Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – “Verfahren zur Steuersignalisierung in einem Kommunikationssystem” – zur unzulässigen Erweiterung – zur Patentfähigkeit

Aktenzeichen  4 Ni 24/17 (EP)

Datum:
3.12.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:031219U4Ni24.17EP.0
Normen:
Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk
Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk
Art 54 EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk
Spruchkörper:
4. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 2 293 078
(DE 60 2008 011 347)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2019 durch die Richterin Kopacek als Vorsitzende sowie die Richter Kätker und Dipl.-Ing. Veit, die Richterin Dipl.-Phys. Zimmerer sowie den Richter Dipl.-Chem. Dr. Wismeth
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 293 078 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 2 293 078, deutsches Aktenzeichen DE 60 2008 011 347 (Streitpatent, NK1), das am 1. August 2008 unter Inanspruchnahme der Prioritäten EP 07015271 (NK5) und EP 08152651 (NK6) als zweite Teilanmeldung EP 2293078 zur Stammanmeldung WO 2009/019230 (NK4) und dem Stammpatent EP 2 174 143 (NK7) angemeldet worden ist. Das Streitpatent trägt in der Verfahrenssprache Englisch die Bezeichnung „Method for diagnosis of a bacterial infection“ („Verfahren zur Diagnose bakterieller Infektionen“) und betrifft ein in-vitro-Verfahren zur Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion durch Bestimmung der Konzentration des Biomarkers Procalcitonin oder Fragmenten davon in einer Probe, die einem zu untersuchenden Patienten entnommen worden ist. Das Streitpatent umfasst zwei Patentansprüche, die beide angegriffen sind.
2
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
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3
In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1:
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4
Patentanspruch 2 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
5
In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 2:
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6
Die Klägerinnen, die das Streitpatent in vollem Umfang angreifen, machen die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Ausführbarkeit und der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützen ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:
7
NK1 EP 2 293 078 B1 (Streitpatent)
8
NK2 Registerauszug 60 2008 011 347.1 vom 1. August 2016
9
NK3 ursprüngliche Anmeldung zum Streitpatent mit Anmeldenummer EP 10188288.4
10
NK4 WO 2009/019230 A2 (Stammanmeldung)
11
NK5 EP 07015271.5 (Prioritätsdokument)
12
NK6 EP 08152651.9 (Prioritätsdokument)
13
NK7 EP 2 174 143 B1 (Patent aus Stammanmeldung)
14
NK8 BECKER, Kenneth L.; SNIDER, Richard; NYLEN, Eric S.: Procalcitonin assay in systematic inflammation, infection, and sepsis: Clinical utility and limitations. In: Critical Care Medicine, Vol. 36, 2008, No. 3, S. 941-952
15
NK9 MORGENTHALER, Nils G. [et al.]: Sensitive Immunoluminometric Assay for the Detection of Procalcitonin. In: Clinical Chemistry, Vol. 48, 2002, No. 5, S. 788-790
16
NK10 CHRIST-CRAIN, Mirjam; MÜLLER, Beat: Procalcitonin in bacterial infections – hype, hope, more or less? In: Swiss Medical Weekly, Vol 135, 2005, S. 451-460
17
NK11 WO 2008/040328 A2
18
NK12 STOLZ, Daiana [et al.]: Antibiotic Treatment of Exacerbations of COPD. In: Chest, Vol. 131, 2007, Iss. 1, S. 9-19
19
NK13 ASSICOT, Marcel [et al.]: High serum procalcitonin concentrations in patients with sepsis and infection. In: The Lancet, Vol. 341, 1993, S. 515-518
20
NK14 GENDREL, Dominique [et al.]: Measurements of Procalcitonin Levels in Children with Bacterial or Viral Meningitis. In: Clinical Infectious Diseases, Vol. 24, 1997, S. 1240-1242
21
NK15 KÖKSAL, Nilgün [et al.]: Role of procalcitonin and CRP in diagnosis and follow-up of neonatal sepsis. In: The Turkish Journal of Pediatrics, Vol. 49, 2007, S. 21-29
22
NK16 NYLEN, Eric [et al.]: The Future Diagnostic Role of Procalcitonin Levels: The Need for Improved Sensitivity. In: Clinical Infectious Diseases, Vol. 36, 2003, S. 823-824
23
NK17 CHRIST-CRAIN, Mirjam [et al.]: Procalcitonin Guidance of Antibiotic Therapy in Community-acquired Pneumonia. In: American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Vol. 174, 2006, S. 84-93
24
NK18 FLEISCHMANN, Carolin [et al.]: Fallzahlen und Sterblichkeitsraten von Sepsis Patienten im Krankenhaus. In: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, 2016, H. 10, S. 159-166. 5 Seiten Zusatzmaterial
25
NK19 SINGER, Mervyn [et al.]: The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). In: Journal of the American Medical Association, Vol. 315, 2016, No. 8, S. 801-810
26
NK20 Procalcitonin (PCT) Assay (Dual vial liquid stable) (immunoturbidimetric). Ohne Datum. Aufgerufen über URL: http://store.diazyme.com/procalcitonin-pct-assay-dual-vial-liquid-stable-immunoturbi… [abgerufen am 23. Dezember 2016]
27
NK21 Forrester & Boehmert: Schriftsatz an das Europäische Patentamt vom 25. Juli 2011 zur Europäischen Patentanmeldung 10 188 288.4. 10 Seiten
28
NK22 Europäisches Patentamt: Communication vom 7. März 2011 zur Europäischen Patentanmeldung 10188288.4. 7 Seiten.
29
Die Klägerinnen machen geltend, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Inhalt der Teil- und Stammanmeldung (NK3, NK4) unzulässig erweitert sei. Eine diagnostische Relevanz des in Patentanspruch 1 beanspruchten Konzentrationsbereichs der Procalcitonin-Konzentration „wherein the threshold PCT-level is below 0,25 ng/ml“ werde in der ursprünglichen Anmeldung (NK3) und in der früheren Anmeldung (NK4) ausschließlich im Zusammenhang mit einer speziellen Patientengruppe offenbart, nämlich mit Patienten, die eine Grunderkrankung hätten, die keine Infektion sei. Patentanspruch 1 sei allerdings nicht auf ein Verfahren für Patienten mit einer solchen Grunderkrankung beschränkt. Eine entsprechende Limitierung fordere erst der abhängige Patentanspruch 2.
30
Darüber hinaus werde in der ursprünglichen Anmeldung NK3 und in der früheren Anmeldung NK4 die Anwendung dieses „Schwellenwerts“, als weiterer Indikator für die Diagnose einer bakteriellen Infektion nicht für den streitpatentgemäßen Erfindungsaspekt des Diagnoseverfahrens offenbart, sondern nur für das nicht gegenständliche Prognoseverfahren.
31
Soweit die Beklagte den im Streitpatent abweichend zur ursprünglichen Offenbarung ausdrücklich als Schwellenwert („threshold PCT-level“) bezeichneten Wert „[…] below 0,25 ng/ml“ im ursprünglichen Sinne eines Konzentrationsbereichs als Auswahlkriterium lese, der die Patientengruppe definiere, und nicht als diagnostischen Schwellenwert, sei dies mit der Offenbarung und dem Wortlaut des Streitpatents nicht mehr vereinbar. Auch der Gegenstand des auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentanspruchs 2 stelle daher im Hinblick auf das Merkmal „threshold level“ eine unzulässige Erweiterung dar, denn es handele sich hierbei um einen diagnostischen Schwellenwert, wohingegen gemäß der ursprünglichen Offenbarung in der NK4 der Schwellenwert auf die Auswahl einer Patientengruppe zu beziehen sei, die dem streitpatentgemäßen Diagnoseverfahren unterworfen sei.
32
Außerdem sei der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 2 bei richtiger Auslegung des Merkmals „threshold level“ („Schwellenwert“) als diagnostischer Schwellenwert nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne, da die Anwendung eines Schwellenwerts als weiterer Indikator bei einer Diagnose gemäß dem beanspruchten Verfahren nicht mit dem Indikator der Procalcitonin-Abnahme korreliere und mangels Untergrenze auch nicht über den gesamten Bereich ausführbar sei.
33
Zudem sei Patentanspruch 2 nicht ausführbar, da die Art der Ersterkrankung und der lokalen Infektion unklar blieben. Außerdem sei im Lichte des Standes der Technik davon auszugehen, dass sich z. B. ein allgemeiner PCT-Schwellenwert für alle Arten von lokalen Infektionen bei Patienten mit jeglicher Art von Ersterkrankung, die keine Infektion ist, nicht bestimmen lasse.
34
Das anspruchsgemäße Verfahren sei zur Diagnose einer Infektion in einem Patienten ungeeignet. Das Patent bringe keinerlei Nachweis für eine erfolgreiche Diagnosestellung mit dem anspruchsgemäßen Verfahren. Bei einer sich ausweitenden Infektion mit resistenten Bakterien müsse von einem Anstieg des PCT-Wertes ausgegangen werden. Das anspruchsgemäße Verfahren liefere folglich eine Fehldiagnose. Außerdem könnten PCT-Werte auch in Patienten ohne bakterielle Infektion Schwankungen unterliegen, was ebenfalls zu einer Fehldiagnose führen könne.
35
Die Gegenstände des Streitpatents, auch die des Patentanspruchs 2 bzw. des Hilfsantrags, beruhten zudem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hierbei sei vom Zeitrang des Anmeldetages (1. August 2008) auszugehen, da die Prioritäten aus den Voranmeldungen NK5 und NK6 mangels Identität der Erfindung zu Unrecht beansprucht seien.
36
Aus dem Streitpatent gehe nicht hervor, welches technische Problem dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 zugrunde liege. Als Verdienst nenne es allenfalls die Erkenntnis, dass bei einer speziellen Patientengruppe, nämlich bei Patienten mit einer Grunderkrankung, die keine Infektion sei, ebenfalls diagnostisch relevante Procalcitonin-Konzentrationen vorlägen und zwar in einem Bereich unterhalb von 0,25 ng/ml. Da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 jedoch nicht auf die Diagnose bei Patienten mit relevanten Grunderkrankungen beschränkt sei, diese Patientengruppe vielmehr nur die bevorzugte Ausführungsform gemäß Unteranspruch 2 darstelle, spiegele sich der behauptete technische Vorteil nicht im einzigen unabhängigen Patentanspruch wieder. Schon deshalb könne Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
37
Zudem sei die vom Streitpatent bereitgestellte Lösung dieser Aufgabe nicht mit einem vorteilhaften, geschweige denn mit einem unerwarteten oder überraschenden vorteilhaften Effekt assoziiert. Das streitpatentgemäße Verfahren liefere keine Therapieentscheidung, sondern diene nur der Bestätigung der Richtigkeit (oder Unrichtigkeit) der getroffenen Entscheidung zur Gabe von Antibiotika. Das beanspruchte Verfahren beruhe auf der Messung von PCT-Werten und werte sinkende PCT-Werte als Ansprechen auf eine Antibiotikatherapie und somit (zwangsläufig) als Anzeichen für das Vorliegen einer bakteriellen Infektion. Streitpatentgemäß sei die Therapie, nämlich die Verabreichung von Antibiotika an den Patienten, ein Teil des Diagnoseverfahrens, da die Diagnose erst nach Beginn einer medikamentösen Behandlung erfolge. Demnach müsse die Therapieentscheidung bereits vor der Diagnosestellung erfolgen. Das Erfordernis der Therapie vor Stellung der Diagnose sei mit keinerlei Vorteil assoziiert. Auch angesichts des bekannten Problems der Entstehung von resistenten Keimen durch prophylaktische Antibiotikaverabreichung sei daher nicht ersichtlich, dass das anspruchsgemäße Verfahren einen vorteilhaften technischen Beitrag bereitstelle. Ein überraschender oder unerwarteter Effekt sei weder für Patienten mit PCT-Werten unterhalb von 0,25 ng/ml noch für einen Abfall von mindestens 20 % in einem Zeitraum von 24 Stunden gezeigt.
38
Das Streitpatent bringe auch keinen Nachweis dafür, dass die ihm zugrunde liegende Aufgabe gelöst sei. Aus den in Beispiel 1 des Streitpatents gezeigten Daten sei nicht ersichtlich, ob Infektionen überhaupt mit erhöhten PCT-Werten korrelierten, geschweige denn mit irgendwelchen bestimmten PCT-Wertebereichen. Insbesondere fehlten Angaben über die Zahl der Proben von den jeweiligen Fachärzten und es sei nicht ersichtlich, ob die Patienten überhaupt an einer Ersterkrankung und/oder lokalen Infektion litten. Die Beispiele des Streitpatents befassten sich nicht mit einer Verabreichung von Antibiotika zur Behandlung etwaiger Infektionen. Folglich könne den im Streitpatent gezeigten Daten auch nicht entnommen werden, ob ein Abfall eines PCT-Wertes von mindestens 20 % im Zeitraum von 24 Stunden das Vorliegen einer bakteriellen Infektion anzeige.
39
Die behauptete Erkenntnis, dass bei einer speziellen Patientengruppe, nämlich bei Patienten mit einer Grunderkrankung, die keine Infektion sei, ebenfalls diagnostisch relevante Procalcitonin-Konzentrationen vorlägen und zwar in einem Bereich unterhalb von 0,25 ng/ml, sei allerdings bereits aus dem Stand der Technik bekannt gewesen. Durch Kombinationen einer der Druckschriften NK10 bis NK12 mit einer der weiteren Druckschriften NK13 bis NK17 wäre der Fachmann naheliegend zum Gegenstand des Streitpatents gelangt.
40
So beschreibe die NK11 ebenfalls Verfahren zur Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion durch mehrfache, auch während einer Antibiotikatherapie vorgenommene Bestimmung der Konzentration von Procalcitonin, wobei der in NK11 beschriebene Schwellenwert, oberhalb dessen eine bakterielle Infektion diagnostiziert werde, mit 0,03 ng/ml bis 0,06 ng/ml angegeben sei. Damit sei die diagnostische Relevanz von PCT-Werten unterhalb von 0,25 ng/ml bereits in NK11 beschrieben worden. Diese „leicht erhöhten“ PCT-Konzentrationen könnten bei Patienten vorliegen, die bereits eine Grunderkrankung hätten, die keine Infektion sei. Damit habe der Fachmann eine konkrete Veranlassung, die PCT-Konzentration in der Diagnose von bakteriellen Infektionen mit Schwellenwerten von unterhalb 0,25 ng/ml vor und während einer Antibiotikabehandlung einzusetzen. Zudem sei aus dem Stand der Technik, etwa aus NK10, NK8 oder NK12 bekannt gewesen, dass bei Patienten mit lokalen Infektionen PCT-Konzentrationen von unterhalb 0,25 ng/ml vorliegen könnten. Für die Verwendung der Abnahme des Procalcitonin-Levels um mindestens 20 % pro Tag als weiteren Indikator für die Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion habe es ebenfalls zahlreiche Anhaltspunkte im Stand der Technik gegeben. So lehrten etwa die NK13, NK14 und NK15, dass die Procalcitonin-Konzentrationen durch Behandlung mit Antibiotika nach Behandlungsbeginn stark abnähmen. Im Übrigen ergebe sich die Abnahmerate als unmittelbares Ergebnis einer Verlaufskontrolle mit wiederholten PCT-Messungen.
41
Auch ausgehend von der NK12 wäre der Fachmann ohne erfinderisches Tätigwerden zum Gegenstand des Streitpatents gelangt. Zweck der NK12 sei ebenfalls, bakterielle Infektionen zu diagnostizieren. Insbesondere offenbare die NK12 auch weitere PCT-Messungen kurz nach Beginn der Therapie, wobei – im Rahmen der in NK12 beschriebenen PCT-basierten Überwachung – selbstverständlich eine tägliche Überwachung des Krankheitsverlaufs erfolge, so dass der am Ansprechen auf die Antibiotikatherapie interessierte Fachmann die PCT-Werte regelmäßig im Rahmen der Verlaufsbeobachtung überprüft hätte. Dies gehe im Übrigen auch aus dem in Fußnote 33 enthaltenen Verweis auf die NK17 hervor und folge auch aus dem in Figur 3 dargestellten Vergleich der mit PCT und ohne PCT überwachten Gruppen. Das Feststellen bakterieller Infektionen führe zum gezielten Einsatz von Antibiotika, also einer reduzierten Antibiotikagabe. Beim Ausführen der Lehre der NK12 hätte der Fachmann die gesenkten PCT-Spiegel bei der Antibiotikabehandlung von Patienten mit bakteriellen Infektionen wahrgenommen und hätte diese mit dem Anschlagen der Antibiotikatherapie und damit dem Vorliegen einer Infektion assoziiert. Soweit die NK12 nicht spezifisch die Untersuchung mit PCT-Werten unterhalb von 0,25 ng/ml offenbare, sei dies beim Streitpatent ebenfalls nicht der Fall. Nach der Lehre des Streitpatents werde ein Antibiotikum verabreicht und bei Anschlagen des Antibiotikums werde auf das Vorliegen einer Infektion und damit auf die Richtigkeit der (bereits begonnenen) Therapie geschlossen. Wie in der NK12 könne auch anhand der streitpatentgemäßen Lehre ausgehend von einem PCT-Wert von unter 0,25 ng/ml allein nicht auf die An- oder Abwesenheit einer Infektion geschlossen werden.
42
Im Streitpatent sei auch kein Effekt für eine bestimmte Abnahmerate des PCT- Spiegels gezeigt. Die generelle Abnahme des PCT-Spiegels bei erfolgreicher Antibiotikatherapie sei aus dem Stand der Technik bekannt. Dass mit einer Abnahmerate von mindestens 20 % in 24 Stunden ein unerwarteter Effekt verbunden sei, zeige das Streitpatent nicht. Folglich könne sie auch nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen.
43
In der NK17 werde eine PCT-gesteuerte Antibiotikatherapie bei ambulant erworbener Lungeninfektion beschrieben, wobei im Rahmen einer Verlaufsbeobachtung das Anschlagen der Antibiotikabehandlung und die Abnahme des PCT-Spiegels thematisiert werde. Auch das Streitpatent liefere nichts anderes als die (rückwirkende) Diagnose, ob die Anfangstherapie angeschlagen hat oder nicht. Dementsprechend sei sein Gegenstand auch durch die NK17 nahegelegt.
44
Dies gelte ebenso für die NK10, die sich mit der Bedeutung von Procalcitonin als biochemischer Marker bei bakteriellen Infektionen befasse. Aus ihr lasse sich eine Verlaufskontrolle entnehmen, die dem streitpatentgemäßen Diagnoseverfahren, das letztlich nur eine nachträgliche Erfolgskontrolle der bereits begonnenen Antibiotikatherapie darstelle, entspreche.
45
Die Klägerinnen beantragen,
46
das europäische Patent 2 293 078 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
47
Die Beklagte beantragt,
48
die Klage abzuweisen,
49
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit dem Hilfsantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 28. Februar 2019, verteidigt wird.
50
Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in seiner erteilten Fassung.
51
Weiter verteidigt die Beklagte ihr Patent mit einem Hilfsantrag. Danach wird in den erteilten Patentanspruch 1 zwischen den Wortfolgen „[…] is indicative for the presence of a bacterial infection in the patient“ und „and wherein the threshold level of procalcitonin or fragments thereof […]“ das wie folgt lautende Merkmal des Patentanspruchs 2 eingefügt:
52
„wherein the patient has a primary disease not being an infection“.
53
Der erteilte Patentanspruch 2 wird gestrichen.
54
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen.
55
Nach ihrer Auffassung ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht unzulässig erweitert. Die entsprechende Argumentation der Klägerinnen beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des Patentanspruchs, insbesondere des Ausdruckes „threshold level“ („Schwellenwert“). Damit werde bei richtiger Auslegung die Patientengruppe definiert, die dem beanspruchten Diagnoseverfahren zu unterziehen sei.
56
Das Diagnoseverfahren des erteilten Patentanspruchs 1 sei auf die Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion in ganz bestimmten Patienten gerichtet, nämlich in solchen Patienten, bei denen eine Antibiotikabehandlung tatsächlich bereits begonnen worden sei. Durch das Merkmal des Schwellenwerts würden die dem beanspruchten Diagnoseverfahren zu unterziehenden Patienten nun noch weiter eingeschränkt, nämlich dahingehend, dass sie in Blut-, Serum- oder Plasmaproben einen PCT-Wert unter 0,25 ng/ml aufweisen müssten. Eine Basis für das Merkmal des Schwellenwerts finde sich auf Seite 14, Zeilen 5-7 sowie auch in Patentanspruch 2 der zugrunde liegenden Anmeldung (NK3).
57
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen und auch der vorläufigen Rechtsauffassung des Senats im qualifizierten Hinweis vom 22. Oktober 2018 seien das Erfordernis des Schwellenwerts und das Erfordernis einer Grunderkrankung in der ursprünglichen Offenbarung nicht untrennbar miteinander verknüpft, so dass die isolierte Aufnahme des Schwellenwerts in Patentanspruch 1 auch keine unzulässige Erweiterung darstelle. Die Stammanmeldung NK4 offenbare das patentgemäße Diagnoseverfahren sogar in noch allgemeinerer Form, nämlich ganz ohne das Merkmal des Schwellenwerts. Die beiden fraglichen Merkmale würden dort auch nur jeweils als bevorzugte Ausführungsbeispiele in der Beschreibung und in einem Unteranspruch offenbart. Jedes einzelne der beiden Merkmale sei für den Erfolg des erfindungsgemäßen Diagnoseverfahrens förderlich, indem es die zu untersuchende Patientengruppe gerade auf solche Patienten fokussiere, die in ganz besonderem Maße von diesem Verfahren profitieren könnten.
58
Bei dieser Auslegung sei der Gegenstand des Streitpatents auch ausführbar offenbart. Da es sich beim Schwellenwert um ein Auswahlkriterium in Bezug auf die dem Diagnoseverfahren zu unterziehenden Patienten handele, nicht aber um einen „diagnostischen“ Schwellenwert, sei es unerheblich, dass das Streitpatent, keine Erläuterungen zur Anwendung eines diagnostischen Schwellenwerts gebe, wie die Klägerinnen dies vorgetragen hätten. Die Auffassung der Klägerinnen beruhe auf einer Fehlinterpretation des Patentanspruchs.
59
Der Gegenstand des Streitpatents sei auch patentfähig, was selbst dann gelte, wenn der Anmeldetag des Streitpatents als maßgebender Zeitrang zugrunde gelegt werden sollte. Die Auffassung der Klägerinnen, dass Patentanspruch 1 bereits deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen könne, da das beanspruchte Verfahren „keine unerwarteten Vorteile mit sich bringe“, gehe schon deshalb fehl, weil das Erzielen unerwarteter Vorteile keine Patentierungsvoraussetzung sei und auch nicht losgelöst vom Stand der Technik verneint werden könne.
60
Der Gegenstand des Streitpatents sei auch nicht durch den Stand der Technik nahegelegt. In keiner der von den Klägerinnen angeführten Druckschriften sei ein konkreter Hinweis oder auch nur eine Anregung zu finden, dass die Abnahmerate des PCT-Spiegels infolge einer Antibiotikabehandlung zur Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion herangezogen werden könne, geschweige ein Hinweis auf die spezifische Abnahmerate gemäß der Lehre des Streitpatents oder ein Hinweis darauf, dass diese gerade in Patienten mit einem niedrigen PCT-Spiegel von unter 0,25 ng/ml für die streitpatentgemäße Diagnose herangezogen werden könnte.
61
Soweit die Klägerinnen die Druckschrift NK11 als Ausgangspunkt bzw. nächstliegenden Stand der Technik ansähen, fehle es bereits an einer Rechtfertigung für diese Wahl. Aus der NK11 ergebe sich weder eine Offenbarung von Patienten, die einen PCT-Wert von unter 0,25 ng/ml aufwiesen und denen Antibiotika auch tatsächlich verabreicht würden, noch folge aus dieser Druckschrift, dass gerade solche Patienten einem Verfahren zur Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion unterzogen werden sollten. Die NK11 offenbare auch nicht die Bestimmung des PCT-Spiegels innerhalb der beiden spezifischen Zeiträume gemäß der Lehre des Streitpatents. Ihre Lehre erschöpfe sich im Vergleich absoluter PCT-Werte, für die Berücksichtigung einer Abnahmerate des PCT-Spiegels gebe sie hingegen keinerlei Hinweise.
62
Auch die NK12 stelle keinen geeigneten Ausgangspunkt dar, der den Fachmann zum Gegenstand des Streitpatents hätte führen können. Das Streitpatent schütze ein Verfahren zur Diagnose einer bakteriellen Infektion in einem Patienten, bei dem noch vor Abschluss der anspruchsgemäßen Diagnose eine Antibiotikabehandlung begonnen werde. Hiervon unterscheide sich die Zielsetzung der NK12 fundamental, denn sie wolle die Verabreichung von Antibiotika an Patienten mit akuten Exazerbationen bei COPD reduzieren. Außerdem lehre die NK12 weder ein diagnostisches Verfahren spezifisch für eine Patientengruppe, die einer Antibiotikabehandlung unterzogen werde und einen PCT-Wert von unter 0,25 ng/ml aufweise, noch, dass eine zweite Bestimmung des PCT-Wertes im Zeitraum von 12 Stunden bis 1 Woche nach Beginn der Antibiotikabehandlung vorgenommen werde. Die früheste Messung des PCT-Wertes habe laut der NK12 nach Beginn einer Antibiotikabehandlung erst nach der Entlassung der Patienten aus dem Krankenhaus im Zuge einer Nachfolgeuntersuchung stattgefunden, die im Zeitraum von 14 bis 21 Tagen nach Beginn der Behandlung durchgeführt worden sei. Soweit es in der NK12, Seite 11, linke Spalte, 3. Absatz, laute „Patients were monitored daily […]“ beziehe sich dies nicht auf die Messung des PCT-Spiegels. Dieser werde vielmehr nur bei Patienten erneut bestimmt, bei denen keine Antibiotika gegeben worden seien, was aus dem vorangehenden Absatz der Schrift hervorgehe. Zudem gehe aus der NK12 hervor, dass bei Patienten mit einem PCT-Wert unter 0,25 ng/ml die Diagnose einer bakteriellen Infektion an anderen Parametern als dem PCT-Wert vorzunehmen sei und dass der Nachweis von Bakterien nicht mit dem PCT-Spiegel korreliere. Der Fachmann hätte die Berücksichtigung von PCT für die Diagnose einer bakteriellen Infektion in der ganz besonderen Patientengruppe, auf welche die Auswahlregel des Streitpatents abstelle, daher von vornherein ausgeschlossen. Die NK12 lehre folglich sogar von der streitpatentgemäßen Erfindung weg. Sie gebe auch keinerlei Hinweis darauf, dass anhand einer bestimmten Abnahmerate des PCT-Spiegels nach Beginn einer Antibiotikabehandlung, geschweige denn anhand einer Abnahmerate von mindestens 20 % pro 24 Stunden, auf das Vorliegen einer bakteriellen Infektion geschlossen werden könne. Maßgeblich sei alleine der konkrete (absolute) Wert des PCT-Spiegels, während der Abnahmerate des PCT-Spiegels in der NK12 keinerlei Bedeutung beigemessen werde.
63
Auch in den weiteren Entgegenhaltungen NK10, NK11 und NK17 werde die Diagnose bzw. die Entscheidung über die Gabe von Antibiotika vom absoluten PCT-Wert, nicht aber von einer Abnahmerate abhängig gemacht. Das Streitpatent verfolge hingegen einen anderen, grundlegend neuartigen diagnostischen Ansatz, der sich ganz besonders für die gemäß erteiltem Patentanspruch 1 zu untersuchende Patientengruppe, die einen PCT-Wert unter 0,25 ng/ml aufweise (sowie auch für Patienten, die gemäß erteiltem Patentanspruch 2 zusätzlich eine nichtinfektiöse Grunderkrankung aufwiesen), eigne. Das Abstellen auf die Abnahmerate des PCT-Spiegels sei ein völlig neuartiger diagnostischer Ansatz, für den sich im Stand der Technik keinerlei Anstoß, Anregung, Hinweis oder sonstige Veranlassung finde.
64
Ergänzend verweist die Beklagte auf die Entscheidung des 3. Senats vom 23. Juli 2019 zum europäischen Patent EP 2 301 626, das aus der gleichen Stammanmeldung hervorgegangen ist wie das Streitpatent und das ein Antibiotikum zur Behandlung lokaler Infektionen schützt (3 Ni 16/17 (EP)). Im Hinblick auf die in beiden Patenten vorhandenen Anspruchsmerkmale der Patientengruppen mit einem unter 0,25 ng/ml liegenden PCT-Spiegel und dem Vorhandensein einer Primärerkrankung, die keine Infektion ist, seien die gleichen Rechtsprechungsgrundsätze bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anzuwenden. Die Beklagte stützt sich auf folgende Dokumente:
65
VP1 BPatG, Urteil vom 23. Juli 2019, 3 Ni 16/17 (EP)
66
VP2 EBM – Änderungen zum 1. Juli und 1. Oktober 2018. In: KVB INFOS 6/2018, S. 76-80
67
VP3 ThermoFisherScientific: Patents & Patent Marking. 2019. URL: https://www.brahms.de/about-brahms/intellectual-property-ip/ patents.html [abgerufen am 2. Dezember 2019].
68
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 22. Oktober 2018 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
69
Im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

70
Die auf die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 c) EPÜ), der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
I.
71
1. Das Streitpatent betrifft (ausschließlich) ein Verfahren zur in-vitro-Diagnose auf das Vorliegen einer bakteriellen Infektion bei einem Patienten. Ausgehend von der in der Beschreibung erläuterten Bedeutung von Procalcitonin (PCT) als bewährter Biomarker für die Diagnose von Sepsis (NK1: [0002]) weist das Streitpatent darauf hin, dass in einer zunehmenden Anzahl von Studien die Rolle von PCT auch für Patienten diskutiert werde, welche unter Erkrankungen litten, die nicht auf einer septischen Infektion beruhten, wie Lungenentzündung, bakterielle Meningitis oder Malaria (NK1: [0003]). Des Weiteren werde PCT bereits zur Lenkung einer Antibiotikatherapie bei unteren Atemwegsinfekten eingesetzt. Dabei seien von den Patienten, die sich mit Symptomen einer Infektion der unteren Atemwege auf der Notfallstation vorstellten, nur diejenigen mit Antibiotika behandelt worden, bei denen eine PCT-Konzentration über 0,25 ng/ml oder über 0,5 ng/ml gemessen worden sei (NK1: [0005], Z. 5-13). Bei gesunden Patienten liege die PCT-Konzentration deutlich unter 0,25 ng/ml, die mittlere Konzentration liege bei 0,014 ng/ml (NK1: [0006]).
72
Da sich in dieser Studie das Ergebnis nicht von dem Ergebnis einer Kontrollgruppe unterschieden habe, in der viele Patienten mit PCT-Konzentrationen unter 0,25 ng/ml eine Antibiotikabehandlung erhielten, und Patienten mit Komorbiditäten von Relevanz, wie beispielsweise Herzinsuffizienz, ausgeschlossen worden seien, sei unklar, ob das Vorliegen einer zusätzlichen, zu einer Infektion hinzukommenden Grunderkrankung die Interpretation der PCT-Konzentrationen unterhalb von 0,25 ng/ml beeinflussen sollte und PCT in dieser Situation ein Indikator für eine Infektion sein könne (NK1: [0005], Z. 14-26).
73
Ausgehend hiervon hebt die Streitpatentschrift hervor, dass die Erfindung auf der überraschenden Erkenntnis beruhe, dass bei Patienten mit einer Grunderkrankung, die nicht auf einer Infektion beruhe, leicht erhöhte PCT-Konzentrationen (von mehr als 0,03 ng/ml und 0,05 ng/ml; NK1: [0059]) festgestellt worden seien (NK1: [0011]).
74
In Absatz [0013] weist die Streitpatentschrift dann darauf hin, dass die erfindungsgemäße Lehre im weitesten Sinne ein Diagnoseverfahren zur Feststellung einer bakteriellen Infektion bei einem Patienten sei, bei welchem die Abnahme des PCT-Spiegels von 20 % in 24 Stunden als Indikator für das Vorliegen einer bakteriellen Infektion bei Patienten herangezogen werden könne, welche einen Schwellenwert unterhalb von 0,25 ng/ml aufwiesen (NK1: [0013]).
75
Bevorzugt habe der Patient eine Primärerkrankung, die keine Infektion sei, und der Spiegel von Procalcitonin oder Fragmenten davon mit einer Länge von mindestens 12 Aminosäuren in Serum- oder Plasmaproben von besagtem Patienten liege unter 0,25 ng/ml (NK1: [0015]).
76
2. Die Streitpatentschrift nennt keine ausdrückliche Aufgabe. Die subjektive Aufgabe lässt sich allerdings aus den vorbeschriebenen Erkenntnissen und Vorteilen formulieren. Sie ist jedoch – wie noch auszuführen sein wird – im Hinblick auf den maßgeblichen Stand der Technik auf das zu reduzieren, was das Streitpatent diesem gegenüber tatsächlich leistet und reduziert sich danach auf die Lehre nach Patentanspruch 1, als diagnostischen Indikator die erfindungsgemäße Abnahme des PCT-Spiegels von 20 % in 24 Stunden für Patienten einzusetzen, welche einen PCT-Wert (Schwellenwert) unterhalb von 0,25 ng/ml aufweisen, während nach Patentanspruch 2 nur die Patientengruppe mit nicht bakterieller Vorerkrankung als Zielgruppe angesprochen wird.
77
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch die nach Merkmalen gegliederte Lehre von Patentanspruch 1 (die Gliederungsziffern der Parteien sind in eckigen Klammern zusätzlich angegeben):
78
1 An in vitro method for diagnosis of the presence of a bacterial infection in a patient, Ein in-vitro-Verfahren zur Diagnose auf das Vorliegen einer bakteriellen Infektion bei einem Patienten,
79
the method comprising:
80
wobei das Verfahren Folgendes umfasst:
[1]
81
2 determining the level of procalcitonin or fragments thereof of at least 12 amino acids in length, Ermitteln des Spiegels von Procalcitonin oder Fragmenten davon mit einer Länge von mindestens 12 Aminosäuren
[2]
82
2.1 in a sample obtained from said patient wherein said sample is selected from the group comprising in einer Probe, die besagtem Patienten entnommen wurde, wobei die besagte Probe aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend
[2]
83
2.1.1 a blood sample, eine Blutprobe,
[2]
84
2.1.2 a serum sample, eine Serumprobe und
[2]
85
2.1.3 a plasma sample or eine Plasmaprobe oder
[2]
86
2.1.4 an extract of any of the aforementioned samples ein Extrakt aus einer beliebigen vorstehend erwähnten Probe
[2]
87
2.2 (i) at least once before the start of an antibiotic treatment or within six hours after the start of the treatment, and (i) mindestens einmal vor Beginn einer Antibiotikabehandlung oder innerhalb von sechs Stunden nach Beginn der Behandlung, und
[3]
88
2.3 (ii) at least once after 12 hours to 1 week after the start of an antibiotic treatment of the patient; (ii) mindestens einmal zwischen 12 Stunden und 1 Woche nach Beginn einer Antibiotikabehandlung beim Patienten;
[3]
89
2.4 wherein the threshold level of procalcitonin or fragments thereof of at least 12 amino acids in length, in blood, serum or plasma samples of said patient is below 0,25 ng/ml; wobei der Schwellenwert von Procalcitonin oder Fragmenten davon mit einer Länge von mindestens 12 Aminosäuren in Blut-, Serum- oder Plasmaproben des besagten Patienten unter 0,25 ng/ml liegt;
[5]
90
3 and correlating said level of procalcitonin or fragments thereof to the presence of a bacterial infection, und Herstellen eines Bezugs zwischen dem Spiegel von Procalcitonin oder Fragmenten davon und einer vorhandenen bakteriellen Infektion,
[4]
91
3.1 wherein a decrease of said level of at least 20 % per 24 h is indicative for the presence of a bacterial infection in the patient. wobei eine Abnahme besagten Spiegels um mindestens 20 % pro 24 Std. auf eine vorhandene bakterielle Infektion beim Patienten hindeutet.
[4]
92
In dem darauf rückbezogenen Patentanspruch 2 kommt hinzu:
93
2.5 wherein the patient has a primary disease not being an infection; wobei der Patient an einer Grunderkrankung leidet, die keine Infektion ist;
[6]
94
4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Diplom-Chemiker der Fachrichtung Biochemie, einen Diplom-Biochemiker oder einen Molekularbiologen, die mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Immunologie besitzen und mit der Entwicklung von diagnostischen Verfahren basierend auf der Bestimmung von Blutproteinen befasst und vertraut sind. Als berufen kann auch ein Team anzusehen sein, dem zumindest ein Chemiker der Fachrichtung Biochemie, ein Biochemiker oder ein Molekularbiologe und ein in der angewandten Infektiologie tätiger Mediziner angehören.
II.
95
1. Maßgeblich für die Lehre des Streitpatents und für die stets gebotene Auslegung eines Patentanspruchs ist, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt. Insoweit kann die Patentschrift im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe auch ihr eigenes Lexikon darstellen (BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube; Mitt. 2000, 105 – Extrusionskopf).
96
Insoweit bietet der vorliegende Fall die besondere Konstellation, dass das auf der Teilanmeldung NK3 basierende Streitpatent anders als die Stammanmeldung NK4 und das Stammpatent NK7 nur noch einen der beiden in der Stammanmeldung und im Stammpatent angesprochenen Erfindungsaspekte eines Prognose- und Diagnoseverfahrens anspricht, nämlich das Diagnoseverfahren, während das nicht im Streit stehende Patent EP 2 293 076 B1 und die dazugehörige erste Teilanmeldung ebenso wie das Stammpatent NK7 ausschließlich den Aspekt des Prognoseverfahrens zum Gegenstand haben.
97
Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Auslegung eines Patentanspruchs grundsätzlich ohne Berücksichtigung der Patenthistorie nur anhand der Patentschrift erfolgt und damit Änderungen der Offenbarungen, wie sie hier sowohl hinsichtlich Stammanmeldung und Teilanmeldung als auch hinsichtlich Stammpatent und Streitpatent erfolgt sind, Auswirkungen auf die gebotene Auslegung der Lehre und ihrer Merkmale haben. Auch ist zu berücksichtigen, dass für die Prüfung der Nichtigkeitsgründe grundsätzlich vom gebotenen Verständnis des Streitpatents und nicht der Stammanmeldung oder des Stammpatents auszugehen ist.
98
Insoweit sieht sich der Senat zur Erläuterung der Lehre des Streitpatents und zur Erläuterung von Merkmalen der Patentansprüche zu den folgenden Anmerkungen veranlasst.
99
2. Die Merkmale
2.2
und
2.3
fordern eine zumindest einmalige Bestimmung des PCT-Spiegels vor Beginn der Antibiotikabehandlung oder zumindest 6 Stunden danach und zusätzlich zumindest einmal nach 12 Stunden bis eine Woche nach dem Start der Behandlung.
100
3. Weder in Merkmal
2.4
selbst noch an anderer Stelle im Streitpatent findet sich eine Aussage dazu, wann und wie der Wert nach Merkmal 2.4 als Auswahlkriterium für die Anwendung des erfindungsgemäßen Diagnoseverfahrens ermittelt wurde. Dies kann sich für den diagnostizierenden Arzt deshalb aus der mitgebrachten oder bereits bestehenden Patientenakte ergeben, dies kann auch ebenso das Resultat der ersten Messung nach Merkmal 2.4 sein.
101
Hierbei wird nach Merkmal
2.5
ferner als vorbekannt vorausgesetzt, dass der Patient zu der dort bestimmten Patientengruppe zählt. Zu dieser Erkenntnis leistet das erfindungsgemäße Verfahren keinen Beitrag.
102
4. Von entscheidender Bedeutung für das Streitpatent ist das Verständnis des Merkmals
2.4
und des darin enthaltenen Ausdrucks „threshold level“.
103
4.1 Bereits die nach technischen Merkmalen erfolgte Gliederung des Patentanspruchs durch den Senat lässt erkennen, dass der Senat der Auffassung der Klägerinnen nicht folgt, im Zusammenhang mit der maßgeblichen Offenbarung des Streitpatents habe diese Lehre einen Bedeutungswandel gegenüber der Teil- und Stammanmeldung erfahren und stelle nunmehr ein auf der diagnostischen Seite das Merkmal 3.1 ergänzendes Kriterium für die Diagnose einer bakteriellen Erkrankung dar, während es in der Ursprungsoffenbarung der Stammanmeldung ein Kriterium für die vom erfindungsgemäßen Verfahren angesprochene Zielgruppe gewesen sei, die zudem unauflöslich und zusätzlich durch das Vorliegen einer nicht bakteriellen Grunderkrankung definiert gewesen sei.
104
Wenn der Senat auch die Auslegung der Klägerinnen zur Lehre der Stammanmeldung insoweit uneingeschränkt teilt, dass Merkmal 2.4 der Auswahl der Zielgruppe dient, auf welche das erfindungsgemäße Verfahren zur Diagnose einer bakteriellen Infektion anzuwenden ist – wobei insbesondere auch im Streitpatent durch Entkopplung der Merkmale 2.4 und 2.5 und der Darstellung als lediglich bevorzugte Lehre nach Patentanspruch 2 die ursprüngliche Lehre unzulässig geändert worden ist (s. u. III.1) –, so ändert dies nichts daran, dass der berufene Fachmann auch unter Berücksichtigung der geänderten Offenbarung des Streitpatents das Merkmal 2.4 in diesem Sinne versteht.
105
4.2 Daran ändert auch der im Streitpatent nunmehr in der Teilanmeldung und dem Streitpatent in den Kontext des Diagnoseverfahrens gestellte und verwendete Begriff „threshold level“ nichts, der in der Offenbarung der Stammanmeldung nur im Zusammenhang mit dem Prognoseverfahren stand (NK4: S. 6, Z. 7-16 // NK1: [0024], [0025]). Denn auch wenn den Klägerinnen zuzustimmen ist, dass der Fachmann nach seinem Vorverständnis, ebenso wie auch die Stammanmeldung und das Stammpatent nicht ohne Grund zwischen den Begriffen „threshold level“ und „level“ unterscheiden, so macht die Gesamtoffenbarung des Streitpatents doch deutlich, dass Merkmal 2.4 gerade nicht einen in Bezug zum gemessenen Wert zu bringenden Schwellenwert bildet, der neben Merkmal 3.1 als weiterer Indikator für das Vorliegen einer bakteriellen Infektion gelehrt wird, sondern der die auch in der Beschreibung angesprochene Patientengruppe mit einer Grunderkrankung als Zielgruppe des Verfahrens betrifft (NK1: [0015], hier nur als „level“ bezeichnet; [0055]), auch wenn der Fachmann Patentanspruch 1 als weit gefasst ansehen wird und die ihm vermittelte Lehre erst in Patentanspruch 2 findet. Denn weit gefasste Patentansprüche sind ihm selbstverständlich vertraut.
106
Mithin hat der Fachmann daher den in Merkmal 2.4 benannten „threshold level“, als Auswahlregel für die dem streitpatentgemäßen Verfahren zu unterziehende Patientengruppe verstanden, also als den – z. B. aus der Patientenakte vorbekannten oder gemessenen – PCT-Spiegel von Patienten mit Vorerkrankungen. Diesen hat er folglich von dem in den Absätzen [0024] und [0025] genannten – dem ursprünglichen Prognoseverfahren der Stammanmeldung zuzuordnenden – „threshold level“ unterschieden, der einen Schwellenwert bezeichnet, ab dessen Überschreitung eine Erkrankung oder ein Risiko vorliegen kann.
107
4.3 Der Senat ist sich deshalb durchaus der abweichenden Offenbarungsinhalte von Streitpatent und Stamm- sowie Teilanmeldung und der danach gebotenen Differenzierung der jeweiligen Offenbarungsinhalte bewusst, insbesondere die gebotene Differenzierung zwischen Prognose- und Diagnoseverfahren, wie auch die Bedeutung des umstrittenen Begriffs „threshold level“ selbstverständlich für das Streitpatent in dem jeweiligen Offenbarungskontext zu lesen ist.
108
Der Senat geht dennoch davon aus, dass auch unter Berücksichtigung des ausschließlichen Offenbarungsgehalts des Streitpatents der Fachmann die Lehre eindeutig so verstehen wird, dass für das Streitpatent der ausschließliche Indikator für eine bakterielle Infektion der mit Merkmal 3.1 im Rahmen der durch ein- oder mehrfache Messung durchgeführten Verlaufsbeobachtung gelehrte Abfall des PCT-Wertes um mindestens 20 % ist, nicht jedoch der als Schwellenwert bezeichnete PCT-Wert von weniger als 0,25 ng/ml ein weiterer derartiger diagnostischer Indikator ist.
109
Insoweit kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob vorliegend ausnahmsweise wegen unauflösbarer Widersprüche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend zur Auslegung ergänzend auf die Patenthistorie zugegriffen werden darf (BGHZ 194, 107, Rn. 28 – Polymerschaum I). Sähe man dies anders und würde deshalb der Fachmann auch auf die Offenbarung der Stammanmeldung zurückgreifen, würde er erst Recht im Lichte der Offenbarung des Stammpatents und der Stammanmeldung die Lehre des Streitpatents im vorbeschriebenen Sinne lesen.
110
5. Das Merkmal
3.1
bestimmt den maßgeblichen Zeitraum von 24 Stunden für den maßgeblichen Wert, um den der gemessene PCT-Wert abnehmen muss, um als Indikator für die gewünschte Diagnose als geeignet angesehen werden zu können.
111
Hierbei besagt Merkmal 3.1 in Verbindung mit Merkmal 2.3 nicht, dass dadurch ein Widerspruch besteht, weil sich die Abnahme nach Merkmal 3.1 auf einen Bereich von 24 Stunden bezieht, wohingegen der Wert nach Merkmal 2.3 bereits nach 12 Stunden ermittelt werden kann, und dass deshalb täglich eine Messung im Beobachtungszeitraum erfolgen muss. Denn dem Fachmann ist bewusst, dass die infolge der andauernden (erfolgreichen) Antibiotikabehandlung erfolgte Abnahme des PCT-Wertes absolut betrachtet nicht linear, sondern eher exponentiell erfolgt (vgl. auch NK17: S. 84, rechte Sp., letzter Abs., „log-linear drop off“) und deshalb der bei einer erst nach mehreren Tagen oder gar erst einer Woche erfolgten Zweitmessung ermittelte Wert das Ergebnis eines – absolut betrachtet – zunehmend verflachenden Abnahmeverlaufs ist, was er entsprechend berücksichtigen wird.
112
Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Begriff der Diagnose von Merkmal
1
, der auf das streitpatentgemäße in-vitro-Verfahren gerichtet ist, nicht mit der in-vivo-Diagnose des Arztes an einem Patienten verwechselt werden darf. Letztere stellt die Grundlage für die therapeutische Entscheidung des Arztes zur Gabe eines Antibiotikums dar. Das streitpatentgemäße Verfahren dient insoweit nicht der (Erst-) Diagnose einer möglichen bakteriellen Infektion anhand des PCT-Wertes von Merkmal 2.2. Insoweit ist der Beklagten zuzustimmen, dass die Antibiotikatherapie vor Abschluss des streitpatentgemäßen Diagnose-Verfahrens bereits begonnen wird. Das streitpatentgemäße Verfahren dient vielmehr dazu, die (zunächst) gestellte Diagnose des Arztes anhand einer wiederholten in-vitro-Messung des PCT-Wertes nach begonnener Antibiotikatherapie gemäß Merkmal 2.3 mittels des zeitlichen Verlaufs des PCT-Wertes gemäß Merkmal 3.1 abzusichern. Das Verfahren bietet dem Arzt daher die Möglichkeit zur bestätigenden Absicherung seiner Erstdiagnose, deren Verwerfung oder zur Veränderung der vorgenommenen Therapie, z. B. hinsichtlich des verwendeten Antibiotikums. Mit anderen Worten bedeutet „Diagnose“ im Sinne des Merkmals 1 bei Abnahme des PCT-Wertes im Umfang von Merkmal 3.1, dass die Entscheidung des Arztes, mit einer Antibiotikatherapie zu beginnen, richtig war und er zutreffender Weise von einer bakteriellen Infektion ausgegangen ist.
III.
113
Der auf Art. Il § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ und Art. 123 Abs. 2 EPÜ (unzulässige Erweiterung) und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ und Art. 52 i. V. m. Art. 56 EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit) gestützte Nichtigkeitsangriff hat Erfolg, da sich das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag als unzulässig und sich das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 der zulässigen Fassung nach Hilfsantrag als gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend erweist.
114
1. Der Nichtigkeitsangriff der unzulässigen Änderung des Inhalts der Anmeldung nach Art. Il § 6 Nr. 3 IntPatÜG erweist sich hinsichtlich der nach Hauptantrag verteidigten Fassung des Streitpatents als begründet.
115
1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist für den Inhalt einer Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgebend, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann (BGH GRUR 2015, 573 – Wundbehandlungsvorrichtung; BGH GRUR 2016, 50 – Teilreflektierende Folie; BGHZ 194, 107 Rn. 45 – Polymerschaum).
116
Eine unzulässige Erweiterung liegt erst vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst aufgrund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat, so wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH GRUR 2013, 809 – Verschlüsselungsverfahren).
117
1.2 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung einer unzulässigen Erweiterung des Inhalts der Anmeldung jedenfalls nicht (nur) die Offenbarung der Teilanmeldung maßgeblich ist, sondern nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ diejenige der Stammanmeldung, wie es auch nationaler Rechtsprechung für die Teilung der Anmeldung entspricht (siehe BGH GRUR 2011, 40 – Winkelmesseinrichtung; GRUR 2000, 688 – Graustufenbild; Melullis GRUR 2001, 971, 975). Ob deshalb für EP-Patente der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA zu folgen ist, wonach beim aus einer Teilanmeldung hervorgegangenen Patent auch eine zusätzliche Überprüfung der Teilanmeldung im Hinblick auf Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ zu erfolgen hat (zweifelnd Keukenschrijver/Busse PatG 8. Aufl. zu Art. II § 6 IntPatÜG Rn. 14, m.w.H.; hierzu und zum Meinungsstreit Senat in Mitt. 2015, 324 = GRUR-RR 2015, 321 – Brustpumpe) und ob ein solches Patent, wenn es mit geänderten Patentansprüchen verteidigt wird, den Anforderungen des Art. 76 genügen muss (hierzu der Senat in GRUR 2013, 609 – Unterdruckwundverband), kann vorliegend jedoch dahinstehen. Denn auch wenn sich der Gesamtoffenbarungsgehalt von Teil- und Stammanmeldung hinsichtlich der Patentansprüche vorliegend unterscheiden, kann die vorbeschriebene Rechtsfrage der maßgeblichen Ursprungsoffenbarung dahinstehen, da nach Art. II § 6 Nr. 3 IntPatÜG jedenfalls der Inhalt der Stammanmeldung NK4 unzulässig erweitert worden ist.
118
1.3 Patentanspruch 1 der erteilten Fassung, der sich aus der Anspruchsfassung der NK4 durch Aufnahme nur eines Teilmerkmals (Merkmal 2.4) des ursprünglichen Patentanspruchs 27 in den ursprünglichen Patentanspruch 26 ergibt, wobei das weitere Teilmerkmal (Merkmal 2.5) des ursprünglichen Patentanspruchs 27 in Form des abhängigen Patent- bzw. Unteranspruchs 2 der erteilten Fassung isoliert beibehalten wird, stellt aus Sicht des Senats eine unzulässige Verallgemeinerung der ursprünglichen Lehre und damit eine unzulässige Erweiterung der ursprünglich als erfindungsgemäß offenbarten Lehre im Sinne von Art. II § 6 Nr. 3 IntPatÜG dar.
119
1.3.1 Der Senat ist sich bewusst, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in einer Weise angewendet werden muss, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und dass eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermieden wird (BGH GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal). Innerhalb dieses Rahmens können deshalb Patentansprüche weiter gefasst werden als in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen (BGH GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument, m.w.H.). Deshalb ist es grundsätzlich auch zulässig, das Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale in den Patentanspruch zu beschränken, sofern die beanspruchte Kombination in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellt, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann, wenn die Merkmale eines Ausführungsbeispiels, die zusammen, aber auch je für sich den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung dienen (BGH GRUR 2016, 50 – Teilreflektierende Folie; GRUR 2015, 249 – Schleifprodukt; Senat 4 Ni 4/14, Urteil vom 19. Juni 2015).
120
Auch ein „breit“ formulierter Patentanspruch kann deshalb als unbedenklich zu erachten sein, wenn sich ein in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Patentanspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Patentanspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zu der angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH GRUR 2014, 970 – Stent; GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal; 2012, 1124 – Polymerschaum).
121
1.3.2 Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht (BGH GRUR 2016, 1038 Fahrzeugscheibe II; Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 – Drehmomentübertragungseinrichtung). So ist es vorliegend.
122
Denn an sämtlichen Offenbarungsstellen der Beschreibung der NK4, an denen ein „(threshold) level“ (Schwellenwert / Spiegel) von weniger als 0,25 ng/ml erfindungsgemäß beschrieben ist, ist dieser Zahlenwert zwingend mit dem Vorhandensein einer Primärerkrankung des Patienten verknüpft, die nicht eine Infektion ist (NK4: S. 4, Z. 32-34; S. 14, Z. 5-7; S. 15, Z. 4-5 i. V. m. Z. 15-16). Auch aus anderen Textstellen der ursprünglichen Beschreibung lässt sich keine breiter gefasste erfindungsgemäße Lehre derart herleiten, dass ein PCT-Schwellenwert von unterhalb 0,25 ng/ml mit jedwedem Patienten, das heißt einem Patienten beliebiger Art verknüpft ist, zumal in dem (einzigen) Ausführungsbeispiel zwingend nur solche Patienten diagnostiziert wurden, die diverse Primär- bzw. Vorerkrankungen und damit nicht infektiöse Erkrankungen aufweisen (NK4: S. 15, Example 1, Z. 4-5, Z. 10-12, Z. 25-26 i. V. m. Fig. 2).
123
Dies gilt insbesondere auch für die insoweit maßgeblichen Textpassagen nach den Absätzen [0013] und [0015] der Patentschrift, welche erst infolge ihrer gegenüber der NK4 nachträglich unzulässig geänderten Fassung und Aufnahme des Merkmals 2.4 in eine allgemeine, von der bestimmten Patientengruppe des Merkmals 2.5 losgelösten und im Übrigen das Merkmal 3.1 betreffenden Lehre bereits den Offenbarungsgehalt der NK4 in unzulässiger Weise erweitert, wie Absatz [0013] belegt. Denn Absatz [0015] der Patentschrift „Preferably […]“ knüpft damit an eine andere allgemeine Lehre als Vorbedingung an als die mit Absatz [0015] wortidentische Passage in der NK4, welche gerade nicht einen gedanklichen Bezug zu einer bereits vorerwähnten das Merkmal 2.4 umfassenden Lehre herstellt, sondern nur die Lehre nach Merkmal 3.1 weiterbildet, indem erstmals Merkmal 2.4 eingeführt wird und dieses gemeinsam mit der durch Merkmal 2.5 bestimmten Patientengruppe die bevorzugte Anwendung des Diagnoseverfahrens bildet.
124
Dieser somit mit Merkmal 2.4 untrennbar verknüpften Lehre der erst mit Merkmal 2.5 des Patentanspruchs 2 bestimmten Patientengruppe entspricht auch in aller Deutlichkeit der Wortlaut der in der NK4 enthaltenen Patentansprüche, insbesondere des Patentanspruchs 27:
125
„In vitro method according to claim 26, wherein the patient has a primary disease not being an infection and wherein the level of procalcitonin or fragments thereof of at least 12 amino acids in length, in serum or plasma samples of said patient is below 0.25 ng/mL.”,
126
der deutlich macht, dass den zuvor in der Beschreibung erläuterten Zusammenhängen folgend nur für die in Patentanspruch 27 angesprochene Patientengruppe der erfindungsgemäße Procalcitoninspiegel unter 0,25 ng/ml nach Merkmal 2.4 als Auswahlkriterium beansprucht ist.
127
Hieran wird der Fachmann auch deshalb nicht zweifeln und insbesondere diese erfindungsgemäße Verknüpfung der für das Diagnoseverfahren bestimmten Auswahlkriterien nicht als verallgemeinerbar sehen, weil die NK4 den Sinn eines derartigen Diagnoseverfahrens für eine Patientengruppe, bei der keine nicht-infektiöse Grunderkrankung vorausgesetzt wird, als erfindungsgemäße Lehre gerade nicht umfasst oder nahelegt und nur zum Stand der Technik den Schwellenwert von > 0,25 ng/ml oder > 0,5 ng/ml für eine Antibiotikabehandlung von Patienten mit Symptomen einer Infektion der unteren Atemwege erwähnt (NK4: S. 2, Z. 18-23) und zudem darauf hinweist, dass bei gesunden Patienten der PCT-Wert deutlich unter 0,25 ng/ml liegt (NK4: S. 2, Z. 31 bis S. 3, Z. 2).
128
Die auf die Offenbarung der NK3 und NK4 gestützte Argumentation der Beklagten, dass die Merkmale 2.4 und 2.5 als bevorzugte Ausführungsformen offenbart seien und deshalb für den Fachmann unmittelbar und eindeutig ersichtlich sei, dass jedes dieser bevorzugten Merkmale eine mögliche Ausführungsform der Erfindung darstelle, wobei das verknüpfende „und“ nicht kumulativ gemeint sei, beachtet nicht, dass der insoweit mit „Prefereably […]“ einleitende Absatz auf Seite 14 der NK4 bzw. der NK3 zwar im Kontext des ab Seite 13 und des vorherigen Absatzes der NK4 bzw. der NK3 thematisierten zweiten Erfindungsaspekts des Diagnoseverfahrens steht, dass aber damit der Bezug einer bevorzugten Lehre nach Seite 14 der NK4 bzw. der NK3 an die zuvor beschriebene Bedeutung des diagnostischen Merkmals 3.1, nämlich des Abfalls der PCT-Konzentration von mindestens 20 % in 24 Stunden, anknüpft und nunmehr bevorzugt auf Patienten für anwendbar erklärt, welche eine nicht-infektiöse Grunderkrankung und einen PCT-Spiegel nach Merkmal 2.4 aufweisen. Der Umstand, dass diese Lehre als bevorzugt offenbart wird, rechtfertigt deshalb gerade keine Isolierung der Merkmale 2.4 und 2.5, sondern nur eine Verallgemeinerung unter gänzlichem Wegfall beider Merkmale.
129
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 nach Streitpatent ist deshalb gegenüber der ursprünglich erfindungsgemäß offenbarten Lehre unzulässig verallgemeinert, so dass das Streitpatent in der geltenden Fassung keinen Bestand hat.
130
2. Der auf fehlende Ausführbarkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ gerichtete Nichtigkeitsangriff erweist sich als unbegründet. Denn der Senat erachtet unter Berücksichtigung der vorerläuterten Auslegung die im Streitpatent durch die Patentansprüche geschützte Lehre als ausführbar.
131
2.1 Eine Lehre ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH GRUR 2011, 707, Tz. 20 – Dentalgerätesatz). Dies ist vorliegend der Fall.
132
2.2 Soweit die Klägerinnen darauf abstellen, die erfindungsgemäße Lehre sei nicht ausführbar, weil das Streitpatent keinerlei Lehre bereitstelle, wie zusätzlich zu dem Indikator gemäß Merkmal 3.1, nämlich der Abnahme der Procalcitonin-Konzentration um mehr als 20 % pro 24 Stunden, ein weiterer Indikator für eine Diagnose von bakteriellen Infektionen, nämlich die Korrelation mit einem Schwellenwert gemäß Merkmal 2.4, zum Einsatz gelangen solle, beruht diese behauptete mangelnde Ausführbarkeit auf einer Fehlinterpretation des Begriffes „Schwellenwert“ in Merkmal 2.4, wie dargelegt. Mit den herkömmlichen im Handel verfügbaren hochempfindlichen PCT-Tests war eine hinreichend genaue Bestimmung von PCT-Werten in den Bereichen der Merkmale 2.4 und 3.1 jedoch ohne weiteres und insoweit auch unter den Parteien unstreitig vor dem Zeitrang des Streitpatents ohne weiteres möglich. Dies geht beispielsweise aus der Druckschrift NK8 hervor, die ausweislich ihres Titels den klinischen Nutzen und die Grenzen des PCT-Tests bei systemischen Entzündungen, Infektionen und Sepsis betrifft, wonach PCT-Tests bis herab in den Bereich von 0,005 ng/ml geeignet sind (NK8: S. 942, Table 1 insbesondere „ProCa-S“, „PCT-sensitive“), übereinstimmend mit den Ausführungen im Streitpatent (NK1: [0045], [0046] sowie [0057] und [0060]).
133
2.3 Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist ein in-vitro-Verfahren zur Diagnose einer bakteriellen Infektion (Merkmal 1), wobei die in-vitro-Methode – als technische Merkmale – ausschließlich die Bestimmung eines PCT-Wertes entsprechend den Merkmalen der Merkmalsgruppe 2 und die Auswertung bzw. Bewertung dieses Testergebnisses anhand der Merkmale der Merkmalsgruppe 3 aufweist.
134
Ob und gegebenenfalls weshalb die anhand der PCT-Werte entsprechend der Merkmale der Merkmalsgruppen 2 und 3 gestellte (ärztliche) Diagnose der Anwesenheit oder Abwesenheit einer bakteriellen Infektion zutrifft, ist nicht maßgeblich für die Ausführbarkeit des ausschließlich durch die technischen Merkmale der Merkmalsgruppen 2 und 3 gekennzeichneten Verfahrens.
135
Denn ob der Arzt mit seiner Diagnose des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer bakteriellen Infektion anhand der Auswertung und Bewertung von PCT-Tests entsprechend den Merkmalen der Merkmalsgruppen 2 und 3 richtig oder falsch liegt, stellt die Ausführbarkeit der anspruchsgemäßen Verfahrensschritte nicht in Frage.
136
2.4 Insofern ist das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ebenso wie nach Hilfsantrag insgesamt ohne Weiteres ausführbar, da einerseits die Ausführbarkeit des in-vitro-Tests zur Bestimmung der PCT-Konzentration zweifelsfrei und letztlich auch unstreitig unter den Parteien gegeben ist, und andererseits die Auswertung und Bewertung der erhaltenen PCT-Werte entsprechend den Merkmalen der Merkmalsgruppe 3 und die daran anknüpfende (weitergehende) ärztliche Diagnose, d. h. das Feststellen des Vorliegens oder des Nichtvorliegens einer bakteriellen Infektion, unabhängig von dem (gleichzeitigen) Bestehen einer nicht-infektiösen Grunderkrankung (Merkmal 2.5), ohne Weiteres möglich ist.
137
3. Der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag erweist sich zwar als zulässig beschränkt, allerdings nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, 52, 54, 56 EPÜ gegenüber den im Verfahren befindlichen Druckschriften, insbesondere den Druckschriften NK12 und NK11.
138
3.1 Das Streitpatent nimmt die Prioritäten der NK5 und NK6 mangels identischer Lehren nicht wirksam in Anspruch, was die Beklagte auch nicht bestreitet. Denn sowohl die NK5 als auch die NK6 offenbaren ausschließlich eine in-vitro-Methode zur Risikobewertung von Patienten mit stabiler Arteriosklerose bzw. akutem Koronarsyndrom. In keiner der Prioritätsschriften ist ein streitgegenständliches Diagnoseregime angesprochen. Dem Streitpatent kommt damit lediglich der Zeitrang des Anmeldetags 1. August 2008 der internationalen Anmeldung NK4 zu. Damit zählen sämtliche Schriften zum uneingeschränkten Stand der Technik.
139
Insoweit kommt für die Beurteilung der Patentfähigkeit und Abgrenzung des angegriffenen Diagnoseverfahrens vom Stand der Technik nur der technischen Anweisung nach Merkmal 3.1 entscheidende Bedeutung zu, also dem für die angesprochene Patientengruppe maßgeblichen diagnostischen Indikator für eine bakterielle Infektion, welcher im Kontext mit der nach Merkmal 2 vorgegebenen unspezifischen Verlaufsbeobachtung den Kern der erfindungsgegenständlichen Lehre bildet, da im Stand der Technik sowohl die erfindungsgegenständliche Patientengruppe nach Merkmal 2.5 im Fokus eines mittels PCT durchzuführenden immunologischen Tests und Diagnose zur Ermittlung bakteriell bedingter Erkrankungen war und auch der Wert nach Merkmal 2.4 als Schwellenwert gelehrt war, wie nachfolgend die Schriften NK12 und NK11 belegen.
140
3.2 Die Druckschrift NK12 lehrt mit Ausnahme des Merkmals 3.1 sämtliche Merkmale von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag.
141
3.2.1 Gemäß der NK12, die ausweislich ihres Titels die antibiotische Behandlung von exazerbierender COPD und damit den streitpatentgemäßen Patientenkreis mit Grunderkrankung betrifft und zugleich die Bedeutung der Messung von PCT-Werten als Anzeichen bei bakteriellen Infektionen thematisiert, werden COPD-Patienten einer PCT-überwachten Antibiotikabehandlung unterzogen. Dabei wurden in der sogenannten PCT-Gruppe der Patienten der PCT-Wert bei Einlieferung in das Hospital gemessen und nach Start der Behandlung überwacht, wobei bei Patienten, denen eine Antibiotikatherapie (zunächst) vorenthalten wurde, bereits innerhalb der ersten 6 bis 24 Stunden der PCT-Wert erneut bestimmt wurde (NK12: Abs. S. 10 auf 11 i. V. m. S. 14, Fig. 2 und S. 17, rechte Sp., letzter Abs. sowie S. 11, linke Sp., Abs. 3, „monitored daily“ // Merkmale 2 bis 2.1.4 und 2.2).
142
Bereits im PCT-Bereich von 0,1 ng/ml bis 0,25 ng/ml, damit unterhalb eines Schwellenwerts von 0,25 ng/ml wurde eine Antibiotikagabe auf Basis weiterer klinischer Diagnose befürwortet (NK12: S. 11, linke Sp., Abs. 1 // Merkmal 1 i. V. m. Merkmalen 2.2, 3 und 2.4).
143
Des Weiteren wurden sämtliche Patientengruppen und damit auch diejenigen Patienten der Merkmale 2.2 i. V. m. 3 und 2.4 weiterhin täglich anhand des PCT-Wertes überwacht (NK12: S. 11, linke Sp., Abs. 3, „monitored daily“), so dass auch das Merkmal 2.3 erfüllt ist.
144
Die NK12 lehrt allerdings nicht die nach Merkmal 3.1 erforderliche Abnahme des PCT-Wertes um mindestens 20 % im Rahmen der (täglichen) Kontrollmessung des PCT-Wertes (NK12: S. 15, Table 3, Sp. 1-3, hier im Vergleich der Sp. 2 und 3, i. V. m. S. 11, linke Sp., Abs. 3, „monitored daily“).
145
3.2.2 Die Druckschrift NK12 handelt nicht primär von der Diagnose einer bakteriellen Infektion, wie die Beklagte insoweit zutreffend anmerkt. In der Druckschrift wird zunächst (lediglich) der Verlauf der Behandlung einer bakteriellen Infektion mittels Antibiotika unter Messung des PCT-Wertes untersucht. Insoweit ist es zutreffend – wie die Beklagte hervorhebt –, dass die NK12 die Antibiotikagabe mittels des PCT-Wertes deshalb überwacht, um die Antibiotikagabe gegenüber der Standardtherapie, wonach ein Antibiotikum bei den entsprechenden Anzeichen auf eine exazerbierende – das heißt sich deutlich verschlechternde – COPD vorsorglich immer gegeben wird, nur dann zu beginnen, wenn dies durch den gemessenen PCT-Wert auch angezeigt ist. Dabei wird Patienten unterhalb eines PCT-Wertes von 0,1 µg/l kein Antibiotikum gegeben, bei einem Wert zwischen 0,1 und 0,25 µg/l (Merkmal 2.4) abhängig von dem klinischen Zustand des Patienten und oberhalb von 0,25 µg/l in jedem Fall (NK12: Abs. S. 11 auf 12). Insoweit trifft es zu, dass gemäß der NK12 in der für Merkmal 2.4 relevanten Patientengruppe nicht zwingend ein Antibiotikum gegeben wird. Dies ändert aber nichts daran, dass im Fall einer Antibiotikagabe die in der NK12 beschriebenen Folgeuntersuchungen auch für diese streitpatentgemäße Patientengruppe durchgeführt werden.
146
Im Ergebnis wird durch die Studie erreicht, dass die Anzahl notwendiger Behandlungen („number-needed-to-treat“) innerhalb der nächsten 6 Monate statistisch gesehen reduziert werden kann, so dass mittels PCT-Monitoring einem von vier Patienten eine zusätzliche Antibiotikatherapie erspart werden kann (NK12: S. 9, Abstract, letzter Satz; S. 11, linke Sp., letzter Abs., erster Satz; S. 14, rechte Sp., letzter Abs. bis S. 15, linke Sp., erster Abs.).
147
Insoweit ist die NK12 auch im Blickfeld des Fachmanns gelegen, denn ebenso wie das Streitpatent handelt sie von PCT-Werten bei Patienten, die bereits eine Grunderkrankung – in der NK12 COPD – haben (vgl. z. B. NK12: Abstract // NK1: Sp. 2, Z. 19-26), und davon, welche Rolle der PCT-Wert bei der Behandlung dieser Patienten spielt.
148
Der Begriff „index exacerbation“ (Index Exazerbation) bezieht sich in der NK12 auf eine (erstmalige) Verschlechterung der Vorerkrankung COPD („chronic obstructive pulmonary disease“, Chronische obstruktive Lungenerkrankung). Die COPD wird (oder ist bereits) über die einschlägigen klinischen Anzeichen diagnostiziert (worden), nämlich Atemwegsobstruktion, verbunden mit Husten, vermehrtem Auswurf und Atemnot bei Belastung. Der Begriff „Index“ (Zeiger) bezeichnet dabei das erstmalige Auftreten einer Verschlechterung der (bekannten) Vorerkrankung COPD, das heißt diese Patienten sind erstmals mit einer sich verschlechternden COPD konfrontiert, welche eine Antibiotikagabe erforderlich machen kann bzw. nach herkömmlicher Therapieempfehlung immer erforderlich macht.
149
In Folge dieser Untersuchungen bedingt die NK12 aber die Messung eines PCT-Wertes zu Beginn der Behandlung (Merkmal 2.3) und in deren weiteren Verlauf. Soweit die Beklagte meint, während des klinischen Aufenthalts der Patienten sei das in der NK12 insoweit genannte tägliche „monitoring“ der Patienten nicht (auch) auf die Überprüfung des PCT-Wertes gerichtet, verkennt sie, dass der betreffende Abschnitt in unmittelbaren Zusammenhang mit den 4 Wochen und 6 Monate später erfolgenden Nachfolgeuntersuchungen steht, in denen expressis verbis auch PCT-Messungen angesprochen sind, was von der Beklagten insoweit nicht bestritten wird. Hinzu kommt, dass die NK12 zudem auf den möglichen Wechsel des Antibiotikums abstellt, der für den Fachmann erkennbar dann angezeigt ist, wenn ein Antibiotikum nicht wirkt. Hierzu sind aber nach dem fachmännischen Verständnis in jedem Fall (tägliche) Messungen des PCT-Wertes erforderlich – zumindest aber angeregt – und werden mithin auch in der NK12 durchgeführt. Denn den stärksten Abfall des PCT-Wertes wird der Fachmann bei Wirksamkeit eines Antibiotikums immer nach der ersten Gabe desselben erwarten – etwa nach 48 Stunden (NK13: S. 516, linke Sp., „Results“, Z. 1-9, „days 2-6 of treatment“ i. V. m. Fig. 2 // NK14, Abstract, vorletzter Satz // NK17: S. 84, rechte Sp., letzter Abs., Z. 4-8, „half life of 20 to 24 h“). Insoweit ist auch in der klinischen Phase eine wiederholte Messung des PCT-Wertes angezeigt und erforderlich. Diese Messung wird der Fachmann daher im Umfang des Merkmals 2.3 – soweit er sie nicht ohnehin mitliest – als selbstverständliche Notwendigkeit eines klinischen Monitorings naheliegend durchführen, was sich auch bereits aus der üblichen Behandlungsdauer einer Antibiotikatherapie ergibt. Damit dient diese Messung in der NK12 aber nicht nur der Behandlung der bakteriellen Infektion, sondern auch ihrer Diagnose. Denn soweit bei Gabe eines Antibiotikums – gegebenenfalls auch nach dessen Wechsel – ein Abfall des PCT-Wertes erfolgt, liegt eine bakterielle Infektion vor, was dann einer streitpatentgemäßen bestätigenden in-vitro-Diagnose entspricht. Die Auffassung der Beklagten, der Begriff „monitoring“ beziehe sich auf die tägliche Visite als routinemäßiges Handeln des Arztes, trifft daher nicht zu.
150
Hinzu kommt, dass die NK12 bereits einleitend auf vorhergehende Studien hinweist, die eine Lenkung der Antibiotikagabe mittels des PCT-Wertes betreffen (NK12: S. 10, linke Sp., letzter Abs., Z. 1-4), und von denen sie ausgeht. Dabei entspricht die dort genannte Fußnote 33 der NK17. Darin wird bereits auf die Dynamik des PCT-Spiegels hingewiesen, welcher jedenfalls bei positiver Wirkung eines Antibiotikums einen exponentiellen Abfall („log-linear drop-off“) und eine Halbwertszeit von 20 bis 24 Stunden zeigt (NK17: S. 84, rechte Sp., letzter Abs., Z. 4-8). Auch wird dort expressis verbis bei vergleichbarem Studien-Design (NK17: Abs. S. 85 auf 86) auf die wiederholte Messung des Procalcitonin-Spiegels nach 4, 6 und 8 Tagen verwiesen (NK17: S. 86, linke Sp., Abs. 1, Z. 16, „Procalcitonin levels were reassessed after 4,6, and 8 d.“). Nicht anders versteht der Fachmann dementsprechend die Anzahl der Antibiotikagaben („antibiotic courses“) gemäß Figur 3 der NK12 auf Seite 14, welche nur dann zu der angegebenen Reduzierung der Exposition durch Antibiotika führen können (NK12: S. 12, linke Sp., Z. 1-4), sofern die Gabe eines Antibiotikums dann eingestellt werden kann, wenn der (täglich) gemessene PCT-Wert entsprechend gesunken ist und damit die Absetzung eines Antibiotikums angezeigt ist.
151
Zudem spricht die Zielrichtung der NK12, den Antibiotikaverbrauch reduzieren zu wollen, dafür, das Anschlagen der Antibiotikatherapie in der PCT-Gruppe nicht zum ersten Mal erst nach 14 bis 21 Tagen im Short-term Follow-up zu überprüfen, wie die Beklagte einwendet. Denn damit würde bereits eine erhebliche Zeit verstrichen sein, ohne dass das richtige Antibiotikum angewendet wird. Dass die NK12 die während des klinischen Aufenthalts – im Durchschnitt 9 Tage (NK12: S. 15, Table 2, Z. 3, Sp. 2) – gemessenen PCT-Werte dann nicht nennt, ist insoweit nicht verwunderlich, als sie auf die Reduktion der (erforderlichen) Antibiotikaverordnung innerhalb von 6 Monaten abstellt und in diesem Zusammenhang wissen möchte, ob es einen Nachteil in Bezug auf eine erneute Infektion hat, wenn aufgrund niedriger anfänglicher PCT-Werte bei einer Index-Exazerbation kein Antibiotikum gegeben wird. Gleichwohl ist die tägliche Messung des PCT-Wertes Teil des Studiendesigns der NK12, auch wenn diese Messwerte nicht Eingang in den Artikel gefunden haben. Deshalb lehren auch die – im Übrigen ebenfalls nicht aufgeführten – PCT-Werte aus Messungen an Patienten nach 6 bis 24 Stunden, denen eine Antibiotikatherapie (zunächst) vorenthalten wurde (NK12: S. 11, linke Sp., Abs. 2, Satz 1), nicht von einer täglichen Überprüfung des PCT-Wertes weg, anders als die Beklagte meint.
152
Im Ergebnis nimmt die NK12 damit bereits alle streitpatentgemäßen Merkmale 1 bis 2.5 und 3 vorweg.
153
3.3 Ausgehend von diesem Stand der Technik und der insoweit aufgrund des objektiven und auch tatsächlich gelösten technischen Problems zu formulierenden Aufgabe (BGH GRUR 2005, 141 – Anbieten interaktiver Hilfe; GRUR 2010, 602, Tz. 27 – Gelenkanordnung; GRUR 2010, 607, Tz. 18 – Fettsäurezusammensetzung), dem Arzt ein brauchbares diagnostisches Regime für die erfindungsgemäße Zielgruppe an die Hand zu geben, mit dem durch eine durch PCT-Messungen begleitete Verlaufsbeobachtung der durch Abfall des PCT-Wertes zum Ausdruck kommende Indikator für eine bakterielle Infektion das wesentliche Instrumentarium bildet, bot sich deshalb die NK12 als Sprungbrett dafür an, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).
154
Hierbei war dem angesprochenen Fachmann nicht nur aus dem Stand der Technik bereits bewusst, dass der PCT-Wert bei Gabe eines geeigneten Antibiotikums im Rahmen einer weitergeführten Behandlung und Verlaufsbeobachtung nicht nur fallen muss, um für die erfindungsgemäße Patientengruppe mit den bei Erstmessung festgestellten PCT-Werten nach Merkmal 2.4 und einer Grunderkrankung gemäß Merkmal 2.5 einen Indikator für eine bakterielle Infektion zu bilden, sondern dass erfahrungsgemäß der PCT-Wert – bei Wahl eines geeigneten Antibiotikums – im frühen Behandlungsstadium stärker fällt, als am Ende der üblichen Dauer einer Antibiose. Zudem ist auch eine Diagnose im frühen Stadium der Verlaufsbeobachtung wünschenswert, um den Patienten nicht unnötig mit der Fortführung der Antibiotikabehandlung zu belasten oder gegebenenfalls einen Wechsel des Antibiotikums vornehmen zu können.
155
Die NK12 liefert dem Fachmann aber auch eine Anregung, die streitpatentgemäße Patientengruppe mit einer Vorerkrankung gemäß Merkmal 2.5, also solche mit einem PCT-Wert unterhalb von 0,25 ng/ml gemäß Merkmal 2.4 einem strengeren diagnostischen Regime zu unterziehen. Denn gemäß der NK12 ist gerade für die Patientengruppe mit einem PCT-Wert zwischen 0,1 ng/ml und 0,25 ng/ml die Verordnung eines Antibiotikums abhängig vom klinischen Zustand des Patienten angeregt oder nicht angeregt (NK12: S. 11, linke Sp., Abs. 1, Z. 2-5), das heißt die Diagnose ist gerade in dieser Patientengruppe mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Dies veranlasst insoweit den Fachmann, dem Arzt ein zusätzliches diagnostisches Instrument gerade für diese Patientengruppe zur Verfügung zu stellen und hierfür die NK12 als Ausgangspunkt seiner Überlegungen wählen.
156
3.3.1 Danach bot die NK12 zugleich ein erfolgversprechendes Sprungbrett zur Lehre des Streitpatents, welche auf einen variablen, weit gefassten Verlaufsbeobachtungszeitraum von 12 Stunden bis einer Woche abstellt (Merkmal 2.3) und zugleich auf einen für den Arzt und eine für die Diagnose ausreichend repräsentativen PCT-Abfall abstellt, bezogen auf den Zeitraum von 24 Stunden (Merkmal 3.1).
157
Die Ermittlung einer geeigneten Abnahmerate des PCT-Wertes bei Erfolg der Wirkung eines Antibiotikums gemäß Merkmal 3.1 ist in der NK12 zwar nicht genannt. Diese Abnahmerate kann aber die erfinderische Tätigkeit nicht begründen, da die Ermittlung eines geeigneten Wertes routinemäßigem fachmännischen Handeln entspricht.
158
Insoweit macht weder die Streitpatentschrift noch die Beklagte geltend, dass der mit Merkmal 3.1 beanspruchte Mindestwert von 20 % einen Wert darstellt, dessen Auswahl bereits deshalb erfinderisch sei, weil gerade in der Auswahl eines prozentualen Wertes von mehr als 20 % eine Entwicklungsleistung liege, die über das allgemeine fachübliche Handeln im Rahmen der routinemäßigen Entwicklungsarbeiten für ein neues Verfahren hinausgeht, insbesondere weil ausgehend von der bereits im Stand der Technik vorliegenden Erkenntnis über relevante PCT-Werte und Verlaufsmessungen der Fachmann für die Festlegung eines bestimmten Wertes und insbesondere eines Wertes von mehr als 20 % bereits mangels Erfolgserwartung von entsprechenden Feststellungen und Festlegungen durch Entwicklungsstudien abgesehen hätte.
159
Das Gegenteil ist der Fall, da die Lehre des Streitpatents in dem, was diese Lehre gegenüber dem Stand der Technik durch Festlegung eines Schwellenwertes für die Patientengruppe gemäß Merkmal 2.4 und eines Mindestabfallwertes von 20 % gemäß Merkmal 3.1 tatsächlich leistet und den erfinderischen Gehalt begründen könnte, nur das Ergebnis einer Lösung ist, die im Stand der Technik im entscheidenden Lösungsansatz bereits zur Verfügung gestanden hatte (NK12: S. 15, Table 3, Sp. 1-3, hier im Vergleich der Sp. 2 und 3 i. V. m. S. 11, linke Sp., Abs. 3, „monitored daily“), nämlich der Erkenntnis des nicht unwesentlichen Abfalls des PCT-Wertes im Rahmen der Verlaufsbeobachtung. Die Änderung eines Wertes im Laufe der Zeit, das heißt im Rahmen einer Verlaufsbeobachtung, stellt aber nichts anders dar, als eine Änderungsrate, welche das Streitpatent mit Merkmal 3.1 in Form einer Abnahmerate darstellt. Damit waren in der NK12 die entscheidenden und hinreichenden Anstöße und Anregungen bereits gegeben, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung), nämlich durch Festlegung eines für den Arzt repräsentativen und praktikablen Wertes.
160
Ein Naheliegen ist deshalb selbst dann zu bejahen, wenn die Werte nach Merkmal 2.4 und/oder Merkmal 3.1 die einzigen in Frage kommenden und geeigneten Werte als Indikator für die Diagnose wären, da der damit verbundene routinemäßige Forschungsaufwand für sich betrachtet keine Erfindungsqualität begründet. Eine derartige Behauptung stellt aber weder die Patentschrift noch die Beklagte auf, und eine derartige Behauptung müsste auch angezweifelt werden, da es bereits im Hinblick auf die für die Verlaufsbeobachtung möglichen Zeiträume für eine Erst- und Zweitmessung und den breit gesteckten Mindestwert nicht darauf ankommen kann, ob der tägliche PCT-Abfall exakt mindestens 20 % beträgt oder nicht. Die streitpatentgemäße Festlegung ist deshalb als Richtwert vergleichbar der Dosisangabe bei einem Arzneimittel, welche dort dem Patienten bzw. Arzt als Richtwert dient.
161
3.3.2 Die Argumentation der Beklagten, dass in der Tabelle 3 der NK12 ausschließlich Absolutwerte über den klinischen Erfolg der Therapie entschieden, vermag an dieser Beurteilung schon deshalb daran nichts zu ändern, da die zu diesem Zeitpunkt nach 14 bis 21 bzw. 180 Tagen später ermittelten PCT-Werte des sogenannten „Short-term and Long-term Follow-up“ für das Naheliegen einer – anhand der klinischen täglichen Überwachung des PCT-Wertes – aus frühen täglichen Messungen abgeleiteten diagnostischen Entscheidung, ob von einem einsetzenden Erfolg der Behandlung mit einem Antibiotikum ausgegangen werden kann, vorliegend nicht relevant sind. Soweit es aber gemäß der NK12 – wie dargelegt – indiziert ist, den PCT-Wert auch nach einer ersten Messung erneut zu messen, um im Rahmen der Merkmale 2.3 und 3.1 den einsetzenden Erfolg der Antibiotikatherapie zu überwachen, hat es auch nahegelegen, dass sich der Fachmann insoweit über die Abnahmerate Gedanken macht. Der Fachmann setzt damit seine Erkenntnisse, ab welchen Messwerten hinsichtlich der vorliegenden in-vitro-PCT-Tests von einer signifikanten Abnahme des PCT-Wertes auszugehen ist, in einen praktischen Hinweis für den Arzt um. Denn eine Rate stellt nichts anderes dar, als eine (mathematische) Formulierung für die Änderung eines Wertes, hier der Konzentration an PCT, in Abhängigkeit von der Zeit, vorliegend dafür, ab welchem Grad des Rückgangs des PCT-Wertes von einem Anschlagen der Antibiotikabehandlung ausgegangen werden kann. Die Ermittlung der geeigneten Abnahmerate stellt mithin keine über routinemäßige Entwicklungsarbeiten hinausgehende Tätigkeit dar. Das insoweit erforderliche routinemäßige Handeln des Fachmanns mündet lediglich in einen (mathematischen) Ausdruck für eine Handlungsempfehlung an den Arzt. Die Abnahmerate ist daher nichts anderes als das unmittelbare Ergebnis des naheliegenden Verfahrens, zumal im Streitpatent selbst mit diesem Wert keine Entwicklungsleistung verbunden ist (NK1: die Absätze [0009], [0013], [0053] wiederholen lediglich das Merkmal von Patentanspruch 1 ohne weitere Erläuterungen). Zudem ist die generelle Abnahme des PCT-Wertes bei erfolgreicher Antibiotikatherapie dem Fachmann aus der Literatur bekannt (NK10: S. 458, letzter Abs. vor „Conclusions“ // NK13, S. 516, Fig. 2 i. V. m. linke Sp., Abs. 1, Z. 7-9 // NK14: Abstract, vorletzter Satz // NK15: Abstract, vorletzter und letzter Satz).
162
3.3.3 Die Beklagte wendet sich insoweit zwar nicht expressis verbis gegen die im Qualifizierten Hinweis angegebene Aufgabe, dem Arzt ein brauchbares diagnostisches Regime für die erfindungsgemäße Zielgruppe an die Hand zu geben, mit dem durch eine durch PCT-Messungen begleitete Verlaufsbeobachtung der durch Abfall des PCT-Wertes zum Ausdruck kommende Indikator für eine bakterielle Infektion das wesentliche Instrumentarium bildet. Sie sieht jedoch die Aufgabe darin, ein neuartiges Verfahren zur Diagnose des Vorliegens einer bakteriellen Infektion in der besonderen, in Patentanspruch 1 des Streitpatents definierten Patientengruppe mit einem PCT-Spiegel unter 0,25 ng/ml bereitzustellen und wertet die Darlegungen des Senats als rückschauende Betrachtungen.
163
Dieser Auffassung ist nicht beizutreten. Denn die von der Beklagten genannte Aufgabe entspricht nicht der objektiven Aufgabe, als die eigentliche „Diagnose“ einer (vermuteten) bakteriellen Infektion durch den Arzt mit der Gabe des Antibiotikums aufgrund der ersten Messung des PCT-Wertes (eigentlich) bereits erfolgt ist. Denn üblicherweise erfolgt eine „Diagnose“ vor einer Therapieentscheidung, hier der Gabe eines Antibiotikums. Im Rahmen des streitpatentgemäßen Diagnose-Verfahrens wird die Therapie demnach bereits vor Stellung oder Bestätigung der Diagnose begonnen. Insoweit sichert das Streitpatent lediglich im Nachhinein die (Erst-) Diagnose ab, inwieweit eine bakterielle Infektion vorliegt. Das Streitpatent stellt mithin vielmehr auf ein geeignetes diagnostisches Regime ab. Der Erfolg der Therapie – und damit auch die Bestätigung oder Verwerfung der Diagnose – wird aber in der NK12 ebenso wie im Streitpatent mittels der wiederholten Messung des PCT-Wertes im streitpatentgemäßen Umfang überwacht – wie dargelegt.
164
3.4 Auch gegenüber der Druckschrift NK11 beruht das streitpatentgemäße Verfahren nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
165
3.4.1 Die NK11 handelt bereits von der Diagnose von Infektionen oder Entzündungserkrankungen bei einer Patientengruppe, die als Vorerkrankung eine Herzinsuffizienz aufweist (Merkmale 1, 2.5 // NK11: S. 7, Z. 2-7), wobei der PCT-Wert dieser Patientengruppe im Bereich von 0,01 ng/ml bis 1 ng/ml liegen soll (Merkmale 2 bis 2.2 // S. 7, Z. 9-11 i. V. m. S. 9, Z. 8-14) und der Schwellenwert, das heißt der Wert, ab wann bei besagten Patienten mit einer Antibiotikatherapie begonnen werden soll, bei 0,03 ng/ml bis 0,06 ng/ml liegen soll (NK11: S. 7, Z. 9-13). Die von der Beklagten mit Merkmal 2.4 als besonders hervorgehobene Patientengruppe, welche aus Sicht der Beklagten bisher nicht als behandlungsbedürftig eingestuft worden sei, war also bereits aus der NK11 als behandlungsbedürftig bekannt.
166
Soweit die NK11 dann auf eine „Therapiesteuerung“, eine „Risikostratifizierung von Patienten für klinische Entscheidungen“ (Abschätzen des Risikos, mit dem eine Erkrankung fortschreitet) und auf eine „therapiebegleitende Verlaufsbeurteilung“ abstellt (NK11: S. 8, Z. 13 bis S. 9, Z. 6; Patentansprüche 17, 18), regt dies die wiederholte Messung des PCT-Wertes an. Dabei können die zeitliche Abfolge der weiteren Messungen des PCT-Wertes (Merkmal 2.3) und die Abnahmerate des PCT-Wertes (Merkmale 3, 3.1) – wie zur NK12 dargelegt – keine erfinderische Tätigkeit begründen. Denn die Ermittlung geeigneter Parameter liegt im fachüblichen Handeln. So erfordert die Prophylaxe und differentialdiagnostische Früherkennung sowie eine gegebenenfalls daran anschließende therapeutische Verlaufsbeurteilung einer antibiotischen Behandlung entsprechend der NK11 (NK11: Patentanspruch 17 i. V. m. 18) die Ermittlung eines Basis- bzw. Referenzwerts vor bzw. unmittelbar nach Beginn einer Antibiotikagabe (Merkmal 2.2) sowie eine Verlaufskontrolle während des Zeitraums der Antibiotikabehandlung und damit im Zeitraum des Merkmals 2.3.
167
Dass eine Abnahme des PCT-Wertes um mehr als 20 % innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Antibiotikabehandlung und damit das Merkmal 3.1 durch die Lehre der NK11 nahegelegt wird, ergibt sich auch aus dem Messbereich von 0,01 ng/ml bis 1 ng/ml des Verfahrens der NK11 (NK11: S. 7, Abs. 2 i. V. m. Patentanspruch 3). Da eine Therapiebegleitung im Sinne der Lehre der NK11 einen Therapieerfolg rasch erkennen soll (NK11: S. 8, Abs. 2), ist damit – im Erfolgsfall – zwangsläufig das Ergebnis des Merkmals 3.1 verbunden, nämlich eine deutliche Abnahme der PCT-Konzentration innerhalb von 24 Stunden. Denn innerhalb des in NK11 angegebenen Messbereichs von 0,01 ng/ml bis 1 ng/ml tritt im Erfolgsfall des „Anschlagens“ der antibiotischen Therapie und damit bei Wahl des richtigen Antibiotikums eine Absenkung des PCT-Wertes im oberen Bereich bis hin zum Normalwert für den „nicht mehr infektiösen Patienten“ im unteren Bereich ein, was zwangsläufig eine streitpatentgemäße Abnahme des PCT-Wertes um mehr als 20 % zur Folge hat.
168
3.4.2 Die Beklagte wendet hiergegen wieder ein, dass in der NK11 ausschließlich der absolute PCT-Wert berücksichtigt werde. Dies ist zwar zutreffend, dennoch regen die in der NK11 erwähnte Therapiesteuerung einer Antibiotikabehandlung und die therapiebegleitende Verlaufsbeurteilung (NK11: Patentansprüche 17, 18) den Fachmann an, den PCT-Wert wiederholt zu messen und mithin auch seine Abnahmerate einer klinischen Beurteilung zuzuführen. Beides bedarf aber im Umfang der Merkmale 2.3 und 3.1 keiner erfinderischen Tätigkeit, wie bereits zur NK12 dargelegt.
169
Soweit die Beklagte meint, die NK11 stelle die Diagnose der bakteriellen Infektion ausschließlich zu Beginn der Therapie mittels Messung eines anfänglichen PCT-Wertes, verkennt sie, dass auch das Streitpatent die Antibiotikagabe bereits mit oder vor der ersten Messung des PCT-Wertes einleitet, was insoweit zumindest einen Anfangsverdacht und mithin eine „Diagnose“ bedingt. Aus der Abnahme des PCT-Wertes, aufgrund eines Anschlagens des gegebenen Antibiotikums, auf die Wirksamkeit des Antibiotikums und mithin (sei es implizit oder explizit) auf das tatsächliche Vorliegen einer bakteriellen Infektion zu schließen, bedarf jedoch – wie bereits zur NK12 dargelegt – keiner erfinderischen Tätigkeit. Denn diese Absicherung der anfänglichen (Erst-) Diagnose hätte der Fachmann bei einer Verlaufskontrolle der Infektion mittels PCT-Werten zwangsläufig erhalten und in seine Überlegungen mit einbezogen. Insoweit umfasst die aus der NK11 naheliegende Therapiekontrolle bzw. -steuerung mithin die Überprüfung und Absicherung der anfänglichen (Erst-) Diagnose, was aber nichts anderem als dem streitpatentgemäßen Diagnoseverfahren entspricht.
170
4. Zu keiner anderen Beurteilung kommt der Senat auch unter Berücksichtigung des Urteils des 3. Senats vom 23. Juli 2019, 3 Ni 16/17 (EP) (VP1), das zur dritten Teilanmeldung EP 2 301 626 der Stammanmeldung NK4 ergangen ist und ein Antibiotikum zur Behandlung von lokalen Infektionen betrifft.
171
Während im vorliegenden Fall ein Diagnoseverfahren zu beurteilen ist, das auf ein diagnostisches Regime im Sinne einer Verlaufskontrolle und -beobachtung abstellt, betrifft der Fall des 3. Senats einen Stoffanspruch hinsichtlich eines Antibiotikums zur zweiten medizinischen Indikation („Verwendungsanspruch der zweiten medizinischen Indikation im zweckgebundenen Produktformat“).
172
Auch wenn es darin – bei nahezu identischer Beschreibung – um die Behandlung einer bakteriellen Infektion mittels eines Antibiotikums bei Patienten geht, die an einer Grunderkrankung (primary disease) leiden und eine lokale (bakterielle) Infektion aufweisen, besteht der entscheidende Unterschied zum hiesigen Fall darin, dass dort aus Sicht des 3. Senats die Antibiotikagabe – im Sinne einer zweiten medizinischen Indikation – erfolgen soll, um einer noch nicht manifestierten weiteren Erkrankung oder weiterer medizinischer Beschwerden vorzubeugen, also zu verhindern, dass sich eine dritte Erkrankung festsetzt. Darin lag dann aus Sicht des 3. Senat auch der entscheidende Unterschied zum dortigen, mit dem hiesigen teilweise identischen Stand der Technik, was zur Klageabweisung geführt hat (vgl. Urteil: S. 13-14, Auslegung i. V. m. S. 20, Z. 11-15 und S. 21, Z. 3-6, sowie S. 27, Z. 23-35 und S. 28, Z. 15-18).
173
Deshalb ändert der Gegenstand des vorliegenden Hilfsantrags, der sich auf eine (einzige) Komorbidität gemäß Merkmal 2.5 bezieht, nichts an der vorgenommenen Beurteilung der Patentfähigkeit, da diese Komorbidität eine (nicht infektiöse) Grunderkrankung betrifft und sich eine derartige Lehre sowohl in der NK11 als auch der NK12 findet, wie dargelegt.
IV.
174
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
175
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

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