Aktenzeichen 6 Ni 66/16 (EP)
§ 99 Abs 1 PatG
§ 227 Abs 1 ZPO
§ 283 ZPO
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
…
betreffend das europäische Patent 2 004 542
(DE 50 2007 013 188)
hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2018 durch die Vorsitzende Richterin Friehe sowie die Richter Schwarz und Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck, die Richterin Dipl.-Phys. Dr. Otten-Dünnweber sowie den Richter Dipl.-Ing. Altvater
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 004 542 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aufgrund der internationalen Anmeldung PCT/EP2007/053342 vom 4. April 2007, die als WO 2007/113325 am 11. Oktober 2007 veröffentlicht wurde, unter Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Anmeldung 10 2006 016 260 vom 6. April 2006 in der Verfahrenssprache Deutsch erteilten europäischen Patents 2 004 542 (Streitpatent).
2
Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 50 2007 013 188 geführte Streitpatent trägt die Bezeichnung
3
„MICROMECHANISCHE GEHÄUSUNG MIT MINDESTENS ZWEI KAVITÄTEN MIT UNTERSCHIEDLICHEM INNENDRUCK UND/ODER UNTERSCHIEDLICHER GASZUSAMMENSETZUNG SOWIE VERFAHREN ZU DEREN HERSTELLUNG“
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und umfasst in der erteilten Fassung 9 Patentansprüche, die mit der am 5. September 2016 erhobenen Nichtigkeitsklage in vollem Umfang angegriffen werden.
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Die angegriffenen erteilten nebengeordneten Patentansprüche 1 und 7 lauten wie folgt:
6
1. In der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil mit einem Substrat und einer Kappenstruktur, die so miteinander verbunden sind, dass sie mindestens einen ersten und einen zweiten Hohlraum umschließen, die gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sind, wobei wenigstens in dem ersten Hohlraum (5) ein Drehratensensor, Beschleunigungssensor, Aktuator, Resonator, Display, digitaler Mikrospiegel, Bolometer und/oder RF-Switch angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der erste der beiden Hohlräume mit einem Gettermaterial versehen ist und aufgrund dieses Gettermaterial s einen anderen Innendruck und/oder eine andere Gaszusammensetzung aufweist als der zweite Hohlraum.
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7. Verfahren zum Herstellen eines Bauteils wie in einem der Ansprüche 1 bis 6 definiert, umfassend die folgenden Schritte:
8
a) Bereitstellen eines in den Bereichen des ersten Hohlraums mit einem ersten Gettermaterial beschichteten flächigen Substrats oder einer solchen, ggf. flächig ausgebildeten Kappenstruktur,
9
b) Justieren des flächigen Substrats oder der Kappenstruktur zu einem entsprechenden Kappen- oder Substrat-Gegenstück,
10
c) Einbringen des Paars aus flächigem Substrat und ggf. flächig ausgebildeter Kappenstruktur in eine Prozesskammer,
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d) Fluten der Prozesskammer mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem oder einem ersten Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B, die von diesem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit dem Partialdruck PA und Gassorte B mit dem Partialdruck PB vorliegt,
12
e) In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik,
13
f) Aktivieren des ersten Gettermaterial s derart, dass es Moleküle der Gassorte A absorbiert.
14
Die ebenfalls angegriffenen erteilten Patentansprüche 2 bis 6 sind auf Anspruch 1, die erteilten Patentansprüche 8 und 9 auf den vorangehenden nebengeordneten Patentanspruch 7 rückbezogen, welcher wiederum auf die Ansprüche 1 bis 6 rückbezogen ist.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Streitpatent mangels Patentfähigkeit für nichtig zu erklären sei. Dies stützt sie u. a. auf die Druckschriften (Nummerierung und Kurzzeichen nach Klageschriftsatz):
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E3: US 6 713 828 B1 und
17
E5: G. Longoni , A. Conte, M. Amiotti , A. Renzo und M. Moraja : Q-Factor Enhancement for MEMS Devices: the Role of the Getter Film. In: International Symposium on Microelectronics, 2005.
18
Die Klägerin beantragt,
19
das Patent EP 2 004 542 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, soweit sie das Patent mit den Anträgen aus dem Schriftsatz vom 14. März 2018 verteidigt, hilfsweise, soweit sie das Patent mit dem Hilfsantrag aus dem Schriftsatz vom 14. Mai 2018 verteidigt.
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Die Patentansprüche nach dem Hauptantrag vom 14. März 2018 lauten (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen):
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1. In der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil mit einem Substrat und einer Kappenstruktur, die so durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen miteinander verbunden sind, dass sie mindestens einen ersten und einen zweiten Hohlraum umschließen, die gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sind, wobei wenigstens in dem ersten Hohlraum (5) ein Drehratensensor, Beschleunigungssensor, Aktuator, Resonator, Display, digitaler Mikrospiegel, Bolometer und/oder RF-Switch und in dem zweiten Hohlraum ein Beschleunigungssensor angeordnet ist und wobei der erste Hohlraum einen anderen Innendruck aufweist als der zweite Hohlraum, dadurch gekennzeichnet, dass der erste der beiden Hohlräume mit einem Gettermaterial versehen ist und dass sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterial s anders ist einen anderen lnnendruck und/oder eine andere Gaszusammensetzung aufweist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
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2. Bauteil nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der erste Hohlraum aufgrund dieses Gettermaterial s auch eine andere Gaszusammensetzung aufweist als der zweite Hohlraum.
25
23. Bauteil nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite der beiden Hohlraume kein Gettermaterial enthält.
26
34. Bauteil nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite der beiden Hohlraume ein zweites Gettermaterial enthält, dessen Gasabsorptionseigenschaften sich von denen des Gettermaterial s in dem ersten Hohlraum unterscheidet.
27
45. Bauteil nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite der beiden Hohlraume dasselbe Gettermaterial wie der erste Hohlraum enthalt, jedoch in einer geringeren Menge bzw. Fläche, bezogen auf das Volumen des Hohlraums.
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56. Bauteil nach einem der Anspruche 1 bis 45, dadurch gekennzeichnet, dass das Gettermaterial zumindest in Teilbereichen strukturiert vorliegt ist.
29
6. Bauteil nach einem der Anspruche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Substrat und die Kappenstruktur durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen miteinander verbunden sind.
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7. Verfahren zum Herstellen eines Bauteils wie in einem der Ansprüche 1 bis 6 definiert, umfassend die folgenden Schritte:
31
a) Bereitstellen eines in den Bereichen des ersten Hohlraums mit einem ersten Gettermaterial beschichteten flächigen Substrats oder einer solchen, ggf. flächig ausgebildeten Kappenstruktur,
32
b) Justieren des flächigen Substrats oder der Kappenstruktur zu einem entsprechenden Kappen- oder Substratgegenstück,
33
c) Einbringen des Paars aus flächigem Substrat und ggf. flächig ausgebildeter Kappenstruktur in eine Prozesskammer,
34
d) Fluten der Prozesskammer mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem oder einem ersten Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B, die von diesem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit dem Partialdruck PA und Gassorte B mit dem Partialdruck PB vorliegt,
35
e) In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik,
36
f) Aktivieren des ersten Gettermaterial s derart, dass es Moleküle der Gassorte A absorbiert.
37
8. Verfahren nach Anspruch 7, wobei das Verhältnis der Partialdrucke der in Schritt (d) eingesetzten Gassorten A und B zwischen 1:99 und 99:1, vorzugsweise zwischen 1:95 und 95:1 beträgt.
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98. Verfahren nach Anspruch 7 oder 8 zum Herstellen eines Bauteils mit mehr als zwei Hohlräumen und Gettermaterial ien zumindest in den beiden ersten Hohlräumen, wobei das Prozessgas zusätzlich eine weitere Gassorte C aufweist und das Gettermaterial im ersten Hohlraum eine gegenüber der Gasmischung erste Absorptionseigenschaft und das Gettermaterial im zweiten Hohlraum eine gegenüber der Gasmischung zweite Absorptionseigenschaft hat, die von einem zweiten oder einem dritten Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaßabsorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit dem Partialdruck PA, die Gassorte B mit dem Partialdruck PB und die Gassorte C mit dem Partialdruck PC vorliegt.
39
Der Hilfsantrag vom 14. Mai 2018 unterscheidet sich vom Hauptantrag lediglich in Anspruch 1, der nach dem Hilfsantrag wie folgt lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag gekennzeichnet):
40
1. In der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil mit einem Substrat und einer Kappenstruktur,
41
die so durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen miteinander verbunden sind, dass sie mindestens einen ersten und einen zweiten Hohlraum umschließen, die gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sind,
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wobei in dem ersten Hohlraum ein Drehratensensor und in dem zweiten Hohlraum ein Beschleunigungssensor angeordnet ist, und
43
wobei der erste Hohlraum einen von dem Drehratensensor benötigten anderen Innendruck (erster Innendruck) aufweist als und der zweite Hohlraum einen vom Beschleunigungssensor benötigten Innendruck (zweiter Innendruck) aufweist, wobei sich die Innendrücke unterscheiden,
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dadurch gekennzeichnet, dass
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der erste der beiden Hohlräume mit einem Gettermaterial versehen ist und dass durch das sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterial s der Unterschied zwischen den Innendrücken eingestellt ist, und zwar dadurch, dass das Gettermaterial aus einem in die Hohlräume gefüllten und dort eingeschlossenen Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer ersten Gassorte besteht, diese erste Gassorte vollständig oder im Wesentlichen vollständig oder zumindest teilweise absorbiert anders ist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
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Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerin entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in den beschränkt verteidigten Fassungen für schutzfähig.
47
Der Senat hat den Parteien einen ihnen jeweils am 12. Februar 2018 zugestellten Hinweis nach § 83 PatG vom 7. Februar 2018 zukommen lassen, in dem den Parteien eine Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis bis zum 14. März 2018 und eine weitere Stellungnahmefrist auf das Vorbringen der jeweiligen Gegenseite bis zum 18. April 2018 gesetzt worden ist.
Entscheidungsgründe
A.
48
Die zulässige Klage ist begründet. Nachdem die Beklagte das Streitpatent nur noch beschränkt verteidigt, ist es in der erteilten Fassung schon aus diesem Grund ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären. Aber auch soweit die Beklagte das Streitpatent beschränkt verteidigt, hat die Klage Erfolg, denn der beschränkten Verteidigung nach dem Hauptantrag steht sowohl als geschlossener Anspruchsfassung als auch hinsichtlich der von der Beklagten ausdrücklich gesondert verteidigten einzelnen Ansprüche jeweils zumindest der Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit gemäß Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ entgegen, und die weitere beschränkte Verteidigung des Streitpatents mit dem Hilfsantrag vom 14. Mai 2018 ist verspätet.
49
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
50
1. Das vorliegende Streitpatent betrifft ein in der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil, welches sich als kombinierte Gehäusung von mikromechanischen Systemen eignet, die jeweils einen unterschiedlichen Betriebsdruck benötigen, sowie ein Verfahren zu seiner Herstellung (vgl. Streitpatentschrift, Abs. (0001). Nach Absatz 0001 der Streitpatentschrift könne im gleichen Arbeitsschritt die selektive Befüllung einer Kavität 1 mit definiertem Gasdruck P1 und einer Kavität 2 mit Gasdruck P2 erfolgen, wobei die Gasdrücke P1 und P2 voneinander unabhängig gewählt werden könnten. Dabei ließen sich unterschiedliche mikromechanische Systeme in einem Bauteil kombinieren und der Integrationsgrad solcher Systeme erheblich steigern.
51
Absatz 0002 der Streitpatentschrift verweist hierzu auf mit Hilfe der Mikrosystemtechnik gefertigte Bauteile (MEMS), die seit längerem für die miniaturisierte und kostengünstige Herstellung von Sensoren und Aktoren etabliert seien. Die Mikrosystemtechnik (MST) sei ein relativ junger Technologiezweig, der sich in großen Teilen die leistungsfähigen Produktionsprozesse der Halbleiterindustrie zu eigen mache, um mit diesen mikrotechnischen Verfahren, die auf den Grundwerkstoff Silizium zugeschnitten seien, makroskopische Technologiesysteme in die Mikrowelt zu übertragen; hierdurch werde die stetige Miniaturisierung und Leistungssteigerung von technischen Produkten unterstützt. Die mittels Mikrostrukturtechnik hergestellten Produkte fänden branchenübergreifend Anwendung in der Mikroelektronik, der Industrieautomation, der Kommunikations- und Medizintechnik, in der Automobilindustrie oder auch bei Life Science Produkten. Dabei erforderten die fortschreitende Miniaturisierung sowie die kontinuierliche Erhöhung der technologischen Integrationsdichte von Mikrosystemen eine anhaltende Entwicklung und Verbesserung von bestehenden Produktionsprozessen.
52
In der Automobilbranche, aber auch im Maschinenbau bestehe Bedarf an komplexen, integriert aufgebauten Mikrosystembauteilen, die vielfältigste Mess- und Regelfunktionen autonom und mit geringem Energiebedarf durchführten. Die unterschiedlichen Sensorsysteme erforderten je nach Auslegung einen entsprechenden Arbeitsdruck. So benötigten resonante Systeme oftmals eine hohe Güte. Daher müsse die mechanische Dämpfung durch umgebendes Gas durch einen entsprechenden geringen Arbeitsdruck in der Kavität, in der sich das jeweilige Sensorsystem befinde, minimiert werden. Resonante Drehratensensoren zum Beispiel würden typischerweise mit einem Arbeitsdruck von einem mbar bis einigen mbar betrieben. Beschleunigungssensoren müssten hingegen teilweise stark gedämpft werden, sodass hier der Betriebsdruck in der Regel bei einigen hundert mbar liege (Absatz 0003 der Streitpatentschrift).
53
Absatz0004 der Streitpatentschrift verweist für den typischen Aufbau eines mikrosystemtechnisch hergestellten resonanten Inertialsensors auf die Figur 2:
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55
Der unten liegende, oberflächenmikromechanische Sensor enthalte die aktive Sensorstruktur (MEMS Active Layer). Durch einen spezifischen Ätzschritt, bei der eine Opferschicht entfernt werde, könnten freitragende Strukturen hergestellt werden. Für die kapazitive Detektion von Bewegungen aus der Ebene seien in einem Abstand von 1,5 mm Gegenelektroden implementiert. Die Bewegungsrichtung mikromechanischer Systeme sei somit nicht nur auf Bewegungen in der Ebene (in-plane) beschränkt, sondern es könnten auch out-of plane Bewegungen angeregt und detektiert werden. In dem oberen Deckel-Chip (Cap) sei über der Sensorstruktur eine 60 mm tiefe Kavität eingebracht, in welcher Gettermaterial zur Absorption und chemischen Bindung von Gasmolekülen abgeschieden ist. Die feste Verbindung von Sensor- und Kappenwafer auf Wafer-Ebene, das sogenannte Wafer-Level Packaging, werde hier durch ein Gold-Silizium Eutektikum bewirkt. Der Bondrahmen aus Gold-Silizium sorge für eine hermetische Kapselung, so dass der beim eutektischen Verbindungsprozess eingestellte Druck erhalten bleibe. Durch die in der Kavität eingebrachte Getterschicht werde sichergestellt, dass ein minimaler Kavitätsinnendruck von bis zu 10-6 bar eingestellt und über die gesamte Lebensdauer des Bauelements erhalten werden könne.
56
lm Bereich der Mikrosystemtechnik sei die Gehäusung von Mikrosensoren eines der am wenigsten entwickelten, jedoch gleichzeitig eines der wichtigsten und herausforderndsten Technologiefelder. Besonders die Bereitstellung einer hermetischen Gehäusung sei eine Schlüsseltechnologie für viele mikromechanische Komponenten. Durch die hermetische Verkapselung würden Mikrosensoren vor schädlichen Umwelteinflüssen (Staub, mechanischer oder chemischer Schädigung) abgeschirmt und so ihre zuverlässige Funktion und Lebensdauer entscheidend verlängert. Darüber hinaus benötigten moderne resonant betriebene Mikrosensoren ein spezifisches Arbeitsgas oder einen definiert eingestellten Umgebungsdruck in der Gehäusekavität, um die geforderte Funktionalität zu erfüllen (Absatz 0005 der Streitpatentschrift).
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Nach näherer Darstellung des Wafer-Level Packaging (WLP) in Absätzen 0006 bis 0008 der Streitpatentschrift und der in den letzten Jahrzehnten entwickelten Gettermaterialien (Absatz 0009 der Streitpatentschrift) sowie einer Würdigung der Druckschriften EP 0 794 558 A1 (= E15), US 2005/0023629 A1 (= E16), der WO 2005/050751 A2 (= E17) und der US 2004/0183214 A1 (= E18) bezeichnet es Absatz 0014 der Streitpatentschrift als Aufgabe der Erfindung, für die Mikrosystemtechnik vorgesehene Bauteile (MEMS) mit mindestens zwei Kavitäten oder Hohlräumen, wie sie in der nachstehenden, ein solches Bauteil darstellenden Figur 1 der Streitpatentschrift mit den Ziffern I und ll bezeichnet sind, bereitzustellen, deren Gasräume unterschiedliche Drücke und/oder unterschiedliche Gaszusammensetzungen aufweisen.
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59
Zudem solle die Erfindung auch Vielfach-Bauelement-Systeme (z. B. Wafer) mit einem Substrat und einer Kappenstruktur bereitstellen, aus denen sich die genannten Bauteile durch Trennen (Sägen oder dgl.) herstellen ließen. Schließlich solle die Erfindung Verfahren bereitstellen, mit denen sich die genannten Bauteile sowie die Vielfach-Bauelement-Systeme, aus denen sie u .a. gefertigt werden könnten, herstellen ließen.
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Zur Lösung dieser Aufgaben schlägt das Streitpatent ein Bauteil nach Anspruch 1 sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung nach Anspruch 7 vor.
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Danach sei ein erster der beiden Hohlraume eines (MEMS-)Bauteils mit einem (ersten) Gettermaterial versehen und das Bonden von Substrat und Kappe erfolge in einer Gasatmosphäre, die mindestens eine Gassorte aufweise, die vom ersten Gettermaterial absorbiert werden könne, so dass aufgrund der Absorptionseigenschaften des Gettermaterials gegenüber dieser Gassorte nach der Aktivierung des Gettermaterials der erste der beiden Hohlräume einen anderen Innendruck und/oder eine andere Gaszusammensetzung aufweise als ein zweiter Hohlraum. In bevorzugter Weise weise die Gasatmosphäre zwei Gassorten A und B auf, die gegenüber dem (ersten) Gettermaterial unterschiedliche Absorptionseigenschaften besäßen. Der zweite Hohlraum enthalte entweder kein Gettermaterial, oder er enthalte ein zweites Gettermaterial mit anderen Absorptionseigenschaften, oder er enthalte das erste oder ein zweites Gettermaterial in einer Menge, aufgrund der – nach Aktivierung des Gettermaterials – ein anderes Verhältnis der beiden Gassorten in diesem zweiten Hohlraum entstehe als im ersten Hohlraum.
62
2. Die mit dem neuen Hauptantrag nur noch beschränkt verteidigten nebengeordneten Ansprüche 1 und 7 lassen sich wie folgt gliedern:
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Anspruch 1:
64
In der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil
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1.1 mit einem Substrat und einer Kappenstruktur, die so durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen miteinander verbunden sind, dass
66
1.1.1 sie mindestens einen ersten und einen zweiten Hohlraum umschließen,
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1.1.2 die gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sind,
68
1.2 wobei in dem ersten Hohlraum ein Drehratensensor und in dem zweiten Hohlraum ein Beschleunigungssensor angeordnet ist und
69
1.3 wobei der erste Hohlraum einen anderen Innendruck aufweist als der zweite Hohlraum
70
dadurch gekennzeichnet, dass
71
1.4 der erste der beiden Hohlräume mit einem Gettermaterial versehen ist und
72
1.5 dass sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterials anders ist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
73
Anspruch 7:
74
Verfahren zum Herstellen eines Bauteils wie in einem der Ansprüche 1 bis 6 definiert, umfassend die folgenden Schritte:
75
a) Bereitstellen eines in den Bereichen des ersten Hohlraums mit einem ersten Gettermaterial beschichteten flächigen Substrats oder einer solchen, ggf. flächig ausgebildeten Kappenstruktur,
76
b) Justieren des flächigen Substrats oder der Kappenstruktur zu einem entsprechenden Kappen- oder Substratgegenstück,
77
c) Einbringen des Paares aus flächigem Substrat und ggf. flächig ausgebildeter Kappenstruktur in eine Prozesskammer,
78
d) Fluten der Prozesskammer mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem oder einem ersten Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B, die von diesem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit dem Partialdruck PA und Gassorte B mit dem Partialdruck PB vorliegt,
79
e) In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik,
80
f) Aktivieren des ersten Gettermaterials derart, dass es Moleküle der Gassorte A absorbiert.
81
3. Der zuständige Fachmann, ein Physiker oder ein Ingenieur der Elektrotechnik, Schwerpunkt Mikrosystemtechnik, der mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von mikromechanischen bzw. mikroelektromechanischen Bauteilen aufweist, wird die erfindungsgemäßen Gegenstände und die in den vorgenannten Ansprüchen verwendeten Begriffe wie folgt verstehen:
82
Das Streitpatent betrifft gemäß den unabhängigen Patentansprüchen 1 und 7 ein Mikrosystem-Bauteil sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung. Das Bauteil weist ein Substrat auf, welches gemäß Figur 3 (vgl. eingefügte Figur unten) und der zugehörigen Beschreibung des Streitpatents als Sensorwafer 1 ausgeführt sein kann. Über dem Substrat bzw. dem Sensorwafer ist eine Kappenstruktur 2 ausgebildet, wobei das Substrat und die Kappenstruktur miteinander durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen verbunden sind (vgl. Merkmal 1.1). Die Verbindung von Substrat und Kappenstruktur durch den Bondrahmen kann laut Beschreibung des Streitpatents mit einem „Bondprozess“ erfolgen (vgl. Abs. 0016 auf S. 4, Z. 23-27). Das Substrat 1 und die Kappenstruktur 2 sind dabei so miteinander verbunden, dass sie mindestens einen ersten Hohlraum 5 und einen zweiten Hohlraum 6 umschließen (vgl. Merkmal 1.1.1). Diese Hohlräume (bzw. Kavitäten) sollen gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sein (Merkmal 1.1.2).
83
84
Im ersten Hohlraum 5 soll ein Drehratensensor angeordnet sein, während in dem zweiten Hohlraum 6 ein Beschleunigungssensor angeordnet sein soll (vgl. Merkmal 1.2 sowie Fig. 3, Bezugszeichen 3 und 4). Der erste Hohlraum 5 soll dabei einen anderen Innendruck aufweisen als der zweite Hohlraum 6 (vgl. Merkmal 1.3).
85
Gemäß Merkmal 1.4 im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 ist der erste Hohlraum mit einem Gettermaterial (vgl. Bezugszeichen 8 in Fig. 3) versehen. Unter einem Gettermaterial versteht der Fachmann – im Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents – ein Material, welches Gasmoleküle absorbiert bzw. chemisch bindet (vgl. Abs. 0004). Gemäß Absatz 0009 der Streitpatentschrift eignet sich dabei u. a. das Metall Titan (Ti) als Gettermaterial. Aufgrund des Gettermaterials in dem ersten Hohlraum 5 soll dieser Hohlraum einen anderen Innendruck aufweisen als der zweite Hohlraum 6 (vgl. Merkmal 1.4 sowie Merkmal 1.5). Gemäß Streitpatentschrift kann das Gettermaterial in beliebiger Form (z. B. als Streifen oder Fläche) in dem Hohlraum (Kavität) angeordnet sein und sich auf der Kappenseite oder der Substratseite befinden (vgl. Abs. 0024).
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Bei der Herstellung des Bauelements soll gemäß nebengeordnetem Anspruch 7 ein flächiges Substrat bzw. eine flächige Kappenstruktur bereitgestellt werden, wobei das Substrat oder die Kappenstruktur in den Bereichen des ersten Hohlraums mit dem vorstehend bezüglich Anspruch 1 genannten Gettermaterial beschichtet sein soll (Verfahrensschritt a). Das flächige Substrat oder die Kappenstruktur soll dann in einem Verfahrensschritt b so justiert werden, dass ein entsprechendes Kappen- oder Substratgegenstück entsteht. Anschließend soll das Paar aus flächigem Substrat und Kappenstruktur in eine Prozesskammer eingebracht werden (Verfahrensschritt c). Die Prozesskammer wird sodann mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B geflutet, die von dem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit einem Partialdruck PA und die Gassorte B mit einem zugehörigen Partialdruck PB vorliegen soll (Verfahrensschritt d). Als Beispiele für die erste Gassorte A führt das Streitpatent H2, O2, CO2 oder N2 oder eine beliebige Mischung davon auf, für die Gassorte B dagegen ein Inert- bzw. Edelgas wie Argon oder Neon (vgl. Abs. 0019). Der nächste Verfahrensschritt (e) beinhaltet ein In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik, was in der Beschreibung des Streitpatents als Bondprozess aufgeführt ist (vgl. u. a. Abs. 0016 auf S. 4, Z. 23-27). Schließlich ist das Aktivieren des ersten Gettermaterials vorgesehen, wobei das Gettermaterial Moleküle der Gassorte A absorbiert (Verfahrensschritt f). Gemäß Streitpatentschrift kann eine solche Aktivierung durch ein Erhitzen bzw. einen Temperatur-Zeit-Prozess erfolgen (vgl. Abs. 0009 und 0019).
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II. Zur beschränkten Verteidigung nach Hauptantrag
88
1. Ob, wie die Klägerin geltend macht, der beschränkten Verteidigung des Streitpatents mit der neuen Fassung des Anspruchs 1 bereits entgegensteht, dass diese unklar, unzulässig erweitert oder nicht ausführbar ist, kann dahinstehen; denn jedenfalls erweist sich die neue Anspruchsfassung in Anspruch 1 gegenüber der unstreitig vorveröffentlichten Entgegenhaltung E3 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. d. Art. 52, 56 EPÜ beruhend.
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Druckschrift E3 beschreibt ein mikroelektromechanisches System (MEMS), welches entsprechend dem einleitenden Merkmal des Anspruchs 1 als Bauteil in der Mikrosystemtechnik einsetzbar ist (vgl. Abstract und Sp. 1, Z. 17-21 sowie die Figuren 4 und 15 mitsamt zugehörigem Text in Sp. 4, Z. 62, bis Sp. 5, Z. 3, und Sp. 10, Z. 5-38, sowie Sp. 12, Z. 4-17).
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Das mikroelektromechanische Bauteil weist ein flächiges Substrat (substrate 24) und eine darüber liegende flächige Kappenstruktur mit einer Abdichtungsschicht (sealing layer) auf (vgl. Abstract und Fig. 15, Bezugszeichen 78 sowie 62, 66 und 74, die Bestandteile der Kappenstruktur darstellen), wobei darauf hingewiesen wird, dass ein solches Bauteil mittels eines anodischen Bond-Prozesses (anodic bonding) und eines hermetischen Transfers (hermetic lead transfer) hergestellt wird (vgl. Abstract, Sp. 2, Z. 51-56, Fig. 2, 4 und 15 sowie Sp. 10, Z. 33-38 u. Z. 59-64). Dies bedeutet, dass das Substrat und die Kappenstruktur mit der Abdichtungsschicht im Zusammenhang mit dem anodischen Bond-Prozess sowie dem hermetischen Transfer miteinander durch einen hermetisch abschließenden Bondrahmen verbunden sind (Merkmal 1.1). Das Substrat und die abdichtende Kappenstruktur umschließen einen ersten Hohlraum (cavity 36) und einen zweiten Hohlraum (cavity 54) entsprechend Merkmal 1.1.1, wobei die beiden Hohlräume durch die Kappenstruktur und die zugehörige Abdichtungsschicht (sealing layer) auch gegeneinander und hermetisch gegen die Außenumgebung (ambient environment) abgedichtet sind (vgl. Abstract, Fig. 4, Sp. 4, Z. 62-64 i. V. m. Sp. 5, Z. 14-20 und Fig. 15 / Merkmal 1.1.2). Des Weiteren wird in Druckschrift E3 darauf hingewiesen, dass in solchermaßen abgedichteten Hohlräumen sowohl Drehratensensoren (gyroscopes) als auch Beschleunigungssensoren (accelerometers) angeordnet werden können (vgl. Sp. 2, Z. 43-46, Sp. 8, Z. 7-11, Sp. 10, Z. 59-64, Sp. 12, Z. 14-17, und Sp. 13, Claims 8, 9). Aufgrund dieses Hinweises bezüglich einer Anordnung von Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren in den beiden abgedichteten Hohlräumen liegt es für den Fachmann nahe, in einem der beiden Hohlräume wie dem ersten Hohlraum (cavity 36) einen Drehratensensor (gyroscope / gyro) und in dem anderen der beiden Hohlräume, d. h. dem zweiten Hohlraum (cavity 54), entsprechend Merkmal 1.2 einen Beschleunigungssensor (accelerometer) anzuordnen. Dabei wird bezüglich verschiedener Sensoren wie den genannten Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren bereits darauf hingewiesen, dass diese zu ihrem Betrieb jeweils einen bestimmten Druck benötigen (vgl. Sp. 10, Z. 59-64: […] devices which need controlled pressure damping for operation […] gyroscopes and accelerometers […]). Daraus, dass jeder der verschiedenen Sensoren einen bestimmten Druck zu seinem Betrieb benötigt, folgt für den Fachmann auch ohne weiteres, dass der erste Hohlraum für den erstgenannten Sensor dementsprechend einen anderen Innendruck für dessen Betrieb aufweist als der zweite Hohlraum für den Betrieb des anderen Sensors (Merkmal 1.3).
92
Des Weiteren offenbart Druckschrift E3, dass eine Beschichtung, die Titan (Ti) beinhaltet (Titanium-Platinum-Gold (Ti/Pt/Au) layers) auf dem Substrat (substrate 24 / glass side) aufgebracht ist (vgl. Sp. 6, Z. 51-55 und Sp. 6, Z. 67, bis Sp. 7, Z. 5, sowie Sp. 10, Z. 33-35). Eine solche Beschichtung wird im Zusammenhang mit Figur 15 und dem ersten Hohlraum (cavity 36) als Metallisierungsschicht (Ti/Pt/Au metallization 86) zum Auffangen (gettering) von störendem Gas in Form von Sauerstoff (oxygen) beschrieben, welches aus dem Substrat ausdiffundieren kann und sich damit im Hohlraum befindet (vgl. Sp. 10, Z. 33-35, i. V. m. Sp. 10, Z. 59-64). Somit handelt es sich bei der Metallisierungsschicht, mit welcher der erste Hohlraum (cavity 36) versehen ist, auch um ein Gettermaterial entsprechend Merkmal 1.4, welches in gleicher Weise wie das in der Streitpatentschrift in Absatz 0009 in Verbindung mit Absatz 0024 aufgeführte Gettermaterial auf Titan basiert. Der Innendruck in einem Hohlraum hängt dabei zwangsläufig vom Gettermaterial und dessen Beschichtungsfläche im Verhältnis zum Hohlraumvolumen ab, da die Menge des durch das Gettermaterial aufgefangenen bzw. absorbierten Gases die Gasmenge im Hohlraum beeinflusst, wobei der Innendruck von der letztendlich verbliebenen Gasmenge im gegebenen Hohlraumvolumen abhängt. Aus Figur 15 ist dabei ersichtlich, dass das Gettermaterial in Form der Metallisierungsschicht (Ti/Pt/Au metallization 86) das Substrat und damit auch die Grundfläche des ersten Hohlraums (cavity 36) fast vollständig bedeckt. Folglich wird hier auch eine entsprechende Menge an Gas bzw. Sauerstoff absorbiert, während der Fachmann davon ausgeht, dass in dem zweiten Hohlraum (cavity 54) aufgrund dessen verschiedener Ausformung mit einem anderen Hohlraumvolumen auch eine andere verbliebende Gasmenge vorhanden ist. Insgesamt bedeutet dies für den Fachmann, dass der Innendruck des ersten Hohlraums aufgrund des in der Druckschrift E3 aufgeführten erforderlichen unterschiedlichen Betriebsdrucks für verschiedene Sensoren (vgl. vorstehende Ausführungen) und des zuvor genannten Gettermaterials im ersten der jeweiligen Hohlräume (cavity 36 / cavity 54) zwangsläufig anders sein muss, als der Innendruck im zweiten, davon verschiedenen Hohlraum (Merkmal 1.5).
93
Der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung, dass der Stand der Technik gemäß Druckschrift E3 und der dortigen Figur 15 einen ersten Hohlraum mit einem vollständigen/absoluten Vakuum sowie ein Gettermaterial lehre, welches den aus dem Substrat ausdiffundierenden Sauerstoff als störendes Gas direkt auffange, während das Streitpatent kein Vakuum, sondern einen Gas-Innendruck im Hohlraum vorsehe, kann nicht beigetreten werden. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung geht der Fachmann davon aus, dass in solchen Hohlräumen in der Praxis stets verbleibende Gasmoleküle vorhanden sind, die einem absoluten Vakuum entgegenstehen und die für einen Partialdruck des Gases bzw. Innendruck sorgen, wie es auch im Streitpatent im Zusammenhang mit dem Gettermaterial und einem „Partialdruck von angenähert null“ aufgeführt wird. Der Begriff „Vakuum“ wird im Streitpatent zudem insoweit relativiert, dass lediglich ein „mehr oder weniger stark dem Absolutwert angenähertes Vakuum“ vorliege (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 0021). Dabei werden sowohl in Druckschrift E3 wie auch im Streitpatent jeweils Titan (Ti) als metallisches Gettermaterial für Gasmoleküle aufgeführt (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 0009, bzw. E3, Sp. 10, Z. 33-36: The Ti is used […] to enable gettering). Dementsprechend ist ein Unterschied hinsichtlich eines Innendruckes im ersten Hohlraum, wie ihn die Beklagte in Bezug auf Druckschrift E3 geltend macht, weder den Merkmalen des Anspruchs 1 noch der Beschreibung des Streitpatents zu entnehmen. Aus dem Anspruch 1 geht auch nicht hervor, dass – entsprechend der Argumentation der Beklagten – beim Streitpatent vorgesehen sei, ein Gas gezielt in einen Hohlraum einzuführen, um es danach kontrolliert mittels eines Gettermaterials zu absorbieren und damit einen bestimmten Innendruck einzustellen. Da sich eine solche Maßnahme nicht im Anspruchswortlaut wiederfindet, kann – was die Klägerin angezweifelt hat – diesbezüglich auch dahinstehen, ob ein Gettermaterial überhaupt in der Lage ist, nicht nur Restgasmoleküle, sondern auch hinreichend viele Moleküle eines eingebrachten Gases aufzufangen, um einen bestimmten Innendruck in einem Hohlraum einzustellen.
94
Entgegen der Auffassung der Beklagten gelangt der Fachmann damit in Kenntnis der Druckschrift E3 in naheliegender Weise zu einem in der Mikrosystemtechnik einsetzbaren Bauteil mit sämtlichen Merkmalen 1.1 bis 1.5 des Anspruchs 1 inklusive den entsprechenden Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren in den verschiedenen Hohlräumen, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
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2. Auch die Unteransprüche 3 bis 5 und 8 in der beschränkt verteidigten Fassung enthalten nichts selbständig Patentfähiges. Solches hat auch die Beklagte nicht dargetan.
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III. Zur gesonderten Verteidigung mit den Ansprüchen 2, 6 und 7
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Die Beklagte kann das Streitpatent auch nicht mit den von ihr hierzu genannten Ansprüchen 2, 6 und 7 gesondert verteidigen, da den jeweiligen Gegenständen dieser Ansprüche ebenfalls der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52 bis 57 EPÜ) entgegensteht.
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1. Anspruch 2
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Auch die im ausdrücklich verteidigten Anspruch 2 genannte Maßnahme bezüglich einer unterschiedlichen Gaszusammensetzung in den verschiedenen Hohlräumen kann eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
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Wie zuvor im Hinblick auf Anspruch 1, auf den Anspruch 2 rückbezogen ist, dargelegt, liegt es für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift E3 nahe, einen Drehratensensor in einem ersten Hohlraum und einen Beschleunigungssensor in einem zweiten Hohlraum eines in der Mikrosystemtechnik einsetzbaren Bauteils entsprechend den Merkmalen 1.1 bis 1.5 anzuordnen. Dabei wird in Druckschrift E3 – wie vorstehend ausgeführt – auch darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Sensoren zu ihrem Betrieb jeweils einen bestimmten verminderten Innendruck im Hohlraum benötigen, der in bestimmter Weise eingestellt ist, wobei ein Gettermaterial zum Auffangen von Gas/Sauerstoff genannt wird (vgl. vorstehende Ausführungen zum Anspruch 1 mit Zitatstellen a. a. O.). Details zu einzelnen benötigten Innendrücken in solchen Hohlräumen sind Druckschrift E3 jedoch nicht zu entnehmen. Der Fachmann, der ein solches Bauteil mit Drehraten- und Beschleunigungssensoren konkret realisieren will, hat daher Veranlassung, sich über Druckschrift E3 hinaus im Stand der Technik über entsprechende Einzelheiten zu informieren. Solche Informationen findet der Fachmann in der vorveröffentlichten Druckschrift E5, die sich mit konkreten Innendrücken und geeigneten Gaszusammensetzungen in abgeschlossenen Hohlräumen zwischen einem Substrat (substrate) und einer Kappenstruktur (cap wafer) im Zusammenhang mit Drehratensensoren (angular rate sensors / gyrometers) und Beschleunigungssensoren (accelerometers) sowie einem Gettermaterial (Non Evaporable Getter (NEG)) zum Auffangen von Gas/Sauerstoff (O2) befasst (vgl. Abstract, S. 801, li. Sp., und S. 802, li. Sp. zweiter Abs. u. re. Sp. erster Abs., S. 803, li. Sp. zweiter und vorle. Abs., sowie Fig. 1 auf S. 803).
101
102
Dabei lehrt Druckschrift E5 den Einsatz einer Edelgasumgebung (noble gas environment) mit unterschiedlichen Innendrücken im Millibar-Bereich (mbar), wobei dies in Druckschrift E5 auch als Vakuum-Niveau (Vacuum level) bezeichnet wird (vgl. S. 801, Tabelle 1, insbes. erste, zweite und vierte Zeile). In Tabelle 1 wird konkret ein Druckbereich von 300 bis 700 mbar für Beschleunigungssensoren (accelerometers) und ein davon verschiedener Druckbereich von 10-1 bis 10-4 mbar für Drehratensensoren (resonator (angular rate)) angegeben (vgl. S. 801, li. u. re. Sp.). Es wird zudem darauf hingewiesen, dass mit dem Gettermaterial angestrebt wird, neben Sauerstoff (O2) auch andere aktive Gase wie Stickstoff (N2) aufzufangen bzw. zu absorbieren, welche in einer Edelgasumgebung (noble gas environment) enthalten sind (vgl. S. 803, re. Sp. zw. Abs. i. V. m. S. 803, li. Sp. vorle. Abs.: The use of Non Evaporable Getter (NEG) […]. NEG can chemically sorb all active gases, including H2O, CO, CO2, O2, N2 […]). Da die Menge des Gases in einem Hohlraum mit dessen Innendruck korreliert, bestimmt der Einsatz eines Gettermaterials zwangsläufig auch die Gaszusammensetzung in einem Hohlraum mit einem Edelgas (noble gas) und noch darin enthaltenen aktiven Gasen (u. a. O2, N2). Eine Zusammenschau der Druckschriften E3 und E5 lehrt den Fachmann folglich, dass ein erster Hohlraum mit einem geeigneten Innendruck für einen bestimmten Sensor – wie einem Drehratensensor – entsprechend Anspruch 2 aufgrund des Einsatzes eines Gettermaterials eine andere Gaszusammensetzung mit einem Edelgas und einem aktiven Gas aufzuweisen hat als ein zweiter Hohlraum mit einem davon verschiedenen Innendruck für einen anderen Sensor.
103
Der Gegenstand des Anspruchs 2, der auf Anspruch 1 rückbezogen ist, ergibt sich damit für den Fachmann in naheliegender Weise aus einer Kenntnis der Druckschriften E3 und E5.
104
2. Anspruch 6
105
Auch die in Anspruch 6 im Zusammenhang mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bzw. des Anspruchs 2 genannte Maßnahme, dass das Gettermaterial zumindest in Teilbereichen strukturiert vorliegen soll, kann eine Patentfähigkeit nicht begründen. Denn in Druckschrift E5 wird auch bereits darauf hingewiesen, dass eine strukturierte Aufbringung von Gettermaterial (patterned deposition of the getter material) und eine poröse Struktur des Gettermaterials (structure of the thin getter film is porous) dessen Absorptionseigenschaften verbessert (vgl. S. 803, li. Sp. vorle. und le. Abs., sowie re. Sp. erster Abs.). Damit ist das in Anspruch 6 explizit aufgeführte Merkmal, dass das Gettermaterial zumindest in Teilbereichen strukturiert ist, auch bereits aus Druckschrift E5 bekannt. Zu den Merkmalen des Anspruchs 1 bzw. den Merkmalen des Anspruchs 2, auf die Anspruch 6 rückbezogen ist, wird auf die entsprechenden vorherigen Ausführungen zur Druckschrift E3 und E5 verwiesen.
106
Damit ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 6 ebenfalls in naheliegender Weise aus einer Kenntnis der Druckschriften E3 und E5.
107
3. Anspruch 7
108
Auch der Gegenstand des gesondert verteidigten Anspruchs 7 des Hauptantrags beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Wie vorstehend im Hinblick auf die Ansprüche 1, 2 und 6 dargelegt, offenbaren sowohl Druckschrift E3 als auch Druckschrift E5 jeweils ein in den Bereichen eines Hohlraumes mit einem Gettermaterial beschichtetes Substrat bzw. eine zugehörige flächig ausgebildete Kappenstruktur, was dessen Bereitstellung entsprechend Merkmal a des Verfahrensanspruch 7 mit umfasst (vgl. E3 und E5 a. a. O. sowie die vorstehenden Ausführungen zu einer Zusammenschau der beiden Druckschriften). Dabei beschreibt Druckschrift E3 mit den Figuren 4 und 15 ein Bauteil, bei dem das flächige Substrat (substrate 24) und die flächige Kappenstruktur mitsamt einer Abdichtungsschicht (sealing layer) auch so aufeinander angeordnet und somit derart justiert sind, dass sie ein Kappen- bzw. Substratgegenstück bilden, wie es in Merkmal b aufgeführt ist. Dies gilt in gleicher Weise für das im Stand der Technik gemäß Druckschrift E5 beschriebene Bauteil mit einer Kappen- und einer Substratstruktur, die zueinander justiert sind und ein Bauteil-Paar aus Kappen- und Substratgegenstück bilden (vgl. u. a. Fig. 1 auf S. 803 sowie die vorstehenden Ausführungen zu E5). Des Weiteren lehrt Druckschrift E5 auch, dass das Bauteil-Paar aus Substrat und Kappenstruktur im Rahmen der Herstellung eines Sensor-Hohlraumes zunächst in eine Vakuum-Prozesskammer (vacuum chamber) eingebracht wird (vgl. S. 805, li. Sp. zw. Abs. / Merkmal c). Die Vakuum-Prozesskammer wird anschließend mit einem Prozessgas in Form eines als Trägergas dienenden Edelgases (noble gas / inert gas) geflutet, welches als Verunreinigung bzw. Kontamination zusätzlich ein Restgas (H2O, CO, CO2, O2, N2 […])) enthält, wobei das Restgas der im Anspruch 7 des Streitpatents aufgeführten Gassorte A entspricht (vgl. S. 803, li. Sp. vorletzter Abs. sowie S. 804, li. Sp. le. Abs. und re. Sp. erster Abs.: […] a controlled gas-filling procedure has to be established. Only inert gases […]; vgl. zudem S. 806, Tabellen 3 und 4). Das Trägergas entspricht dabei der im Anspruch 7 des Streitpatents angegebenen Gassorte B und wird als Edelgas aufgrund seiner geringen Bindungsneigung zwangsläufig nicht bzw. nur in substantiell geringem Ausmaß vom Gettermaterial absorbiert (vgl. S. 805, re. Sp. zw. Abs.). Damit liegt in der Gasmischung, mit der die Prozesskammer geflutet wird, auch jede der beiden genannten Gassorten zwangsläufig mit einem zugehörigen Teildruck bzw. Partialdruck vor, wie es in Merkmal d des Anspruchs 7 aufgeführt ist. Druckschrift E5 lehrt darüber hinaus das In-Kontakt-Bringen und Verbinden von Kappenstruktur und Substrat mit Hilfe eines Bonding-Prozesses (bonding process / eutectic bonding) entsprechend dem Merkmal e (vgl. Fig. 1, S. 802, li. Sp. vorletzter u. letzter Abs., sowie S. 806, li. Sp. letzter Abs.). Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung lehrt Druckschrift E5 dabei ebenfalls, dass das Gettermaterial nicht nur zur Entfernung von Ausgasungen aus den Oberflächen des Hohlraumes, sondern auch zum Auffangen des mit dem Trägergas (noble gas) eingebrachten Restgases (active gases) dient (vgl. S. 803, re. Sp. zweiter vollständiger Satz, S. 806, re. Sp. zweiter Abs., sowie S. 807, li. Sp. erster Abs.). Dabei muss das Gettermaterial laut Druckschrift E5 zunächst aktiviert werden, bevor es entsprechende Gasmoleküle absorbieren kann (vgl. S. 803, li. Sp. vorletzter Abs. und S. 803, re. Sp. zweiter Abs.: getter film […] needs to be activated […] to activate the thin getter film so that it can start absorbing gases after the MEMS vacuum bonding at wafer level). Das bedeutet für den Fachmann nichts anderes, als dass das Gettermaterial derart zu aktivieren ist, dass es die vorstehend genannten Gasmoleküle (u. a. O2, N2) des Restgases (active gases), welches der Gassorte A entspricht, entsprechend Merkmal f absorbiert.
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Der Fachmann gelangt somit in Kenntnis des Stands der Technik gemäß Druckschrift E3 in Verbindung mit Druckschrift E5, welche eine detaillierte Beschreibung der konkreten Herstellung eines mikroelektromechanischen Systems mit Hohlraumsensoren liefert, auch in naheliegender Weise zum Herstellungsverfahren gemäß Anspruch 7, ohne dazu in erfinderischer Weise tätig werden zu müssen.
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IV. Zum Hilfsantrag vom 14. Mai 2018
111
Der erst mit Schriftsatz vom 14. Mai 2018, also zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung, eingereichte Hilfsantrag ist nach § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen. Denn die Zulassung dieses erst nach Ablauf der mit dem Hinweis des Senats vom 7. Februar 2018 gesetzten letzten Frist (18. April 2018), über deren Versäumnisfolgen die Parteien belehrt worden waren (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 PatG), ohne hinreichende Entschuldigung (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PatG) seitens der Beklagten eingereichten Hilfsantrags hätte eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG).
112
Der Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag durch Änderungen der Merkmale 1.3 und 1.5, die nunmehr lauten
113
1.3 wobei der erste Hohlraum einen von dem Drehratensensor benötigten anderen Innendruck (erster Innendruck) aufweist als und der zweite Hohlraum einen vom Beschleunigungssensor benötigten Innendruck (zweiter Innendruck) aufweist, wobei sich die Innendrücke unterscheiden,
114
1.5 dass durch das sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterials der Unterschied zwischen den Innendrücken eingestellt ist, und zwar dadurch, dass das Gettermaterial aus einem in die Hohlräume gefüllten und dort eingeschlossenen Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer ersten Gassorte besteht, diese erste Gassorte vollständig oder im Wesentlichen vollständig oder zumindest teilweise absorbiert anders ist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
115
Die Beklagte hat die geänderten Merkmale nach eigener Darstellung den Ausführungen in der Beschreibung der Streitpatentschrift entnommen. Zusammen mit den übrigen Merkmalen betrifft der Hilfsantrag damit einen Gegenstand, welchen die Beklagte bislang weder mit den erteilten Ansprüchen noch mit ihrer beschränkten Verteidigung nach dem Hauptantrag beansprucht hatte. Da der Streitgegenstand im Nichtigkeitsverfahren allein der vom Patentinhaber mit den Patentansprüchen konkret begehrte Schutz (Art. 84 Satz 1 EPÜA.
116
Die zulässige Klage ist begründet. Nachdem die Beklagte das Streitpatent nur noch beschränkt verteidigt, ist es in der erteilten Fassung schon aus diesem Grund ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären. Aber auch soweit die Beklagte das Streitpatent beschränkt verteidigt, hat die Klage Erfolg, denn der beschränkten Verteidigung nach dem Hauptantrag steht sowohl als geschlossener Anspruchsfassung als auch hinsichtlich der von der Beklagten ausdrücklich gesondert verteidigten einzelnen Ansprüche jeweils zumindest der Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit gemäß Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ entgegen, und die weitere beschränkte Verteidigung des Streitpatents mit dem Hilfsantrag vom 14. Mai 2018 ist verspätet.
117
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
118
1. Das vorliegende Streitpatent betrifft ein in der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil, welches sich als kombinierte Gehäusung von mikromechanischen Systemen eignet, die jeweils einen unterschiedlichen Betriebsdruck benötigen, sowie ein Verfahren zu seiner Herstellung (vgl. Streitpatentschrift, Abs. (0001). Nach Absatz 0001 der Streitpatentschrift könne im gleichen Arbeitsschritt die selektive Befüllung einer Kavität 1 mit definiertem Gasdruck P1 und einer Kavität 2 mit Gasdruck P2 erfolgen, wobei die Gasdrücke P1 und P2 voneinander unabhängig gewählt werden könnten. Dabei ließen sich unterschiedliche mikromechanische Systeme in einem Bauteil kombinieren und der Integrationsgrad solcher Systeme erheblich steigern.
119
Absatz 0002 der Streitpatentschrift verweist hierzu auf mit Hilfe der Mikrosystemtechnik gefertigte Bauteile (MEMS), die seit längerem für die miniaturisierte und kostengünstige Herstellung von Sensoren und Aktoren etabliert seien. Die Mikrosystemtechnik (MST) sei ein relativ junger Technologiezweig, der sich in großen Teilen die leistungsfähigen Produktionsprozesse der Halbleiterindustrie zu eigen mache, um mit diesen mikrotechnischen Verfahren, die auf den Grundwerkstoff Silizium zugeschnitten seien, makroskopische Technologiesysteme in die Mikrowelt zu übertragen; hierdurch werde die stetige Miniaturisierung und Leistungssteigerung von technischen Produkten unterstützt. Die mittels Mikrostrukturtechnik hergestellten Produkte fänden branchenübergreifend Anwendung in der Mikroelektronik, der Industrieautomation, der Kommunikations- und Medizintechnik, in der Automobilindustrie oder auch bei Life Science Produkten. Dabei erforderten die fortschreitende Miniaturisierung sowie die kontinuierliche Erhöhung der technologischen Integrationsdichte von Mikrosystemen eine anhaltende Entwicklung und Verbesserung von bestehenden Produktionsprozessen.
120
In der Automobilbranche, aber auch im Maschinenbau bestehe Bedarf an komplexen, integriert aufgebauten Mikrosystembauteilen, die vielfältigste Mess- und Regelfunktionen autonom und mit geringem Energiebedarf durchführten. Die unterschiedlichen Sensorsysteme erforderten je nach Auslegung einen entsprechenden Arbeitsdruck. So benötigten resonante Systeme oftmals eine hohe Güte. Daher müsse die mechanische Dämpfung durch umgebendes Gas durch einen entsprechenden geringen Arbeitsdruck in der Kavität, in der sich das jeweilige Sensorsystem befinde, minimiert werden. Resonante Drehratensensoren zum Beispiel würden typischerweise mit einem Arbeitsdruck von einem mbar bis einigen mbar betrieben. Beschleunigungssensoren müssten hingegen teilweise stark gedämpft werden, sodass hier der Betriebsdruck in der Regel bei einigen hundert mbar liege (Absatz 0003 der Streitpatentschrift).
121
Absatz0004 der Streitpatentschrift verweist für den typischen Aufbau eines mikrosystemtechnisch hergestellten resonanten Inertialsensors auf die Figur 2:
122
123
Der unten liegende, oberflächenmikromechanische Sensor enthalte die aktive Sensorstruktur (MEMS Active Layer). Durch einen spezifischen Ätzschritt, bei der eine Opferschicht entfernt werde, könnten freitragende Strukturen hergestellt werden. Für die kapazitive Detektion von Bewegungen aus der Ebene seien in einem Abstand von 1,5 mm Gegenelektroden implementiert. Die Bewegungsrichtung mikromechanischer Systeme sei somit nicht nur auf Bewegungen in der Ebene (in-plane) beschränkt, sondern es könnten auch out-of plane Bewegungen angeregt und detektiert werden. In dem oberen Deckel-Chip (Cap) sei über der Sensorstruktur eine 60 mm tiefe Kavität eingebracht, in welcher Gettermaterial zur Absorption und chemischen Bindung von Gasmolekülen abgeschieden ist. Die feste Verbindung von Sensor- und Kappenwafer auf Wafer-Ebene, das sogenannte Wafer-Level Packaging, werde hier durch ein Gold-Silizium Eutektikum bewirkt. Der Bondrahmen aus Gold-Silizium sorge für eine hermetische Kapselung, so dass der beim eutektischen Verbindungsprozess eingestellte Druck erhalten bleibe. Durch die in der Kavität eingebrachte Getterschicht werde sichergestellt, dass ein minimaler Kavitätsinnendruck von bis zu 10-6 bar eingestellt und über die gesamte Lebensdauer des Bauelements erhalten werden könne.
124
lm Bereich der Mikrosystemtechnik sei die Gehäusung von Mikrosensoren eines der am wenigsten entwickelten, jedoch gleichzeitig eines der wichtigsten und herausforderndsten Technologiefelder. Besonders die Bereitstellung einer hermetischen Gehäusung sei eine Schlüsseltechnologie für viele mikromechanische Komponenten. Durch die hermetische Verkapselung würden Mikrosensoren vor schädlichen Umwelteinflüssen (Staub, mechanischer oder chemischer Schädigung) abgeschirmt und so ihre zuverlässige Funktion und Lebensdauer entscheidend verlängert. Darüber hinaus benötigten moderne resonant betriebene Mikrosensoren ein spezifisches Arbeitsgas oder einen definiert eingestellten Umgebungsdruck in der Gehäusekavität, um die geforderte Funktionalität zu erfüllen (Absatz 0005 der Streitpatentschrift).
125
Nach näherer Darstellung des Wafer-Level Packaging (WLP) in Absätzen 0006 bis 0008 der Streitpatentschrift und der in den letzten Jahrzehnten entwickelten Gettermaterialien (Absatz 0009 der Streitpatentschrift) sowie einer Würdigung der Druckschriften EP 0 794 558 A1 (= E15), US 2005/0023629 A1 (= E16), der WO 2005/050751 A2 (= E17) und der US 2004/0183214 A1 (= E18) bezeichnet es Absatz 0014 der Streitpatentschrift als Aufgabe der Erfindung, für die Mikrosystemtechnik vorgesehene Bauteile (MEMS) mit mindestens zwei Kavitäten oder Hohlräumen, wie sie in der nachstehenden, ein solches Bauteil darstellenden Figur 1 der Streitpatentschrift mit den Ziffern I und ll bezeichnet sind, bereitzustellen, deren Gasräume unterschiedliche Drücke und/oder unterschiedliche Gaszusammensetzungen aufweisen.
126
127
Zudem solle die Erfindung auch Vielfach-Bauelement-Systeme (z. B. Wafer) mit einem Substrat und einer Kappenstruktur bereitstellen, aus denen sich die genannten Bauteile durch Trennen (Sägen oder dgl.) herstellen ließen. Schließlich solle die Erfindung Verfahren bereitstellen, mit denen sich die genannten Bauteile sowie die Vielfach-Bauelement-Systeme, aus denen sie u .a. gefertigt werden könnten, herstellen ließen.
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Zur Lösung dieser Aufgaben schlägt das Streitpatent ein Bauteil nach Anspruch 1 sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung nach Anspruch 7 vor.
129
Danach sei ein erster der beiden Hohlraume eines (MEMS-)Bauteils mit einem (ersten) Gettermaterial versehen und das Bonden von Substrat und Kappe erfolge in einer Gasatmosphäre, die mindestens eine Gassorte aufweise, die vom ersten Gettermaterial absorbiert werden könne, so dass aufgrund der Absorptionseigenschaften des Gettermaterials gegenüber dieser Gassorte nach der Aktivierung des Gettermaterials der erste der beiden Hohlräume einen anderen Innendruck und/oder eine andere Gaszusammensetzung aufweise als ein zweiter Hohlraum. In bevorzugter Weise weise die Gasatmosphäre zwei Gassorten A und B auf, die gegenüber dem (ersten) Gettermaterial unterschiedliche Absorptionseigenschaften besäßen. Der zweite Hohlraum enthalte entweder kein Gettermaterial, oder er enthalte ein zweites Gettermaterial mit anderen Absorptionseigenschaften, oder er enthalte das erste oder ein zweites Gettermaterial in einer Menge, aufgrund der – nach Aktivierung des Gettermaterials – ein anderes Verhältnis der beiden Gassorten in diesem zweiten Hohlraum entstehe als im ersten Hohlraum.
130
2. Die mit dem neuen Hauptantrag nur noch beschränkt verteidigten nebengeordneten Ansprüche 1 und 7 lassen sich wie folgt gliedern:
131
Anspruch 1:
132
In der Mikrosystemtechnik einsetzbares Bauteil
133
1.1 mit einem Substrat und einer Kappenstruktur, die so durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen miteinander verbunden sind, dass
134
1.1.1 sie mindestens einen ersten und einen zweiten Hohlraum umschließen,
135
1.1.2 die gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sind,
136
1.2 wobei in dem ersten Hohlraum ein Drehratensensor und in dem zweiten Hohlraum ein Beschleunigungssensor angeordnet ist und
137
1.3 wobei der erste Hohlraum einen anderen Innendruck aufweist als der zweite Hohlraum
138
dadurch gekennzeichnet, dass
139
1.4 der erste der beiden Hohlräume mit einem Gettermaterial versehen ist und
140
1.5 dass sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterials anders ist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
141
Anspruch 7:
142
Verfahren zum Herstellen eines Bauteils wie in einem der Ansprüche 1 bis 6 definiert, umfassend die folgenden Schritte:
143
a) Bereitstellen eines in den Bereichen des ersten Hohlraums mit einem ersten Gettermaterial beschichteten flächigen Substrats oder einer solchen, ggf. flächig ausgebildeten Kappenstruktur,
144
b) Justieren des flächigen Substrats oder der Kappenstruktur zu einem entsprechenden Kappen- oder Substratgegenstück,
145
c) Einbringen des Paares aus flächigem Substrat und ggf. flächig ausgebildeter Kappenstruktur in eine Prozesskammer,
146
d) Fluten der Prozesskammer mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem oder einem ersten Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B, die von diesem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit dem Partialdruck PA und Gassorte B mit dem Partialdruck PB vorliegt,
147
e) In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik,
148
f) Aktivieren des ersten Gettermaterials derart, dass es Moleküle der Gassorte A absorbiert.
149
3. Der zuständige Fachmann, ein Physiker oder ein Ingenieur der Elektrotechnik, Schwerpunkt Mikrosystemtechnik, der mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von mikromechanischen bzw. mikroelektromechanischen Bauteilen aufweist, wird die erfindungsgemäßen Gegenstände und die in den vorgenannten Ansprüchen verwendeten Begriffe wie folgt verstehen:
150
Das Streitpatent betrifft gemäß den unabhängigen Patentansprüchen 1 und 7 ein Mikrosystem-Bauteil sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung. Das Bauteil weist ein Substrat auf, welches gemäß Figur 3 (vgl. eingefügte Figur unten) und der zugehörigen Beschreibung des Streitpatents als Sensorwafer 1 ausgeführt sein kann. Über dem Substrat bzw. dem Sensorwafer ist eine Kappenstruktur 2 ausgebildet, wobei das Substrat und die Kappenstruktur miteinander durch einen hermetisch schließenden Bondrahmen verbunden sind (vgl. Merkmal 1.1). Die Verbindung von Substrat und Kappenstruktur durch den Bondrahmen kann laut Beschreibung des Streitpatents mit einem „Bondprozess“ erfolgen (vgl. Abs. 0016 auf S. 4, Z. 23-27). Das Substrat 1 und die Kappenstruktur 2 sind dabei so miteinander verbunden, dass sie mindestens einen ersten Hohlraum 5 und einen zweiten Hohlraum 6 umschließen (vgl. Merkmal 1.1.1). Diese Hohlräume (bzw. Kavitäten) sollen gegeneinander und gegen die Außenumgebung abgedichtet sein (Merkmal 1.1.2).
151
152
Im ersten Hohlraum 5 soll ein Drehratensensor angeordnet sein, während in dem zweiten Hohlraum 6 ein Beschleunigungssensor angeordnet sein soll (vgl. Merkmal 1.2 sowie Fig. 3, Bezugszeichen 3 und 4). Der erste Hohlraum 5 soll dabei einen anderen Innendruck aufweisen als der zweite Hohlraum 6 (vgl. Merkmal 1.3).
153
Gemäß Merkmal 1.4 im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 ist der erste Hohlraum mit einem Gettermaterial (vgl. Bezugszeichen 8 in Fig. 3) versehen. Unter einem Gettermaterial versteht der Fachmann – im Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents – ein Material, welches Gasmoleküle absorbiert bzw. chemisch bindet (vgl. Abs. 0004). Gemäß Absatz 0009 der Streitpatentschrift eignet sich dabei u. a. das Metall Titan (Ti) als Gettermaterial. Aufgrund des Gettermaterials in dem ersten Hohlraum 5 soll dieser Hohlraum einen anderen Innendruck aufweisen als der zweite Hohlraum 6 (vgl. Merkmal 1.4 sowie Merkmal 1.5). Gemäß Streitpatentschrift kann das Gettermaterial in beliebiger Form (z. B. als Streifen oder Fläche) in dem Hohlraum (Kavität) angeordnet sein und sich auf der Kappenseite oder der Substratseite befinden (vgl. Abs. 0024).
154
Bei der Herstellung des Bauelements soll gemäß nebengeordnetem Anspruch 7 ein flächiges Substrat bzw. eine flächige Kappenstruktur bereitgestellt werden, wobei das Substrat oder die Kappenstruktur in den Bereichen des ersten Hohlraums mit dem vorstehend bezüglich Anspruch 1 genannten Gettermaterial beschichtet sein soll (Verfahrensschritt a). Das flächige Substrat oder die Kappenstruktur soll dann in einem Verfahrensschritt b so justiert werden, dass ein entsprechendes Kappen- oder Substratgegenstück entsteht. Anschließend soll das Paar aus flächigem Substrat und Kappenstruktur in eine Prozesskammer eingebracht werden (Verfahrensschritt c). Die Prozesskammer wird sodann mit einem Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer Gassorte A, die von dem Gettermaterial absorbiert werden kann, und ggf. einer Gassorte B geflutet, die von dem Gettermaterial nicht oder in substantiell geringerem Ausmaß absorbiert werden kann, wobei die Gassorte A mit einem Partialdruck PA und die Gassorte B mit einem zugehörigen Partialdruck PB vorliegen soll (Verfahrensschritt d). Als Beispiele für die erste Gassorte A führt das Streitpatent H2, O2, CO2 oder N2 oder eine beliebige Mischung davon auf, für die Gassorte B dagegen ein Inert- bzw. Edelgas wie Argon oder Neon (vgl. Abs. 0019). Der nächste Verfahrensschritt (e) beinhaltet ein In-Kontakt-Bringen von Kappenstruktur und Substrat und Verbinden dieser beiden Teile mit Hilfe einer geeigneten Verbindungstechnik, was in der Beschreibung des Streitpatents als Bondprozess aufgeführt ist (vgl. u. a. Abs. 0016 auf S. 4, Z. 23-27). Schließlich ist das Aktivieren des ersten Gettermaterials vorgesehen, wobei das Gettermaterial Moleküle der Gassorte A absorbiert (Verfahrensschritt f). Gemäß Streitpatentschrift kann eine solche Aktivierung durch ein Erhitzen bzw. einen Temperatur-Zeit-Prozess erfolgen (vgl. Abs. 0009 und 0019).
155
II. Zur beschränkten Verteidigung nach Hauptantrag
156
1. Ob, wie die Klägerin geltend macht, der beschränkten Verteidigung des Streitpatents mit der neuen Fassung des Anspruchs 1 bereits entgegensteht, dass diese unklar, unzulässig erweitert oder nicht ausführbar ist, kann dahinstehen; denn jedenfalls erweist sich die neue Anspruchsfassung in Anspruch 1 gegenüber der unstreitig vorveröffentlichten Entgegenhaltung E3 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. d. Art. 52, 56 EPÜ beruhend.
157
Druckschrift E3 beschreibt ein mikroelektromechanisches System (MEMS), welches entsprechend dem einleitenden Merkmal des Anspruchs 1 als Bauteil in der Mikrosystemtechnik einsetzbar ist (vgl. Abstract und Sp. 1, Z. 17-21 sowie die Figuren 4 und 15 mitsamt zugehörigem Text in Sp. 4, Z. 62, bis Sp. 5, Z. 3, und Sp. 10, Z. 5-38, sowie Sp. 12, Z. 4-17).
158
159
Das mikroelektromechanische Bauteil weist ein flächiges Substrat (substrate 24) und eine darüber liegende flächige Kappenstruktur mit einer Abdichtungsschicht (sealing layer) auf (vgl. Abstract und Fig. 15, Bezugszeichen 78 sowie 62, 66 und 74, die Bestandteile der Kappenstruktur darstellen), wobei darauf hingewiesen wird, dass ein solches Bauteil mittels eines anodischen Bond-Prozesses (anodic bonding) und eines hermetischen Transfers (hermetic lead transfer) hergestellt wird (vgl. Abstract, Sp. 2, Z. 51-56, Fig. 2, 4 und 15 sowie Sp. 10, Z. 33-38 u. Z. 59-64). Dies bedeutet, dass das Substrat und die Kappenstruktur mit der Abdichtungsschicht im Zusammenhang mit dem anodischen Bond-Prozess sowie dem hermetischen Transfer miteinander durch einen hermetisch abschließenden Bondrahmen verbunden sind (Merkmal 1.1). Das Substrat und die abdichtende Kappenstruktur umschließen einen ersten Hohlraum (cavity 36) und einen zweiten Hohlraum (cavity 54) entsprechend Merkmal 1.1.1, wobei die beiden Hohlräume durch die Kappenstruktur und die zugehörige Abdichtungsschicht (sealing layer) auch gegeneinander und hermetisch gegen die Außenumgebung (ambient environment) abgedichtet sind (vgl. Abstract, Fig. 4, Sp. 4, Z. 62-64 i. V. m. Sp. 5, Z. 14-20 und Fig. 15 / Merkmal 1.1.2). Des Weiteren wird in Druckschrift E3 darauf hingewiesen, dass in solchermaßen abgedichteten Hohlräumen sowohl Drehratensensoren (gyroscopes) als auch Beschleunigungssensoren (accelerometers) angeordnet werden können (vgl. Sp. 2, Z. 43-46, Sp. 8, Z. 7-11, Sp. 10, Z. 59-64, Sp. 12, Z. 14-17, und Sp. 13, Claims 8, 9). Aufgrund dieses Hinweises bezüglich einer Anordnung von Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren in den beiden abgedichteten Hohlräumen liegt es für den Fachmann nahe, in einem der beiden Hohlräume wie dem ersten Hohlraum (cavity 36) einen Drehratensensor (gyroscope / gyro) und in dem anderen der beiden Hohlräume, d. h. dem zweiten Hohlraum (cavity 54), entsprechend Merkmal 1.2 einen Beschleunigungssensor (accelerometer) anzuordnen. Dabei wird bezüglich verschiedener Sensoren wie den genannten Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren bereits darauf hingewiesen, dass diese zu ihrem Betrieb jeweils einen bestimmten Druck benötigen (vgl. Sp. 10, Z. 59-64: […] devices which need controlled pressure damping for operation […] gyroscopes and accelerometers […]). Daraus, dass jeder der verschiedenen Sensoren einen bestimmten Druck zu seinem Betrieb benötigt, folgt für den Fachmann auch ohne weiteres, dass der erste Hohlraum für den erstgenannten Sensor dementsprechend einen anderen Innendruck für dessen Betrieb aufweist als der zweite Hohlraum für den Betrieb des anderen Sensors (Merkmal 1.3).
160
Des Weiteren offenbart Druckschrift E3, dass eine Beschichtung, die Titan (Ti) beinhaltet (Titanium-Platinum-Gold (Ti/Pt/Au) layers) auf dem Substrat (substrate 24 / glass side) aufgebracht ist (vgl. Sp. 6, Z. 51-55 und Sp. 6, Z. 67, bis Sp. 7, Z. 5, sowie Sp. 10, Z. 33-35). Eine solche Beschichtung wird im Zusammenhang mit Figur 15 und dem ersten Hohlraum (cavity 36) als Metallisierungsschicht (Ti/Pt/Au metallization 86) zum Auffangen (gettering) von störendem Gas in Form von Sauerstoff (oxygen) beschrieben, welches aus dem Substrat ausdiffundieren kann und sich damit im Hohlraum befindet (vgl. Sp. 10, Z. 33-35, i. V. m. Sp. 10, Z. 59-64). Somit handelt es sich bei der Metallisierungsschicht, mit welcher der erste Hohlraum (cavity 36) versehen ist, auch um ein Gettermaterial entsprechend Merkmal 1.4, welches in gleicher Weise wie das in der Streitpatentschrift in Absatz 0009 in Verbindung mit Absatz 0024 aufgeführte Gettermaterial auf Titan basiert. Der Innendruck in einem Hohlraum hängt dabei zwangsläufig vom Gettermaterial und dessen Beschichtungsfläche im Verhältnis zum Hohlraumvolumen ab, da die Menge des durch das Gettermaterial aufgefangenen bzw. absorbierten Gases die Gasmenge im Hohlraum beeinflusst, wobei der Innendruck von der letztendlich verbliebenen Gasmenge im gegebenen Hohlraumvolumen abhängt. Aus Figur 15 ist dabei ersichtlich, dass das Gettermaterial in Form der Metallisierungsschicht (Ti/Pt/Au metallization 86) das Substrat und damit auch die Grundfläche des ersten Hohlraums (cavity 36) fast vollständig bedeckt. Folglich wird hier auch eine entsprechende Menge an Gas bzw. Sauerstoff absorbiert, während der Fachmann davon ausgeht, dass in dem zweiten Hohlraum (cavity 54) aufgrund dessen verschiedener Ausformung mit einem anderen Hohlraumvolumen auch eine andere verbliebende Gasmenge vorhanden ist. Insgesamt bedeutet dies für den Fachmann, dass der Innendruck des ersten Hohlraums aufgrund des in der Druckschrift E3 aufgeführten erforderlichen unterschiedlichen Betriebsdrucks für verschiedene Sensoren (vgl. vorstehende Ausführungen) und des zuvor genannten Gettermaterials im ersten der jeweiligen Hohlräume (cavity 36 / cavity 54) zwangsläufig anders sein muss, als der Innendruck im zweiten, davon verschiedenen Hohlraum (Merkmal 1.5).
161
Der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung, dass der Stand der Technik gemäß Druckschrift E3 und der dortigen Figur 15 einen ersten Hohlraum mit einem vollständigen/absoluten Vakuum sowie ein Gettermaterial lehre, welches den aus dem Substrat ausdiffundierenden Sauerstoff als störendes Gas direkt auffange, während das Streitpatent kein Vakuum, sondern einen Gas-Innendruck im Hohlraum vorsehe, kann nicht beigetreten werden. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung geht der Fachmann davon aus, dass in solchen Hohlräumen in der Praxis stets verbleibende Gasmoleküle vorhanden sind, die einem absoluten Vakuum entgegenstehen und die für einen Partialdruck des Gases bzw. Innendruck sorgen, wie es auch im Streitpatent im Zusammenhang mit dem Gettermaterial und einem „Partialdruck von angenähert null“ aufgeführt wird. Der Begriff „Vakuum“ wird im Streitpatent zudem insoweit relativiert, dass lediglich ein „mehr oder weniger stark dem Absolutwert angenähertes Vakuum“ vorliege (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 0021). Dabei werden sowohl in Druckschrift E3 wie auch im Streitpatent jeweils Titan (Ti) als metallisches Gettermaterial für Gasmoleküle aufgeführt (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 0009, bzw. E3, Sp. 10, Z. 33-36: The Ti is used […] to enable gettering). Dementsprechend ist ein Unterschied hinsichtlich eines Innendruckes im ersten Hohlraum, wie ihn die Beklagte in Bezug auf Druckschrift E3 geltend macht, weder den Merkmalen des Anspruchs 1 noch der Beschreibung des Streitpatents zu entnehmen. Aus dem Anspruch 1 geht auch nicht hervor, dass – entsprechend der Argumentation der Beklagten – beim Streitpatent vorgesehen sei, ein Gas gezielt in einen Hohlraum einzuführen, um es danach kontrolliert mittels eines Gettermaterials zu absorbieren und damit einen bestimmten Innendruck einzustellen. Da sich eine solche Maßnahme nicht im Anspruchswortlaut wiederfindet, kann – was die Klägerin angezweifelt hat – diesbezüglich auch dahinstehen, ob ein Gettermaterial überhaupt in der Lage ist, nicht nur Restgasmoleküle, sondern auch hinreichend viele Moleküle eines eingebrachten Gases aufzufangen, um einen bestimmten Innendruck in einem Hohlraum einzustellen.
162
Entgegen der Auffassung der Beklagten gelangt der Fachmann damit in Kenntnis der Druckschrift E3 in naheliegender Weise zu einem in der Mikrosystemtechnik einsetzbaren Bauteil mit sämtlichen Merkmalen 1.1 bis 1.5 des Anspruchs 1 inklusive den entsprechenden Drehraten- bzw. Beschleunigungssensoren in den verschiedenen Hohlräumen, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
163
2. Auch die Unteransprüche 3 bis 5 und 8 in der beschränkt verteidigten Fassung enthalten nichts selbständig Patentfähiges. Solches hat auch die Beklagte nicht dargetan.
164
III. Zur gesonderten Verteidigung mit den Ansprüchen 2, 6 und 7
165
Die Beklagte kann das Streitpatent auch nicht mit den von ihr hierzu genannten Ansprüchen 2, 6 und 7 gesondert verteidigen, da den jeweiligen Gegenständen dieser Ansprüche ebenfalls der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52 bis 57 EPÜ) entgegensteht.
166
1. Anspruch 2
167
Auch die im ausdrücklich verteidigten Anspruch 2 genannte Maßnahme bezüglich einer unterschiedlichen Gaszusammensetzung in den verschiedenen Hohlräumen kann eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
168
Wie zuvor im Hinblick auf Anspruch 1, auf den Anspruch 2 rückbezogen ist, dargelegt, liegt es für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift E3 nahe, einen Drehratensensor in einem ersten Hohlraum und einen Beschleunigungssensor in einem zweiten Hohlraum eines in der Mikrosystemtechnik einsetzbaren Bauteils entsprechend den Merkmalen 1.1 bis 1.5 anzuordnen. Dabei wird in Druckschrift E3 – wie vorstehend ausgeführt – auch darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Sensoren zu ihrem Betrieb jeweils einen bestimmten verminderten Innendruck im Hohlraum benötigen, der in bestimmter Weise eingestellt ist, wobei ein Gettermaterial zum Auffangen von Gas/Sauerstoff genannt wird (vgl. vorstehende Ausführungen zum Anspruch 1 mit Zitatstellen a. a. O.). Details zu einzelnen benötigten Innendrücken in solchen Hohlräumen sind Druckschrift E3 jedoch nicht zu entnehmen. Der Fachmann, der ein solches Bauteil mit Drehraten- und Beschleunigungssensoren konkret realisieren will, hat daher Veranlassung, sich über Druckschrift E3 hinaus im Stand der Technik über entsprechende Einzelheiten zu informieren. Solche Informationen findet der Fachmann in der vorveröffentlichten Druckschrift E5, die sich mit konkreten Innendrücken und geeigneten Gaszusammensetzungen in abgeschlossenen Hohlräumen zwischen einem Substrat (substrate) und einer Kappenstruktur (cap wafer) im Zusammenhang mit Drehratensensoren (angular rate sensors / gyrometers) und Beschleunigungssensoren (accelerometers) sowie einem Gettermaterial (Non Evaporable Getter (NEG)) zum Auffangen von Gas/Sauerstoff (O2) befasst (vgl. Abstract, S. 801, li. Sp., und S. 802, li. Sp. zweiter Abs. u. re. Sp. erster Abs., S. 803, li. Sp. zweiter und vorle. Abs., sowie Fig. 1 auf S. 803).
169
170
Dabei lehrt Druckschrift E5 den Einsatz einer Edelgasumgebung (noble gas environment) mit unterschiedlichen Innendrücken im Millibar-Bereich (mbar), wobei dies in Druckschrift E5 auch als Vakuum-Niveau (Vacuum level) bezeichnet wird (vgl. S. 801, Tabelle 1, insbes. erste, zweite und vierte Zeile). In Tabelle 1 wird konkret ein Druckbereich von 300 bis 700 mbar für Beschleunigungssensoren (accelerometers) und ein davon verschiedener Druckbereich von 10-1 bis 10-4 mbar für Drehratensensoren (resonator (angular rate)) angegeben (vgl. S. 801, li. u. re. Sp.). Es wird zudem darauf hingewiesen, dass mit dem Gettermaterial angestrebt wird, neben Sauerstoff (O2) auch andere aktive Gase wie Stickstoff (N2) aufzufangen bzw. zu absorbieren, welche in einer Edelgasumgebung (noble gas environment) enthalten sind (vgl. S. 803, re. Sp. zw. Abs. i. V. m. S. 803, li. Sp. vorle. Abs.: The use of Non Evaporable Getter (NEG) […]. NEG can chemically sorb all active gases, including H2O, CO, CO2, O2, N2 […]). Da die Menge des Gases in einem Hohlraum mit dessen Innendruck korreliert, bestimmt der Einsatz eines Gettermaterials zwangsläufig auch die Gaszusammensetzung in einem Hohlraum mit einem Edelgas (noble gas) und noch darin enthaltenen aktiven Gasen (u. a. O2, N2). Eine Zusammenschau der Druckschriften E3 und E5 lehrt den Fachmann folglich, dass ein erster Hohlraum mit einem geeigneten Innendruck für einen bestimmten Sensor – wie einem Drehratensensor – entsprechend Anspruch 2 aufgrund des Einsatzes eines Gettermaterials eine andere Gaszusammensetzung mit einem Edelgas und einem aktiven Gas aufzuweisen hat als ein zweiter Hohlraum mit einem davon verschiedenen Innendruck für einen anderen Sensor.
171
Der Gegenstand des Anspruchs 2, der auf Anspruch 1 rückbezogen ist, ergibt sich damit für den Fachmann in naheliegender Weise aus einer Kenntnis der Druckschriften E3 und E5.
172
2. Anspruch 6
173
Auch die in Anspruch 6 im Zusammenhang mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bzw. des Anspruchs 2 genannte Maßnahme, dass das Gettermaterial zumindest in Teilbereichen strukturiert vorliegen soll, kann eine Patentfähigkeit nicht begründen. Denn in Druckschrift E5 wird auch bereits darauf hingewiesen, dass eine strukturierte Aufbringung von Gettermaterial (patterned deposition of the getter material) und eine poröse Struktur des Gettermaterials (structure of the thin getter film is porous) dessen Absorptionseigenschaften verbessert (vgl. S. 803, li. Sp. vorle. und le. Abs., sowie re. Sp. erster Abs.). Damit ist das in Anspruch 6 explizit aufgeführte Merkmal, dass das Gettermaterial zumindest in Teilbereichen strukturiert ist, auch bereits aus Druckschrift E5 bekannt. Zu den Merkmalen des Anspruchs 1 bzw. den Merkmalen des Anspruchs 2, auf die Anspruch 6 rückbezogen ist, wird auf die entsprechenden vorherigen Ausführungen zur Druckschrift E3 und E5 verwiesen.
174
Damit ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 6 ebenfalls in naheliegender Weise aus einer Kenntnis der Druckschriften E3 und E5.
175
3. Anspruch 7
176
Auch der Gegenstand des gesondert verteidigten Anspruchs 7 des Hauptantrags beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Wie vorstehend im Hinblick auf die Ansprüche 1, 2 und 6 dargelegt, offenbaren sowohl Druckschrift E3 als auch Druckschrift E5 jeweils ein in den Bereichen eines Hohlraumes mit einem Gettermaterial beschichtetes Substrat bzw. eine zugehörige flächig ausgebildete Kappenstruktur, was dessen Bereitstellung entsprechend Merkmal a des Verfahrensanspruch 7 mit umfasst (vgl. E3 und E5 a. a. O. sowie die vorstehenden Ausführungen zu einer Zusammenschau der beiden Druckschriften). Dabei beschreibt Druckschrift E3 mit den Figuren 4 und 15 ein Bauteil, bei dem das flächige Substrat (substrate 24) und die flächige Kappenstruktur mitsamt einer Abdichtungsschicht (sealing layer) auch so aufeinander angeordnet und somit derart justiert sind, dass sie ein Kappen- bzw. Substratgegenstück bilden, wie es in Merkmal b aufgeführt ist. Dies gilt in gleicher Weise für das im Stand der Technik gemäß Druckschrift E5 beschriebene Bauteil mit einer Kappen- und einer Substratstruktur, die zueinander justiert sind und ein Bauteil-Paar aus Kappen- und Substratgegenstück bilden (vgl. u. a. Fig. 1 auf S. 803 sowie die vorstehenden Ausführungen zu E5). Des Weiteren lehrt Druckschrift E5 auch, dass das Bauteil-Paar aus Substrat und Kappenstruktur im Rahmen der Herstellung eines Sensor-Hohlraumes zunächst in eine Vakuum-Prozesskammer (vacuum chamber) eingebracht wird (vgl. S. 805, li. Sp. zw. Abs. / Merkmal c). Die Vakuum-Prozesskammer wird anschließend mit einem Prozessgas in Form eines als Trägergas dienenden Edelgases (noble gas / inert gas) geflutet, welches als Verunreinigung bzw. Kontamination zusätzlich ein Restgas (H2O, CO, CO2, O2, N2 […])) enthält, wobei das Restgas der im Anspruch 7 des Streitpatents aufgeführten Gassorte A entspricht (vgl. S. 803, li. Sp. vorletzter Abs. sowie S. 804, li. Sp. le. Abs. und re. Sp. erster Abs.: […] a controlled gas-filling procedure has to be established. Only inert gases […]; vgl. zudem S. 806, Tabellen 3 und 4). Das Trägergas entspricht dabei der im Anspruch 7 des Streitpatents angegebenen Gassorte B und wird als Edelgas aufgrund seiner geringen Bindungsneigung zwangsläufig nicht bzw. nur in substantiell geringem Ausmaß vom Gettermaterial absorbiert (vgl. S. 805, re. Sp. zw. Abs.). Damit liegt in der Gasmischung, mit der die Prozesskammer geflutet wird, auch jede der beiden genannten Gassorten zwangsläufig mit einem zugehörigen Teildruck bzw. Partialdruck vor, wie es in Merkmal d des Anspruchs 7 aufgeführt ist. Druckschrift E5 lehrt darüber hinaus das In-Kontakt-Bringen und Verbinden von Kappenstruktur und Substrat mit Hilfe eines Bonding-Prozesses (bonding process / eutectic bonding) entsprechend dem Merkmal e (vgl. Fig. 1, S. 802, li. Sp. vorletzter u. letzter Abs., sowie S. 806, li. Sp. letzter Abs.). Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung lehrt Druckschrift E5 dabei ebenfalls, dass das Gettermaterial nicht nur zur Entfernung von Ausgasungen aus den Oberflächen des Hohlraumes, sondern auch zum Auffangen des mit dem Trägergas (noble gas) eingebrachten Restgases (active gases) dient (vgl. S. 803, re. Sp. zweiter vollständiger Satz, S. 806, re. Sp. zweiter Abs., sowie S. 807, li. Sp. erster Abs.). Dabei muss das Gettermaterial laut Druckschrift E5 zunächst aktiviert werden, bevor es entsprechende Gasmoleküle absorbieren kann (vgl. S. 803, li. Sp. vorletzter Abs. und S. 803, re. Sp. zweiter Abs.: getter film […] needs to be activated […] to activate the thin getter film so that it can start absorbing gases after the MEMS vacuum bonding at wafer level). Das bedeutet für den Fachmann nichts anderes, als dass das Gettermaterial derart zu aktivieren ist, dass es die vorstehend genannten Gasmoleküle (u. a. O2, N2) des Restgases (active gases), welches der Gassorte A entspricht, entsprechend Merkmal f absorbiert.
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Der Fachmann gelangt somit in Kenntnis des Stands der Technik gemäß Druckschrift E3 in Verbindung mit Druckschrift E5, welche eine detaillierte Beschreibung der konkreten Herstellung eines mikroelektromechanischen Systems mit Hohlraumsensoren liefert, auch in naheliegender Weise zum Herstellungsverfahren gemäß Anspruch 7, ohne dazu in erfinderischer Weise tätig werden zu müssen.
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IV. Zum Hilfsantrag vom 14. Mai 2018
179
Der erst mit Schriftsatz vom 14. Mai 2018, also zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung, eingereichte Hilfsantrag ist nach § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen. Denn die Zulassung dieses erst nach Ablauf der mit dem Hinweis des Senats vom 7. Februar 2018 gesetzten letzten Frist (18. April 2018), über deren Versäumnisfolgen die Parteien belehrt worden waren (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 PatG), ohne hinreichende Entschuldigung (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PatG) seitens der Beklagten eingereichten Hilfsantrags hätte eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG).
180
Der Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag durch Änderungen der Merkmale 1.3 und 1.5, die nunmehr lauten
181
1.3 wobei der erste Hohlraum einen von dem Drehratensensor benötigten anderen Innendruck (erster Innendruck) aufweist als und der zweite Hohlraum einen vom Beschleunigungssensor benötigten Innendruck (zweiter Innendruck) aufweist, wobei sich die Innendrücke unterscheiden,
182
1.5 dass durch das sein Innendruck aufgrund dieses Gettermaterials der Unterschied zwischen den Innendrücken eingestellt ist, und zwar dadurch, dass das Gettermaterial aus einem in die Hohlräume gefüllten und dort eingeschlossenen Prozessgas, enthaltend eine oder bestehend aus einer ersten Gassorte besteht, diese erste Gassorte vollständig oder im Wesentlichen vollständig oder zumindest teilweise absorbiert anders ist als der Innendruck des zweiten Hohlraums.
183
Die Beklagte hat die geänderten Merkmale nach eigener Darstellung den Ausführungen in der Beschreibung der Streitpatentschrift entnommen. Zusammen mit den übrigen Merkmalen betrifft der Hilfsantrag damit einen Gegenstand, welchen die Beklagte bislang weder mit den erteilten Ansprüchen noch mit ihrer beschränkten Verteidigung nach dem Hauptantrag beansprucht hatte. Da der Streitgegenstand im Nichtigkeitsverfahren allein der vom Patentinhaber mit den Patentansprüchen konkret begehrte Schutz (Art. 84 Satz 1 EPÜ) ist, handelt es sich bei der mit dem Hilfsantrag begehrten Anspruchsfassung mithin um ein neues Verteidigungsmittel der Beklagten i. S. d. § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG, denn die mit ihm nunmehr beanspruchte Merkmalskombination war zuvor zu keinem Zeitpunkt streitgegenständlich. Daher musste sich die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung dementsprechend auch die Verspätung dieser Hilfsanträge gerügt hat, bislang auf sie und den mit ihr nunmehr begehrten Patentschutz mit einer solchen Merkmalskombination nicht einstellen. Da es gerade das Bestreben der Beklagten ist, sich mit dem Hilfsantrag von dem bereits im Verfahren befindlichen Stand der Technik abzusetzen, kann auch nicht erwartet werden, dass die Klägerin allein anhand des vorhandenen Standes der Technik eine abschließende Bewertung der Schutzfähigkeit der neuen Anspruchsfassung vornimmt. Vielmehr wäre der Klägerin insbesondere dazu Gelegenheit zu geben gewesen, hinsichtlich der Frage der Patentfähigkeit der neuen Anspruchsfassung eine neue Recherche durchführen zu können, zu der sie bislang wie bereits ausgeführt mangels Streitgegenständlichkeit dieser neuen Anspruchsfassungen keine Veranlassung hatte. Mit einem bloßen Schriftsatznachlass (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 283 ZPO) könnte diesem berechtigten Begehren der Klägerin nicht Rechnung getragen werden, denn zu einem (zu unterstellenden) neuen Vorbringen der Klägerin in einem nachgelassenen Schriftsatz müsste dann wiederum der Beklagten rechtliches Gehör gewährt werden, was nur mittels einer neu anzusetzenden mündlichen Verhandlung möglich wäre. Die Zulassung des neuen Hilfsantrags würde daher eine Vertagung der mündlichen Verhandlung unumgänglich machen, was das Gesetz aber mit der Regelung nach § 83 Abs. 4 PatG gerade ausdrücklich ausschließt.
184
Die Beklagte hat die Vorlage des neuen Hilfsantrags erst in der mündlichen Verhandlung auch nicht genügend entschuldigt (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PatG). Die vorgesehenen Änderungen sind weder durch entsprechende Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung noch durch das Vorbringen der Klägerin in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Senats veranlasst. Die Beklagte hat zur Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung angeführt, es handele sich um eine „Konkretisierung“ des Hauptantrages, um damit einem möglicherweise unzutreffenden Verständnis des Streitpatents zu begegnen, der sich nach ihrem Eindruck aufgrund der Einwendungen der Klägerin gegen den Hauptantrag in derem Schriftsatz vom 18. April 2018 ergeben könnte. Soweit sie damit lediglich klarstellen möchte, was aus ihrer Sicht ohnehin bereits mit dem neuen Hauptantrag beansprucht ist, wäre der Hilfsantrag an sich von vornherein mangels Beschränkung des Streitpatents unzulässig. In der mündlichen Verhandlung hat sie daher geltend gemacht, die „Konkretisierung“ ginge über eine bloße Klarstellung hinaus und schränke das Streitpatent weiter gegenüber dem bereits zuvor im Verfahren befindlichen Stand der Technik ein. Dann kann die neue Anspruchsfassung nach dem Hilfsantrag aber nicht mehr allein von den Ausführungen der Klägerin in derem Schriftsatz vom 18. April 2018 veranlasst worden sein, die sich neben den Fragen der unzulässigen Erweiterung und der Ausführbarkeit der neuen Anspruchsfassung vor allem mit der Frage befassen, ob der neue Hauptantrag gegenüber dem vorhandenen Stand der Technik als neu und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden könne. Vielmehr soll nach der Darstellung der Beklagten der beanspruchte Gegenstand mit dem Hilfsantrag über die mit dem Hauptantrag bereits beabsichtigte Beschränkung des Streitpatents hinaus noch weiter vom vorhandenen Stand der Technik abgegrenzt werden. Weshalb dann aber eine solche, nicht durch die Einwendungen der Klägerin gegen den neuen Hauptantrag, sondern vielmehr durch den bereits seit längerem im Verfahren befindlichen und vom Senat in seinem Hinweis vom 9. Februar 2018 bereits gewürdigten Stand der Technik bedingte weitere Beschränkung des Streitpatents nicht bereits früher (z. B. als Hilfsantrag zum neuen, mit Schriftsatz vom 13. März 2018 bereits eingereichten neuen Hauptantrag) hätte eingereicht werden können, ist weder seitens der Beklagten dargetan worden noch anderweitig ersichtlich.
185
Da somit sämtliche Voraussetzungen nach § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG bestehen, war der Hilfsantrag vom 14. Mai 2018 als verspätet zurückzuweisen.
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B. Nebenentscheidungen
187
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
188
) ist, handelt es sich bei der mit dem Hilfsantrag begehrten Anspruchsfassung mithin um ein neues Verteidigungsmittel der Beklagten i. S. d. § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG, denn die mit ihm nunmehr beanspruchte Merkmalskombination war zuvor zu keinem Zeitpunkt streitgegenständlich. Daher musste sich die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung dementsprechend auch die Verspätung dieser Hilfsanträge gerügt hat, bislang auf sie und den mit ihr nunmehr begehrten Patentschutz mit einer solchen Merkmalskombination nicht einstellen. Da es gerade das Bestreben der Beklagten ist, sich mit dem Hilfsantrag von dem bereits im Verfahren befindlichen Stand der Technik abzusetzen, kann auch nicht erwartet werden, dass die Klägerin allein anhand des vorhandenen Standes der Technik eine abschließende Bewertung der Schutzfähigkeit der neuen Anspruchsfassung vornimmt. Vielmehr wäre der Klägerin insbesondere dazu Gelegenheit zu geben gewesen, hinsichtlich der Frage der Patentfähigkeit der neuen Anspruchsfassung eine neue Recherche durchführen zu können, zu der sie bislang wie bereits ausgeführt mangels Streitgegenständlichkeit dieser neuen Anspruchsfassungen keine Veranlassung hatte. Mit einem bloßen Schriftsatznachlass (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 283 ZPO) könnte diesem berechtigten Begehren der Klägerin nicht Rechnung getragen werden, denn zu einem (zu unterstellenden) neuen Vorbringen der Klägerin in einem nachgelassenen Schriftsatz müsste dann wiederum der Beklagten rechtliches Gehör gewährt werden, was nur mittels einer neu anzusetzenden mündlichen Verhandlung möglich wäre. Die Zulassung des neuen Hilfsantrags würde daher eine Vertagung der mündlichen Verhandlung unumgänglich machen, was das Gesetz aber mit der Regelung nach § 83 Abs. 4 PatG gerade ausdrücklich ausschließt.
189
Die Beklagte hat die Vorlage des neuen Hilfsantrags erst in der mündlichen Verhandlung auch nicht genügend entschuldigt (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PatG). Die vorgesehenen Änderungen sind weder durch entsprechende Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung noch durch das Vorbringen der Klägerin in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Senats veranlasst. Die Beklagte hat zur Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung angeführt, es handele sich um eine „Konkretisierung“ des Hauptantrages, um damit einem möglicherweise unzutreffenden Verständnis des Streitpatents zu begegnen, der sich nach ihrem Eindruck aufgrund der Einwendungen der Klägerin gegen den Hauptantrag in derem Schriftsatz vom 18. April 2018 ergeben könnte. Soweit sie damit lediglich klarstellen möchte, was aus ihrer Sicht ohnehin bereits mit dem neuen Hauptantrag beansprucht ist, wäre der Hilfsantrag an sich von vornherein mangels Beschränkung des Streitpatents unzulässig. In der mündlichen Verhandlung hat sie daher geltend gemacht, die „Konkretisierung“ ginge über eine bloße Klarstellung hinaus und schränke das Streitpatent weiter gegenüber dem bereits zuvor im Verfahren befindlichen Stand der Technik ein. Dann kann die neue Anspruchsfassung nach dem Hilfsantrag aber nicht mehr allein von den Ausführungen der Klägerin in derem Schriftsatz vom 18. April 2018 veranlasst worden sein, die sich neben den Fragen der unzulässigen Erweiterung und der Ausführbarkeit der neuen Anspruchsfassung vor allem mit der Frage befassen, ob der neue Hauptantrag gegenüber dem vorhandenen Stand der Technik als neu und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden könne. Vielmehr soll nach der Darstellung der Beklagten der beanspruchte Gegenstand mit dem Hilfsantrag über die mit dem Hauptantrag bereits beabsichtigte Beschränkung des Streitpatents hinaus noch weiter vom vorhandenen Stand der Technik abgegrenzt werden. Weshalb dann aber eine solche, nicht durch die Einwendungen der Klägerin gegen den neuen Hauptantrag, sondern vielmehr durch den bereits seit längerem im Verfahren befindlichen und vom Senat in seinem Hinweis vom 9. Februar 2018 bereits gewürdigten Stand der Technik bedingte weitere Beschränkung des Streitpatents nicht bereits früher (z. B. als Hilfsantrag zum neuen, mit Schriftsatz vom 13. März 2018 bereits eingereichten neuen Hauptantrag) hätte eingereicht werden können, ist weder seitens der Beklagten dargetan worden noch anderweitig ersichtlich.
190
Da somit sämtliche Voraussetzungen nach § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG bestehen, war der Hilfsantrag vom 14. Mai 2018 als verspätet zurückzuweisen.
191
B. Nebenentscheidungen
192
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.