Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – “Zugriff einer Mobilstation auf einen wahrfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit ihrer Nutzungsklasse” – zur Beurteilung der Patentfähigkeit

Aktenzeichen  6 Ni 34/17 (EP)

Datum:
9.10.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:091019U6Ni34.17EP.0
Normen:
Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk
Spruchkörper:
6. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 841 268
(DE 500 15 891)
hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2019 durch die Vorsitzende Richterin Friehe sowie die Richter Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck, Jacobi, Dipl.-Ing. Altvater und Dr.-Ing. Flaschke
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen je zur Hälfte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
I.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 15. Februar 2000 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 841 268 (Streitpatent). Das Streitpatent nimmt die Priorität aus der deutschen Anmeldung 199 10 239 vom 8. März 1999 in Anspruch.
2
Das Streitpatent ging als Teilanmeldung aus der europäischen Patentanmeldung 1 186 189 hervor. Das Streitpatent und sein Stammpatent beruhen auf der am 14. September 2000 als WO 00/54534 A1 veröffentlichten internationalen Anmeldung.
3
Das Streitpatent ist in Kraft. Es wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 500 15 891.6 geführt und trägt die Bezeichnung
4
„Zugriff einer Mobilstation auf einen wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit ihrer Nutzerklasse“.
5
Im europäischen Einspruchsverfahren ist das Streitpatent beschränkt aufrechterhalten worden (veröffentlicht als EP 1 841 268 B2). Es umfasst (nur noch) einen Patentanspruch, der mit der am 7. Dezember 2017 eingereichten Nichtigkeitsklage in vollem Umfang angegriffen wird. Der Patentanspruch hat in seiner beschränkten Fassung folgenden Wortlaut:
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1. Mobilstation (5, 10, 15, 20) zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunknetz, in dem mehrere Nutzerklassen (35, 40) unterschieden werden, in dem Informationssignale mit Zugriffsberechtigungsdaten an die Mobilstation übertragen werden, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster übertragen werden,
7
dadurch gekennzeichnet, dass
8
die Mobilstation (5, 10, 15, 20) dazu eingerichtet ist, eine Nutzerklasse (35, 40) von einer SIM-Karte (75) zu lesen,
9
über einen Broadcast Control Channel (25) die Zugriffsberechtigungsdaten, welche Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) und Zugriffsklassenbits (Z0, Z1, Z2, Z3) aufweisen, zu empfangen,
10
aus den Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) einen Zugriffsschwellwert (S) zu ermitteln, sofern die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung ermittelt wird,
11
anhand des für die Nutzerklasse (35, 40) relevanten Zugriffsklassenbits (Z0, Z1, Z2, Z3) zu ermitteln,
12
ob die Mobilstation (5, 10, 15, 20) unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) auf einen wahlfreien Zugriffskanal, zum Beispiel RACH, zugreifen darf,
13
oder ob die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal, zum Beispiel RACH, in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung zu ermitteln ist,
14
und dazu eingerichtet ist, als Zugriffsschwellwertauswertung den Zugriffsschwellwert (S) mit einer Zufallszahl oder einer Pseudozufallszahl (R) zu vergleichen,
15
und dazu eingerichtet ist, auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit der Ermittlung anhand des Zugriffsklassenbits entweder unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) oder in Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses zuzugreifen.
16
Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass das Streitpatent wegen des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit, nämlich der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, und wegen des Nichtigkeitsgrunds der unzulässigen Erweiterung für nichtig zu erklären sei. Zum Stand der Technik haben sie auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften Bezug genommen:
17
K7
GSM-138 WP3 138/(87): minutes of the L1EG meeting, CEPT/CCH/GSM/L1EG, 31. August bis 2. September 1987, 12 Seiten
18
K8
GSM-74 L1EG 74/87: A proposal for the design of the random access protocol on the CCCH, GSM/L1EG, 31. August bis 2. September 1987, Stockholm, Seiten 1 bis 5
19
K9
GSM 04.60 V6.2.0 European Standard (Telecommunications series)
20
GSM 04.60 V6.2.0 (1998-10) Digital cellular telecommunications system (Phase 2+); General Packet Radio Service (GPRS); Mobile Station (MS) – Base Station System (BSS) interface; Radio Link Control/ Medium Access Control (RLC/MAC) protocol (GSM 04.60 version 6.2.0 Release 1997); European Telecommunications Standards Institute (ETSI), Oktober 1998, (in Auszügen) 172 Seiten
21
K9a
GSM 04.60 V6.1.0 European Standard (Telecommunications series) Draft EN 301 349 V6.1.0 (1998-08) Digital cellular telecommunications system (Phase 2+); General Packet Radio Service (GPRS); Mobile Station (MS) – Base Station System (BSS) interface; Radio Link Control / Medium Access Control (RLC/MAC) protocol (GSM 04.60 version 6.1.0 Release 1997); European Telecommunications Standards Institute (ETSI), August 1998, (in Auszügen) 152 Seiten
22
K10
GSM 02.11 Technical Specification TS 100 921 V6.0.0 (1998-07) Digital cellular telecommunications system (Phase 2+); Service accessibility (GSM 02.11 version 6.0.0 Release 1997); European Telecommunications Standards Institute (ETSI), Juli 1998, (in Auszügen) 11 Seiten
23
K11
GSM 04.08 European Telecommunication Standard ETS 300 557 Digital cellular telecommunications system (Phase 2); Mobile radio interface layer 3 specification (GSM 04.08 version 4.22.1); European Telecommunications Standards Institute (ETSI), Oktober 1998, (in Auszügen) 49 Seiten
24
K12
IS-95 TIA/EIA Interim Standard Mobile Station-Base Station Compatibility Standard for Dual-Mode Wideband Spread Spectrum Cellular System, TIA/EIA/IS-95, Telecommunications Industry Association, Juli 1993, (in Auszügen) 54 Seiten
25
K14
MOULY MOULY, M.; PAUTET, M.-B.: The GSM System for Mobile Communications, CELL & SYS, Palaiseau, Frankreich, 1992, ISBN: 2-9507190-0-7, Seiten 7 bis 9, 11 bis 15, 368 bis 372, 427.
26
K15 Fachbuch Snell “Introduction to Probability” – ISBN 0-07-100287-1 (in Auszügen), 1989
27
K16 Fachbuch Knuth “The Art of Computer Programming”, Vol. 2 – ISBN 0-201-03802-1 (in Auszügen), 1969
28
K17 TIA/EIA Telecommunications Systems Bulletin TSB 16, 03/1985
29
K18 ETSI Standard UMTS YY.01 Version 1.0.0 (in Auszügen), 12/1998
30
K19 WO 97/19525 A1
31
K20 WO 98/23109 A2
32
K21 EP 0 765 096 A2
33
K22 Tdoc SMG2 UMTS-L 23 535/98, 12/1998
34
K24 Tdoc SGM2, UMTS-L23 207/98, 09/1998
35
Die Klägerinnen zu 1.) und 2.) beantragen,
36
das europäische Patent 1 841 268 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
37
Die Beklagte beantragt,
38
die Klage abzuweisen.
39
Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerinnen entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in der geltenden Fassung für schutzfähig.
40
Der Senat hat den Parteien am 18. Juni 2019 einen qualifizierten Hinweis zugeleitet.
41
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

42
Die auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ), nämlich der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 56 EPÜ), und auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig, aber unbegründet, da die gegenüber dem Gegenstand des Streitpatents nach seinem Patentanspruch 1 in der verteidigten, im Einspruchsverfahren vor dem europäischen Patentamt beschränkten Fassung (veröffentlicht als EP 1 841 268 B2) geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht bestehen. Das Patent ist nicht unzulässig erweitert. Die Gegenstände des Streitpatents in der nach dem Einspruchsverfahren beschränkten Fassung beruhen gegenüber dem von den Klägerinnen geltend gemachten Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Nichtigkeitsklage war deshalb abzuweisen.
A.
43
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
44
1. Die Erfindung betrifft eine Mobilstation zum Betrieb in einem UMTS-Mobilfunknetz (vgl. Patentanspruch 1). Im Vordergrund steht dabei die Steuerung des Zugriffs einer Mobilstation auf einen von mehreren Mobilstationen gemeinsam genutzten Telekommunikationskanal (vgl. Streitpatent, Abs. 0009 – 0014). In der Beschreibung wird ausgeführt, dass ein solcher Telekommunikationskanal als Kanal für den wahlfreien Zugriff ausgebildet sei, dem sog. Random Access Channel (RACH). Über diesen Zugriffskanal könnten Nachrichten (z. B. Kanalanforderungen für Sprach- und/oder Datendienste) von mehreren Mobilstationen an eine Basisstation gesendet werden. Dabei bestehe das Problem, dass die Verbindungsanfragen verschiedener Mobilstationen miteinander kollidieren könnten. Kollidiere die Nachricht einer Mobilstation auf dem RACH mit einer anderen Nachricht, dann könne die Basisstation die beiden miteinander kollidierenden Nachrichten nicht ordnungsgemäß empfangen und demgemäß auch keine Quittierungsinformationen zurücksenden. Bekomme die Mobilstation aber nicht innerhalb einer bestimmten Zeit eine Bestätigungsinformation, so wiederhole sie ihre Kanalanforderung. Wenn aufgrund dessen immer mehr Nachrichten von verschiedenen Mobilstationen an die Basisstation gesendet werden, drohe eine Überlastung des RACH (vgl. Streitpatent, Abs. 0019 und 0020). Eine aus dem Stand der Technik bekannte Methode, die Überlast zu vermeiden, sei, den einzelnen Teilnehmerstationen Zugriffswahrscheinlichkeitswerte zuzuteilen (vgl. Streitpatent, Abs. 0005). Dabei vergleiche die jeweilige Teilnehmerstation einen ausgewählten Wahrscheinlichkeitswert mit einer Zufallszahl, um festzustellen, ob der Zugriff auf einen Kommunikationskanal zulässig sei. Davon abgesehen müsse es in Notfallsituationen möglich sein, bestimmte Zugriffe auf den RACH zu priorisieren. Beispielsweise könnten die Mobilstationen von Notdiensten, wie der Polizei oder der Feuerwehr, einer vorgegebenen Nutzerklasse zugeordnet sein, die unabhängig von der einer statistischen Verteilung auf den Telekommunikationskanal zugreifen könnten (vgl. Streitpatent, Abs. 0010).
45
Dabei ist dem Streitpatent als Aufgabe zu entnehmen, die Zugriffssteuerung auf den wahlfreien Zugriffskanal in einer Funkzelle zu verbessern (vgl. Streitpatent, Abs. 0005, 0009, 0016 – 0020).
46
Gelöst werden soll dies durch eine Mobilstation zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunksystem mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1.
47
Unter Zugrundelegung der deutschen Sprachfassung lässt sich der angegriffene Patentanspruch 1 wie folgt gliedern:
48
1 Mobilstation (5, 10, 15, 20) zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunknetz,
49
2 in dem mehrere Nutzerklassen (35, 40) unterschieden werden,
50
in dem Informationssignale mit Zugriffsberechtigungsdaten an die Mobilstation übertragen werden, wobei die Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster übertragen werden,
51
dadurch gekennzeichnet, dass
52
die Mobilstation (5, 10, 15, 20) dazu eingerichtet ist,
53
3 eine Nutzerklasse (35, 40) von einer SIM-Karte (75) zu lesen,
54
4 über einen Broadcast Control Channel (25) die Zugriffsberechtigungsdaten, welche Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) und Zugriffsklassenbits (Z0, Z1, Z2, Z3) aufweisen, zu empfangen,
55
5 aus den Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) einen Zugriffsschwellwert (S) zu ermitteln, sofern die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung ermittelt wird,
56
6 anhand des für die Nutzerklasse (35, 40) relevanten Zugriffsklassenbits (Z0, Z1, Z2, Z3) zu ermitteln,
57
6a ob die Mobilstation (5, 10, 15, 20) unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) auf einen wahlfreien Zugriffskanal, zum Beispiel RACH, zugreifen darf,
58
6b oder ob die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal, zum Beispiel RACH, in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung zu ermitteln ist,
59
7 und dazu eingerichtet ist, als Zugriffsschwellwertauswertung den Zugriffsschwellwert (S) mit einer Zufallszahl oder einer Pseudozufallszahl (R) zu vergleichen,
60
8 und dazu eingerichtet ist, auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit der Ermittlung anhand des Zugriffsklassenbits entweder unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits (S3, S2, S1, S0) oder in Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses zuzugreifen.
61
2. Der zuständige Fachmann hat eine Hochschulausbildung in den Fachgebieten Elektrotechnik oder Informationstechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik abgeschlossen. Er verfügt über eine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Datenübertragung in mobilen Kommunikationssystemen, ist mit den relevanten Mobilfunkstandards auf diesem Gebiet vertraut und verfolgt die aktuellen Standardisierungsbemühungen auf diesem Gebiet.
62
3. Der Fachmann versteht die Merkmale des Patentanspruchs wie folgt:
63
Der Patentanspruch ist auf eine Mobilstation gerichtet, bei der es sich beispielsweise um ein Mobiltelefon handelt (Streitpatent, Abs. 0016). Die in Merkmal 1 genannte Angabe, wonach die Mobilstation „zum Betrieb in einem UMTS Mobilfunknetz“ beansprucht wird, ist nicht als reine Zweckangabe zu verstehen. Denn damit wird die Funktion des beanspruchten Gegenstandes festgelegt, die den Datenaustausch zwischen der Mobilstation und dem Netz mitbestimmt. Der Fachmann geht demnach von einem UMTS-fähigen Mobiltelefon aus.
64
In dem UMTS Mobilfunknetz werden mehrere Nutzerklassen unterschieden (Merkmal 2). In der Beschreibung wird beispielsweise von vier Nutzerklassen ausgegangen, welche einer ersten und einer zweiten Gruppe zugeordnet werden. Die erste Gruppe von Nutzerklassen wird als normalprivilegiert, die zweite Gruppe als bevorrechtigt bezeichnet. Mobilstationen von Notdiensten, wie der Polizei oder der Feuerwehr, können dabei der Gruppe der bevorrechtigten Nutzerklassen angehören (vgl. Streitpatent, Abs. 0010, Sp. 13, Z. 29 – 36 und Fig. 1, Nutzerklassen 35 und 40 i. V. m. Sp. 11, Z. 39 – 50). Welcher Nutzerklasse die Mobilstation angehört, liest diese von einer SIM-Karte (Subscriber Identity Module) aus (Merkmal 3). Im Kontext des Streitpatents liest der Fachmann mit, dass die Prüfung, zu welcher Nutzerklasse die Mobilstation gehört, durch die Auswerteeinheit der Mobilstation durchgeführt wird (vgl. Streitpatent, Sp. 7, Z. 15 – 20 und Sp. 13, Z. 25 – 29 i. V. m. Fig. 2).
65
Auch wenn damit die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse festgelegt ist, soll dennoch eine dynamische Zugriffssteuerung auf den wahlfreien Zugriffskanal (beispielsweise Random Access Channel – RACH) möglich sein (vgl. Streitpatent, Abs. 0020, 0021). Hierzu sieht Merkmal 2 Zugriffsberechtigungsdaten vor, die „als ein Bitmuster“ an die Mobilstation übertragen werden. Der Begriff „Bitmuster“ wird im Anspruch nicht näher präzisiert, auch dessen Länge gibt der Anspruch nicht vor. Beispielsweise kann ein Bitmuster eine Länge von 10 oder 13 Bit aufweisen, dies ist jedoch nicht zwingend (vgl. Streitpatent, Abs. 0036, Fig. 3a-c). Die Übertragung der Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster (Merkmal 2 i. V. m. Merkmal 4) versteht der Fachmann im Sinne des Übertragens einer zusammenhängenden Sequenz von Bits, welche Zugriffsklassenbits und Zugriffsschwellwertbits gemeinsam umfasst. Dies ergibt sich daraus, dass die im Anspruch 1 in den Merkmalen 5, 6, 6a, 6b, 7 und 8 angegebenen beiden Zugriffsarten, nämlich entweder in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung oder unabhängig von einem Zugriffsschwellwert für bestimmte (bevorrechtigte) Nutzerklassen, im Streitpatent das Ausführungsbeispiel betreffen, das sowohl Zugriffsschwellwertbits wie auch Zugriffsklassenbits aufweist, wie in Merkmal 4 gefordert. Dabei fällt nur ein Bitmuster gemäß Figur 3c unter den Anspruch, wobei ein anspruchsgemäßes Bitmuster nicht exakt 13 Bit aufweisen muss, wie es sich auch aus Absatz 0034, erster Satz und Absatz 0036 des Streitpatents ergibt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beschreibung keinen Zusammenhang zwischen den Bitmustern gemäß den Figuren 3a und 3b herstellt, mit denen Zugriffsklassenbits und Zugriffsschwellwertbits unabhängig voneinander übermittelt werden können. Der Beschreibung zu den Figuren 3a und 3b ist nicht zu entnehmen, dass sichergestellt wird, dass beide Informationen in der Mobilstation vorliegen, wie es der Anspruch voraussetzt (vgl. Merkmal 2 i. V. m. Merkmal 4).
66
Vom Patentanspruch 1 ist damit nur der Fall umfasst, dass das Netz die Zugriffsberechtigungsdaten in einem zusammenhängenden / einstückigen Bitmuster überträgt.
67
Der Auffassung der Beklagten, dass es für die Erfindung nicht wesentlich sei, ob die Zugriffsberechtigungsdaten in einem oder in zwei Bitmustern verschickt werde, und dass es nicht „vertretbar“ sei, das Bitmuster nur einstückig zu sehen, kann sich der Senat nicht anschließen. Dabei stützt sich der Patentanspruch 1 in seiner nach dem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt beschränkten Fassung lediglich auf das in der ursprünglichen Patentanmeldung beschriebene zweite Ausführungsbeispiel gemäß Figur 3c.
68
Merkmal 4 gibt vor, dass die in einem Bitmuster übertragenen Zugriffsberechtigungsdaten
69
– Zugriffsschwellwertbits und
70
– Zugriffsklassenbits
71
umfassen. Die jeweilige Anzahl der Zugriffsschwellwertbits und Zugriffsklassenbits ist im Anspruch nicht festgelegt. Figur 3c zeigt ein solches Bitmuster, welches sowohl die Zugriffsschwellwertbits S3, S2, S1, S0 als auch die Zugriffsklassenbits Z0, Z1, Z2, Z3 beinhaltet.
72
Für die Übertragung der Zugriffsberechtigungsdaten ist als Signalisierungskanal nach Merkmal M4 ein Broadcast Control Channel (BCCH) vorgesehen. Dabei können die gleichen Zugriffsberechtigungsdaten gleichzeitig mehreren Mobilstationen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Streitpatent, Abs. 0023 u. Fig. 1, Signalisierungskanal 25).
73
Gemäß Merkmal 6 soll die Mobilstation dazu eingerichtet sein, anhand des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits zu ermitteln, ob und wie auf den wahlfreien Zugriffskanal zugegriffen werden darf. In Verbindung mit Merkmal 3 legt Merkmal 6 unzweideutig fest, dass für jede Nutzerklasse genau ein einziges Zugriffsklassenbit aus der Menge der Zugriffsklassenbits vorgesehen ist, und zwar das für die Nutzerklasse relevante Nutzerklassenbit. Merkmal 6 verwendet hier ausdrücklich den Singular bezüglich des Zugriffsklassenbits, während Merkmal 4 umfasst, dass mehrere Zugriffsklassenbits übertragen werden. Beispielsweise enthält das über einen Broadcast Control Channel (BCCH) gesendete Bitmuster vier Zugriffsklassenbits (Z3, Z2, Z1, Z0), von denen jeweils ein Bit einer bestimmten Nutzerklasse zugeordnet werden kann (vgl. Abs. 0027 u. 0034 i. V. m. Fig. 3b, 3c).
74
Nach Auffassung der Beklagten ist das Zugriffsklassenbit nicht als ein einziges Bit zu verstehen, sondern als Funktion bzw. als Zugriffsklasseninformationen. Ein Zugriffsklassenbit könne auch aus drei (übertragenen) Bits generiert werden. Zur Stützung ihrer Argumentation verweist die Beklagte dabei auf Absatz 0025 des Streitpatents, wo offenbart sei, dass die Zugriffsberechtigungsdaten als Informationen übertragen werden.
75
Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen.
76
Denn aus Absatz 0025 in Verbindung mit den Absätzen 0027 und 0034 des Streitpatents geht hervor, dass für die Steuerungsentscheidung auch tatsächlich ein einziges Bit verantwortlich ist. So ist angegeben, dass einer Nutzerklasse genau ein Zugriffsklassenbit zugeordnet ist, welches auf „0“ oder „1“ gesetzt ist, was wiederum Grundlage der Zugriffskriterien gemäß Merkmal 6 ist. Ist das für die jeweilige Nutzerklasse relevante Zugriffsklassenbit auf „0“ gesetzt, so ist die Nutzerklasse berechtigt, direkt auf den RACH zugreifen. Ist das Zugriffsklassenbit hingegen auf „1“ gesetzt, so muss eine Schwellwertauswertung durchgeführt werden. Der Begriff „Zugriffsklassenbit“ ist damit entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht so zu verstehen, dass das Zugriffsklassenbit auch eine mehrstellige Binärzahl sein könnte. Das Streitpatent bezeichnet die Zugriffsklassenbits nur in ihrer Gesamtheit als Zugriffsklasseninformationen (vgl. Streitpatent, Abs. 0027). Abgesehen davon macht es für den Fachmann auch keinen Sinn, mehrere Bits vorzusehen, um zwischen zwei Zuständen, nämlich „0“ und „1“ zu schalten. Es ist zwar denkbar, dass ein Zugriffsklassenbit für mehrere Nutzerklassen relevant ist. Umgekehrt aber ermittelt die Mobilstation ihr Zugriffsrecht nur mithilfe eines Bits. Der Anspruch 1 sieht in Merkmal 2 vor, dass die Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster übertragen werden, welches nach Merkmal 4 Zugriffsklassenbits (und Zugriffschwellwertbits) aufweist. Der Anspruch gibt daher – im Einklang mit dem zugrunde liegenden Ausführungsbeispiel in Figur 3c – keinen Anlass, in der Formulierung „des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits“ abweichend vom fachüblichen Sprachgebrauch den Begriff „Bit“ als beliebige Binärzahl oder als komplementäre oder redundante Bitfolge zu interpretieren.
77
Anhand des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffklassenbits wird ermittelt, ob die Mobilstation unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits (vgl. Merkmal 6a) oder in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung (vgl. Merkmal 6b) auf einen wahlfreien Zugriffskanal zugreifen darf. Dies bedeutet, dass je nach Wert des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits entweder alle Mobilstationen, die dieser Nutzerklasse zugeordnet sind, direkt auf den wahlfreien Zugriffskanal zugreifen dürften (beispielsweise gemäß Fig. 3c das Zugriffsklassenbit den Wert 0 hat) oder die Zugriffsberechtigung in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung zu ermitteln ist (Wert 1 in Fig. 3c; vgl. Streitpatent, Sp. 11, Z. 26 – 39 und Sp. 13, Z. 47 – 53). Als ein Beispiel für den wahlfreien Zugriffskanal wird in den Merkmalen 6a und 6b der Random Access Channel (RACH) genannt (vgl. auch Streitpatent, Abs. 0017). Der Anspruch verpflichtet aber nicht zur Verwendung von genau diesem einen Transportkanal.
78
Bei dem von den Klägerinnen als “Lotterie” bezeichneten Schwellwertkonzept ermittelt die Mobilstation aus den empfangenen Zugriffsschwellwertbits einen Zugriffsschwellwert S – sofern die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung ermittelt wird (vgl. Merkmal 5).
79
Die Mobilstation ist dazu eingerichtet, eine Zufalls- oder Pseudozufallszahl R aus einem Wertebereich zu generieren und diese mit dem Schwellwert zu vergleichen (vgl. Merkmal 7). Eine Mobilstation, deren Zufallszahl R größer als oder gleich dem vom Netz übersandten Schwellwert S ist, erhält dann beispielsweise eine Zugriffsberechtigung, während ihr im umgekehrten Fall, wenn also die von ihr generierte Zufallszahl kleiner als der Schwellwert ist, das Zugriffsrecht für diesen Zugriffsversuch auf den wahlfreien Zugriffskanal verweigert wird (vgl. Streitpatent, Abs. 0037, insbesondere Sp. 12, Z. 34 – 46 i. V. m. Fig. 4a, Schritt 215).
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Merkmal 8 versteht der Fachmann so, dass in Abhängigkeit der Ermittlung einer Zugriffsberechtigung anhand des Zugriffsklassenbits entweder unabhängig von den empfangenen Zugriffsschwellwertbits oder in Abhängigkeit des Ergebnisses des Vergleichs auf den wahlfreien Zugriffskanal zugegriffen werden kann, wobei sich das Ergebnis auf die Zugriffsschwellwertauswertung gemäß Merkmal 7 bezieht. Somit ist es dem Mobilfunknetz erlaubt, bestimmten Mobilstationen einen direkten Zugriff auf das Netz unabhängig von einem übertragenen Zugriffsschwellwert zu erlauben, während es gleichzeitig den Zugriffsschwellwert verwendet, um den Zugriff anderer Nutzer zu begrenzen. In Ergänzung zu den Merkmalen 6a und 7 sieht Merkmal 8 nicht nur die Prüfung vor, ob ein Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal zulässig ist („…zugreifen darf“), sondern auch, dass die Mobilstation den Zugriff selbst ermöglicht („…zuzugreifen“).
81
Damit sieht der Patentanspruch vor, dass die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, mit einem einzigen Zugriffsklassenbit erfolgt.
82
II. Zum Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung
83
Der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ) ist nicht gegeben.
84
Die Klägerinnen haben insoweit geltend gemacht, dass der Anspruchsgegenstand des Streitpatents, lege man diesen so aus wie die Beklagte, über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe. Dabei lege die Beklagte die Merkmale 2 und 6 in einer Art und Weise aus, die nicht von den ursprünglichen Anmeldeunterlagen gestützt werde.
85
Diese Fragen, zum einen, ob das Merkmal „ein Bitmuster“ auch Fälle umfasse, in denen das Netz die Zugriffschwellwert- und Zugriffsklassenbits in mehreren separaten Bitmustern übertrage, und zum anderen, ob Merkmal 6 auch Ausgestaltungen abdecke, bei denen jeder Nutzerklasse drei Zugriffsbits zugeordnet seien, könnten nur dann die Frage betreffen, ob der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, wenn das Streitpatent zutreffend so auszulegen wäre, wie es die Beklagte meint. Dies ist, wie oben ausgeführt, nicht der Fall.
II.
86
Bei zutreffender Auslegung des Streitpatents (vgl. Abschnitt II.A.I.2.) geht dieses nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gemäß der Offenlegungsschrift WO 00/54534 A1 hinaus. Denn die Merkmale des Anspruchs 1 nach Streitpatent sind durch den ursprünglichen Patentanspruch 11 in Verbindung mit Seite 9, Zeilen 6 bis 11, Seite 16, Zeile 24 bis Seite 21, Zeile 9 und Seite 22, Zeilen 10 bis 14 und den Figuren 3c und 4c der Offenlegungsschrift als zur Erfindung gehörend offenbart. Wie im Abschnitt II.A.I.2 ausgeführt, stellt Merkmal 2 unter anderem darauf ab, dass die Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster übertragen werden. Dies lässt sich der Offenlegungsschrift auf Seite 9, Zeilen 6 bis 11, Seite 20, Zeilen 5 bis 10 und Figur 3c entnehmen. Merkmal 6, wonach die Zugriffsberechtigung anhand des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits zu ermitteln ist, ist in der Offenlegungsschrift im Brückenabsatz von den Seiten 16 und 17 offenbart.
87
III. Zum Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit
88
Entgegen der Ansicht der Klägerinnen, die die Neuheit des Gegenstands des Streitpatents nicht in Frage stellen, hat das Streitpatent in der Fassung der B2-Schrift Bestand, da sich die Erfindung für den Fachmann am Prioritätstag nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab und somit als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen ist. Der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit ist daher zu verneinen (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a), Art. 56 EPÜ).
89
1.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend vom GPRS-Standard (GSM 04.60)
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Druckschrift K9 (GSM 04.60 V6.2.0) gehört zu einer Reihe von Spezifikationen des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) für das GSM Mobilfunknetz und beschäftigt sich speziell mit dem Übertragungsstandard GPRS (General Packet Radio Service). Der General Packet Radio Service ist eine Erweiterung des klassischen GSM Standards. Um höhere Übertragungsraten zu erzielen, wurde eine paketvermittelte Datenübertragung vorgeschlagen. Die im klassischen GSM genutzten Zugriffsverfahren und Kanäle existieren dabei auch weiterhin (use of logical control channels; vgl. Kap. 1, Brückenabsatz S. 10/11). Der Fachmann liest mit, dass die Zugehörigkeit zu mindestens einer Nutzerklasse (access class, vgl. Kap. 7.1.1, S. 24) vorgegeben und wie andere netzbezogene Konfigurationsdaten entsprechend Merkmal 3 auf einer SIM-Karte gespeichert ist. Ergänzt wurde GPRS um weitere Kanäle zur Datenübertragung, die in das klassische GSM integriert wurden, so z. B. der wahlfreie Zugriffskanal PRACH (Packet Random Access Channel). Ob und wie eine Mobilstation auf den gemeinsam nutzbaren PRACH zugreifen darf, wird über den Rundrufkanal PBCCH (Packet Broadcast Control Channel) geregelt. Über diesen Kanal sendet das Netz regelmäßig Systeminformationen an alle Mobilstationen (vgl. Kap. 5.5.1.2, S. 17 und Kap 12.14, S. 147). Damit beschreibt das Dokument eine Mobilstation zum Betrieb in einem Mobilfunknetz. Die Druckschrift betrifft allerdings nicht den UMTS Mobilfunkstandard (vgl. Kap. 1, S.10; Kap. 7.1.1, S. 24, 25; teilweise Merkmal 1). Die als ein Bitmuster an die Mobilstation übertragenen Informationssignale enthalten die sogenannten PRACH Control Parameters (vgl. Tabelle 85, Kap. 12.14, S. 147). Diese sind als Zugriffsberechtigungsdaten für den Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal PRACH zu verstehen (Merkmal 2). Die PRACH Control Parameters umfassen u. a. eine 16 Bit lange Bitfolge mit Zugriffsklassenbits (ACC_CONTR_CLASS : bit (16)) sowie die Steuerparameter ({L|H *4}. Die jeweils vier Bit umfassenden Steuerparameter PERSISTENCE_LEVEL sind als Zugriffsschwellwertbits im Sinne des Streitpatents zu verstehen. Das Steuerungsbit kann zwei Zustände (L|H), die für Low und High bzw. 0 und 1 stehen, annehmen und gibt an, ob die PRACH Control Parameters Zugriffsschwellwertbits enthalten oder nicht (vgl. Abs. 7.1.2.1.1, S. 24, 25 i. V. m. Abs. 12.14, S. 147 – 149; insb. Tabelle 85). Demnach können die über den Packet Broadcast Control Channel (PBCCH) gesendeten Zugriffsberechtigungsdaten sowohl Zugriffsschwellwertbits als auch Zugriffsklassenbits entsprechend Merkmal 4 aufweisen.
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Das Zugriffsverfahren im GPRS-Netz beruht auf zwei Mechanismen:
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– Gewährung oder Nichtgewährung des Zugriffsrechts: Abschnitt 7.1.1 auf Seite 24 beschreibt in Verbindung mit Tabelle 85 auf Seite 147, dass über den Rundrufkanal PBCCH eine Liste derjenigen Zugriffsklassen übertragen wird, welche auf das Mobilfunknetz zugreifen dürfen. Dabei gibt jedes der 16 Zugriffsklassenbits (ACC_CONTR_CLASS : bit (16)) an, ob für die Mobilstationen mit der entsprechenden Nutzerklasse der Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal PRACH gesperrt (barred) ist oder nicht. Die Mobilstation darf nur dann auf den PRACH Kanal zugreifen, wenn sie einer berechtigten Nutzerklasse zugeordnet ist. Der Fachmann kennt ein solches sogenanntes Access Class Barring auch bereits aus dem klassischen GSM Standard, z. B. aus GSM 04.08 (Druckschrift K11, Tabelle 10.48, S. 335) oder GSM 02.11 (Druckschrift K10, Kap. 4 Access Control, S. 9).
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– Schwellwertauswertung: das Gewähren eines Zugriffsrechts anhand der Zugriffsklasse (authorized access class) auf den PRACH führt nicht direkt zum Zugriff. Jede Mobilstation, die zu mindestens einer der berechtigten Klassen gehört (vgl. Kap. 7.1.1, S. 24), hat – zusätzlich – noch einen zufallsbasierten Schwellwerttest durchzuführen (vgl. Abschnitt 7.1.2.1.1 auf S. 24 und 25 i. V. m. Tabelle 86 auf S. 149). Damit offenbart Druckschrift K9, dass anhand des für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbits ermittelt wird, ob die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal, also den PRACH, in Abhängigkeit einer Schwellwertauswertung zu ermitteln ist. Denn für die ausgeschlossenen Nutzerklassen ist keine Zugriffsberechtigung in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung zu ermitteln. Das Zugriffsklassenbit entscheidet allerdings nicht, über welchen Mechanismus zugegriffen werden darf (teilweise Merkmal 6b). Vor einem jeden Zugriffsversuch auf den wahlfreien Zugriffskanal PRACH muss die Mobilstation einen Zufallswert zwischen 0 und 15 wählen (vgl. Kap. 7.1.2.1.1). Dieser Wert wird als Zufallswert R bezeichnet und mit dem aus den Schwellwertbits abgebildeten sogenannten Persistenzwert (PERSISTENCE_LEVEL P(i)) verglichen. Dieser kann einen Wert zwischen 0 und 16 annehmen und ist als Zugriffsschwellwert im Sinne des Streitpatents zu verstehen. Der Schwellwert wird dabei ohne eine weitere Bedingung ermittelt (teilweise Merkmal 5). Eine Mobilstation darf immer dann auf den wahlfreien Zugriffskanal PRACH zugreifen, wenn der übertragene Persistenzwert kleiner oder gleich der zufällig gewählten Zahl R ist (vgl. S. 25, erster Abs.; Merkmal 7). Im Gegensatz zum klassischen GSM Zugriffsverfahren erfolgt damit bereits beim ersten Zugriffsversuch eine zeitliche Verzögerung der Zugriffsversuche, indem für jeden Zugriffsversuch ein neuer Zufallswert ermittelt und eine Zugriffsschwellwertauswertung durchgeführt werden muss (vgl. Kap. 7.1.2.1.1). Der Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal erfolgt somit in Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses, ohne dass die Entscheidung entsprechend Merkmal 8 in Abhängigkeit des Zugriffsklassenbits erfolgt.
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Gehört eine Mobilstation mindestens einer der autorisierten Klassen an und hat sie für den wahlfreien Zugriffskanal PRACH einen erfolgreichen Schwellwerttest durchgeführt, kann sie schließlich auf den wahlfreien Zugriffskanal zugreifen.
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Eine besondere Situation liegt nach Kapitel 5.5.1.3 dann vor, wenn der Packet Broadcast Control Channel (PBCCH) in der Funkzelle nicht zur Verfügung steht (vgl. S. 18). Dann nämlich soll stattdessen auf den klassischen Broadcast Control Channel (BCCH) zurückgegriffen werden, wobei die Zugriffsverfahren dann dem klassischen GSM folgen, z. B. nach GSM 04.08 (Druckschrift K11). Die Zugriffsanfrage erfolgt in diesem Fall nur über den Random Access Channel (RACH). Somit liegt der Fall vor, dass die Mobilstation direkt und unabhängig von empfangenen Schwellwertbits auf einen wahlfreien Zugriffskanal zugreifen kann, und zwar auf den RACH; allerdings besteht hierbei keine Abhängigkeit von einer Nutzerklasse (teilweise Merkmal 6a). Ein Zugriffsschwellwert wird dabei weder empfangen noch ausgewertet – in diesem Fall fehlen die Merkmale 6b, 7 und 8. Dieser Rückgriff auf die klassischen GSM-Kanäle bedeutet auch einen Wechsel von einem paketbasierten GPRS-Datendienst zu einem leitungsbasierten GSM-Datendienst. Damit bietet dieser Sonderfall auch keine Anregung dahingehend, wie für bevorzugte Nutzerklassen ein direkter Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal realisiert werden könnte.
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Beim GPRS-Zugriffsklassenverfahren ist der Schwellwerttest nachgeschaltet und muss für jeden Zugriffsversuch durchgeführt werden, selbst wenn das gesendete L|H-Bit anzeigt, dass die Zugriffsberechtigungsdaten keine Zugriffsschwellwerte enthalten ({L|H *4}; vgl. Tabelle 85, S. 147). Das aus dem GSM-Standard in das GPRS-Verfahren übernommene Zugriffsklassenbit entscheidet damit nicht darüber, ob eine Mobilstation einen direkten Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal bekommt oder einen zufallsbasierten Schwellwerttest durchführen muss. Das Zugriffsklassenbit beim GSM- bzw. GPRS-Zugriffsverfahren hat eine andere Funktion als im Streitpatent: es entscheidet darüber, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse gesperrt oder erlaubt ist (access class barring). Demnach besteht zum Zugriffsverfahren des Streitpatents der wesentliche Unterschied, dass das Zugriffsklassenbit nicht als Verzweigung bzw. als „Weiche“ zwischen den beiden Zugriffsmechanismen entsprechend Merkmal 6 des vorliegenden Anspruchs dienen kann. Damit sind der Druckschrift K9 die Merkmale 6 und 8 nicht zu entnehmen. Die Merkmale 1, 5, 6a und 6b fehlen teilweise.
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Bei der Spezifikation des General Packet Radio Service (GPRS) gemäß Druckschrift K9a (GSM 04.60 V6.1.0) handelt es sich um die Vorgängerversion zu Druckschrift K9. Die Druckschrift betrifft nicht den UMTS Mobilfunkstandard (teilweise Merkmal 1). Wie auch bei der Druckschrift K9 (GSM 04.60 V6.2.0) ist gemäß K9a vorgesehen, dass das Netz über den Packet Broadcast Control Channel (PBCCH) eine Liste von autorisierten Zugriffsklassen versendet. Gehört die Mobilstation zu mindestens einer dieser Zugriffsklassen, wird der Zugriff auf das Netz erlaubt (vgl. Kap. 7.1.1, S. 23, 24). Der Fachmann liest dabei mit, dass die Zugehörigkeit zu mindestens einer Nutzerklasse vorgegeben und wie andere netzbezogene Konfigurationsdaten üblicherweise auf einer SIM-Karte gespeichert ist, entsprechend Merkmal 3. Die mit dem Steuerparameter ACC_CONTR_CLASS übertragene Information versteht der Fachmann als 1-Bit-breite Zugriffsklassenbits. Zu den gesendeten Zugriffsberechtigungsdaten gehören neben den Zugriffsklassenbits auch Zugriffsschwellwertbits, aus denen ein Persistenzwert ermittelt werden kann (vgl. Kap. 7.1.2.1.1 auf S. 24). Dies bedeutet, dass über einen Packet Broadcast Control Channel (PBCCH) Zugriffsberechtigungsdaten als ein Bitmuster übertragen werden, welche neben den Zugriffsklassenbits auch Zugriffsschwellwertbits entsprechend den Merkmalen 2 und 4 aufweisen. Die Vergabe eines Zugriffsrechts anhand des jeweiligen Zugriffsklassenbits führt aber nicht direkt zum endgültigen Zugriff. Dem im GSM-Netz grundsätzlich vorgesehenen Access Class Barring schließen sich gemäß Druckschrift K9a (GSM 04.60 V6.1.0) zwei alternative Zugriffswege an:
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– Beim netzgesteuerten Zugriffsverfahren (
network steered method
) wird aus den über den PBCCH versendeten Zugriffsschwellwertbits ein Persistenzwert (Persistence_Level) ermittelt, welcher die Werte zwischen 0 und 16 annehmen kann (vgl. Kap. 7.1.2.1.1 auf S. 24). Der Persistenzwert kann als Zugriffsschwellwert im Sinne des Streitpatents verstanden werden. Die Mobilstation erzeugt vor einem Zugriffsversuch eine Zufallszahl zwischen 0 und 15. Ist die Zufallszahl kleiner oder gleich als der Persistenzwert, so darf die Mobilstation auf den PRACH zugreifen. Damit erfolgt die Zugriffsberechtigung auf den wahlfreien Zugriffskanal in Abhängigkeit einer Zugriffsschwellwertauswertung (Merkmal 7). Der Schwellwert wird dabei ohne eine weitere Bedingung ermittelt (teilweise Merkmale 5, 6b).
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– Alternativ zum Schwellwertverfahren soll die Mobilstation in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einer Prioritätsklasse und über sogenannte Zeitschlitze zeitlich gesteuert auf den PRACH zugreifen können (
mobile steered method
). Hierbei wird festgestellt, ob ein zu versendendes Datenpaket einer zugriffsberechtigten Prioritätsklasse angehört (PRIORITY_ACCESS_THR : bit (3); vgl. Tabellen 101 und 102, S. 130 / 131 und Kap. 7.1.2.1.2, S. 25). Mobilstationen, die ein Datenpaket einer nicht zugriffsberechtigten Prioritätsklasse senden wollen, wird der Kanalzugriff verweigert.
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Welche der beiden Varianten (network steered method /
mobile steered method) zu wählen ist, bestimmen die vom Netz auf den Packet Broadcast Control Channel (PBCCH) gesendeten Steuerparamater RO_PRI und K_IJ. Werden diese Parameter gesendet, so ist das netzgesteuerte Verfahren (network steered method), also der Schwellwerttest zu durchlaufen (LIH < PERSITENCE_LEVEL : bit (4); vgl. Tabelle 101 und 102, S. 130, 132 i. V. m. letztem Abs., Kap. 7.1.2.1, S. 24). Der Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal erfolgt in diesem Fall für alle nicht durch Access Class Barring ausgeschlossenen Nutzer immer über eine Zugriffsschwellwertauswertung, ohne dass anhand der Zugriffsklasse ein direkter Zugriff – unabhängig von den Zugriffsschwellwertbits – möglich ist. In diesem Fall fehlt Merkmal 6a. Merkmal 8 ist damit nur teilweise bekannt.
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Werden dagegen die Steuerparameter nicht empfangen, d. h. dass das LIH-Bit auf L (Low) gesetzt ist, so entscheidet das 3-wertige Bit des PRIORITY_ACCESS_THR-Feldes, ob die Mobilstation eine Zugriffserlaubnis bekommt (L { ; vgl. Tabelle 101 und 102, S. 130/131). Somit darf die Mobilstation unabhängig von empfangenen Zugriffsschwellwertbits auf einen wahlfreien Zugriffskanal zugreifen (teilweise Merkmal 6a). Der Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal erfolgt damit im Fall des von der Mobilstation gesteuerten Verfahrens (mobile steered method) ohne dass anhand der Zugriffsklasse über das Durchführen einer Zugriffsschwellwertauswertung entschieden wird. Merkmal 8 fehlt auch in diesem Fall teilweise. Die Prioritätsklassenbits verfügen über eine andere Funktion als das (einzige) Zugriffsklassenbit im Streitpatent. Denn die Prioritätsklasse entscheidet nicht darüber, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt. Im Grunde dienen die Prioritätsklassenbits nur dazu, unterschiedlich wichtige Nachrichten einer Mobilstation mit unterschiedlichen Prioritäten versehen zu können. Die Prioritätsklassenprüfung wird erst relevant, wenn bereits eine Entscheidung gegen den Schwellwerttest getroffen wurde.
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Eine nutzerklassenabhängige Unterscheidung zwischen dem netzwerkgesteuerten (network steered method) und dem mobilstationsgesteuerten Zugriffsweg (mobile steered method) ist demnach nicht vorgesehen; auch die Prioritätsklassenbits geben keinen Hinweis darauf, bestimmte, der Mobilstation zugeordnete Nutzerklassen bevorzugt zu behandeln. Damit fehlen auch der Druckschrift K9a die Merkmale 6 und 8. Die Merkmale 1, 5, 6a und 6b sind damit nur teilweise bekannt.
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Somit sieht der GPRS Standard (Druckschriften K9, K9a) das Übermitteln von Zugriffsberechtigungsdaten vor, bestehend aus Zugriffsschwellwertbits und Zugriffsklassenbits. Die Zugriffsklassenbits dienen allerdings abweichend vom Streitpatent dem Sperren des Zugriffs (Access Class Barring). Für die nicht gesperrten Zugriffsklassen erfolgt eine weitere Auswertung anhand des Zugriffsschwellwerts.
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Der Fachmann, der am Prioritätstag vor der Aufgabe stand, den Mobilfunkstandard für den UMTS-Standard auszubauen und weiter zu entwickeln, ist mit den Entwicklungen und Vorschlägen in den Standardisierungsgremien vertraut. Demnach kannte er auch die Ergebnisse des GSM Standardisierungs-Meetings gemäß Druckschrift K7.
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Den von der Beklagten erhobenen Zweifeln, dass das Sitzungsprotokoll gemäß Druckschrift K7 nicht der Öffentlichkeit zugänglich war und das vorgelegte Dokument nicht dem Original entsprechen könnte, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Beklagten wurde im qualifizierten Hinweis die Gelegenheit eingeräumt, ihre Zweifel zu substantiieren, was sie nicht getan hat. Von Bedeutung ist auch, dass das Protokoll gemäß K7 Fragen und Vorschläge an die Mitglieder einer anderen Arbeitsgruppe enthält (from: L1EG To: WP1; vgl. Annex 5), was zusätzlich gegen die Annahme spricht, die im Sitzungsprotokoll aufgeführte Arbeitsgruppe habe Verschwiegenheit vereinbart.
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Druckschrift K7 befasst sich speziell mit der Zugriffssteuerung bei Überlastsituationen. Die Überlegungen hierzu basieren u. a. auf dem in Druckschrift K8 (GSM-74) vorgestellten Algorithmus. Insbesondere soll eine Überlast verhindert werden, indem die Zugriffsrate, mit der die Mobilstationen Zugriffsversuche starten dürfen, abgesenkt wird (retransmission probability, retransmission interval; vgl. Druckschrift K7, Kap. 5.2). Die Übertragungswiederholungsrate soll dabei von der Basisstation bestimmt werden. Dem Begriff retransmission probability entnimmt der Fachmann, dass hier eine Wahrscheinlichkeit vorgegeben wird, die einem Zugriffsschwellwert entspricht. Insbesondere ist offenbart, dass im Mobilfunknetz mehrere Nutzerklassen (certain user groups; closed user group) unterschieden werden können. In extremen Situationen soll es möglich sein, dass bestimmte Benutzergruppen vom Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal ausgeschlossen werden können (vgl. Druckschrift K7, Annex 5, vorletzter Abs.). Hierzu sollen den Mobilstationen über einen Signalisierungskanal Informationssignale gesendet werden. Diese weisen spezielle Nachrichten auf, die als Zugriffsberechtigungsdaten anzusehen sind (group of users could be excluded from system access by order of a special BCCH message; vgl. Druckschrift K7, Kap. 5.2, letzter Absatz und Annex 5). Wie die Daten konkret beschaffen sind, wird nicht angegeben.
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Aus Druckschrift K7 erhält der Fachmann die Anregung, bestimmten Nutzergruppen (Notfalldiensten) „sofort“ den Zugang zum gewünschte Kanal zu geben (vgl. Annex 5, zweiter Abs.):
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„Sofort“ ist dabei als unmittelbar, also ohne weitere Maßnahmen, Zwischenschritte oder Auswahlentscheidungen zu verstehen. Der sofortige Zugriff soll zum Beispiel Notdiensten in Situationen, in denen das Netz durch zu viele gleichzeitige Zugriffe überlastet ist, eingeräumt werden. Dabei handelt es sich um die von den Klägerinnen so bezeichnete „Überholspur“ für Notdienste. Die gesonderte Behandlung dieser Nutzergruppe liegt darin, dass für sie keine abgesenkten Übertragungswiederholungswahrscheinlichkeiten gelten und Übertragungswiederholungsintervalle (retransmission probability, retransmission interval) definiert werden. Eine Zugriffsschwellwertauswertung ist beim sofortigen Zugriff nicht vorgesehen. Ob der sofortige Zugriff durch eine zusätzliche Maßnahme oder durch Aussperren der anderen Nutzerklassen erreicht werden soll, wird in Druckschrift K7 nicht vorgegeben. Auch wird nicht angegeben, anhand welcher Zugriffsberechtigungsdaten entschieden wird, ob die Mobilstation sofort auf den wahlfreien Zugriffskanal zugreifen darf. Ein Zugriffsklassenbit, das darüber entscheidet, ob eine Mobilstation einen direkten Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal bekommt oder einen zufallsbasierten Schwellwerttest durchführen muss, wird nicht offenbart.
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Die Klägerinnen konnten den Senat nicht davon überzeugen, dass der Fachmann die Ausführungen in Druckschrift K7 als hinreichende Veranlassung versteht, ausgehend vom GPRS-Standard (vgl. Druckschriften K9, K9a) zusätzlich einen unmittelbaren Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal für Notdienste basierend auf deren Nutzerklasse einzurichten. Die Umsetzung einer sofortigen Zugriffsgewährung für bestimmte Nutzerklassen hätte in der Mobilstation wie auch im Netzwerk eine umfangreiche programmtechnische Umwidmung der im GPRS Standard verwendeten Nutzerklassenbits zur Folge gehabt, da diese in GPRS nur dem Ausschluss von Klassen vom Zugriff dienen (Access Barring). In einem weiteren Schritt hätte der Fachmann zusätzlich das Schwellwertverfahren anpassen müssen, damit nicht nach der Gewährung der Zugriffsberechtigung noch eine Zugriffsschwellwertauswertung ausgeführt wird. Denn das alleinige Vorsehen einer sofortigen Zugriffsgewährung (immediate) bzw. „Überholspur“ gemäß der Lehre von Druckschrift K7 würde nicht dazu führen, dass die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, entsprechend den Merkmalen 6, 6a und 6b mit einem für die Nutzerklasse der Mobilstation jeweils relevanten einzigen Zugriffsklassenbit erfolgt.
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Zudem darf nicht übersehen werden, dass im GPRS-Standard bereits andere funktionierende Mechanismen für eine bevorrechtigte Zugriffsrechtevergabe vorhanden waren. Bei der Einführung von GPRS wurde nicht vorgesehen, mit einem einzigen Zugriffsklassenbit zu steuern, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt.
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Für den Fachmann ist ausgehend vom GPRS-Standard nach K9 oder K9a auch keine Veranlassung ersichtlich, diesen aufgrund der weiteren vorliegenden Druckschriften so abzuwandeln, dass er hiermit zu einer Lösung entsprechend Anspruch 1 gelangt wäre.
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2.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend vom klassischen GSM-Standard (GSM 02.11, GSM 04.08)
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Der vom Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) veröffentlichte Standard GSM 02.11 gemäß Druckschrift K10 definiert die Zugriffssteuerung im GSM Mobilfunknetz. Die Druckschrift betrifft nicht den UMTS Mobilfunkstandard (teilweise Merkmal 1). Der Standard sieht vor, in Überlastsituationen bestimmte Mobilstationen vom Zugriff auf den wahlfreien Zugriffskanal auszuschließen (vgl. Abs. 4.1 auf S. 9). Die Zugriffssteuerung auf den Zugriffskanal basiert u. a. auf zehn zufällig zugewiesenen Zugriffsklassen (randomly allocated populations; Access Classes 0 to 9). Diese der Mobilstation zufällig zugeteilte Zugriffsklasse wird auf der SIM-Karte gespeichert (vgl. Abschnitt 4.2 auf S. 9). Damit ist jede Station Mitglied einer von zehn Klassen, die von 0 bis 9 durchnummeriert sind. Daneben können die Mobilstationen priorisierter Nutzer zusätzlich zu einer oder mehreren „speziellen“ Zugriffsklassen (Access Classes 11 to 15) gehören, so z. B. zu einem Notdienst (class 14). Die diesen Zugriffsklassen zugeordneten Mobilstationen werden als Nutzer mit höchster Priorität bezeichnet (specific high priority users; Kap. 4.2). Insbesondere wurde damit bereits der Vorteil des direkten Zugriffs für Notdienste in Überlastsituationen bedacht und durch einen priorisierten Zugriff implementiert (Emergency Services Class 14; vgl. Kap. 4.2).
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Die Zugehörigkeit zu einer Nutzerklasse ist fest vorgegeben und wird auf der SIM-Karte gespeichert (vgl. Abs. 4.2 auf S. 9; Merkmal 3). Sowohl die fest vorgegebenen Zugriffsklassen 11 – 15 als auch die zufällig bestimmten Zugriffsklassen 0 – 9 sind als Nutzerklassen anzusehen. Abschnitt 4.3 gibt an, dass im Betrieb ein Zugangsversuch zum Netz nur dann erlaubt ist, wenn die Mobilstation einer zugelassenen Klasse angehört. Hierzu wird den Mobilstationen mitgeteilt, welche der Nutzerklassen auf den Zugriffskanal zugreifen dürfen, also direkt und ohne Schwellwertverfahren (vgl. Abs. 4.3 i. V. m. Abs. 4.1; permitted classes). Die Information weist Zugriffsklassenbits auf und wird als ein Bitmuster über den Broadcast Control Channel (BCCH) übersandt (vgl. Abs. 3.2.2, S. 7, 8; Merkmal 2, teilweise Merkmal 4, ohne Schwellwertbits). Die übrigen Nutzerklassen werden unabhängig von ihrer Bedeutung als normale oder „spezielle“ Klassen zunächst vom Zugriff ausgeschlossen (class(es) of subscribers barred from network access, Kap. 4.1, S. 9). Das für eine Nutzerklasse relevante Zugriffsklassenbit entscheidet somit nicht darüber, ob eine Mobilstation einen direkten Zugriff auf den RACH bekommt oder einen zufallsbasierten Schwellwerttest durchführen muss. Das Zugriffsklassenbit beim klassischen GSM Zugriffsverfahren hat dabei eine andere Funktion als im Streitpatent: Es entscheidet darüber, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse generell gesperrt ist oder nicht (Merkmal 6 fehlt). Ein weiterer Unterschied zum Anspruchsgegenstand des Streitpatents besteht darin, dass der Empfang eines Schwellwertbits sowie eine Schwellwertauswertung im Standard nach GSM 02.11 nicht offenbart sind (Merkmale 4, 5, 6b, 7 und 8 fehlen). Die zufällig zugeteilte Zugriffsklasse im Rahmen der Nummern 0 bis 9 ist dabei nicht als Zugriffsschwellwertbit im Sinne des Streitpatents zu verstehen. Denn sowohl die normalprivilegierten Klassen 0 bis 9 als auch die „speziellen“ Klassen 11 bis 15 sind der Mobilstation als einer Zugriffsklasse zuzuordnen, die angibt, ob sie überhaupt auf den Zugriffskanal zugreifen darf oder nicht.
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Entgegen der Auffassung der Klägerinnen offenbart der GSM Standard 02.11 (Druckschrift K10) nicht, dass eine Mobilstation an einer „Netzlotterie“ beteiligt wird. Auch wird kein Direktzugriff beschrieben. Selbst wenn der Mobilstation aufgrund der in Abschnitt 4.3. offenbarten „zweiten Chance“ durch die Zuordnung zu mehr als einer Klasse (at least one Access Class) der Zugriff über ein normalprivilegiertes Zugriffsklassenbit letzten Endes gewährt wird, so erfolgt die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, nicht in Abhängigkeit von einem einzigen Zugriffsklassenbit der Mobilstation. Auch hier wird anhand des einen, für die Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbit nur ermittelt, ob die Mobilstation direkt auf den RACH zugreifen darf oder ausgeschlossen wird (Any number of these classes may be barred at any one time; vgl. Kap. 4.3).
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Eine zweistufige Prüfung zwischen dem „speziellen“ Zugriffsklassenbit (S-AC Bit) und dem normalen Zugriffsklassenbit (N-AC Bit), wie dies die Klägerinnen gesehen haben wollen, ist nach Auffassung des Senats nicht in Druckschrift K10 offenbart.
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Die Lehre der Druckschrift K14 führt zu keiner anderen Beurteilung der Patentfähigkeit. In diesem Fachbuch wird die GSM Zugriffssteuerung nach GSM 02.11 und insbesondere das Konzept der Zugriffsklassen näher erläutert (vgl. S. 371, 372). Die Zugriffssteuerung auf den wahlfreien Zugriffskanal basiert demnach auf zehn zufällig zugewiesenen Zugriffsklassen. Daneben können die Mobilstationen priorisierter Nutzer zusätzlich zu einer oder mehreren „speziellen“ Zugriffsklassen (Access Classes 11 to 15) gehören, z. B. zur Nutzerklasse 14 (emergency services; vgl. Tabelle 6.4 auf S. 371).
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Bei Druckschrift K11 handelt es sich um einen Auszug aus dem GSM-Mobilfunkstandard 04.08. Das Dokument GSM 04.08 regelt die Einzelheiten der in Druckschrift K10 genannten Zugriffsprozeduren, insbesondere den Zugriff einer Mobilstation auf den wahlfreien Zugriffskanal RACH. Die Zugriffsteuerung im GSM Mobilfunknetz sieht vor, dass jeder Mobilstation zumindest eine Nutzerklasse zugeordnet ist, und zwar entsprechend eines in ihrer SIM-Karte gespeicherten Wertes „Access Class Number“. Dazu werden alle Mobilstationen fest in einer von zehn Klassen eingeteilt. Zudem werden fünf „spezielle“ Zugriffsklassen definiert (vgl. Kap. 3.3.1.1, S. 32; Merkmal 3). Ob die Nutzerklassen berechtigt sind, auf den Kanal RACH zuzugreifen, legt das Netz fest. So werden über den Broadcast Control Channel BCCH regelmäßig an alle Mobilstationen Systeminformationen rundgesendet (vgl. Kap. 3.3.1.1, S. 32 u. Kap. 10.5.2.29, S. 333, 335). Die Systeminformationen enthalten eine Liste der berechtigten Zugriffsklassen und der berechtigten speziellen Zugriffsklassen. Figur 10.47 auf Seite 333 verweist auf die sogenannten RACH Control Parameters, die als Bitmuster über den BCCH übertragen werden (vgl. auch Abs. 3.3.1.1, Abs. 9.1.31, Abs. 10.5.2.29 u. Tabelle 10.48 auf S. 335; Merkmal 2). Diese versteht der Fachmann als Informationssignale mit Zugriffsberechtigungsdaten (teilweise Merkmal 4, ohne Zugriffsschwellwertbits).
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Die RACH Control Parameters legen fest, ob die jeweilige Mobilstation auf den Kanal RACH zugreifen darf oder nicht und umfassen u. a. Bits zur Steuerung von 15 Zugriffsklassen (Access Class, AC). Ist das für eine Nutzerklasse relevante Zugriffsklassenbit auf „1“ gesetzt, ist der Zugriff verwehrt. Des Weiteren wird spezifiziert, dass einer Mobilstation der Zugriff erlaubt ist, wenn das ihrer Zugriffsklasse zugeordnete Bit (AC CN, Access Control Class N mit N = 0 …15) auf „0“ gesetzt ist (vgl. Fig. 10.47 auf S. 333 i. V. m. Tabelle 10.48 auf S. 335). Ist ein „Cell Barr Access“-Bit gesetzt, so ist es keiner Mobilstation erlaubt, auf den RACH zuzugreifen. Zudem enthalten die Systeminformationen ein Bit zur Steuerung von Notrufen (EC C10). Es gibt an, ob allen Mobilstationen in der Zelle Notrufe erlaubt sind oder nur den berechtigten speziellen Nutzerklassen (EC Emergency Call allowed, vgl. Tabelle 10.48, S. 335, Fig. 10.47 auf S. 333 und Kap. 3.3.1.1, S. 32). Der Zugriff auf den RACH erfolgt letzten Endes ohne eine Schwellwertauswertung, also ohne Verzögerung (immediate). Nachfolgende Zugriffsversuche, z. B. infolge von Kollisionen, sind über einen Parameter (T) mit einer zufälligen Verzögerung verbunden. Dabei wird jeder Mobilstation eine Zufallszahl von zwischen 3 und 50 (Zeitschlitzen) zugewiesen, nach denen ein erneuter Zugriffsversuch erfolgen darf (Tx-integer; vgl. Kap. 3.3.1.2 auf S. 32, 33). Außerdem ist vorgegeben, wie oft ein Zugriffsversuch wiederholt werden darf (Max retrans).
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Der Fachmann findet in Druckschrift K11 auch Ausführungen bezüglich eines Mobilfunknetzes, welches nur basierend auf Zugriffsklassen den Zugriff auf den RACH sperren kann (Access Class Barring). Das Zugriffsklassenbit entscheidet dort nicht darüber, ob eine Mobilstation einen direkten Zugriff auf den RACH bekommt oder einen zufallsbasierten Schwellwerttest durchführen muss. Zugriffsschwellwerte sind dabei nicht vorgesehen und werden dementsprechend auch nicht ausgewertet.
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Entgegen der Auffassung der Klägerinnen sind die über die Parameter Tx-integer und Max retrans mit einer zufälligen Verzögerung verbundenen nachfolgenden Zugriffsversuche nicht als Schwellwertverfahren im Sinne des Streitpatents zu verstehen. Diese Mechanismen greifen vielmehr erst, wenn der erste Zugriffsversuch nicht erfolgreich war, z. B. aufgrund von Kollisionen.
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Damit sind den Druckschriften K10, K11 und K14 die Merkmale 5 bis 8 nicht zu entnehmen; die Merkmale 1 und 4 sind den Druckschriften nur teilweise entnehmbar.
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Selbst wenn der Fachmann das aus dem GSM-Standard 02.11 (Druckschrift K10) bzw. 04.08 (Druckschrift K11) bekannte Zugriffsverfahren so ändert oder ergänzt, dass – entsprechend GPRS-Standard gemäß Druckschrift K9 –Zugriffsschwellwertbits (PERSISTENCE_LEVEL) darüber entscheiden, ob der Zugriff zusätzlich verzögert wird, kommt er nicht zum vorliegenden Anspruchsgegenstand. Denn die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt oder ein direkter Zugriff gewährt wird, erfolgt nicht mit einem (einzigen) für die jeweilige Nutzerklasse relevanten Zugriffsklassenbit (vgl. Merkmale 6, 8).
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Nach Überzeugung des Senats veranlasst auch der Anhang 5 zu Druckschrift K7 (GSM-138) den Fachmann nicht dazu, das im GSM Standard festgelegte Prinzip des Access Class Barring, d. h. das vollständige Aussperren bestimmter Nutzergruppen, in Frage zu stellen und stattdessen unter Umgehung des Persistenztests (Zugriffsschwellwertauswertung) einen direkten Zugang für bevorrechtigte Nutzerklassen einzurichten. Denn das Access Class Barring war im GSM-Standard lediglich dafür vorgesehen, den wahlfreien Zugriffskanal zu entlasten und ihn im Bedarfsfall bestimmten Nutzerklassen zu überlassen. Die Umsetzung einer zusätzlichen sofortigen Zugriffsgewährung ohne einen Schwellwertvergleich für bevorrechtigte Nutzerklassen hätte eine umfangreiche programmtechnische Umwidmung der im GSM Standard verwendeten RACH Control Parameters (vgl. K11, Fig. 10.47 auf S. 333) zur Folge gehabt. Ob die Mobilstation nach einem gescheiterten Schwellwertabgleich „eine zweite Chance“ bekommt, der Schwellwertabgleich durch geeignete Wahl des Schwellwerts für eine zu bevorzugende, nicht gesperrte Nutzerklasse immer erfolgreich ist oder von vorneherein eine „Abkürzung“ der Ermittlung der Zugriffsberechtigung erfolgt, stellt aus Sicht des Senats nicht nur gedanklich ein jeweils anderes Konzept dar, sondern bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Auswertungs- und Verarbeitungszeiten auch einen technischen Unterschied. Für entsprechende zusätzliche Maßnahmen fehlt es nach Auffassung des Senats ausgehend vom GSM-Standard auch unter dem Hinweis auf einen „sofortigen“ Zugriff nach Druckschrift K7 an einer Veranlassung des Fachmanns.
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Für den Fachmann war es daher nicht naheliegend, ausgehend vom GSM-Standard unter Berücksichtigung des Anhangs 5 zu Druckschrift K7 (GSM-138) ein Zugriffsverfahren vorzusehen, bei dem die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, mit einem einzigen Zugriffsklassenbit entsprechend den Merkmalen 6, 6a und 6b erfolgt.
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3.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend vom IS-95 Mobilfunkstandard gemäß Druckschrift K12
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Bei Druckschrift K12 handelt es sich um einen Auszug aus dem US-Mobilfunkstandard IS-95. Der Standard spezifiziert die Protokolle für ein Mobilfunknetz, bei dem ein CDMA-Zugriffsverfahren (Code Division Multiple Access) zum Einsatz kommt (vgl. S. 1, sowie Preface u. Section Summary, S. i, ii). Offenbart ist ein zellulär aufgebautes Mobilfunknetz mit Mobilstationen und Basisstationen, ohne dass die Druckschrift den UMTS Mobilfunkstandard betrifft (teilweise Merkmal 1). Im Kapitel 6.6.3.1.1.1 auf den Seiten 6-89 bis 6-90 wird das Zugriffsverfahren zum Zugriff auf einen wahlfreien Zugriffskanal beschrieben (transmits on the
Access Channel using a random access procedure). In Übereinstimmung mit dem Gegenstand gemäß Streitpatent werden die Mobilstationen bestimmten Nutzerklassen zugeordnet. Der Fachmann liest dabei mit, dass die Zugehörigkeit zu mindestens einer Nutzerklasse entsprechend Merkmal 3 auf einer SIM-Karte gespeichert ist. Die Nutzerklassen werden in zehn Nutzerklassen (von 0 bis 9) und weitere bevorrechtigte Nutzerklassen (von 10 bis 15) eingeteilt. Über einen Rundrufkanal sendet das Netz an die Mobilstationen Informationssignale mit Zugriffsberechtigungsdaten (access parameters message). Die Zugriffsberechtigungsdaten werden dabei als ein Bitmuster übertragen (vgl. Kap. 7.7.2.3.2.2, S. 7-97, 7-99; Merkmal 2). Sie enthalten u. a. Persistenzwerte, welche als Zugriffsschwellwertbits zu verstehen sind (vgl. S. 7-97). Für die Nutzerklassen werden unterschiedliche Zugriffsschwellwerte übertragen, wobei für die bevorrechtigten Nutzerklassen 10 bis 15 ein nutzerklassenspezifischer 3-Bit Zugriffsschwellwert (PSIST(10) – PSIST(15)) vorgesehen ist (vgl. S. 7-99, 7-100), die Nutzerklassen 0 bis 9 werden mit einem 6-Bit Zugriffsschwellwert gesteuert (vgl. PSIST(0-9), Tabelle, S. 7-97 u. S. 7-99; teilweise Merkmal 4, ohne Zugriffsklassenbits). Auf Basis dieser Zugriffsschwellwertbits führt die Mobilstation eine Zugriffsschwellwertauswertung durch, um auf den wahlfreien Zugriffskanal zugreifen zu dürfen (vgl. Kap. 6.6.3.1.1.1, S. 6-89 – 6-90). Dabei wird der aus den Schwellwertbits abgebildete Schwellwert P mit einer von der Mobilstation erzeugten Zufallszahl RP verglichen (vgl. Kap. 6.6.3.1.1.2, S. 6-94; Merkmal 7). In Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses kann dann auf den wahlfreien Zugriffskanal zugegriffen werden.
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Der entscheidende Unterschied zum Anspruchsgegenstand gemäß Streitpatent besteht demnach darin, dass die gesendeten Zugriffsberechtigungsdaten keine Zugriffsklassenbits enthalten. Vielmehr wird ausschließlich ein Schwellwerttest durchgeführt. Zwar werden den Nutzerklassen individuelle Zugriffsschwellwerte zugeordnet, mit denen der Zugriff einzelner Nutzerklassen ausgeschlossen werden kann (vgl. PSIST(10) – PSIST(15) und PSIST(0-9), S. 7-97 und S. 7-99, 7-100) – dies führt aber nur zu einer Negativauswahl von nicht zum Zugreifen auf den wahlfreien Zugriffskanal autorisierten Nutzerklassen, wiederum im Sinne des Access Class Barring. Damit fehlen der Druckschrift K12 Hinweise auf die Merkmale 5, 6, 6a, 6b und 8.
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Ferner erhält der Fachmann aus der Druckschrift keinen Hinweis, das im Mobilfunkstandard IS-95 festgelegte Zugriffsverfahren so zu ändern oder zu ergänzen, dass die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, mit einem einzigen Zugriffsklassenbit erfolgt.
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Auch eine Zusammenschau des Stands der Technik gemäß Druckschrift K12 mit den Lehren der übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften führt nicht zu dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner beschränkten Fassung.
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4. Der Fachmann erhält auch aus keiner anderen im Verfahren befindlichen Druckschrift einen Hinweis, das Zugriffsverfahren so zu ändern oder zu ergänzen, dass die Information, ob der Zugriff für eine bestimmte Nutzerklasse vom Vergleich mit einem Zugriffsschwellwert abhängt, mit einem einzigen Zugriffsklassenbit erfolgt.
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Eine Mobilstation mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 in der verteidigten, im europäischen Einspruchsverfahren beschränkt aufrechterhaltenen Fassung ist dem Fachmann auch unter Einbeziehung seines Fachwissens nicht nahegelegt. Vielmehr weist das allgemeine Fachwissen des Fachmanns in eine andere Richtung. Denn die zum Prioritätszeitpunkt gebräuchlichen Mobilfunkstandards beruhen auf einem Zugriffsverfahren, bei dem zur Steuerung von Netzüberlastungen bestimmte Nutzerklassen gesperrt werden.
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Es ist daher anzuerkennen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner nach dem Einspruchsverfahren beschränkten Fassung gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und patentfähig ist.
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B. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

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