus als „unklar“ oder auslegungsbedürftig gewertet wird, eine dieses Verständnis vertiefende Recherche geboten, was mit einem höheren Prüfungsumfang verbunden sein mag.
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Die Zurückweisung einer Patentanmeldung wegen eines „unklaren“ Anspruchsmerkmals ist nach Auffassung des Senats im Patentgesetz nicht vorgesehen (BPatG 20 W (pat) 71/04 vom 15. April 2009; BPatG 15 W (pat) 33/08 vom 16. Dezember 2013 – Batterieüberwachungsgerät; BPatG 20W (pat) 8/14 vom 7. April 2014 – Elektrisches Steuergerät; BPatG 11 W (pat) 32/13 vom 15. Dezember 2014 – Gargerät).
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In der jüngeren Rechtsprechung des Bundespatentgerichts ist diese Frage allerdings umstritten. Teilweise wird, wie auch von der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes im vorliegenden Verfahren vorgetragen, eine Auslegung von § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG vertreten, wonach Patentansprüche gemäß dieser Vorschrift eindeutig und unmissverständlich und damit so formuliert sein müssen, dass ihr Inhalt aus sich heraus verständlich ist (so z. B. 21. Senat, Beschl. vom 22. Mai 2014, Az. 21 W (pat) 13/10 – Elektrochemischer Energiespeicher).
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Andere Senate vertreten hingegen die Auffassung, dass es sich bei § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG nur um eine bloße Formvorschrift handele, die einen Patentanspruch fordert, damit ein Prüfungsverfahren überhaupt erst möglich ist. Ein Zurückweisungsgrund der „fehlenden Klarheit“ sei im Patentgesetz nicht vorgesehen (so 20. Sen., Beschl. vom 7. April 2014 (20 W (pat) 8/14), BlfPMZ 2014, 299 – Elektronisches Steuergerät; 15. Sen., Beschl. vom 16. Dezember 2013 (15 W (pat) 33/08, Mitt. 2014, 126 – Batterie-überwachungsgerät; 11. Sen., Beschl. vom 15. Dezember 2014 (11 W (pat) 32/13, BIPMZ 2015, 135-136 – Gargerät, jew. m. w. N.). Bedenklich sei in diesem Zusammenhang vor allem, wenn das zusätzliche Erfordernis der „Klarheit“ vorrangig vor den gesetzlich geregelten Zurückweisungsgründen behandelt werde. Auch in der Literatur wird die Frage streitig behandelt (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 34 Rdn. 102, 110-112, 121-123; Busse, Patentgesetz, 7. Aufl., § 34 Rdn. 58 ff; Fitzner/Lutz/Bodewig, Patent-rechtskommentar, PatG § 34 Rdn. 149-162; Häußler, GRUR 2013, 1011; Einsele, Mitt. 2014, 249; Schneider, Mitt. 2014, 481; Anders, Mitt. 2014, 487).
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Nach Auffassung des Senates ist ein vermeintlich „unklarer“ Patentanspruch grundsätzlich anhand der Beschreibung und unter Heranziehung des gegebenenfalls aufwändig zu ermittelnden einschlägigen Fachwissens auszulegen, so wie dies im vorliegenden Fall erfolgt ist.
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Selbst wenn die vorgenommene Auslegung der Ansprüche nicht ausreichen sollte, um der Prüfungsstelle einen Einstieg in die materiell rechtliche Prüfung der Anmeldung nach den §§ 1 bis 5 PatG zu ermöglichen, hat sie zunächst weiter dafür zu sorgen, „unklaren“ Begriffen durch weitere Auslegung eine Bedeutung zu geben und das auf diesem Wege gefundene Ergebnis der weiteren Prüfung zugrunde zu legen.
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Die Rechtsfrage, ob § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG so auszulegen ist, dass nur klare und aus sich heraus verständliche Patentansprüche, die zweifelfrei erkennen lassen, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll, den Anforderungen dieser Vorschrift genügen, mit der Folge, dass die Anmeldung (bei Nichtbehebung eines solchen Mangels an Klarheit) nach § 48 PatG i. V. m. § 45 Abs. 1, § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG zurückzuweisen wäre, wird deshalb vom Senat verneint. Weder Gesetzeswortlaut noch die Entstehungsgeschichte des § 34 Abs. 3 Nr. 3 (bzw. § 26 Abs. 1 Nr. 2 a. F.) lassen Anhaltspunkte erkennen, dass durch die Vorschrift neben den formalen Voraussetzungen weitere inhaltliche Anforderungen an Patentansprüche gestellt werden sollten, obwohl die insoweit abweichende Regelung des Art. 84 EPÜ bekannt war. Auch aus dem übergeordneten, rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit lässt sich nach Auffassung des Senates kein zusätzlicher Zurückweisungsgrund der „fehlenden Klarheit“ herleiten, dies erscheint auch nicht erforderlich. Denn durch die Ermittlung und gegebenenfalls die Dokumentation des dem Fachmann geläufigen Wissens kann in nachvollziehbarer Weise sichergestellt werden, wie im Prüfungsverfahren als „unklar“ gewertete Begriffe vor dem Hintergrund des dem Fachmann einschlägigen Standes der Technik und Sachverstands bewertet werden. Auch wenn sich ein solches Vorgehen auf den Prüfungsumfang auswirkt, steht es seiner Notwendigkeit nicht entgegen.
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Für den Fall, dass dann immer noch „Unklarheiten“ über den Gegenstand der Erfindung bleiben oder ein Begriff „unauslegbar“ bleibt, mag die Prüfungsstelle zu dem Ergebnis gelangen, dass der unter Schutz zu stellende Gegenstand auch unter Einbeziehung der Beschreibung und des Fachwissens nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen kann. In diesem Fall wäre der Patentanspruch nach § 48 PatG i. V. m. § 34 Abs. 4 PatG zurückzuweisen. Ein Zurückweisungsgrund „fehlender Klarheit“ des Patent-anspruchs ist dafür nicht erforderlich und ist auch unter Berufung auf § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG aus Sicht des Senats im Patentgesetz nicht vorgesehen.
V.
98
In der Sache selbst konnte der Senat nicht entscheiden. Die Prüfungsstelle hat im ersten Prüfungsbescheid ausgeführt, dass eine detaillierte Recherche zum Stand der Technik aufgrund der unklaren Formulierung des Hauptanspruches momentan nicht möglich sei und als allgemeinen Stand der Technik die in der Prioritätsanmeldung angegebenen Druckschriften D1 bis D4 genannt. Auch bei dem im Rahmen der Anhörung vorgelegten präzisierten Patentanspruch 1 hat sie wegen der bereits im Prüfungsverfahren bemängelten und als unklar bezeichneten Merkmale festgestellt, dass die Prüfung des Anmeldegegenstandes dahingestellt bleiben könne. Damit ist von Seiten der Prüfungsstelle weder zu dem von der Patentanmelderin bereits genannten Stand der Technik Stellung genommen worden, noch wurde eine Recherche zum Stand der Technik durchgeführt.
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Das Deutsche Patent- und Markenamt hat somit über die Patentfähigkeit der beanspruchten Erfindung noch nicht abschließend entschieden. Eine sachgerechte Entscheidung kann nur auf Basis einer Recherche des relevanten Standes der Technik auf dem betreffenden technischen Fachgebiet erfolgen, zu dessen Ermittlung in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patent- und Markenamts berufen sind. Da vom Senat nicht ausgeschlossen werden kann, dass möglicherweise ein der Patenterteilung entgegenstehender Stand der Technik existiert, war die Patentanmeldung zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
100
Eine mündliche Verhandlung ist weder beantragt noch erforderlich, auch wenn der Senat dem gestellten Antrag auf Erteilung des Patentes mit den geltenden Unterlagen nicht nachkommt. Mit der Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und der Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt wird die Patentanmelderin nicht schlechter gestellt als sie beantragt hat, da die Zurückverweisung den Antrag auf Erteilung des Patents mit den geltenden Unterlagen umfasst.
VI.
101
Die Rechtsbeschwerde nach § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG zur Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wird zugelassen, weil der Regelungsgehalt des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG, auf den die Prüfungsstelle ihre Zurückweisungsentscheidung im Hinblick auf von ihr als „nicht klar und deutlich“ angegebene Merkmale des Hauptanspruchs gestützt hat, nicht höchstrichterlich geklärt ist.