Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Anfügen einer Autoscheibe an ein Anschlusselement“ (europäisches Patent) – zum Ermessen des Gerichts bei nach Fristablauf geänderter Fassung des Patents – Zurückweisung neuen Vorbringens oder einer geänderten Verteidigung – Präklusion nicht ausgeschlossen

Aktenzeichen  5 Ni 59/10 (EP)

Datum:
12.2.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 83 Abs 2 PatG
§ 83 Abs 4 PatG
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

„vitre de véhicule“
1. Beruft sich im Nichtigkeitsverfahren der Patentinhaber erstmals in der mündlichen Verhandlung (bzw. nach Ablauf einer gemäß § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist) darauf, die Merkmalskombination eines Unteranspruchs oder eine solche aus mehreren Unteransprüchen sei neu und erfinderisch, liegt darin eine Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents und ein neues Ver-teidigungsmittel im Sinne des § 83 Abs. 4 PatG.
2. Seine pauschale Ankündigung in einem vor Ablauf einer Frist nach § 83 Abs. 2 PatG eingereichten Schriftsatz, es werde eine „isolierte Verteidigung der Unteransprüche beantragt“, führt jedenfalls dann nicht zur Annahme, die Merkmalskombinationen bestimmter Unteransprüche oder Kombinationen aus diesen seien konkret als neu und erfinderisch geltend gemacht, wenn gleichzeitig eine konkrete Merkmalskombination (Hauptantrag) und mehrere hilfsweise verteidigten Fassungen (Hilfsanträge) im Schriftsatz als schutzfähig beansprucht werden und zur Neuheit und Erfindungshöhe von Unteransprüchen in deren erteilter Fassung in diesem Schriftsatz keinerlei Ausführungen enthalten sind.
3. Liegt einerseits eine Fallgestaltung wie unter 2. vor und hat andererseits die Klagepartei bereits in der Klage zur fehlenden eigenständigen erfinderischen Qualität von Unteransprüchen ausgeführt, kann, wenn das Gericht in einer Zwischenberatung zu der vorläufigen Einschätzung gelangt, Patentfähigkeit liege auch insoweit nicht vor, mit den Parteien über die Patentfähigkeit verhandelt und sachlich entschieden werden. Bestätigt sich die vorläufige Einschätzung des Gerichts nicht, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klageseite immer noch durch die von ihr beantragte Vertagung der mündlichen Verhandlung vermieden werden.
4. Grundsätzlich ist aber – aus Gründen der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Verfahrensbeschleunigung – bei einer Fallgestaltung wie unter 2. eine Präklusion nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach vorläufiger Einschätzung auch eine positive Beurteilung der Patentfähigkeit einer geänderten Fassung in Betracht käme (Anschluss an BPatGE 54, 40 – Wiedergabeschutzverfahren).

Verfahrensgang

nachgehend BGH, 28. Juli 2015, Az: X ZR 41/14, Beschluss

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 1 240 041
(DE 600 18 608)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, den Richter Dipl.-Ing. Bork, die Richterin Martens sowie die Richter Dr.-Ing. Baumgart und Dipl.-Phys. Dr.-Ing. Geier
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 240 041 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 10 und 12, soweit letzterer nicht auf Patentanspruch 11 rückbezogen ist, teilweise für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof (Az: X ZR 49/12).
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 240 041 (Streitpatent), das unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Voranmeldung DE 199 61 706 vom 21. Dezember 1999 am 21. Dezember 2000 angemeldet wurde. Das Streitpatent geht auf die internationale Patentanmeldung (Aktenzeichen: PCT/FR2000/003656) vom 21. Dezember 2000 zurück, ist in der Verfahrenssprache Französisch veröffentlicht und trägt die Bezeichnung „Anfügen einer Autoscheibe an ein Anschlusselement“. Es wird beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) unter dem Aktenzeichen 600 18 608.3 geführt und umfasst 12 Patentansprüche, die mit Ausnahme von Patentanspruch 11 mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.
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Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet in der Verfahrenssprache wie folgt:
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„1. Dispositif pour l’assemblage d’une vitre de véhicule à montage fixe (1), en particulier d’un pare-brise, avec un composant contigu à une arête de la vitre de véhicule, en particulier un bac à eau (6), au moyen d’une pièce profilée fixée à l’arête (2) de la vitre, caracterisé en ce que la pièce profilée est un cordon profilé (10, 10‘) adhérant à la vitre de véhicule, qui présente une lèvre (11, 11‘) se raccordant de façon lisse et continue à la face principale libre extérieure de la vitre de véhicule (1), et en ce que la lèvre (11, 11‘) présente sur sa face inférieure des moyens pour l’assemblage (12, 12‘, 13, 13‘) avec le composant (6).“
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In der deutschen Übersetzung nach der Streitpatentschrift EP 1 240 041 B1 hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:
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„1. Anordnung zum Verbinden einer fest eingebauten Fahrzeugscheibe (1), insbesondere einer Windschutzscheibe, mit einem an einer Kante der Fahrzeugscheibe angrenzenden Bauteil, insbesondere einem Wasserkasten (6), mittels eines an der Scheibenkante (2) befestigten Profilteils, dadurch gekennzeichnet, dass das Profilteil ein an der Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang (10, 10´) ist, welcher eine glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Fahrzeugscheibe (1) anschließende Lippe (11, 11´) aufweist, und dass die Lippe (11, 11´) auf ihrer Unterseite Mittel zum Verbinden (12, 12´, 13, 13´) mit dem Bauteil (6) aufweist.“
6
Wegen des Wortlauts der direkt oder indirekt auf Patentanspruch 1 rückbezogenen, angegriffenen Patentansprüche 2 bis 10 sowie 12 wird auf die Streitpatentschrift (EP 1 240 041 B1) Bezug genommen.
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Mit Urteil vom 15. Februar 2012 hat der Senat das Streitpatent im beantragten Umfang für nichtig erklärt, da sein Gegenstand durch die ältere nachveröffentlichte deutsche Anmeldung 199 61 706 vorweggenommen sei, deren Priorität das Streitpatent mangels wirksamer Übertragung auf die Patentinhaberin nicht in Anspruch nehmen könne. Auf die Berufung der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Inanspruchnahme der Priorität als wirksam anerkannt, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Patentgericht zurückverwiesen.
1
8
Zur Vorbereitung der neuen Verhandlung und Entscheidung hat der Senat den Parteien einen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom 5. November 2013 übermittelt, zu dem die Parteien Stellung genommen haben.
9
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei auch weiterhin mangels Patentfähigkeit im angegriffenen Umfang für nichtig zu erklären, da dem Gegenstand des Streitpatents in allen verteidigten Fassungen die Neuheit fehle. Jedenfalls beruhe er gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur fehlenden Neuheit der Anordnung gemäß Hilfsantrag 1 beruft sich die Klägerin auch auf eine entsprechende offenkundige Vorbenutzung in Kraftfahrzeugen vom Typ Audi A6 Avant V8.
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Die Klägerin stützt ihr Vorbringen auf folgende Unterlagen:
11
D1 GB 2 132 130 A
12
D2 DE 32 04 351 A1
13
D3 EP 0 304 694 A2
14
D4 DE 36 04 389 A1
15
D5 US 5 154 028 B1
16
D6 DE 42 32 554 C1
17
D7 DE 43 26 650 A1
18
D8 DE 44 04 348 A1
19
D22 DE 44 27 492 A1
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D26 DE 26 55 990 A1
21
D27 US 5 352 010
22
D28 DE 26 50 641 A1
23
D29 DE 197 12 856 A1
24
D30 US 4 546 986
25
D31 US 4 219 230
26
D32 DE 41 23 588 A1
27
D33 DE 297 12 202 U1.
28
Anlagen zur Eingabe der Klägerin vom 20. Dezember 2013:
29
Anlage 1 Rückübersetzung des deutschen Anspruchs 1 in die französische Sprache
30
Anlage 2 Einspruchsschriftsatz von S… gegen Europäisches Patent EP 1 280 675 B1 von E…
31
Anlage 3 Reparaturleitfaden Golf 1998, Bora 1999, Ausgabe November 1998
32
Anl. OV1 Fahrzeugbrief zu Fahrzeug 485
33
Anl. OVla Fahrzeugschein zu Fahrzeug 485
34
Anl. OV2 VDA-Empfehlung „Fahrzeugverglasung Kennzeichnung des Herstelldatums“
35
Anl. OV3 Fahrzeugbrief zu Fahrzeug 188
36
Anl. OV3a Fahrzeugschein zu Fahrzeug 188
37
Anlage 4 Stellungnahme von Herrn Dr. W…
38
Anlage 5 Auszüge aus „Elastisch. Kleben – aus der Praxis für die Praxis“, Manfred Pröbster, Springer Vieweg, 2013.
39
Die Klägerin beantragt,
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das europäische Patent 1 240 041 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 10 und 12, soweit dieser nicht auf Patentanspruch 11 rückbezogen ist, für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, soweit sie auch gegen die Fassung gemäß Hauptantrag vom 20. Dezember 2013 gerichtet ist.
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Die Beklagte erklärt, die Prüfung solle insoweit hinsichtlich der in deutscher Sprache vorgelegten Fassung erfolgen.
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Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent (zuletzt) in den deutschen Fassungen gemäß Hilfsanträgen 1a und 1b, überreicht in der mündlichen Verhandlung. Diese geben die möglichen Alternativen („oder“) des Hilfsantrages 1 vom 27. Januar 2014 wieder.
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Weiter hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent in den (deutschen) Fassungen gemäß Hilfsanträgen 2a bis 2d, überreicht in der mündlichen Verhandlung.
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Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in den verteidigten Fassungen für rechtsbeständig. Gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik sei der Gegenstand des Streitpatents in den verteidigten Fassungen patentfähig, insbesondere neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Bezüglich der angeblichen Vorbenutzung fehle es bereits an einem Nachweis der öffentlichen Zugänglichkeit vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents.
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Ihr Vorbringen stützt die Beklagte auf Dokumente D23 bis D25, welche sie in der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2012 vorgelegt hat und die die Inanspruchnahme der Priorität betreffen, sowie auf folgende zur Unterscheidbarkeit von übereinstimmend gekennzeichneten Anlagen der Klägerin nachfolgend als „D…/Bekl.“ bezeichnete Unterlagen:
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D27/Bekl. Beglaubigte Übersetzung vom 7.11.2013
49
D28/Bekl. Beglaubigte Übersetzung vom 28.10.2013
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D29/Bekl. Gutachten von PA Dr. S… vom 14.10.2013
51
D30/Bekl. Auszug aus den Richtlinien für die Prüfung im EPA.
52
Die Klägerin ist der Auffassung, der beschränkten Fassung gemäß Hauptantrag mangele es ebenso an Erfindungshöhe wie den verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1a und 1b.
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Die Hilfsanträge 2a bis 2d seien gemäß § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen. Zur insoweit komplexen neuen Antragslage könne sie abschließend nur bei Gewährung einer Schriftsatzfrist oder Vertagung Stellung nehmen.
54
Die Beklagte verweist insoweit auf ihren Antrag im Schriftsatz vom 20. Dezember 2013, S. 1: „Des Weiteren wird eine isolierte Verteidigung der Unteransprüche 2 bis 10 und 12 beantragt.“ Das rechtliche Gehör der Klägerin sei auch ohne Vertagung keinesfalls verletzt.
55
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Der Senat hatte den Parteien bereits zur Vorbereitung der früheren mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2012 einen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom 20. Dezember 2011 übermittelt. Diesem sind u. a. die im Verfahren befindlichen weiteren Druckschriften D9 bis D21 zum Stand der Technik zu entnehmen, die auf dem Deckblatt der Streitpatentschrift bzw. in der Beschreibung genannt sind.

Entscheidungsgründe

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I. Zulässigkeit der Klage und der verteidigten Fassungen
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Die zulässige Klage erweist sich als auch in der Sache begründet, weil dem Streitpatent in allen verteidigten Fassungen Patentfähigkeit wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht zugebilligt werden kann.
2
Soweit die Beklagte den angegriffenen Teil des Streitpatents in seiner erteilten Fassung nicht mehr verteidigt, war dieses ohne sachliche Prüfung für nichtig zu erklären, soweit es über die in erster Linie verteidigte wirksam beschränkte Fassung hinausgeht.
3
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Diese in erster Linie verteidigte Fassung gemäß Anlagen D 26a und D 26b zum Schriftsatz der Beklagten vom 20. Dezember 2013 stellt eine – insoweit auch von der Klägerin nicht angezweifelte – wirksame Beschränkung des Patentgegenstands dar, ihr mangelt es jedoch an erfinderischer Tätigkeit (vergl. unten III.,1). Gleiches gilt auch für die Fassung gemäß Hilfsantrag 1 vom 27. Januar 2014, welche die Beklagte ohne Änderung der Gegenstände als solcher zu den Hilfsanträgen 1a und 1b in der mündlichen Verhandlung umformuliert hat (vergl. unten III., 2). Bezüglich der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge 2a bis 2d hat der Senat von einer Präklusion nach § 83 Abs. 4 PatG abgesehen, eine erfinderische Tätigkeit liegt aber auch insoweit nicht vor (vergleiche unten III. 3).
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II. Patentgegenstand
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1. Streitpatent
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Das Streitpatent betrifft eine Anordnung zum Verbinden einer Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Bauteil. Nach der Streitpatentschrift (im folgenden SPS) sind ausgeführte Fahrzeuge bekannt, bei denen ein Spalt zwischen der Unterkante ihrer Windschutzscheibe und einem daran angrenzenden Bauteil durch eine abdichtende Profilleiste überdeckt werde. Eine derartige Profilleiste werde beispielsweise mittels einer U-Schiene an der Windschutzscheibenkante befestigt, wozu in Abs. 2 der SPS auf die DE 37 02 555 C2 (hier: D9) hingewiesen ist. Deren Patentanmeldung DE 37 02 555 A1 zeige einen Stand der Technik mit einer dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen entsprechenden Befestigungsvorrichtung.
4
62
Mit solchen U-Profilleisten werde beispielsweise auch ein von der Motorhaube überdeckter Wasserkasten an der Windschutzscheibe befestigt, der zum Abführen des von der Windschutzscheibe abfließenden Wassers diene. Die U-Profilleiste umgreife die untere Scheibenkante auf drei Seiten und sei durch Einspannen oder Einpassen fixiert. Auf ihrer von der Glaskante abragenden Seite sei eine Längsnut eingeformt, in die ein Steg des Wasserkastens eingesetzt werden könne. Außer dem dichten Übergang von der Windschutzscheibe zum Wasserkasten werde ebenfalls eine gewisse gegenseitige Abstützung gewährleistet. Um die hohen Kräfte bei dem Befestigen des Wasserkastens an der Windschutzscheibe und während des Fahrbetriebs infolge von Wärmedehnungen und Vibrationen aufnehmen zu können, bestehe die U-Profilleiste aus einem relativ harten Werkstoff, im Allgemeinen aus mit Stahleinlagen versehenem Gummi oder Kunststoff. Der harte Werkstoff habe jedoch den großen Nachteil, dass die U-Profilleiste bei der Montage auf die Kante dem Biegeverlauf der dreidimensional gebogenen Fahrzeugscheibe nicht exakt folgen könne. Vielmehr werde die U-Profilleiste verbogen, deren Längsnut dann von ihrem Sollverlauf abweiche, so dass das Einsetzen des Wasserkastensteges wesentlich erschwert und passgenaues Anlegen der Wasserkastenkante an die Scheibenkante verhindert werde. Auch sei es infolge von unvermeidlichen Maßabweichungen der Glasscheiben und der Karosserien schwierig, immer einen sicheren Halt der Profilleiste, welche ein vorgefertigtes Formteil sei, an der Scheibenkante sicherzustellen. Die Folgen seien dann verringerte Haltekräfte und vergrößerte Spaltmaße und Toleranzen.
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Aus den Druckschriften DE 43 26 650 A1 (hier: D7) und DE 42 32 554 C1 (hier: D6) seien außerdem Verfahren bekannt, eine Glasscheibe mit einem extrudierten Randprofil zu versehen, das nur an einer Hauptfläche und an der Stirnfläche der Glasscheibe anliege. Man könne diese Randprofile so ausführen, dass sie eine flächenbündige, in die Scheibenebene verlängerte Fortsetzung der nicht berührten Hauptfläche der Glasscheibe bilden (Abs. [0005] SPS). Beide Verfahren hätten sich bei der Herstellung von Automobilglasscheiben bewährt, die für die Montage mittels Kleben vorgesehen seien.
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64
Demgegenüber stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, eine verbesserte Anordnung zum Verbinden einer fest eingebauten Fahrzeugscheibe mit einem an einer Kante der Fahrzeugscheibe angrenzenden Bauteil, insbesondere einem Wasserkasten, zu schaffen.
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Zur Lösung dieser Aufgabe ist im Streitpatent eine Verbindungsanordnung mit den im Patentanspruch 1 enthaltenen Merkmalen angegeben. Die Erfindung bestehe also darin, dass die nach außen weisende Oberfläche des mit der Fahrzeugscheibe verklebten Profilstrangs eine Lippe aufweise, welche eine glatte und flächenbündige Fortsetzung der freiliegenden, also nach außen weisenden Hauptfläche der Fahrzeugscheibe bilde. Gleichzeitig seien an der Unterseite der Lippe Mittel zum Verbinden mit einem weiteren Bauteil angeordnet. Eine solche flächenbündige Ausgestaltung ermögliche es beispielsweise, die Scheibenwischer in ihrer Ruheposition auf den Wasserkasten abzulegen, ohne dass aufwendige Vorrichtungen zum Anheben und Überführen der Scheibenwischer über eventuell vorhandene Vorsprünge vorgesehen werden müssten.
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66
Der erteilte Patentanspruch 1 des Streitpatents lässt sich in Merkmale wie folgt gliedern (zu den Änderungen gemäß Hauptantrag, vgl. Seite 15):
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a) Anordnung zum Verbinden einer fest eingebauten Fahrzeugscheibe (1), insbesondere einer Windschutzscheibe, mit einem an einer Kante der Fahrzeugscheibe angrenzenden Bauteil, insbesondere einem Wasserkasten (6),
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b) mittels eines an der Scheibenkante (2) befestigten Profilteils,
69
Oberbegriff
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c) das Profilteil ist ein an der Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang (10, 10′),
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d) welcher eine Lippe (11, 11′) aufweist,
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e) die Lippe (11, 11′) schließt glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Fahrzeugscheibe (1) an,
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f) die Lippe (11, 11′) weist Mittel zum Verbinden (12, 12′, 13, 13′) mit dem Bauteil (6) auf und
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g) die Mittel befinden sich auf der Unterseite der Lippe (11, 11′).
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Kennzeichenteil
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Diese Verbindungsanordnung weiterbildende Merkmale enthalten die ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2 bis 10 und 12.
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2. Durchschnittsfachmann
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Als Durchschnittsfachmann, an den sich das Streitpatent mit seiner Lehre wendet und der den Stand der Technik am Prioritätstag des Streitpatents bewertet, legt der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung allgemeiner Maschinenbau im Bereich der Konstruktion und Entwicklung von Kraftfahrzeugen zugrunde. In seinem speziellen Aufgabenbereich ist er langjährig mit der Anschluss- und Übergangsproblematik im Scheibenrandbereich sowie mit der Befestigung von Fahrzeugscheiben an der Karosserie befasst.
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Zu seinem einschlägigen Fachwissen zählt die fest eingeklebte Fahrzeugscheibe, die zur Gesamtsteifigkeit der Fahrzeugkarosserie beiträgt, indem Zug-, Druck- und Torsionskräfte auch mittels der Scheibe übertragbar sind. Dieser mittragende Festeinbau hatte sich am Prioritätstag (21. Dezember 1999) des Streitpatents unbestritten als Standard in der Fahrzeugproduktion durchgesetzt. Zur Vorbereitung der Fahrzeugscheibenmontage wird dabei ein Kleber insbesondere durch direktes Extrudieren einer Kleberaupe auf den Rand der Fahrzeugscheibe haftend aufgebracht. Nach übereinstimmender Auffassung der Parteien und des Senats in der mündlichen Verhandlung ist dem Fachmann in diesem Zusammenhang auch das Koextrudieren, also das gleichzeitige Aufbringen von zumindest zwei verschiedenen Materialien auf den Scheibenrand geläufig.
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Ebenfalls zu dem Fachwissen, das den hier anzusetzenden Fachmann von anderen Fachleuten unterscheidet, zählt selbstverständlich die Kenntnis der Eigenschaften von üblicherweise im Fachbereich verwendeten Materialien, hier z. Bsp. Glas, Metall und Kunststoff. Ohne diese Materialkenntnisse könnte der Fachmann seine tagtäglichen Konstruktions- und Entwicklungsaufgaben nicht erfüllen.
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3. Auslegung des Streitpatents
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a) Sprachliches Verständnis des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung
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Die Parteien streiten um die Übersetzung des Begriffs „vitre de véhicule à montage fixe“ in Patentanspruch 1 der nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ verbindlichen Verfahrenssprache Französisch. Die Klägerin übersetzt diesen Begriff mit „Fahrzeugscheibe zum festen Einbau“ oder sinnidentisch mit „fest einbaubare Fahrzeugscheibe“. Dagegen erachtet die Beklagte die deutsche Übersetzung gemäß Streitpatentschrift für zutreffend, wonach damit eine „fest eingebaute Fahrzeugscheibe“ bezeichnet ist. Diese Formulierung stimmt auch mit der prioritätsbegründenden deutschen Patentanmeldung DE 199 61 706 überein. Zur Stützung ihrer jeweiligen Auffassung haben beide Parteien für den Patentanspruch 1 Übersetzungen und Rückübersetzungen von Sprachsachverständigen bzw. Dolmetschern vorgelegt.
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Der Bundesgerichtshof hat dem Senat im Berufungsurteil aufgegeben, dieser zwischen den Parteien streitigen Frage nachzugehen.
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Nach Auffassung des erkennenden Senats kann dem Vorbringen der Klägerin dahingehend gefolgt werden, dass der Ausdruck in der Verfahrenssprache „vitre de véhicule à montage fixe“ wohl zutreffend mit „Fahrzeugscheibe zum festen Einbau“ wiederzugeben wäre, weil die Präposition „à“ in der französischen Sprache zur Bezeichnung von Gegenständen mit einer Ausbildung entsprechend einer vorgegebenen Zweckbestimmung verwendet wird, z. B. machine à laver = Waschmaschine.
86
Allerdings gilt es auch zu beachten, dass der Patentanspruch 1 mit den Worten „Dispositif pour l´assemblage“ (Anordnung zum Verbinden) unmissverständlich auf den Einbauzustand einer Fahrzeugscheibe zielt, die hierfür selbstverständlich geeignet bzw. hergerichtet sein muss. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Zustandsbeschreibung einer Sache – hier „einer fest eingebauten Fahrzeugscheibe“ – besser mit dem rückübersetzten Ausdruck „vitre montée (de manière) fixe“ zu fassen wäre, da auch die französische Sprache diese Verbform kennt. Denn diese Unterscheidung mag allenfalls für die Feststellung des Schutzbereichs von Belang sein, soweit es darauf ankäme, ob sich der Schutz des Streitpatents auf eine für den festen Einbau geeignete Scheibe oder nur auf eine derartige Scheibe im tatsächlich fest eingebauten Zustand bezieht.
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Zum Offenbarungsgehalt des Streitpatents insgesamt – dessen erläuternde Beschreibung und Zeichnung zur Ermittlung des Sinngehalts durch Auslegung heranzuziehen ist – zählen zur Überzeugung des Senats jedenfalls beide Übersetzungs-Varianten. Und für die technische Lehre, die die Anordnung zum Verbinden mit einem Bauteil mittels eines hierfür hergerichteten Profilteils zum Gegenstand hat, kommt es insoweit auf diese sprachliche Unterscheidung nicht an, da diese weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut festgelegten Gegenstands führt.
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Da jedoch die Verfahrenssprache Französisch maßgeblich ist, kann für die Überprüfung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens der Klagegründe das gebotene Verständnis des Patentanspruchs 1 in der Verfahrenssprache zugrunde gelegt werden, demnach dieser eine für den festen Einbau geeignete Fahrzeugscheibe mit anhaftendem Profilstrang in näher bezeichneter Ausgestaltung betrifft. Auch ohne tiefergehende französische Sprachkenntnisse wird der maßgebliche Fachmann dies ebenso verstehen, zumal ihm eine offizielle Übersetzung (DE 600 18 608 T 2) und die eindeutigen Patentzeichnungen zur Verfügung stehen.
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b) Technisches Verständnis des Patentanspruchs 1, insbesondere des Begriffs „vitre de véhicule à montage fixe“.
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Wie der Senat bereits im Hinweis vom 5. November 2013 ausgeführt hat, spielt der Übersetzungsstreit für das technische Verständnis im Ergebnis keine Rolle. Denn bezogen auf den Gesamtzusammenhang des Streitpatents ist für die offenbarte Verbindungsanordnung hauptsächlich mit dem Adjektiv „fixe“=„fest“ der Unterschied einer festen zu einer beweglichen Fahrzeugscheibe bestimmt. Im Fahrzeugbetrieb sind eine „fest eingebaute“ oder „eine zum Festeinbau geeignete“ Fahrzeugscheibe beide jeweils unbeweglich gegenüber der Fahrzeugkarosserie, sind also weder versenkbar, verschiebbar, aufklappbar, etc.. Auf den Betrieb des Fahrzeugs stellt der Anspruchswortlaut eindeutig ab, denn nur dabei kommt es vor, dass eine derart feste Fahrzeugscheibe mit einem an der Kante angrenzenden Bauteil mittels eines Profilteils – im Sinne des Streitpatents – verbunden ist. Eine Verbesserung dieser Anordnung zum Verbinden ist das erklärte Ziel des Streitpatents. Ob die Verbindungsanordnung zur Scheibenbefestigung und/oder zur Bauteilbefestigung dient, lässt der Anspruchswortlaut der erteilten Fassung noch offen, denn er definiert nur die Verbindungsanordnung an sich. Insoweit wird die aufgabenentsprechend beabsichtigte Verbesserung der Verbindungsanordnung erreicht durch deren oberseitige Flächenbündigkeit (Merkmale c, d, e) und deren lippenunterseitige Verbindungsmittel (Merkmale f, g).
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c) Definition des Begriffs „bac à eau“ (Wasserkasten)
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Als Wasserkasten wird im karosserietechnischen Fachvokabular ein Blech- oder Kunststoffbauteil bezeichnet, das am unteren Rand der Windschutzscheibe entlang verläuft. Er dient bekanntlich zum Sammeln und definierten Abführen des von der Windschutzscheibe abfließenden Wassers.
9
Er ist entweder mit einer eigenen Abdeckplatte versehen oder von der Motorhaube abgedeckt.
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III. Patentfähigkeit
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1. Patentfähigkeit der gem. Hauptantrag vom 20. Dezember 2013 verteidigten Fassung
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Der Patentanspruch 1 in der deutschen Fassung des Hauptantrages lautet (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung des Patentanspruchs 1 sind fett gedruckt):
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1. Anordnung zum Verbinden einer durch Ankleben an eine Traverse (3) einer Karosserie eines Kraftfahrzeugs fest eingebauten Windschutzscheibe (1) mit einem an einer Kante der Windschutzscheibe (1) angrenzenden Wasserkasten (6), mittels eines an der Scheibenkante (2) befestigten Profilteils, dadurch gekennzeichnet, dass das Profilteil ein an der Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang (10, 10′) ist, welcher eine glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Windschutzscheibe (1) anschließende Lippe (11, 11′) aufweist, und dass die Lippe (11, 11′) auf ihrer Unterseite Mittel zum Verbinden (12, 12′, 13, 13′) mit dem Wasserkasten (6) aufweist.
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Diese Anordnung zum Verbinden beschränkt den Festeinbau einer Fahrzeugscheibe gegenüber der erteilten Anspruchsfassung auf das Ankleben an eine Traverse einer Karosserie eines Kraftfahrzeugs, was in Abs. [0025] der SPS und Sp. 4 Z. 25 bis 28 der Prioritätsanmeldung als an sich bekannt offenbart ist. Außerdem sind die fest eingebaute Fahrzeugscheibe auf eine Windschutzscheibe und das angrenzende Bauteil auf einen angrenzenden Wasserkasten beschränkt. Letztgenannte Konkretisierungen sind als fakultative Merkmale bereits im erteilten Patentanspruch 1 sowie in der Beschreibung der SPS Abs. [0008] enthalten und mit denselben Worten auch ursprünglich im Patentanspruch 1 offenbart. Insgesamt beschränken diese Änderungen die Verbindungsanordnung damit in zulässiger Weise.
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An den geltenden Patentanspruch 1 schließen sich gemäß Hauptantrag sprachlich angepasste Patentansprüche 2 bis 10 und 12 an.
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Die solchermaßen verteidigte Verbindungsanordnung mag neu und gewerblich anwendbar sein. Jedoch ist der Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der vorstehend definierte Durchschnittsfachmann die verteidigte Anordnung mit dem Stand der Technik unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeiten in naheliegender Weise erreichen konnte. Insbesondere ist sie für ihn durch eine Anordnung zum Verbinden einer durch Ankleben fest eingebauten Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Wasserkasten mittels eines Scheibenrandprofils nach D 27 in Verbindung mit einer flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage gemäß D 5 nahegelegt.
100
Eine Anordnung zum Verbinden einer fest eingebauten Windschutzscheibe 42 mit einer an einer unteren Kante der Windschutzscheibe 42 angrenzenden Verkleidung (cowl 26) ist insbesondere in nachstehender Fig. 3 der D 27 dargestellt.
11
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
101
Der Festeinbau der Windschutzscheibe 42 erfolgt durch Ankleben mittels einer Kleberaupe (adhesive 65) an eine Traverse (body sheet metal surrounding and defining opening 24) der Karosserie des Kraftfahrzeugs.
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Die Verkleidung 26 deckt für den Fachmann ohne jeden Zweifel einen Wasserkasten ab, denn dorthin fließt und darunter sammelt sich das von der Windschutzscheibe 42 ablaufende Wasser.
102
Bei dem Profilteil 48 handelt es sich um einen Profilstrang, der direkt an dem äußeren Rand (peripheral edge 46) der Windschutzscheibe 42 haftet und den Scheibenrand 46 mit zwei Sicherheitsflanken (securing flanges 50 and 52) einkapselt.
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An die Hauptfläche der Windschutzscheibe 42 schließt der Profilstrang 48 mit einer abstehenden Lippe (overlying flange 62) an.
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Die Lippe 62 ist ausgeformt, um den aufnehmenden Teil (slot 64) einer Kupplung zu bilden.
15
In dieses Kupplungsteil 64 greift ein von der Wasserkastenabdeckung 26 abstehender Stift (post 70) ein
16
, der mit der Unterseite der Lippe 62 verrastet. Somit wird eine Verbindung zwischen der fest eingeklebten Windschutzscheibe 42 und einem Teil 26 des Wasserkastens durch Mittel zum Verbinden hergestellt, die an der Unterseite der Lippe 62 des Scheibenrand-Profilstrangs 48 ausgebildet sind. Als besonderen Vorteil dieser Verbindungsanordnung stellt die D 27 heraus, dass dadurch Windgeräusche reduziert sind, welche von Turbulenzen am Scheibenrand erzeugt werden.
17
103
Nach übereinstimmender Auffassung der Parteien und des Senats unterscheidet sich die streitpatentgemäße von der aus D 27 vorbekannten Verbindungsanordnung ausschließlich dadurch, dass sich die Lippe glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Fahrzeugscheibe anschließt. Aus diesem Merkmal soll die Erfindung laut Beschreibungseinleitung der SPS Abs. [0014] zu einem wesentlichen Teil bestehen.
104
Dieses Unterschiedsmerkmal offenbart allerdings schon die D 5 am Prioritätstag des Streitpatents. Denn sie schlägt vor, ein Profilteil auszubilden als ein an einer angeklebten Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang, welcher eine glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Windschutzscheibe anschließende Lippe aufweist, vgl. nachstehende Fig. 3.
105
Auf diesen Stand der Technik stößt der Fachmann zwingend, wenn er mit dem Ergebnis der Windgeräuschreduzierung nach D 27 nicht zufrieden ist und sich deshalb nach einer Verbesserung im einschlägigen Stand der Technik umsieht. Dabei muss ihm auffallen, dass die D 5 ausdrücklich den scheibenrandseitig flächenbündigen Einbau einer angeklebten, feststehenden Fahrzeugscheibe gegenüber einem Einbau mittels eines den Scheibenrand umfassenden, einkapselnden Profils – wie nach D 27 – als aerodynamisch vorteilhafter herausstellt.
18
Mit diesem aerodynamischen Vorteil ist selbstverständlich auch eine Geräuschverminderung verbunden, weil weniger Turbulenzen am Scheibenrand entstehen. Fig. 3 der D 5 zeigt diesen flächenbündigen Einbau der Windschutzscheibe unter maßgeblicher Verwendung eines Profilstrangs 27, der an der Windschutzscheibe nur noch am Rand und an der Unterseite befestigt ist.
19
Ausdrücklich erfolgt der Windschutzscheibeneinbau nach D 5 fest, wozu das Glas (glazing panel 24, glazing 12) der Windschutzscheibe (stationary windshield 14) an eine Fahrzeugtraverse (window support shoulder 22) angeklebt ist.
20
106
Für den Fachmann liegt es auf der Hand, dass durch Übertragung des flächenbündig anschließenden Profilstrangs nach D 5 auf die Verbindungsanordnung nach D 27 auch dort dieselbe Verbesserung erreichbar ist. Durch das einfache Weglassen des nach D 27 auf der Scheibenoberseite haftenden Flanschteils 50 lässt sich die Flächenbündigkeit der Lippe mit dem Windschutzscheibenrand herstellen. Dadurch ist an dieser Stelle jedwede Ursache für eine Geräuschentwicklung durch Luftverwirbelung beseitigt. Zum Weglassen des scheibenoberseitigen Flanschteils 50 reichen die handwerklichen Fähigkeiten des Fachmanns aus.
107
Dagegen wendet die Beklagte ein, ein aerodynamisches Problem erkenne der Fachmann in der Anordnung nach D 27 gar nicht mehr, das sei dort nämlich durch eine sogenannte aerodynamische Schuppe am Übergang des Flanschteils 50 zur Scheibe optimiert. Überhaupt träten aerodynamische Probleme in aller Regel nur am oberen Scheibenrand auf. Abgesehen davon befasse sich das Streitpatent nicht mit einem Aerodynamik-Problem, sondern laut Beschreibung Abs. [0014] damit, die Scheibenwischer in ihrer Ruheposition auf dem Wasserkasten abzulegen, ohne dass aufwendige Vorrichtungen zum Anheben und Überführen der Scheibenwischer über eventuell vorhandene Vorsprünge vorgesehen werden müssen.
108
Diese Einwände haben den Senat aus folgenden Gründen nicht überzeugt: Die zweiteilige Verbindungsanordnung besteht nach D 27 zwischen dem Scheibenrandprofilstrang 48 und dem daran angrenzenden Wasserkasten 26. Durch Verminderung des Toleranzmaßes zwischen diesen beiden Bauteilen erreicht D 27 die wesentliche Windgeräuschreduzierung.
21
Demgegenüber ist die ober- und unterseitige Umfassung der Windschutzscheibe 42 durch Befestigungsflansche 50/52 des Scheibenrandprofilstrangs 48 in D 27 nicht besonders problematisiert. Daher offenbart die D 27 eben nicht, dass an dem scheibenoberseitigen Übergang des Flanschteils 50 zur Windschutzscheibe 42 eine „aerodynamische Schuppe“ vorteilhaft ausgebildet ist. Derartiges ergibt sich für den Fachmann auch nicht selbstverständlich beim Lesen der D 27, denn gegen die „Schuppentheorie“ der Beklagten steht die Offenbarung der D 5. Diese belegt nämlich eindeutig und unmissverständlich, dass eine randumfassende Einkapselung einer Fahrzeugscheibe – wie in D 27 gezeigt – sehr wohl ein aerodynamisches Problem darstellt, das durch eine flächenbündige Scheibenmontage beseitigt werden kann.
22
Weil die D 27 dieses Problem jedoch nicht behandelt, sondern lediglich eine aerodynamische Lösung für den Übergang zwischen den beiden Bauteilen Lippe und Wasserkasten anbietet, sind Windgeräusche am Übergang des Profilstrangs 48 zur Windschutzscheibenoberfläche zu erwarten. Als geeignete Lösung dafür stellt D 5 dem Fachmann den flächenbündigen Scheibeneinbau zur Verfügung.
109
Wie D 27 außerdem nachweist, treten aerodynamische Probleme keineswegs nur am oberen Scheibenrand auf. Denn die Druckschrift befasst sich ausführlich mit einer aerodynamisch problematischen Verbindung zum Wasserkasten, also mit einer Verbindung im Bereich des unteren Scheibenrandes. Zudem hebt die Druckschrift außer den Dachübergang zur Windschutzscheibe auch andere Scheiben-zur-Karosserie Übergänge als turbulenzgefährdet hervor.
23
110
Auf die Frage, mit welchem Problem sich das Streitpatent subjektiv befasst hat, kommt es nach Einführung der D 27 nicht mehr an. Denn die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit kann sinnvoll nicht mit einer in der SPS genannten Aufgabe durchgeführt werden, die keinen Bezug zum unbestritten nächstkommenden Stand der Technik nach D 27 hat. Deshalb ist das zugrunde liegende Problem objektiv zu ermitteln.
24
Das objektive (aerodynamische) Problem einer Verbindungsanordnung mit einer Scheibenrandeinfassung wie nach D 27 ist in der Beschreibungseinleitung der D 5 ausgewiesen und aufgrund dessen ist der Senat zu seiner vorstehend dargelegten Überzeugung gelangt.
111
Zu keinem anderen Ergebnis führt im Übrigen die von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Aufgabenstellung, eine geeignete Lösung für die Ruheposition der Scheibenwischer auf dem Wasserkasten zu finden. Sofern sich dieses Problem nämlich beim Gegenstand der D 27 stellen sollte, findet der Fachmann auch dafür eine Lösung in der D 5. Die darin offenbarte flächenbündige Fahrzeugscheibenmontage (Titel: FLUSH MOUNTED VEHICLE GLAZING) bietet nämlich eine ins Auge springende, optimale Voraussetzung dafür, dass die Scheibenwischer von der Betriebsposition in eine Ruheposition gelangen können, ohne dass irgendwelche (aufwendigen) Vorrichtungen zum Anheben und Überführen der Scheibenwischer über eventuell vorhandene Vorsprünge am Scheibenrand vorgesehen werden müssten. Aufgrund dieser Überlegung wäre die verteidigte Verbindungsanordnung gleichermaßen nahegelegt.
112
Den weiteren Einwand der Beklagten, das in D 27 benannte Herstellungsverfahren RIM (Reaction-Injection-Molding) sei grundsätzlich ungeeignet bzw. verfahrenstechnisch nicht haltbar für eine flächenbündige Anbindung des Profilstrangs an die freiliegende äußere Hauptfläche der Windschutzscheibe, entkräftet bereits die Offenbarung der D 5. Denn eben diese flächenbündige Profilanbindung zeigt die Fig. 3 der D 5 und sie wird sogar ausdrücklich im RIM-Verfahren hergestellt, das nach der Beschreibung der D 5 einschlägig vorbekannt ist.
25
113
Schließlich macht die Beklagte noch geltend, dass die in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutierte Zusammenschau der Gegenstände von D 27 mit D 5 auch deshalb nicht zu der beanspruchten Flächenbündigkeit führen könnte, weil dabei unter Verweis auf Fig. 3 der D 27 ein Winkel zwischen dem Scheibenrandprofil 48 und dem angrenzenden Wasserkasten 26 bestehen bliebe. Daher führe eine solche Kombination allenfalls zu einer aerodynamischen Verschlechterung.
114
Bei dieser Argumentation übersieht die Beklagte möglicherweise, dass die anspruchsmaßgebliche Flächenbündigkeit ausschließlich den glatten und flächenbündigen Anschluss der Lippe an die freiliegende äußere Hauptfläche der Fahrzeugscheibe betrifft. Diese Flächenbündigkeit ist, wie vorstehend dargetan, durch die in Rede stehende Zusammenschau erreicht, denn der Übergang von der Glaskante zum Profilstrang ist ausweislich der Fig. 3 der D 5 stufenlos flächenbündig und völlig glatt. Wie der Wasserkasten sich an die Oberseite der Lippe anschließt, ist nicht Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1.
115
Mithin hat der Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag keinen Bestand und war für nichtig zu erklären.
116
Die zusätzlichen Merkmale, die in den angegriffenen, auf Patentanspruch 1 direkt oder indirekt zurückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 10 oder 12 vorgesehen sind, führen zu keiner anderen Beurteilung der Patentfähigkeit der Anordnung nach dem geltenden Patentanspruch 1; das ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
26
117
2. Patentfähigkeit der mit den Hilfsanträgen 1a und 1b vom 12. Februar 2014 verteidigten Fassungen
118
a) Hilfsantrag 1a
119
Der Patentanspruch 1 in der deutschen Fassung des Hilfsantrags 1a lautet (Änderungen gegenüber der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sind fett gedruckt):
120
1. Anordnung zum Verbinden einer durch Ankleben an eine Traverse (3) einer Karosserie eines Kraftfahrzeugs fest eingebauten Windschutzscheibe (1) mit einem an einer Kante der Windschutzscheibe (1) angrenzenden Wasserkasten (6), mittels eines an der Scheibenkante (2) befestigten Profilteils, dadurch gekennzeichnet, dass das Profilteil ein an der Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang (10, 10′) ist, welcher eine glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Windschutzscheibe (1) anschließende Lippe (11, 11′) aufweist, und dass die Lippe (11, 11′) auf ihrer Unterseite Mittel zum Verbinden (12, 12′, 13, 13′) mit dem Wasserkasten (6) aufweist und wobei der Profilstrang
(10) auf seiner der Karosserie zugewandten Seite eine elastische Stützlippe
(15) umfasst, welche auf der Traverse
(3) abgestützt ist.
121
Diese Anordnung zum Verbinden beschränkt den Festeinbau einer Fahrzeugscheibe gegenüber der mit Hauptantrag beschränkten Anspruchsfassung zusätzlich auf eine elastische Stützlippe des Profilstrangs auf seiner der Karosserie zugewandten Seite, wobei die Stützlippe auf der Traverse abgestützt ist. Dieses Merkmal ist im erteilten Patentanspruch 7 der SPS enthalten und auch ursprünglich offenbart. Es beschränkt die Verbindungsanordnung damit weiter in zulässiger Weise.
122
An den geltenden Patentanspruch 1 schließen sich gemäß Hilfsantrag 1a teilweise angepasste Patentansprüche 2 bis 8 und 12 an.
123
Soweit die Merkmale der Verbindungsanordnung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1a mit denjenigen gemäß Hauptantrag identisch sind, gelten die vorstehenden Ausführungen gleichermaßen. Das hinzugefügte Merkmal vermag die Patentfähigkeit nach Überzeugung des Senats deshalb nicht herzustellen, weil auch eine derartige Verbindungsanordnung nahegelegt ist durch die Kombination der Verbindungsanordnung nach D 27 und der flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage mit einer Stützlippe gemäß D 5.
124
In der nachstehend nochmals wiedergegebenen Fig. 3 der D 5 ist die der Karosserie zugewandte Seite des Profilstrangs (inner segment 27) mit einer Stützlippe versehen, welche auf der Traverse (window frame or support shoulder 22) abgestützt ist.
27
Mit Hilfe dieser Stützlippe wird eine definierte, flächenbündige Positionierung der Windschutzscheibenoberfläche (glazing panel outer surface 30) zur Karosserieoberfläche (vehicle outer skin 18) erreicht. Außerdem erhöht eine solche Stützlippe selbstverständlich die Stabilität der Verbindungsanordnung insgesamt. Ausweislich der einheitlichen Schraffur ist das Material der Stützlippe identisch mit demjenigen der elastischen Lippe 32´ (flexible lip), die sich flächenbündig vom Windschutzscheibenrand zur Karosserie erstreckt.
28
Folglich ist auch die Stützlippe entsprechend elastisch.
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
125
Für den Senat steht außer Zweifel, dass der Fachmann, der die Verbindungsanordnung nach D 27 mit der flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage nach D 5 kombiniert, dabei bedarfsweise auch die elastische Stützlippe mitüberträgt. Der entsprechende Bedarf stellt sich dann ein, wenn die Verbindungsanordnung stabilisiert werden soll oder eine definierte Positionierung der Windschutzscheibenoberfläche zur Karosserieoberfläche erwünscht ist. Insbesondere Letzteres ist beim Einbau der Windschutzscheibe normalerweise immer der Fall.
126
Dagegen macht die Beklagte geltend, im Gegensatz zur Stützlippenabstützung nach D 5 erfolge die streitpatentgemäße Scheibenbefestigung an derselben Traverse, an der sich auch die Stützlippe abstütze. Nachdem angeblich bereits die Kombination der Verbindungsvorrichtung nach D 27 mit der flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage nach D 5 eine Lösung der Scheibenwischerablage-Problematik hervorbrächten, habe der Fachmann keine weitere Veranlassung, nun auch noch die Stützlippe zu übernehmen.
127
Diese Argumentation greift nicht durch, denn einen angeblichen Unterschied zwischen der Stützlippenabstützung nach D 5 und der streitpatentgemäßen Abstützung gibt es nicht. Wie vorstehend unter Hinweis auf die Beschreibung und die Fig. 3 der D 5 erläutert, stützt sich die dortige Stützlippe an der Traverse 22 ab, die a. a. O. ausdrücklich als „window support shoulder“ bezeichnet ist. Sie stützt sich demnach an derselben Traverse ab, welche die Scheibe trägt, an der die Scheibenbefestigung erfolgt und auch nach dem geltenden Anspruchswortlaut des Streitpatents erfolgen soll. Abgesehen davon lässt die Beklagtenargumentation außer Betracht, dass auch die streitpatentgemäße Stützlippe nur einen verbindungsstabilisierenden Beitrag zur geltend gemachten Scheibenwischerablage-Problematik leistet und insoweit die Flächenbündigkeit an der äußeren Hauptfläche der Scheibe nur mittelbar beeinflusst. Nichts anderes offenbart aber schon die D 5 mit einer Stützlippe für die stabile Scheibenbefestigung. Folglich stand diese Stützlippe für den streitpatentgemäßen Stabilisierungseffekt klar und eindeutig erkennbar zur Verfügung.
128
Mithin hat der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag 1a keinen Bestand.
129
Die zusätzlichen Merkmale, die in den angegriffenen, auf Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1a direkt oder indirekt zurückbezogenen, geltenden Patentansprüchen 2 bis 8 oder 12 vorgesehen sind, führen zu keiner anderen Beurteilung der Patentfähigkeit der Anordnung nach dem geltenden Patentanspruch 1; das ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
29
130
b) Hilfsantrag 1b
131
Der Patentanspruch 1 in der deutschen Fassung des Hilfsantrags 1b lautet (Änderungen gegenüber der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sind fett gedruckt):
132
1. Anordnung zum Verbinden einer durch Ankleben an eine Traverse (3) einer Karosserie eines Kraftfahrzeugs fest eingebauten Windschutzscheibe (1) mit einem an einer Kante der Windschutzscheibe (1) angrenzenden Wasserkasten (6), mittels eines an der Scheibenkante (2) befestigten Profilteils, dadurch gekennzeichnet, dass das Profilteil ein an der Fahrzeugscheibe haftender Profilstrang (10, 10′) ist, welcher eine glatt und flächenbündig an die freiliegende äußere Hauptfläche der Windschutzscheibe (1) anschließende Lippe (11, 11′) aufweist, und dass die Lippe (11, 11′) auf ihrer Unterseite Mittel zum Verbinden (12, 12′, 13, 13′) mit dem Wasserkasten (6) aufweist und wobei der Profilstrang (10′) ein elastisches Schaumprofil (15′) umfasst, welches auf der Traverse (3) abgestützt ist.
133
Diese Anordnung zum Verbinden beschränkt den Festeinbau einer Fahrzeugscheibe gegenüber der nach Hauptantrag beschränkten Anspruchsfassung auf ein elastisches Schaumprofil als Bestandteil des Profilstrangs, welches auf der Traverse abgestützt ist. Dieses Konkretisierungsmerkmal ist Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 8 und auch ursprünglich offenbart. Es beschränkt die Verbindungsanordnung damit in zulässiger Weise. In Abs. [0029] der SPS ist als Zweck des elastischen Schaumprofils 15´ erläutert, dass es insbesondere den Spalt zwischen Glas und Karosserie abdichtet.
134
An den geltenden Patentanspruch 1 schließen sich gemäß Hilfsantrag 1b teilweise angepasste Patentansprüche 2 bis 8 und 12 an.
135
Soweit die Merkmale der Verbindungsanordnung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1b mit denjenigen gemäß Hauptantrag und/oder Hilfsantrag 1a identisch sind, gelten die vorstehenden Ausführungen gleichermaßen. Das hinzugefügte Merkmal vermag die Patentfähigkeit nach Überzeugung des Senats nicht herzustellen, weil eine derartige Verbindungsanordnung durch die Kombination der bekannten Verbindungsanordnung nach D 27 und der flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage gemäß D 5 in Verbindung mit dem Fachwissen des eingangs definierten Fachmannes oder alternativ in Verbindung mit einem in D 8 offenbarten Dichtungsprofil nahegelegt ist.
136
Dass der vorbekannte Profilstrang 27 zur flächenbündigen Fahrzeugscheibenmontage gemäß D 5 grundsätzlich auch eine Dichtungsfunktion hat, offenbart diese Druckschrift bereits selbst. Demnach bildet der elastische Profilstrang 27 eine erste Abdichtung für die Windschutzscheibe.
30
Als Material für diesen elastischen Profilstrang 27 dient ein Polyurethan-Harz, einen Hinweis auf ein Schaumprofil enthält D 5 nicht.
31
Aus seinem Fachwissen über Kunststoffe ist dem eingangs definierten Fachmann allerdings geläufig, dass die Materialeigenschaften des Kunststoffs Polyurethan je nach Bedarf unterschiedlich einstellbar sind und sich daraus insbesondere auch ein elastischer Schaum herstellen lässt. In welcher Ausgestaltung der Fachmann den Kunststoff letztendlich verwendet, obliegt den aktuell gestellten Anforderungen. Insoweit stellt sich das nunmehr beanspruchte elastische Schaumprofil des streitpatentgemäßen Profilstrangs als eine handwerkliche Variante des vorbekannten Stützprofils aus Polyurethan-Harz dar. Eine erfinderische Tätigkeit, welche über eine normalerweise von dem Fachmann erwartete Problemlösung hinausgeht, erkennt der Senat in dieser Polyurethan-Variation nicht.
137
Unabhängig davon ist der Einsatz von Schaumprofilen zu Abdichtungszwecken im Fahrzeugscheibenrandbereich einschlägig vorbekannt. So umfasst beispielsweise das Einbauprofil 11 einer Fahrzeugscheibe gemäß D 8, auf welche die Klägerin besonders hinweist, ein Dichtungselement 62 aus porigem oder zelligem Elastomer, welches den Spalt zwischen Glasscheibe 50 und Karosserieblech 52 abdichtet.
32
Auch dieses vorbekannte Beispiel gäbe dem Fachmann einen hinreichenden Anlass, das elastische Stützprofil nach D 5 bedarfsweise oder alternativ mit einem Schaumprofil auszubilden. Angesichts dessen geht die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Meinung der Klägerin, aus keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften gehe ein elastisches Schaumprofil hervor, ins Leere.
138
Mithin hat der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag 1b keinen Bestand.
139
Die zusätzlichen Merkmale, die in den angegriffenen, auf Patentanspruch 1 direkt oder indirekt zurückbezogenen, geltenden Patentansprüchen 2 bis 8 oder 12 vorgesehen sind, führen zu keiner anderen Beurteilung der Patentfähigkeit der Anordnung nach dem geltenden Patentanspruch 1; das ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
33
140
3. Patentfähigkeit der mit den Hilfsanträgen 2a – 2d vom 12. Februar 2014 verteidigten Fassungen
141
a) Grundsätzliche Berücksichtigung dieser Fassungen
142
aa) Neues Verteidigungsmittel bzw. Änderung der verteidigten Fassung nach Fristablauf (§ 83 Abs. 4 PatG)
143
Auch wenn nach den Hilfsanträgen 2a bis 2d zur Beschränkung Merkmale aus den erteilten Patentansprüchen 3 und 4 und nicht etwa aus der Beschreibung aufgenommen sind, ist der Beklagten nicht darin zu folgen, diese Verteidigung habe bereits mit Einreichung des Schriftsatzes vom 27. Januar 2014 und damit vor Ablauf der nach § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist (27. Januar 2014) vorgelegen. Insoweit ist im Schriftsatz vom 27. Januar 2014 nur eine pauschale Ankündigung erfolgt, der eine konkrete inhaltliche Festlegung erst in der mündlichen Verhandlung nachfolgte. Das Argument der Beklagten, in der mit Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung seien die Fassungen der jetzigen Hilfsanträge 2a bis 2d bereits enthalten gewesen, erscheint auf den ersten Blick einleuchtend, verkennt aber, dass eine Verteidigung eines Unteranspruchs mit der Behauptung eigenständiger Erfindungsqualität ein unterschiedliches Verteidigungsmittel darstellt im Vergleich zum Vortrag, ein Unteranspruch werde von der Patentfähigkeit eines Anspruchs mitgetragen, auf den er sich zurückbeziehe. Dies ergibt sich schon daraus, dass bei rechtzeitiger konkreter Geltendmachung der eigenständigen erfinderischen Qualität eines Unteranspruches grundsätzlich die Klagepartei den Nachweis führen muss, dass genau diese Merkmalskombination nicht neu und erfinderisch sei. Insoweit unterscheidet sich die Geltendmachung der eigenständigen erfinderischen Qualität eines Unteranspruchs nicht grundsätzlich von der Geltendmachung der Patentfähigkeit einer (hilfsweise) durch Aufnahme eines oder mehrerer Merkmale aus der Beschreibung beschränkten Fassung. Dass eine Einstufung als neues Verteidigungsmittel zutreffend ist, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit der von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Fallgestaltung, dass die bloße Nennung einer Entgegenhaltung ohne Vortrag der Klageseite zur konkreten technischen Information und den Anregungen zu der erfindungsgemäßen Lehre für den Fachmann nicht ausreicht, die Geltendmachung fehlender Patentfähigkeit als bereits in erster Instanz erfolgt einzustufen.
34
144
bb) Voraussetzungen § 83 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 PatG
145
Eine Belehrung nach § 83 Abs. 4 Nr. 3 PatG ist erfolgt, eine Entschuldigung für die Überschreitung der Frist nach § 83 Abs. 2 PatG hat die Beklagte nicht vorgebracht. Darüber, ob entsprechend dem Antrag der Klägerin eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich sei
35
, besteht zwischen den Parteien Streit. Geht man von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Vertagungsrecht einer Klagepartei bei geänderter Verteidigung einer Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung aus, liegt die Annahme nahe, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs sei der Klägerin eine Vertagung zuzugestehen.
36
Eine Einschränkung dieser noch vor Geltung des § 83 PatG n. F. liegenden Rechtsprechung ist dem erkennenden Senat nicht bekannt. Auch bei Unterstellung eines grundsätzlich anzunehmenden Rechts der Klägerin, im Falle einer für sie ungünstigen Auffassung des Gerichts eine Vertagung zu beanspruchen, folgt hieraus aber noch nicht direkt eine Verpflichtung des Senats zur Zurückweisung der Hilfsanträge 2a bis 2d (vergl. nachfolgend cc).
146
cc) Ermessensgebrauch
147
Nach § 83 Abs. 4 PatG kann das Patentgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Nummer 1-3 dieser Vorschrift eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. In seinem Urteil vom 25. April 2012 (
37
) hat der Senat ausgeführt, warum nach seiner Auffassung grundsätzlich in „normal gelagerten Fällen“ eine Präklusion veranlasst sei, und versucht, insoweit Kriterien aufzuzeigen. In seiner Berufungsentscheidung hat der Bundesgerichtshof hierzu nicht Stellung genommen, weil für seine Entscheidung eine mögliche Präklusion unerheblich war.
38
Der erkennende Senat ist vorliegend bei einer Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass in Folge einiger besonderer Umstände nicht von einem „normal gelagerten Fall“ im Sinne seiner Rechtsprechung auszugehen ist. Die Klägerin hatte bereits in ihrer Klageschrift zur Patentfähigkeit der Unteransprüche 7 und 8 vorgetragen (Seite 21 und 28/29 der Klage). Sie hat auch in der mündlichen Verhandlung zur erfinderischen Tätigkeit einer Verbindungsanordnung nach den Anspruchsfassungen gemäß Hilfsanträgen 2a bis d ausführlich Stellung genommen, nachdem der Vorsitzende darauf hingewiesen hatte, bei Annahme erfinderischer Tätigkeit werde das Gericht die Frage einer Vertagung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Klägerin nochmals prüfen. Im Ergebnis war daher durch die Zulassung der neuen Hilfsanträge das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt, zumal die Entscheidung entsprechend ihrem Antrag erfolgte. Andererseits besteht so für die Beklagte in einem möglichen Berufungsverfahren die Möglichkeit sachlicher Überprüfung durch das Berufungsgericht, die sonst nur bestanden hätte, wenn das Berufungsgericht von einer verfahrensfehlerhaften Zurückweisung durch das Patentgericht ausgehen würde.
148
Grundsätzlich erscheint daher in Fällen, in denen einerseits das Gericht zu einer in einer Zwischenberatung gefundenen vorläufigen Einschätzung dahingehend gelangt, dass unabhängig von der Frage einer Präklusion eine Patentfähigkeit nicht gegeben sein dürfte, und andererseits eine Stellungnahme für die Klageseite auf der Grundlage ihres aktuellen Kenntnisstandes unter Berücksichtigung des bisherigen Prozessverlaufs zumutbar erscheint, eine inhaltliche Diskussion über die Patentfähigkeit der geänderten verteidigten Fassung eine angemessene Lösung. Kommt das Gericht bei dieser Diskussion zu einem anderen Ergebnis als nach seiner vorläufigen Einschätzung, steht die Möglichkeit einer Vertagung immer noch im Raum. Dementsprechend liegt in Fällen, in denen nach aktueller Aktenlage und vorläufiger Einschätzung des Gerichts eher von Schutzfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik auszugehen wäre und somit eine Vermeidbarkeit einer Vertagung unwahrscheinlich erschiene, eine Präklusion als Ergebnis einer Gesamtabwägung näher als im vorliegenden Fall. Der in der Literatur
39
vertretenen Auffassung, eine Präklusion sei in derartigen Fällen (grundsätzlich) kritisch zu sehen, schließt sich der Senat nicht an und verweist auf seine Erwägungen in seiner früheren Entscheidung
40
, wonach bei klarer Verletzung der prozessualen Sorgfalt die „Kann“-Vorschrift des § 83 Abs. 4 PatG – auch aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit – grundsätzlich angewendet werden sollte.
149
b) Schutzfähigkeit der Fassungen gemäß Hilfsanträgen 2a bis 2d
150
An den Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1a (Profilstrang umfasst elastische Stützlippe) schließt sich in der deutschen Fassung der Hilfsanträge 2a und 2b jeweils folgendes Merkmal an:
151
2a: wobei das Profilteil ein koextrudierter Profilstrang (10′) aus zwei Kunststoffen mit unterschiedlichen Härten ist.
152
2b: wobei das Profilteil ein koextrudierter Profilstrang (10′, 15′) aus zwei Kunststoffen mit unterschiedlichen Dichten ist.
153
An den Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1b (Profilstrang umfasst elastisches Schaumprofil) schließt sich in der deutschen Fassung der Hilfsanträge 2c und 2d jeweils folgendes Merkmal an:
154
2c: wobei das Profilteil ein koextrudierter Profilstrang (10′) aus zwei Kunststoffen mit unterschiedlichen Härten ist.
155
2d: wobei das Profilteil ein koextrudierter Profilstrang (10′, 15′) aus zwei Kunststoffen mit unterschiedlichen Dichten ist.
156
An den jeweils geltenden Patentanspruch 1 schließen sich gemäß Hilfsanträgen 2a bis 2d jeweils angepasste Patentansprüche 2 bis 4 an.
157
Die jeweils vorgenommenen Beschränkungen sind zulässig. Die im jeweils geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Konkretisierungen sind in den erteilten und auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüchen 3 und 4 enthalten und inhaltlich auch ursprünglich offenbart. Die lediglich umnummerierten Unteransprüche sind inhaltlich identisch mit den erteilten Unteransprüchen 7, 8 und 12 und inhaltlich ebenfalls ursprungsoffenbart.
158
Die demnach beanspruchten Verbindungsanordnungen beruhen in keiner Anspruchsfassung auf einer erfinderischen Tätigkeit. Soweit die Merkmale der Verbindungsanordnung gemäß den Patentansprüchen 1 nach Hilfsantrag 2a bis 2d mit denjenigen gemäß Hilfsanträgen 1a und 1b identisch sind, gelten die vorstehenden Ausführungen jeweils gleichermaßen. Die jeweils hinzugefügten Merkmale vermögen nach Überzeugung des Senats keine Patentfähigkeit herzustellen, weil ein koextrudierter Profilstrang aus zwei Kunststoffen unterschiedlicher Härte oder Dichte sich als Ergebnis einer rein handwerklichen Dimensionierungsmaßnahme desjenigen Fachmannes ergibt, der die Verbindungsanordnungen gemäß D 27 und D 5 in naheliegender Weise kombiniert.
159
Die Koextrusion von unterschiedlichen Materialien zur Herstellung eines Profilstrangs war am Prioritätstag des Streitpatents für den Einbau festverglaster Fahrzeugscheiben geläufig. Das hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden. Dies belegen außerdem die Druckschriften D 2
41
und D 30
42
, auf welche die Klägerin zutreffend hinweist. Dementsprechend zählt es zu den üblichen Aufgaben des Fachmanns, einen koextrudierten Profilstrang für die Scheibenklebung und den anschließenden Fahrzeugbetrieb konstruktiv auszulegen. Dabei liegt es nach Überzeugung des Senats im Griffbereich des Fachmanns, die Härte und Dichte des für den Profilstrang vorgesehenen Materials zu bestimmen. Denn die zwingende Notwendigkeit, diese Materialeigenschaften zu dimensionieren, ergibt sich abhängig von den jeweiligen Einsatzanforderungen. Dass sich hierbei besondere Schwierigkeiten auftäten, die mehr als nur handwerkliche Tätigkeiten erforderten, ist für den Senat nicht erkennbar und hat auch die Beklagte nicht geltend gemacht. Auf den Vorhalt der Klägerin, der Anspruchswortlaut lasse offen, wo und zu welchem Zweck unterschiedliche Härten und Dichten im Profilstrang zur Anwendung kommen sollten, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erwidert, der Fachmann wähle die Materialeigenschaften so, dass sich entsprechend günstige Auswirkungen ergäben. Diese Einlassung stützt die vorstehend dargelegte Überzeugung des Senats.
160
Der in der mündlichen Verhandlung noch erhobene Einwand der Beklagten, die Druckschriften D 27 und D 5 wiesen nicht auf unterschiedliche Dichten und/oder Härten des Profilstrangs hin, ist nicht stichhaltig. Denn angesichts der vorstehend erläuterten, regelmäßig von dem Fachmann durchzuführenden Dimensionierung bedurfte es eines derartigen Hinweises in den Druckschriften nicht. Dafür war nämlich bereits das zur Verfügung stehende Fachwissen ausreichend.
161
Mithin hat der Patentanspruch 1 in der jeweils nach den Hilfsanträgen 2a bis 2d geltenden Fassung keinen Bestand.
162
Die zusätzlichen Merkmale, die in den angegriffenen, auf Patentanspruch 1 direkt oder indirekt zurückbezogenen, jeweils geltenden Patentansprüchen 2 bis 4 vorgesehen sind, führen zu keiner anderen Beurteilung der Patentfähigkeit der Anordnung nach dem jeweils geltenden Patentanspruch 1; das ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
43
163
Vor diesem Hintergrund war das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig zu erklären.
164
IV. Kosten
165
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
44
Hierzu gehören auch die Kosten des vorangegangenen Berufungsverfahrens, über die der Senat nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ebenfalls zu entscheiden hatte. Maßgeblich ist insoweit, dass die Beklagte im Endergebnis vollständig unterlegen ist, auch wenn sie im Berufungsverfahren, isoliert betrachtet, zumindest einen Teilerfolg erreichte. Gründe, aus Billigkeitserwägungen von diesem Ergebnis abzuweichen, sieht der Senat nicht gegeben.
45
166
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

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Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
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