Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – “Bediengerät für Spiele (europäisches Patent)” – Nichtigkeitsgrund – unzulässige Erweiterung des erteilten Patents gegenüber der Stammanmeldung

Aktenzeichen  4 Ni 25/17 (EP)

Datum:
26.3.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:260319U4Ni25.17EP.0
Normen:
Art II § 6 Abs 1 S 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Spruchkörper:
4. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 854 518
(DE 60 2006 010 819)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2019 durch den Vorsitzenden Richter Engels, den Richter Dr.-Ing. Krüger, die Richterin Dorn, den Richter Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Ausfelder und die Richterin Dipl.-Ing. Univ. Schenk
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 854 518 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung hinausgeht:
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(…)
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II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 854 518, deutsches Aktenzeichen DE 60 2006 010 819 (Streitpatent), das am 7. Juni 2006 unter Beanspruchung der japanischen Priorität JP 2005239984 vom 22. August 2005 angemeldet worden ist und auf einer Teilanmeldung der ursprünglichen Stammanmeldung, veröffentlicht als EP 1 757 344 A1 beruht. Die Patenterteilung wurde am 2. Dezember 2009 veröffentlicht. Das Streitpatent mit der Bezeichnung „Game operating device“ umfasst sechs Patentansprüche, die von der Klägerin sämtlich angegriffen werden.
2
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet in der maßgeblichen Verfahrenssprache Englisch:
3
„1. A game operating device (10), comprising:
4
a longitudinal housing (12) having a thickness capable of being held by one hand (62); a first operating portion (26, 42) provided on said housing (10), said first operating portion (26, 42) provided on a first plane (20) of said housing (12) along a longitudinal direction (C1);
5
an imaging means (56) to capture image data; a data transmission portion (70) for transmitting data by radio waves, a second operating portion (42, 28) provided on a second plane (22) opposed to said first plane (20) of said housing (12) at a position reached by an index finger (62b) of said one hand (62) when a thumb (62a) of said one hand (62) is placed on said first operating portion (26, 42); and
6
a holding portion (18) formed at a position where it can be held by a palm (62P) and other fingers (62c, 62d, 62e) of said one hand (62) when a thumb (62a) is placed on said first operating portion (26, 42) and an index finger (62b) is placed on said second operating portion (42, 28) the device being characterised by:
7
the imaging means (56) being provided at an end (52) opposed to said holding portion (18) of said housing (10) in such a manner that it can perform imaging in a direction in which the thumb (56a) is faced when said thumb (56a) is placed on said first operating portion (26, 42) and said holding portion (18) is held by said palm (62P) and the other fingers (62c, 62d, 62e); an image processing means (76) being provided in such a manner that it can obtain high intensity portion data on the position of a high intensity portion of the image data provided by the imaging means (50); an acceleration sensor (68) being provided inside said housing (12); and said data transmitted by said data transmission portion (70) being a sequence of data including operational data from said operating portions (26, 42; 42, 28), acceleration data from said acceleration sensor (68), and said high intensity portion data.“
8
In der in der EP-Patentschrift zur Information angegebenen deutschen Übersetzung lautet der Patentanspruch 1 wie folgt:
9
„1. Bediengerät (10) für Spiele, in dem enthalten sind:
10
ein Iongitudinales Gehäuse (12), das eine Dicke aufweist, die es ermöglicht, mit einer Hand gehalten zu werden (62); ein erster Bedienteil (26, 42), der auf dem genannten Gehäuse (10) angeordnet ist, wobei der genannte erste Bedienteil (26, 42) auf einer ersten Ebene (20) des genannten Gehäuses (12) längs einer longitudinalen Richtung (C1) angeordnet ist; ein Abbildungsmittel (56) zum Erfassen von Bilddaten; ein Datenübertragungsteil (70) zur Übertragung von Daten durch Funkwellen; ein zweiter Bedienteil (42, 28), der auf einer zweiten Ebene (22) gegenüber der genannten ersten Ebene (20) des genannten Gehäuses (12) an einer Position angeordnet ist, die durch einen Zeigefinger (62b) der genannten einen Hand (62) erreicht worden [sic!] kann, wenn ein Daumen (62a) der genannten einen Hand (62) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird; und
11
ein Halteteil (18), der an einer Position ausgebildet ist, wo er mit einer Handfläche (20P) und anderen Fingern (62c, 62d, 62e) der genannten einen Hand (62) gehalten werden kann, wenn ein Daumen (62a) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird und ein Zeigefinger (62b) auf den genannten zweiten Bedienteil (42, 28) des Gerätes gelegt wird,
12
dadurch gekennzeichnet, dass
13
das Abbildungsmittel (56) an einem Ende (52) angeordnet ist, das dem genannten Halteteil (18) des genannten Gehäuses (10) so gegenüberliegt, dass es eine Abbildung in einer Richtung durchführen kann, in die der Daumen (56a) gerichtet ist, wenn der genannte Daumen (56a) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird und der genannte Halteteil (18) von der genannten Handfläche (62P) und den anderen Fingern (62c, 62d, 62e) gehalten wird; ein Bildverarbeitungsmittel (76), das so vorgesehen ist, dass es Daten über einen hohen IntensitätsanteiI zur Position des hohen IntensitätsanteiIs der Bilddaten erfassen kann, die vom Abbildungsmittel (50) geliefert werden; ein Beschleunigungs-Sensor (68), der innerhalb des genannten Gehäuses (12) angeordnet ist; und die genannten Daten, die von dem genannten Datenübertragungsteil (70) übertragen werden, eine Sequenz von Daten darstellen, mit Einschluss von Bediendaten der genannten Bedienteile (26, 42; 42, 28), Beschleunigungs-Daten vom genannten Beschleunigungs-Sensor (68) und die genannten Daten über hohe Intensitätsanteile.“
14
Hinsichtlich des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wird auf den Urteilstenor verwiesen.
15
Die Klägerin macht mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) und der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, 52, 56 EPÜ).
16
Die Klägerin stützt die Nichtigkeitsklage auf folgende Dokumente:
17
A1 WO 2004/047011 A2, veröffentlicht am 03.06.2004
18
A2 JP 6-045153
19
A2a Englische Übersetzung von A2
20
A2b US 5,554,980 (= Familiendokument zu A2), veröffentlicht am 10.09.1996
21
A3 WO 97/09101 A1, veröffentlicht am 13.03.1997
22
A3a EP 1 854 518 A2
23
A4 US 5,724,106 A, veröffentlicht am 03.03.1998
24
A5 JP 2005-063230 A, veröffentlicht am 10.03.2005
25
A5a Englisches Abstract von A5
26
A5b Englische Übersetzung von A5
27
A6 http://web.archive.org/web/20050507092310/…
28
…http://en.wikipedia.org/wiki/Game_controller 07.05.2005 Internet
29
A7 http://web.archive.org/web/20050507062330/…
30
…http://en.wikipedia.org/wiki/Computer_mouse 07.05.2005 Internet
31
A8 http://web.archive.org/web/19990422080405/…
32
…http://home.olemiss.edu/~misbook/cdttmds.htm 22.04.1999 Internet
33
A9 http://en.wikipedia.org/w/index.php?…
34
…title=Serial_communication&oldid=17987879 02.07.2005 Internet
35
A10 http://web.archive.org/web/20050812075059/…
36
…http://en.wikipedia.org/wiki/Wireless 12.08.2005 Internet
37
A11 https://fr.wikipedia.org/w/index.php?…
38
…title=T%C3%A9l%C3%A9commande&oldid=3003229 13.08.2005 Internet
39
A12 Minutes of the oral proceedings before the OPPOSITION DIVISION; Patent No. EP-B-1 854 518 (20.02.2012)
40
A13 EP-Patentanmeldung EP 2 263 765 (Teilanmeldung aus selber Stammanmeldung wie Streitpatent), hier Anspruch 1 aus Einspruchsverfahren
41
A14 Aktenvermerk über Rechtskraft der EP 2 263 765 aus der Amtsakte
42
H1 Auszug aus Internet: http://www.ukgameshows.com/ukgs/Bamboozle!; undatiert, behaupteter Abruf am 25.12.2012
43
H2 Auszug aus Internet: http://www.hifi-forum.de/viewthread-39-7303.html; undatiert, behaupteter Abruf am 23.12.2012.
44
Die Klägerin führt an, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei unzulässig erweitert, da die im Prüfungsverfahren zum ursprünglichen Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale d) (Abbildungsmittel) und i) (Bildverarbeitungsmittel) nicht ursprungsoffenbart seien (zur Merkmalsgliederung siehe unten unter I.3). Die Einführung der aufgenommenen Bilddaten durch die Abbildungsmittel (Merkmal d) und der Bildverarbeitungsmittel (Merkmal i), welche diese Bilddaten verarbeiteten, ohne Verweis auf den Infrarotcharakter der Bilddaten, welcher durch den Infrarotfilter erzeugt werde (vgl. Abs. 0086, 0106, 0111 und 0116 der Beschreibung in der Anmeldung entsprechend der Offenlegungsschrift EP 1 854 518 A2, siehe A3a), sei eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung.
45
Nicht ursprünglich offenbart sei ferner das Erfassen allein der Position des Hochintensitätsabschnitts der Bilddaten gemäß Merkmal i). Gemäß den Absätzen 0111 und 0116 der Beschreibung würden Bildverarbeitungsmittel zur Detektion bzw. Bestimmung von sowohl der Positionen als auch gleichzeitig der Flächen der Hochintensitätsabschnitte bzw. der Stärke von Hochintensitätspunkten verwendet, nicht aber zum Bestimmen von allein der Position. Auch insoweit liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor. Die Bestimmung der Position des Hochintensitätsbereichs alleine sei auch völlig ungeeignet, die Relativposition des Bediengerätes zum Bildschirm ausreichend zu bestimmen. Vielmehr sei es notwendig, zusätzlich die Stärke des Hochintensitätsbereichs zu erfassen, da sich aus diesen Informationen der Abstand der LEDs zum IR-Sensor ermitteln lasse. Die Klägerin hat dies anhand von verschiedenen Illustrationen in ihrem Schriftsatz vom 14. Dezember 2018, Seiten 5 bis 7, näher erläutert. Daraus werde deutlich, dass bei einer Erfassung von lediglich der Position der Hochintensitätsbereiche verschiedene Positionen des Bediengeräts das identische Sensorabbild ergeben könnten, wobei auch der Beschleunigungssensor nicht weiterhelfe. Man könne deshalb nicht feststellen, in welche Richtung das Bediengerät zeige.
46
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei auch nicht erfinderisch gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik. Entsprechendes gelte für die abhängigen Ansprüche 2 bis 6.
47
Die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin haben in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2019 ausdrücklich erklärt, die von der Beklagten mit Schriftsätzen vom 17. Dezember 2018 und 28. Januar 2019 eingereichten Fassungen des Streitpatents gemäß den Hilfsanträgen 1, 2 und 3 nicht angreifen zu wollen.
48
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
49
das europäische Patent EP 1 854 518 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich für nichtig zu erklären mit der Maßgabe, dass die nach den Hilfsanträgen jeweils verteidigte Fassung nicht angegriffen wird.
50
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
51
die Klage abzuweisen,
52
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit den Hilfsanträgen 1, 2 und 3, eingereicht mit Schriftsätzen vom 17.12.2018 und 28.01.2019, verteidigt wird.
53
Dem Patentanspruch 1 schließen sich gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 jeweils die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 wie erteilt an. Wegen des Wortlauts des neuen Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 wird auf die Urteilsformel Bezug genommen.
54
Die Beklagte stützt sich zur Begründung auf die nachfolgenden Dokumente und Unterlagen:
55
NK1 Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 10.03.2016 – T 1386/12 – 3.2.04
56
NK2 Englische Übersetzung der japanischen offengelegten Patentanmeldung Nr. 8-71252 zur JP 3422383.
57
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und erachtet das Streitpatent für nicht unzulässig erweitert und patentfähig; dies gelte jedenfalls für eine der Fassungen der Hilfsanträge 1, 2 oder 3.
58
Anspruch 1 des Streitpatents sei nicht unzulässig erweitert. Hinsichtlich des Merkmals d) liege entgegen den Ausführungen der Klägerin schon keine Zwischenverallgemeinerung vor, weil u. a. die Absätze 0011 und 0012 der Ursprungsoffenbarung eine unmittelbare und eindeutige Basis für die in Rede stehende änderung darstellten. Weder in diesen Passagen noch in den weiteren Absätzen des Abschnitts „Disclosure of the invention“ werde erwähnt, dass das Abbildungsmittel ein Infrarotgerät sein müsse. Erst ab Absatz 0086 sei in Bezug auf eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung von „Infrarot“ die Rede. Selbst wenn man von den Passagen im Streitpatent ausgehe, in denen das Abbildungsmittel als ein Infrarot-Abbildungsmittel offenbart werde, liege jedenfalls keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
59
Auch hinsichtlich des Merkmals i) liege keine Zwischenverallgemeinerung vor. So zeige ein vollständiges und kontextuelles Lesen der relevanten Teile der Ursprungsoffenbarung (Abs. 0110 bis 0117 i. V. m. Fig. 8 und 9), dass es die Positionsdaten seien, die bei der Erfassung der Bewegung des Bediengeräts 10 von Bedeutung seien, unabhängig von der Stärke bzw. Fläche. So umfasse die in Abs. 0117 der Ursprungsoffenbarung entsprechend A3a beschriebene Ausführungsform ausschließlich, dass aus dem Bild die Position eines „Markers“ ermittelt werde und die Bediendaten von der Position des Markers abgeleitet würden; die Fläche („area“) oder Stärke („magnitude“) sei an dieser Stelle – anders als an sonstigen Offenbarungsstellen – gerade nicht erwähnt. Die ursprüngliche Anmeldung enthalte daher eine ausdrückliche Offenbarung, dass die Position der Hochintensitätsbereiche auch isoliert und unabhängig von der Fläche bzw. Stärke der Hochintensitätsbereiche von dem Bildverarbeitungsmittel aus den Bilddaten erfasst werden könne. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang ferner auf die Bezugnahme der Ursprungsanmeldung in den Absätzen 0003 und 0117 auf das japanische Patent JP 3422383 (vgl. die als Anlage NK2 vorgelegte englische Übersetzung der offengelegten Patentanmeldung Nr. 8-71252 zur JP 3422383 B2). Aus dieser japanischen Schrift könne der Fachmann entnehmen, dass zur Ermittlung des Zielpunktes bzw. der Rotation des Eingabegeräts alleine die Position der Hochintensitätsbereiche entscheidend sei, unabhängig von deren Fläche oder Stärke, wodurch er sein Verständnis von Abs. 0117 der ursprünglichen Anmeldung (s. o.) bestätigt sehe. Die Lehre der JP 3422383 sei entgegen der Ansicht des Senats auch nicht auf vier Lichtsender beschränkt, da die dort in den Absätzen 0018 ff. offenbarten Formeln zur Berechnung der Position ohne weiteres auf Ausführungsformen mit nur zwei Lichtsendern übertragen werden könnten. Der Fachmann entnehme den Abs. 0003 und 0117 der ursprünglichen Anmeldung daher, dass es in Bezug auf die dort in Bezug genommene JP 3422383 nur auf das allgemeine Prinzip der Verwendung der Positionsdaten zur Ermittlung des Zielpunks bzw. der Rotation des Eingabegeräts ankomme, nicht aber auf die Anzahl der Lichtsender.
60
Jedenfalls liege auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin herangezogenen bevorzugten Ausführungsform der Bildverarbeitungsschaltung (Abs. 0116) keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor, da die Daten über einen hohen Intensitätsanteil zur Position des hohen Intensitätsanteils der Bilddaten allein, d. h. unabhängig von den Flächendaten, zu einer vorteilhaften Lösung des Positionsbestimmungsproblems der Erfindung beitrügen.
61
Die o. g. Sichtweise werde auch durch eine funktionale Betrachtungsweise bestätigt. Denn Merkmal i) bezwecke entgegen der Darstellung der Klägerin nicht die Ermittlung der Position des Eingabegeräts im dreidimensionalen Raum, sondern die Steuerung bzw. das Setzen des Zielpunkts des Eingabegeräts auf dem zweidimensionalen Bildschirm, welcher nach der Lehre des Streitpatents allein relevant sei (vgl. Abs. 0001 bis 0004, 0008, 0009 und Abs. 0017 entsprechend der Offenlegungsschrift der Teilanmeldung EP 1 854 518 A2 (A3a) bzw. der Offenlegungsschrift der Stammanmeldung EP 1 757 344 A1). Hierfür sei nur die Ermittlung der Position von zwei Hochintensitätsbereichen erforderlich, nicht aber deren Fläche („area“) bzw. Stärke („magnitude“). Die Beklagte hat dies in der mündlichen Verhandlung anhand einer Skizze (vgl. Anlage zum Protokoll vom 26.03.2019, die der Skizze 3 aus ihrem Schriftsatz vom 20.03.2019 entspricht) näher erläutert. Diese Funktionalität sei auch in der in Abs. 0117 der ursprünglichen Anmeldung in Bezug genommenen JP 3422383 offenbart. Soweit in dieser japanischen Schrift noch weitere Informationen beschrieben würden, die dort aufgrund der verwendeten vier Lichtquellen berechnet würden, stünden diese nicht in untrennbarem Zusammenhang mit der Bestimmung des Zielpunkts auf dem Bildschirm, sondern könnten jeweils unabhängig voneinander berechnet werden.
62
Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang ferner auf die Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts im Einspruchsbeschwerdeverfahren gegen das Streitpatent (Anlage NK1), in welcher der Einwand der unzulässigen Erweiterung in Merkmal i) zurückgewiesen und das Streitpatent wie erteilt aufrechterhalten wurde.
63
Anspruch 1 des Streitpatents beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Keine der von der Nichtigkeitsklägerin vorgetragenen Kombinationen von Entgegenhaltungen könne dies in Frage stellen. Der Gegenstand gemäß geltendem Hilfsantrag 1 sei ebenfalls zulässig und patentfähig.
64
Die Nichtigkeitsbeklagte hat im Jahr 2010 gemeinsam mit der N… GmbH, einer 100%igen Tochter der Nichtigkeitsbeklagten, Verletzungsklage gegen die Nichtigkeitsklägerin vor dem Landgericht Mannheim erhoben (Az. 2 O 113/10). Mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 5. Juli 2011 wurde die Nichtigkeitsklägerin antragsgemäß wegen Patentverletzung verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Nichtigkeitsklägerin wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Februar 2017 (Az. 6 U 87/11) zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen, das Urteil ist rechtskräftig. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgenannte Urteil (vgl. Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 21.03.2017) Bezug genommen.
65
Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 10. Oktober 2018 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
66
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2019 samt Anlage verwiesen.

Entscheidungsgründe

67
Die zulässige Klage ist begründet, mit der Folge, dass das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig zu erklären ist, dass es die Fassung der Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 1 erhält.
68
Da das Streitpatent in der nach Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung wegen unzulässiger Änderung des Inhalts der ursprünglichen Anmeldung (Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) keinen Bestand hat und die Klägerin ausdrücklich erklärt hat, dass sie das Streitpatent, soweit es in der zulässig beschränkten Fassung nach Hilfsantrag 1 verteidigt wird, nicht angreift, ist die insoweit beschränkte Klage in vollem Umfang begründet; es bedarf keiner Klageabweisung im Übrigen.
I.
69
1. Das Streitpatent (EP 1 854 518 B1, nachfolgend PS) betrifft laut Beschreibungseinleitung, Abs. 0001 PS, ein Bediengerät für Spiele, insbesondere ein Bediengerät, das Bewegungen des Bediengeräts analysiert durch Detektion eines vorbestimmten Zeichens (mark) oder Musters (pattern) in einem Bild (image), das durch eine Abbildungseinrichtung (imaging device) aufgenommen wurde. In den Ausführungen zum Stand der Technik sind in der Beschreibungseinleitung (Abs. 0002 – 0009 PS) folgende Druckschriften genannt:
70
Zur WO 97/09101 ist angegeben, dass dortige ergonomische Maus zur Bedienung eines Computers dient. Dabei überträgt die Maus zu einem Empfänger die Infrarot-Ausgangssignal-Steuerinformationen von Steuerelementen zur Bedienung des Computers (Abs. 0002 PS).
71
Die WO 04/051391 beschreibt eine Vorrichtung zur Bewegungserfassung eines Körpers, indem aus den Daten einer Kamera und eines Winkelsensors die Bewegungsdaten errechnet werden (Abs. 0003 PS).
72
Der Stand der Technik nach der JP 2002-233665 soll es ebenfalls ermöglichen, ein Ziel abzubilden (image a target), das wenigstens vier charakteristische Punkte in einer Ebene enthält, daraus einen Haltungsparameter einer abbildenden Oberfläche zu berechnen (calculate an attitude parameter of an imaging surface) in Bezug zu der Fläche und darauf basierend eine Änderung an dem Ziel auszuführen (Abs. 0006 PS).
73
Zur JP 3422383 B2 und zur JP 08071252 führt die PS aus, dass diese aufzeigen, ein Schießspiel (shooting game) auszuführen, indem Lichtstrahler/Lichtsender (light emitters) an 4 Standorten um einen Videoschirm (video screen) platziert werden, wobei eine CCD-Kamera an einer Schusswaffe ein Bild der vier Lichtstrahler aufnimmt und daraus eine Ausrichtungsposition (designation position) auf dem Videoschirm berechnet wird, die auf der Information über die vier Lichtsender basiert, die wiederum in den Bilddaten zu dieser Zeit enthalten sind (Abs. 0005 PS). Die JP 3422383 B2 impliziert keine spezifische Form der Eingabeeinrichtung, offenbart aber die Verwendung einer Schusswaffe (gun) (Abs. 0007 PS).
74
Zusätzlich ist in der PS zur JP 2002-233665 (s. o.) angegeben, dass diese eine spezielle Form (specific shape) eines schusswaffenartigen Bediengeräts (gun-type controller) offenbart. Dabei sei es schwierig, intuitiv die Zielrichtung aus dem Gefühl/Sinneseindruck in der Hand, die den Griff hält (with a sensation in the hand holding the grip), zu erkennen (Abs. 0008 PS). In diesem Fall sind außerdem nur der Daumen und der Zeigefinger am Griff platziert, und hauptsächlich der Mittelfinger, der Ringfinger, der kleine Finger und der Handteller (der anderen Hand) müssen die Schusswaffe halten. Der Lauf ragt erheblich über den Haltebereich hinaus. Dies verursacht das Problem, die Ausrichtung des Bediengeräts intuitiv aufgrund der Sinneswahrnehmung der Hand, die das Gerät am Griff hält, zu erkennen. Da die Schusswaffe nicht im Schwerpunkt festgehalten werden könne, sei es schwierig, die Schusswaffe in einer bestimmten Ausrichtung zu halten. Mit dem Auftreten von Erschütterungen aufgrund der Abzugsbetätigung sei es zudem schwierig, das schusswaffenartige Bediengerät durchgängig schnell und stabil zu bedienen (Abs. 0009 PS).
75
Die JP 3422383 und die JP 2002-233665 sind bereits in der Stammanmeldung EP 1 757 344 A1 wie auch in der Teilanmeldung EP 1 854 518 A2 (OS) genannt worden, die anderen in der PS aufgeführten Druckschriften sind im Rahmen des Prüfungsverfahrens hinzugekommen.
76
2. Nach der Streitpatentschrift ist es deshalb eine hauptsächliche Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein neuartiges Bediengerät für Spiele zur Verfügung zu stellen (to provide a novel game operating device; Abs. 0010 PS). Eine weitere Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es, ein Bediengerät für Spiele zur Verfügung zu stellen, das leicht mit einer Hand zu bedienen ist (easy to operate while holding it by one hand) und das es einfach macht, die bezeichnete Richtung zu erkennen (makes it easy to recognize the direction of designation) (Abs. 0011 PS).
77
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch die nachfolgend nach Merkmalen gegliederte Lehre gemäß dem erteilten Patentanspruch 1:
78
 a)    
 A game operating device (10), comprising:
 Bediengerät (10) für Spiele, in dem enthalten sind:
 b)    
 a longitudinal housing (12) having a thickness capable of being held by one hand (62);
 ein longitudinales Gehäuse (12), das eine Dicke aufweist, die es ermöglicht, mit einer Hand gehalten zu werden (62);
 c)    
 a first operating portion (26, 42) provided on said housing (10), said first operating portion (26, 42) provided on a first plane (20) of said housing (12) along a longitudinal direction (C1);
 ein erster Bedienteil (26, 42), der auf dem genannten Gehäuse (10) angeordnet ist, wobei der genannte erste Bedienteil (26, 42) auf einer ersten Ebene (20) des genannten Gehäuses (12) längs einer longitudinalen Richtung (C1) angeordnet ist;
 d)    
 an imaging means (56) to capture image data;
 ein Abbildungsmittel (56) zum Erfassen von Bilddaten;
 e)    
 a data transmission portion (70) for transmitting data by radio waves,
 ein Datenübertragungsteil (70) zur Übertragung von Daten durch Funkwellen;
 f)    
 a second operating portion (42, 28) provided on a second plane (22) opposed to said first plane (20) of said housing (12) at a position reached by an index finger (62b) of said one hand (62) when a thumb (62a) of said one hand (62) is placed on said first operating portion (26, 42); and
 ein zweiter Bedienteil (42, 28), der auf einer zweiten Ebene (22) gegenüber der genannten ersten Ebene (20) des genannten Gehäuses (12) an einer Position angeordnet ist, die durch einen Zeigefinger (62b) der genannten einen Hand (62) erreicht worden [richtig: werden] kann, wenn ein Daumen (62a) der genannten einen Hand (62) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird; und
 g)    
 a holding portion (18) formed at a position where it can be held by a palm (62P) and other fingers (62c, 62d, 62e) of said one hand (62) when a thumb (62a) is placed on said first operating portion (26, 42) and an index finger (62b) is placed on said second operating portion (42, 28)
 ein Halteteil (18), der an einer Position ausgebildet ist, wo er mit einer Handfläche (20P [richtig: 62P]) und anderen Fingern (62c, 62d, 62e) der genannten einen Hand (62) gehalten werden kann, wenn ein Daumen (62a) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird und ein Zeigefinger (62b) auf den genannten zweiten Bedienteil (42, 28) des Gerätes gelegt wird,
        
 the device being characterised by:
 
dadurch gekennzeichnet, dass
         
 h)    
 the imaging means (56) being provided at an end (52) opposed to said holding portion (18) of said housing (10) in such a manner that it can perform imaging in a direction in which the thumb (56a) is faced when said thumb (56a) is placed on said first operating portion (26, 42) and said holding portion (18) is held by said palm (62P) and the other fingers (62c, 62d, 62e);
 das Abbildungsmittel (56) an einem Ende (52) angeordnet ist, das dem genannten Halteteil (18) des genannten Gehäuses (10) so gegenüberliegt, dass es eine Abbildung in einer Richtung durchführen kann, in die der Daumen (56a) gerichtet ist, wenn der genannte Daumen (56a) auf den genannten ersten Bedienteil (26, 42) gelegt wird und der genannte Halteteil (18) von der genannten Handfläche (62P) und den anderen Fingern (62c, 62d, 62e) gehalten wird;
 i)    
 an image processing means (76) being provided in such a manner that it can obtain high intensity portion data on the position of a high intensity portion of the image data provided by the imaging means (50);
 ein Bildverarbeitungsmittel (76), das so vorgesehen ist, dass es Daten über einen hohen Intensitätsanteil zur Position des hohen Intensitätsanteils der Bilddaten erfassen kann, die vom Abbildungsmittel (50) geliefert werden;
Zutreffender (Übersetzung diesseits):
ein Bildverarbeitungsmittel (76), das so vorgesehen ist, dass es Hochintensitätsbereichsdaten über die Position eines Hochintensitätsbereichs der vom Abbildungsmittel (50) zur Verfügung gestellten Bilddaten erfassen kann;
 j)    
 an acceleration sensor (68) being provided inside said housing (12); and
 ein Beschleunigungs-Sensor (68), der innerhalb des genannten Gehäuses (12) angeordnet ist; und
 k)    
 said data transmitted by said data transmission portion (70) being a sequence of data including operational data from said operating portions (26, 42; 42, 28), acceleration data from said acceleration sensor (68), and said high intensity portion data.
 die genannten Daten, die von dem genannten Datenübertragungsteil (70) übertragen werden, eine Sequenz von Daten darstellen, mit Einschluss von Bediendaten der genannten Bedienteile (26, 42; 42, 28), Beschleunigungs-Daten vom genannten Beschleunigungs-Sensor (68) und die genannten Daten über hohe Intensitätsanteile.
79
4. Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1:
80
Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber der erteilten Fassung (Hauptantrag) das Merkmal i) durch das Merkmal Hi1-i) ersetzt (Änderung unterstrichen):
81
Hi1-i)
an image processing means (76) being provided in such a manner that it can obtain high intensity portion data on the position and area of a high intensity portion of the image data provided by the imaging means (50);
82
5. Als für den Erfindungsgegenstand berufenen Fachmann sieht der Senat einen Elektroingenieur mit Fachhochschulausbildung (Dipl.-Ing. (FH) oder vergleichbar), der über mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung elektronischer Spielgeräte, insb. von Bediengeräten, verfügt. Dieser Fachmann kennt die auf dem genannten Gebiet üblichen Systemlösungen.
II.
83
1. Die stets gebotene Auslegung eines Patentanspruchs nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ und seiner einzelnen Merkmale hat sich am technischen Sinngehalt der Merkmale des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zu orientieren (st. Rspr., BGH GRUR 2011, 129 – Fentanyl-TTS; GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I, m. w. N.), wobei die Patentschrift im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe auch ihr eigenes Lexikon darstellen kann (BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube; Mitt. 2000, 105 – Extrusionskopf).
84
Hierbei hat die Auslegung losgelöst vom Stand der Technik und der angegriffenen Verletzungsform und nur im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu erfolgen (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I; GRUR 2015, 867 – Polymerschaum II). Sie hat sich am Sinngehalt des betreffenden Merkmals im Kontext der Patentschrift zu orientieren und an der Funktion, die dieses Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Es ist deshalb maßgeblich, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung dem Patentanspruch als Erfindungsgegenstand entnimmt.
85
2. Insoweit bedürfen die Merkmale d) und i), auf die sich der Angriff der Klägerin hinsichtlich einer jeweils unzulässigen Verallgemeinerung stützt, der Erläuterung:
86
Bei dem im Merkmal d) angeführten „imaging means“ handelt es sich nicht bloß um z. B. einen Helligkeitssensor, sondern es muss sich aufgrund der Bezeichnung „imaging means“ um eine Einrichtung handeln, die mindestens zwei Bildpunkte auflösen können muss und Daten zum Bild erfassen kann. Eine Beschränkung auf sichtbares oder unsichtbares Licht ist im Merkmal nicht gegeben.
87
Das im Merkmal i) aufgeführte „image processing means“ muss nach dem Hauptantrag zumindest die Positionsdaten eines Bereichs, der heller als die Umgebung ist, aus dem von dem „imaging means“ aufgenommenen Bild „gewinnen“ im Sinne von „ermitteln“ („obtain“) können.
III.
88
1. Patentanspruch 1 nach Hauptantrag
89
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).
90
1.1 Für die Beurteilung einer unzulässigen Erweiterung des – wie hier – aus einer Teilanmeldung (s. OS, EP 1 854 518 A2) hervorgegangenen Patentgegenstands ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die sich an der ausdrücklichen Regelung für die Teilanmeldung in Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c Halbsatz 2 EPÜ bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 PatG orientiert, allein der Offenbarungsgehalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgeblich (vgl. BPatG Urt. v. 11.05.2015 – 4 Ni 36/13 (EP), juris Rn. 150 ff. – Brustpumpe). Vorliegend ist dies die Stammanmeldung, veröffentlicht als EP 1 757 344 A1.
91
Ob in diesem Zusammenhang zusätzlich noch eine Prüfung gegenüber dem Inhalt der Teilanmeldung vorzunehmen ist (so die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts), kann hier dahinstehen. Denn die Teilanmeldung nach EP 1 854 518 A2 stimmt hinsichtlich der Beschreibung und der Figuren inhaltlich überein mit der Stammanmeldung EP 1 757 344 A1.
92
1.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist für den Inhalt einer Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgebend, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann (BGH GRUR 2015, 573 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH GRUR 2016, 50 – teilreflektierende Folie; BGHZ 194, 107 Rn. 45 – Polymerschaum).
93
Eine unzulässige Erweiterung liegt vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst aufgrund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat, so wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH GRUR 2013, 809 – Verschlüsselungsverfahren).
94
Der Senat ist sich bewusst, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in einer Weise angewendet werden muss, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal). Innerhalb dieses Rahmens können deshalb Patentansprüche weiter gefasst werden als in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen (BGH GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument, m. w. H.). Auch ein „breit“ formulierter Anspruch kann deshalb als unbedenklich zu erachten sein, wenn sich ein in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH GRUR 2014, 970 – Stent; GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal; 2012, 1124 – Polymerschaum).
95
Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht (BGH GRUR 2016, 1038 – Fahrzeugscheibe II; Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 – Drehmomentübertragungseinrichtung).
96
1.3 Merkmal d)
97
Das Merkmal d) („an imaging means (56) to capture image data“) weist keine unzulässige Verallgemeinerung des Inhalts der Anmeldung auf. Denn bereits in der Beschreibung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Stammanmeldung ist allgemein ein Abbildungsmittel (imaging means) aufgeführt. Der Begriff „infrared“ (IR) fehlt. Auch eine Konkretisierung auf einen IR-Sensor, einen entsprechenden Sender oder ähnliches wird dem Fachmann in diesem Zusammenhang nicht gelehrt (vgl. EP 1 757 344 A1, Abs. 0011 „[…] and an imaging means provided at the one end of the housing in such a manner that it can perform imaging in a direction along the longitudinal direction.“ sowie Anspruch 1 „[…] and an imaging means provided at said one end of said housing in such a manner that it can perform imaging in a direction along said longitudinal direction.“).
98
Vielmehr wird in der Stammanmeldung eine solche Konkretisierung erst im Zusammenhang mit der späteren Beschreibung des Ausführungsbeispiels aufgeführt. Dem Fachmann ist deshalb bewusst, dass die Erfindung in der ursprünglichen Anmeldung nicht beschränkt war auf Bilddaten von IR-LEDs sowie entsprechender (IR-)Sensoren.
99
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass der allgemeine Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen sowie deren Ansprüche nur auf die haptischen und bedienorientierten Merkmale des Gehäuses gerichtet waren und daher beim geltenden Anspruch 1 mit seinen zusätzlichen, auf die interne Elektronik des Bediengeräts gerichteten Merkmalen die Auffassung des Fachmanns zum Merkmal d) neu zu bewerten sei, teilt der Senat diese Ansicht nicht.
100
Die Klägerin gibt zwar an, dass hinsichtlich der Aufnahme weiterer, die Bildverarbeitung betreffender Merkmale allein auf die technischen Merkmale in den Absätzen 0086, 0106, 0111 und 0116 abzustellen sei, die explizit einen funktionalen Zusammenhang zwischen Bilddatenverarbeitung und einem IR-Sensor herstellen würden. Dabei vernachlässigt sie aber, dass der Inhalt des Abs. 0117 der Stammanmeldung ausdrücklich angibt, der Infrarotcharakter der Bilddaten spiele lediglich beim Ausführungsbeispiel, nicht aber generell für die Erfindung eine Rolle. Denn der dort in Abs. 0117 Sp. 18 Z. 50 f. in Klammern angegebene Hinweis hebt ausdrücklich hervor, dass Infrarotlicht nur im Ausführungsbeispiel eine Rolle spielt, nicht aber generell charakteristisch für den Erfindungsgedanken ist („In this manner, the imaing information arithmetic unit 54 can image a marker (
an infrared light from the LED
in the embodiment
) […]“; Unterstreichung diesseits). Der Fachmann hat deshalb bereits insoweit keine Veranlassung, die erfindungsgemäße Lehre ausschließlich einschränkend dahingehend zu verstehen, dass von einer ausschließlichen Verwendung von Licht im IR-Spektrum auszugehen ist. Insoweit kommt hinzu, dass nicht nur aufgrund der allgemeinen Beschreibung der Erfindung, sondern auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens sich dem Fachmann nicht erschließt, weshalb für die Erfindung ausschließlich IR-Licht Verwendung finden solle. Denn das für die Bildinformation verwendete Lichtspektrum (ob sichtbares Licht, Infrarotlicht etc.) spielt für die weitere erfindungsgemäße Bildsignalverarbeitung (vgl. „imaging information arithmetic unit 54“ etc.) grundsätzlich keine spezielle Rolle. Dass dagegen beim Ausführungsbeispiel ein konkretes Spektrum (hier IR-Licht) angegeben ist, widerspricht dieser Auffassung und dem vorbeschriebenen Verständnis nicht.
101
1.4 Merkmal i)
102
Allerdings stellt das Merkmal i) („an image processing means (76) being provided in such a manner that it can obtain high intensity portion data on the position of a high intensity portion of the image data provided by the imaging means (50)“) eine unzulässige Verallgemeinerung des ursprünglichen Offenbarungsgehalts der Stammanmeldung dar. Denn im Patentanspruch fehlt die – neben der Ermittlung der „position“ – gleichzeitige Mitermittlung der „area of a high intensity portion data“, während der Fachmann der Stammanmeldung nur die eingeschränkte Lehre entnimmt, dass erfindungsgemäß die Bestimmung der „positions and areas“ (Positionen und Flächen) oder – gleichbedeutend, s. u. – „positions and magnitudes“ (Positionen und Größen/Ausmaße) der Hochintensitätsbereiche in einem untrennbaren Zusammenhang stehen und gemeinsam erfolgen. So wird die Flächeninformation zu einem Hochintensitätsbereich in den Bilddaten gemäß der ursprünglichen Beschreibung durchgehend nur gemeinsam mit der „position of a high intensity portion of the image data“ miterfasst (siehe EP 1 757 344 A1, Abs. 0111 Sp. 17 Z. 45–52 und auch Abs. 0116 Sp. 18 Z. 34–42; in Abs. 0116 Sp. 18 Z. 42–45 und Abs. 0119 Sp. 19 Z. 42–49 sowie Abs. 0120 Sp. 19 Z. 50–56 als „intensity point positions and magnitudes“ bzw. „information on the positions and magnitudes of high-intensity points“).
103
Anders als von der Beklagten behauptet, stellt das erfindungsgemäße Gesamtsystem in den ursprünglichen Unterlagen nach der Stammanmeldung ausschließlich auf eine Vorrichtung mit nur zwei LED-Modulen (108A/108B) oberhalb eines Bildschirms ab (vgl. EP 1 757 344 A1, Abs. 0115 i. V. m. Fig. 9, auch Fig. 11, 12), auch wenn dies nicht Eingang in den Patentanspruch gefunden hat, der nur auf einen als „game operating device“ bezeichneten Controller (also einen Teil des Gesamtsystems) gerichtet ist. Damit die Ausrichtung des im Anspruch 1 beanspruchten „game operating device“ (controller 10) auf den Monitor als Bediensignal ermittelt werden kann (s. Abs. 0117 Sp. 18 Z. 51–56), gibt die Beschreibung durchgängig an, dass hierzu „positions and areas“ (Positionen und Flächen) (Abs. 0111, 0116) oder – gleichbedeutend, s. u. – „positions and magnitudes“ (Positionen und Größen/Ausmaße) (Abs. 0116, 0119, 0120) der Hochintensitätspunkte (high-intensity points) erfasst werden.
104
Die in Abs. 0116 aufgeführte Kombination aus „intensity point positions and magnitudes“ (Sp. 18 Z. 39, 44 f.) ist deswegen gleichbedeutend mit der im selben Absatz zuvor (Sp. 18 Z. 36, vgl. a. Abs. 0111 Sp. 18 Z. 49 und 50) aufgeführten „information on the positions and areas of the LED modules 108A and 108B as high-intensity point information“, da die dort genannten „areas“ (Flächen) offenbar eine Flächengrößeninformation beinhalten, gleichbedeutend mit dem Begriff „magnitude“ (Größe/Ausmaß), der in Folge nicht unmittelbar mit „Stärke“ (z. B. Lichtstärke) zu übersetzen bzw. zu verstehen ist. Aus der Beschreibung ergeben sich – abgesehen von den verwendeten unterschiedlichen Wörtern („areas“ / „magnitudes“) – auch keine Anhaltspunkte dafür, dass „areas“ und „magnitudes“ unterschiedliche (Mess-)Größen darstellen sollen.
105
Auch soweit die Stammanmeldung in Abs. 0117 hinsichtlich der Bildverarbeitung („principle of the imaging information arithmetic unit“) allgemein auf die JP 3422383 (vgl. NK2) verweist und deswegen auf eine genauere Erklärung zum Prinzip der „imaging information arithmetic unit“ verzichtet (vgl. Abs. 0117 Sp. 18 Z. 56 – Sp. 19 Z. 1), ergibt sich nichts anderes. Denn der Fachmann muss zur Überzeugung des Senats davon ausgehen, dass die dort zum Prinzip der „imaging information arithmetic unit“ in Bezug genommene japanische Patentschrift lediglich zur Lehre der grundsätzlichen Bilderfassung heranzuziehen ist.
106
Zwar ist in der Rechtsprechung (BGH GRUR 1980, 283 – Terephthalsäure) anerkannt, dass auch durch die in der Offenbarung enthaltene Verweisung bzw. Bezugnahme der Inhalt einer in Bezug genommenen weiteren Schrift ebenfalls zum offenbarten Inhalt der Bezug nehmenden Schrift gemacht worden sein kann, da es auf den Inhalt des Offenbarten ohne Einfluss ist, dass an Stelle der wörtlichen Wiederholung des Textes der kürzere Weg der Wiedergabe, nämlich der der Bezugnahme, gewählt wird. Insoweit gilt dies nach der Rechtsprechung auch des Senats (Urt. v. 22.08.2018 – 4 Ni 10/17 (EP), juris Rn. 283 – Zigarettenpackung) aber nur mit der Einschränkung, dass zur Auslegung des Offenbarungsgehalts einer Patentschrift als Stand der Technik bei einer Bezugnahme auf eine weitere Schrift zunächst zu klären ist, welche Bedeutung aus Sicht des Durchschnittsfachmannes der enthaltenen Bezugnahme für den Offenbarungsgehalt beizumessen ist (BGH Beschluss vom 14.05.1985, X ZB 19/83 = BlPMZ 1985, 373). Es bleibt demnach eine Prüfung des Einzelfalls, ob und inwieweit eine Verweisung auf ein weiteres Dokument geeignet ist, den Offenbarungsgehalt der verweisenden Schrift zu ergänzen, oder ob das Dokument nur das Fachwissen repräsentiert und im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit Berücksichtigung finden kann (BPatG Urt. v. 10.05.2017 – 5 Ni 54/15 (EP)). Darüber hinaus ist aber zu beachten, welchen technischen Inhalt die in Bezug genommene Schrift ihrem allgemeinsten Gehalt nach – bezogen auf die verweisende Offenbarung – überhaupt vermittelt.
107
Vor dem o. g. Hintergrund versteht der Fachmann die Information in Abs. 0017 der Stammanmeldung, wonach die Grundlagen der „imaging information arithmetic unit“ aus der JP 3422383 wohl bekannt seien, gerade nicht so, dass diese insoweit eine vollständige Lehre des Streitpatents widerspiegeln und deshalb für diese Lehre die Fläche bzw. Größe/Ausmaß der Hochintensitätspunkte entbehrlich seien, weil auch die erfindungsgemäße Lehre auf die Verwendung von vier Lichtpunkten abstelle. Denn das beanspruchte „game operating device“ wird, wie erläutert, erfindungsgemäß ausschließlich bei einem System mit zwei LED-Modulen betrieben. Deshalb sind die in der japanischen Druckschrift angegebenen Berechnungsformeln mit ihrer ausschließlichen Berücksichtigung von Bildkoordinaten (und ohne Hinweis auf „areas“ / „magnitudes“) aufgrund der dort verwendeten vier Lichtpunkte um den Bildschirm herum nicht unmittelbar zur konkreten Berechnung der Controllerausrichtung bei dem erfindungsgemäßen System mit seinen lediglich zwei Lichtpunkten geeignet.
108
So ist auch bereits in der Beschreibungseinleitung der Stammanmeldung, Abs. 0003, angegeben, dass die Erfindung nach JP 3422383 insgesamt vier Lichtsender zur Bestimmung desjenigen Punkts auf dem Bildschirm, auf den der Controller zielt, nutzt. Nach der dortigen Lehre Abs. 0017 und 0018 werden zur Positionsbestimmung des Zielpunkts auf dem Monitor ausschließlich die Koordinaten – also die Positionen – der vier Lichtpunkte auf der „CCD-camera 3“ bzw. auf dem „video RAM 5“ verwendet.
109
Die Beklagte hat argumentiert, daraus ergebe sich, dass zur Bestimmung desjenigen Punkts auf dem Bildschirm, auf den der Controller ziele, lediglich die Positionen der verwendeten Lichtpunkte (Hochintensitätsbereiche) bekannt sein müssten. Das gelte unabhängig davon, ob gemäß der JP 3422383 vier Lichtpunkte oder gemäß dem Streitpatent zwei Lichtpunkte verwendet würden. Denn der Punkt auf dem Bildschirm, auf den der Controller ziele, sei stets der Mittelpunkt zwischen den beiden Lichtpunkten, d. h. er liege stets in der Mitte der beiden erfassten Hochintensitätsbereiche. Eine Erfassung der Größe sei dazu nicht erforderlich.
110
Dem ist jedoch nicht zu folgen. Denn eine Bestimmung des Punktes auf dem Bildschirm, auf den der Controller zielt, ist nicht möglich ohne Kenntnis der Richtung, aus der der Controller zielt: Nur für den Sonderfall, dass der Controller exakt mittig vor dem Bildschirm platziert ist, befindet sich der Punkt auf dem Bildschirm, auf den der Controller zielt, sowohl in der Mitte zwischen den beiden vom Controller erfassten Lichtpunkten/Hochintensitätsbereichen als auch in der Mitte des Bildschirms. Dieser Sonderfall ist in der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung übergebenen Skizze als Fall „C“ (auch „A“) eingetragen:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
111
Von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung übergebene Skizze; Winkelhalbierende (durchgezogen in lila) bei „Fall B“ diesseits nachgetragen
112
Ist der Controller dagegen nicht mittig, sondern seitlich versetzt zum Bildschirm platziert, entsprechend dem Fall „B“ in der Skizze, so liegt der Punkt in der Mitte zwischen den beiden vom Controller erfassten Lichtpunkten/Hochintensitätsbereichen. Dies bedeutet, der ermittelte Punkt, auf den der Controller nach diesem Verfahren zielt, liegt nicht in der Mitte des Bildschirms, sondern seitlich versetzt dazu. Siehe hierzu die vom Senat eingetragene durchgezogene Winkelhalbierende in lila, die auf einen Punkt zielt, der im Beispiel der Skizze um etwa eine Viertel Bildschirmbreite neben der Mitte des Bildschirms liegt.
113
Eine Bestimmung des Punkts auf dem Bildschirm, auf den der Controller tatsächlich zielt, ist deshalb anhand der Positionen von lediglich zwei Lichtpunkten/Hochintensitätsbereichen unmöglich, wenn nicht zusätzlich bekannt ist, aus welcher Richtung der Controller auf den Bildschirm zielt.
114
Diese Zusatzinformation wird im Fall der JP 3422383 ersichtlich daraus gewonnen, dass dort die Positionen von vier in einem Rechteck angeordneten Lichtpunkten ausgewertet werden. So lässt sich eine seitliche Positionierung des Controllers daran erkennen, dass das Rechteck der vier Lichtpunkte zu einem Trapez verzerrt ist, mit der kürzeren Trapezseite auf der weiter vom Controller entfernten Seite – im Fall „B“ in der Skizze wäre das auf der Seite der LED B.
115
Dieselbe Zusatzinformation wird erfindungsgemäß gewonnen, indem zusätzlich zu den Positionen der zwei Lichtpunkte LED A und LED B deren Größe mitbestimmt wird. So lässt sich eine seitliche Positionierung des Controllers daran erkennen, dass der weiter vom Controller entfernte Lichtpunkt kleiner abgebildet wird – im Fall „B“ in der Skizze ist das die LED B.
116
Der Fachmann entnimmt daher der Stammanmeldung, dass die Bestimmung der Positionen (position) und der Größen (area/magnitude) der Hochintensitätsbereiche in einem untrennbaren Zusammenhang steht.
117
Auch der weitere Hinweis der Beklagten, dass bei dem im Abs. 0117 (Sp. 18 Z. 50, 52) aufgeführten „marker“ für die Bewegungsbestimmung lediglich dessen Position erforderlich sei und daher der Fachmann mitlese, dass für die Erfindung lediglich die Position der „high intensity portion of the image data“ benötigt und verarbeitet werde, trifft nicht zu. Denn Abs. 0117 bezieht sich mit seinen einleitenden Worten „In this manner“ ausdrücklich auf die zuvor in Abs. 0116 aufgeführte Beschreibung, wonach die „game machine“ das Bediensignal hinsichtlich der Bewegung des Controllers aus den sich ändernden Daten „on the intensity point positions and magnitudes“ gewinnt, also aus Positionen und Größen der Hochintensitätsbereiche.
118
Auch der Verweis der Beklagten auf die Entscheidung der EPA-Beschwerdekammer (vgl. NK1 Ziffer 3.9 S. 16–18) verfängt nicht. Demnach würden für den Fachmann hinsichtlich der Bewegung des Controllers nur die Positionsdaten zählen, unabhängig von deren Größe und Fläche (NK1 S. 17 vorletzter Absatz).
119
Wie bereits oben dargelegt, erkennt der Fachmann jedoch aus der Beschreibung der Ursprungsoffenbarung gemäß der Stammanmeldung, dass das Verfahren zur Ermittlung der Controllerausrichtung von der Anzahl der verwendeten Leuchtmittel abhängt. Somit werden bei – wie erfindungsgemäß – zwei Leuchtmitteln für das gleiche Resultat, hier die Ausrichtungsbestimmung bzgl. des Zielpunkts des Controllers, andere, nämlich weitere Daten der abgebildeten Leuchtmittel benötigt, hier „position and area/magnitude of the high-intensity portion“. Dagegen genügen bei vier Leuchtmitteln die Koordinaten (Positionen) der abgebildeten Lichtpunkte.
120
Damit ist der klägerische Angriff nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜG insoweit begründet, als unter Berücksichtigung des Wortlauts der Offenbarung in der Stammanmeldung das Merkmal i) unzulässig verallgemeinert ist mit der Folge, dass Patentanspruch 1 und wegen ihres Rückbezugs auch sämtliche weiteren Patentansprüche des Streitpatents in der nach Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung keinen Bestand haben.
121
2. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1
122
Soweit die Beklagte die angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 beschränkt verteidigt, erweist sich das Streitpatent ohne weitere Sachprüfung in diesem Umfang als bestandsfähig (vgl. BPatG GRUR 2009, 46, 49 – Ionenaustauschverfahren; BPatG Urt. v. 19.02.2013 – 4 Ni 25/10 (EU), juris Rn. 4 – Passive Nadelabschirmung für Spritzen; BPatG Urt. v. 18.08.2015 – 4 Ni 20/14 (EP), juris Rn. 128), da diese beschränkte Fassung von der Klägerin nicht angegriffen worden ist und sich die Selbstbeschränkung als zulässig erweist.
123
2.1 Die nach Hilfsantrag 1 verteidigte Fassung des Streitpatents mit den Patentansprüchen 1 bis 6 erweist sich als zulässig geändert. Insbesondere enthalten sämtliche Ansprüche keine unzulässige Erweiterung oder Verallgemeinerung des Inhalts der Anmeldung nach Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ.
124
So sind die gegenüber der erteilten Fassung unveränderten Merkmale a) b), c), f) g) und h) bereits Gegenstand des (unabhängigen) Anspruchs 2 der Stammanmeldung.
125
Die im geltenden Anspruch 1 weiter unverändert gegenüber der erteilten Fassung enthaltenen Merkmale d), e), j) und k) gehen jeweils hervor aus Abs. 0106 Sp. 16 Z. 53, Abs. 0130 Sp. 22 Z. 8–12, Abs. 0101 Sp. 15 Z. 18 f. bzw. Abs. 0112 Sp. 17 Z. 57– Sp. 18 Z. 5 der Stammanmeldung.
126
Das Merkmal Hi1-i) des Hilfsantrags 1 ist gegenüber der erteilten Fassung (Hauptantrag), s. dortiges Merkmal i) ergänzt und lautet (Änderung gegenüber erteilter Fassung diesseits unterstrichen):
127
Hi1-i)_
128
Diese Beschränkung macht den geltenden Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 gegenüber der erteilten Fassung zulässig. Die Offenbarung für diese zwingend erforderliche Kombination aus „position“ und „area“ zusammen mit den weiteren Attributen dieses Merkmals findet sich in der Stammanmeldung Abs. 0111 Sp. 17 Z. 43–49 i. V. m. Abs. 0116 Sp. 18 Z. 34–37.
129
Die Weiterbildung nach dem geltenden und gegenüber der erteilten Fassung unveränderten Unteranspruch 2 ist offenbart in Abs. 0086 der Stammanmeldung i. V. m. Fig. 17 und 26. Die entsprechenden jeweiligen Ausgestaltungen nach den ebenfalls gegenüber der erteilten Fassung unverändert geltenden Unteransprüchen 3, 4, 5 und 6 des Hilfsantrags 1 gehen hervor aus den ursprünglichen Ansprüchen 3, 5, 9 bzw. 10 der Stammanmeldung.´
130
2.2 Da die Klägerin diese nach Hilfsantrag 1 zulässig beschränkt verteidigte Fassung des Streitpatents nicht angreift und insoweit ihre Klage nicht weiterverfolgt, hat das Patent in dieser Fassung somit ohne weitere Sachprüfung Bestand.
IV.
131
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
132
Der Senat teilt die Auffassung, dass die Klägerin auch bei einer nur teilweisen Nichtigerklärung des ursprünglich mit der Klage vollumfänglich angegriffenen Streitpatents dann aus Billigkeitserwägungen keine anteilige Kostenlast trifft, wenn sie bei Klageerhebung keine Möglichkeit hat, ihre Klage bereits insoweit eingeschränkt zu erheben, was insbesondere dann der Fall ist, wenn – wie vorliegend – die angegriffenen Patentansprüche durch Aufnahme weiterer Merkmale aus der Beschreibung erst während des Verfahrens beschränkt werden und das Streitpatent insoweit zulässig beschränkt verteidigt wird und die Klägerin sich mit dieser Fassung sofort einverstanden erklärt (vgl. BPatG GRUR 2009, 46, 50 – Ionenaustauschverfahren; BPatG Urt. v. 19.02.2013 – 4 Ni 25/10 (EU), juris Rn. 6 ff. – passive Nadelabschirmung für Spritzen; BPatG Urt. v. 18.08.2015 – 4 Ni 20/14 (EP), juris Rn. 129). Dies gilt unabhängig davon, ob die beschränke Verteidigung unbedingt oder hilfsweise erklärt wird (BPatG a. a. O. – Ionenaustauschverfahren).
133
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.

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