Patent- und Markenrecht

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung

Aktenzeichen  3 Ni 37/17 (EP), verb. m. 3 Ni 16/18 (EP)

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:190219U3Ni37.17EP.0
Spruchkörper:
3. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 1 308 455
(DE 699 30 424)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2019 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, die Richter Hermann und Dipl.-Chem. Dr. Jäger und die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 308 455 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. Mai 1999 angemeldeten, die US-amerikanische Priorität 84459P vom 6. Mai 1998 in Anspruch nehmenden und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland vom Europäischen Patentamt erteilten Patents EP 1 308 455 B9, dessen Erteilung am 22. März 2006 und dessen korrigierte Fassung am 14. Juni 2006 veröffentlicht worden ist. Vom Deutschen Patent- und Markenamt wird es unter der Nummer DE 699 30 424 T2 geführt. Das erteilte Patent betrifft eine „Anti-HER2 Antikörperzusammensetzung“ und umfasst 6 Patentansprüche. Der einzige unabhängige Patentanspruch (= Patentanspruch 1) lautet in englischer Verfahrenssprache wie folgt:
2
„1. A composition comprising a mixture of anti-HER2 antibody and one or more acidic variants thereof, wherein the amount of the acidic variant(s) is less than about 25%,
3
and wherein the acidic variant(s) are predominantly deamidated variants
4
wherein one or more asparagine residues of the anti-HER2 antibody have been deamidated, and wherein the anti-HER2 antibody is humMAb4D5-8,
5
and wherein the deamidated variants have Asn30 in CDR1 of either or both
6
VL regions of humMAb4D5-8 converted to aspartate.”
7
Die deutsche Übersetzung des erteilten Patentanspruchs 1 hat folgenden Wort-laut:
8
„1. Zusammensetzung, umfassend ein Gemisch aus Anti-HER2-Antikörper und einer oder mehreren sauren Varianten davon,
9
worin die Menge der sauren Variante(n) weniger als etwa 25 % beträgt,
10
und worin die saure(n) Variante(n) vorwiegend desamidierte Varianten sind, worin ein oder mehrere Asparaginreste des Anti-HER2-Antikörpers desamidiert wurden, und worin der Anti-HER2-Antikörper humMAb4D5-8 ist, und worin in den desamidierten Varianten Asn30 in CDR1 einer der beiden oder beider VL-Regionen von humMAb4D5-8 zu Aspartat geändert ist.“
11
Wegen des Wortlauts der Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
12
Die Klägerinnen greifen das Patent in vollem Umfang an und stützen ihre Nichtigkeitsklagen auf die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Neuheit, der mangelnden erfinderischen Tätigkeit sowie der unzulässigen Erweiterung. Zur Stütze ihres Vorbringens verweisen sie im Wesentlichen auf die folgenden Entgegenhaltungen:
13
BB2 Präsentation von H… auf der Waterside Monoclonal Conference in Norfolk, Virginia, US vom 22. bis 25. April 1996, S. 1 bis 22
14
NiK4 WO 97/04801 A1
15
NiK6 Entscheidung T 2522/10 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts vom 16. April 2015
16
NiK8 Präsentation von H… auf der Waterside Monoclonal Conference in Norfolk, Virginia, US vom 22. bis 25. April 1996, S. 1 bis 7
17
NiK9 Gutachten von Dr. G… vom 18. Dezember 2013, S. 1 bis 30 NiK10 WO 92/22653 A1
18
NiK13 Gutachten von Dr. W… vom 29.06.2011, S. 1 bis 3 mit Annex 1 bis 4
19
NiK19 H… et al., Journal of Chromatography B, 2001, 752, S. 233 bis 24
20
NiK21 J. Baselga et al., Journal of Clinical Oncology, 1996, 14 (3), S. 737 bis 744
21
NiK24 P. Carter, Breast Cancer Advances in biology and therapeutics, F. Calvo, M. Crépin, H. Magdelenat Eds., John Libbey Eurotext, 1996, S. 139 bis 146
22
NiK28 Erklärung von Dr. B… im US-Verfahren betreffend das Patent US 6,339,142 vom 29. August 2017, S. 1 bis 14 mit Exhibit A, S. 15 bis 20 und Exhibit B, S. 21 bis 57
23
NiK30 Ergänzende Erklärung von Dr. B… vom 5. Juni 2018, S. 1 bis 10 mit Appendix 1 bis 4
24
NiK38 M.F. Powell, in R. Pearlman and W…. eds., “Formulation Characterization and Stability of Protein Drugs”, Plenum Press, New York, 1996, S. 1 bis 140
25
NiK41 Pressemitteilung der Firma Genentech vom 19. Dezember 1997 mit dem Titel „Genentech announces phase III investigational trial results“.
26
Die Klägerinnen bestreiten die Neuheit der patentgemäßen Zusammensetzung entsprechend dem erteilten Patentanspruch 1 gegenüber der Druckschrift NiK4. Die in NiK4 offenbarte Lehre sei durch die Bezugnahme auf die Druckschrift NiK10 hinsichtlich der Bereitstellung einer Trastuzumab-Zusammensetzung nacharbeitbar, so dass es sich bei dieser Druckschrift um einen für die Beurteilung der Neuheit relevanten Stand der Technik handle. NiK4 offenbare aus der Sicht der Klägerinnen eine Zusammensetzung, die den Anti-HER2-Antikörper humMAb4D5-8 sowie eine oder mehrere saure Varianten davon enthalte, wobei der Gehalt dieser Varianten in der Zusammensetzung nicht mehr als 18 % betrage. Aus der Beschreibung der NiK4 gehe zudem hervor, dass die Desamidierung der Aminosäure Asparagin in der Position 30 der CDR1 in einer oder beiden VL-Regionen den Hauptabbauweg des Antikörpers humMAb4D5-8 darstelle. Demzufolge offenbare NiK4 sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1.
27
Um neuheitsschädlichen Stand der Technik handle es sich auch bei der Druck-schrift NiK8 bzw. der Druckschrift BB2, deren Offenbarung den Inhalt der NiK8 deckungsgleich mit umfasse. Die Druckschrift NiK8/BB2 (im Folgenden als BB2 bezeichnet) beschreibe eine den Antikörper rhuMAb HER2 enthaltende Zusammensetzung, die außer dem nativen Protein auch Varianten enthalte, die am Asparaginrest 30 desamidiert seien. Den Ausführungen im Gutachten NiK9 zur Folge, liege der mittlere Gehalt der sauren Varianten in dieser Zusammensetzung bei 17,8 % und damit deutlich unter den patentgemäßen 25 %. Die in BB2 gezeigten Ergebnisse der MonoS-Kationenaustauschchromatographie, des Sequenzvergleichs sowie des Bindugsassays belegten zudem, dass es sich bei den desamidierten sauren Asn30-Varianten um die Hauptabbauprodukte in einer aus einer Zellkultur gewonnen Trastuzumab-Zusammensetzung handle.
28
Als neuheitsschädlich erachten die Klägerinnen des Weiteren die Druckschrift NiK10. Sie mache zwar keine expliziten Angaben zu Art und Menge der darin genannten sauren Antikörper-Varianten. Für deren Vorliegen bedürfe es jedoch keiner Erläuterung, da es sich bei der Bildung der sauren desamidierten Asn30-Varianten in der CDR-1 in einer oder beiden VL-Regionen um eine intrinsische Eigenschaft des Antikörpers humMAb4D5-8 handle. Nachdem der Antikörper humMAb4D5-8 in NiK10 entsprechend dem Verfahren der NiK4 hergestellt werde, ergebe sich daraus zwangsläufig auch der patentgemäße Mengenanteil an sauren Varianten von unter 25 %.
29
Die Klägerinnen bestreiten ferner, dass die patentgemäße Zusammensetzung gegenüber einer Kombination der Druckschriften BB2 und NiK4 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, wobei sowohl von NiK4 als auch von BB2 ausgegangen werden könne. Ausgehend von BB2 sei dem Fachmann zum einen die Desamidierung am Asparaginrest in der Position 30 in der CDR1 in einer oder beiden VL-Regionen des Antikörpers Trastuzumab als Hauptabbauweg bekannt. Zum anderen sei der Fachmann motiviert, den Gehalt des nativen Antikörpers in einer Trastuzumab-Zusammensetzung, die für therapeutische Zwecke vorgesehen sei, zu erhöhen, da ihm aus BB2 bekannt sei, dass die sauren Varianten weniger aktiv (82 %) als der native Antikörper (100 %) seien. Bei seiner Suche nach einer Lösung für die patentgemäße Aufgabe ziehe der Fachmann weitere Dokumente in Betracht und stoße dabei auf die Druckschrift NiK4. Eine Kombination von NiK4 und BB2 liege für den Fachmann auf der Hand, da sich beide Dokumente mit demselben Antikörper und demselben technischen Problem befassten, nämlich der Stabilität des Antikörpers. Für eine Kombination der beiden Dokumente spreche für den Fachmann ferner, dass beide Dokumente die Kationenaustauschchromatographie zur Analyse der Abbauprodukte verwendeten.
30
Die NiK4 rücke ein chromatographisches Verfahren unter Einsatz einer Bakerbond Wide-Pore Carboxy Sulfon (CSX)-Säule in das Blickfeld des Fachmanns, welches für die Trennung des nativen Antikörpers Trastuzumab von seinen sauren Varianten jedenfalls im analytischen Maßstab geeignet sei. Dies werde durch die vorgelegten Gutachten NiK28 und NiK30 bestätigt. Der Fachmann könne daher sicher sein, dass die Lehre der BB2 nacharbeitbar sei. Außer Frage stehe außerdem, dass der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents in der Lage gewesen sei den Antikörper „rhuMab HER (humMAb4D5-8)“ herzustellen bzw. käuflich zu erwerben, da dessen Herstellung nicht nur aus der NiB7 und BB2, sondern auch aus der NiK10 bekannt sei, die dessen Herstellung sehr viel detaillierter als das Streitpatent selbst beschreibe. NiK4 vermittle damit eine Erfolgserwartung dafür, den Anteil der in BB2 genannten 25 % an sauren desamidierten Asn30-Varianten in einer Trastuzumab-Zusammensetzung weiter reduzieren zu können. Die bloße Festlegung einer Obergrenze von weniger als 25 % an sauren desamidierten Asn30-Varianten beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
31
Auch die neuen Merkmale im jeweiligen Patentanspruch 1 der Hilfsanträge I und II würden keine erfinderische Tätigkeit erkennen lassen, da die therapeutische Anwendung des anti-HER2-Antikörpers bekannt sei. So seien aus der NiK4 nicht nur pharmazeutisch verträgliche Träger, sondern auch die Sterilität einer Antikörperlösung sowie deren Eignung für die in vivo-Anwendung bekannt.
32
Die Klägerinnen beantragen,
33
das europäische Patent 1 308 455 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
34
Die Beklagte beantragt,
35
die Klagen abzuweisen, hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge I oder II gemäß Schriftsatz vom 8. Mai 2018 erhält.
36
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag mit dem Unterschied, dass die Zusammensetzung „steril“ ist, „zur in vivo-Verabreichung“ bestimmt ist und weiters „einen pharmazeutisch annehmbaren Träger“ umfasst.
37
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag mit dem Unterschied, dass die „Zusammensetzung zur Anwendung in der Therapie“ geeignet ist und „einen pharmazeutisch annehmbaren Träger“ umfasst.
38
Sowohl im Hilfsantrag I als auch im Hilfsantrag II wurde im Vergleich zum Hauptantrag zudem jeweils der erteilte Patentanspruch 6 gestrichen.
39
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und stützt sich dabei auf folgende Druckschriften:
40
NiB1 Schriftsatz im Beschwerdeverfahren T 2522/10-3304 vom 12.11.2014, 9 Seiten
41
NiB2 Declaration der Mitarbeiterin der Beklagten S… vom15.7.2013, 2 SeitenNiB2a Deutsche Übersetzung der NiB2NiB3 Declaration der Mitarbeiterin der Beklagten Y… vom6.6.2013, 3 Seiten, nebst Confidential Annexes A, B, C und DNiB3a Deutsche Übersetzung der NiB3 (ohne Anhänge), 7 SeitenNiB4 Declaration der Mitarbeiterin der Beklagten B1… vom Juni2013, 5 Seiten, nebst Confidential Annexes A, B, C und DNiB4a Deutsche Übersetzung der NiB4 (ohne Anhänge), 10 Seiten
42
NiB5 Declaration des Mitarbeiters der Beklagten S1… vom24.6.2013, 2 Seiten, nebst Annex A
43
NiB5a Deutsche Übersetzung der NiB5 (ohne Anhang), 3 Seiten
44
NiB6 Declaration des Mitarbeiters der Beklagten B2… vom12.7.2013,1 SeiteNiB6a Deutsche Übersetzung der NiB6, 3 SeitenNiB7 P. Carter, Proc. Natl. Acad. Sci. USA, May 1992, 89, S. 4285 bis 4289NiB8 R.J. Harris, Journal of Chronomatography A, 705 (1995) S. 129 bis 134NiB9 Expertise von Prof. D… vom 5.10.2016, 13 Seiten, nebst Exhibits I bis IVNiB9a Deutsche Übersetzung der NiB9 (ohne Exhibits), 21 Seiten
45
NiB10 Expertise von Prof. D… vom 29.12.2017, 9 Seiten, nebst Exhibits I bis IV
46
NiB11 S. Kishishita et al., Journal of Bioscience and Bioengineering, 2015, Vol. 119, No. 6, S. 700 bis 705NiB12 Beipackzettel Protein A SepharoseTM CL-4B Pharmacia Biotech, Pfizer Ex. 1047, 6 SeitenNiB13 Beipackzettel Protein A SepharoseTM CL-4B GE Healthcare Life Siences, Pfizer Ex. 1046, 8 SeitenNiB14 B. Lain, Bio Process Special Report, September 2013, S. 29 bis 38NiB15 WIKIPEDIA Phosphate-buffered saline vom 29.6.2018, 4 SeitenNiB16 N. Jenkins, Cytotechnology (2007), 53, S. 121 bis 125NiB17 Transcript of B…, Ph.D. vom 7.6.2018 in Pfizer ./. Genen-tech, Planet Depos, Worldwide Court Reporting, 93 SeitenNiB18 M. Perry u. a. in E.L.V. Harris u. a., Protein purification applications, Oxford University Press, Oxford, 1990, S. 151 bis 156NiB19 Employee’s Proprietary Information and Inventions Agreement …B2… vom 16.4.1987, 5 SeitenNiB20 Employee’s Proprietary Information and Inventions Agreement …B1 vom 16.4.1986, 5 SeitenNiB21 517 Federal Reporter, 3d Series, S. 1284 bis 1299, 939 Federal Reporter, 2d Series, S. 1568 bis 1574, 583 Federal Reporter, 3d Series, S. 832 bis 849NiB22 Transcript of Carl Scandella, Ph.D. vom 31.5.2018 in Pfizer ./. Genentech, Planet Depos, Worldwide Court Reporting, 99 SeitenNiB23 T. Geiger u. a., The Journal of Biological Chemistry, Vol. 262, Januar 1987, S. 785 bis 794
47
Die Beklagte führt im Wesentlichen aus, dass die Trennung von Antikörpervarianten, die sich lediglich in einer oder zwei Ladungen unterscheiden, zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents keinesfalls Routine gewesen sei. Für die Trennung solcher Antikörpermoleküle habe erstmals das Streitpatent ein Kationenaustauschchromatographieverfahren entwickelt, welches einen bisher nicht bekannten inversen Waschschritt beinhalte.
48
Ein solches Verfahren offenbare folglich keines der zitierten Dokumente NiK4, BB2 oder NiK10 und demzufolge auch keine humMAb4D5-8-haltige Zusammensetzung, die im patentgemäßen Sinn weniger als etwa 25% an sauren desamidierten Asn30-Varianten enthalte, da solche Zusammensetzungen nur unter Anwendung des patentgemäßen Verfahrens erhältlich seien. Überdies offenbare auch keine der genannten Druckschriften unmittelbar und eindeutig die Identität des als „rhuMAb HER2“ bezeichneten Antikörpers mit dem im erteilten Patentanspruch 1 genannten „humMAb4D5-8“. Als weiteres Argument gegen die Neuheitsschädlichkeit des Dokuments NiK4 bzw. BB2 führt die Beklagte ferner die fehlende Ausführbarkeit der darin jeweils beschriebenen Lehre an.
49
Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stelle nach Ansicht der Beklagten die Druckschrift BB2 einen geeigneten Ausgangspunkt dar. Diese Druckschrift liefere allerdings keine Anregungen, die in Richtung der patentgemäßen Lehre weisen würden, da sie zum einen die Entfernung desamidierter Antikörpervarianten nicht als notwendig erachte und zum anderen keine Erfolgserwartung vermittle, dass mit der darin genannten MonoS-Kationenaustauschchromatographie eine Abtrennung der desamidierten Proteinvarianten vom nativen Antikörper möglich sei. Dies erkläre sich damit, dass BB2 zwar den Einsatz einer MonoS-Kationenaustauschersäule zur Auftrennung einer Trastuzumab-Zusammensetzung in das Blickfeld des Fachmanns rücke, allerdings ohne Bedingungen zu nennen, die der Einsatz einer solchen Säule erfordere. Demzufolge liefere die BB2 keinen Hinweis dafür, wie sich die Abtrennung saurer Varianten vom nativen Antikörper mit einer solchen Ionenaustauschchromatographie praktisch realisieren lasse. Selbst eine Übertragung der aus NiB8 bekannten Vorgehensweise auf die Lehre der BB2 führe, wie in NiK13 gezeigt, nicht zu dem in BB2 genannten Ergebnis. Dies bestätige, dass die Bestimmung der exakten Bedingungen, die bei einer Kationenaustauschchromatographie einzuhalten seien, nicht den Routinetätigkeiten zugerechnet werden könnten.
50
Bei der Suche nach den exakten Bedingungen für die in BB2 genannte MonoS-Kationenaustauschchromatographie helfe auch die NiK4 nicht weiter, da in ihr ein anderes Säulenmaterial für die Kationenaustauschchromatographie verwendet werde und der Fachmann weder die Bedingungen für die beiden Säulenmaterialien als austauschbar erachte, noch eine Veranlassung habe, das in BB2 verwendete Material durch das Material der NiK4 auszutauschen. Außerdem stellten die lyophilisierten und stabilisierten Antikörper-Zusammensetzungen der NiK4 bereits ein pharmazeutisches Endprodukt dar, so dass NiK4 keinen Anreiz dafür liefere die zur Analyse dieses Endproduktes eingesetzte CSX-Chromatographie als großtechnisches Aufreinigungsverfahren auszugestalten. Dies ziehe der Fachmann – wie im Gutachten NiB10 bestätigt – auch deshalb nicht in Betracht, weil die bei der Durchführung der CSX-Chromatographie verwendete Temperatur von 40°C sowie der dabei einzuhaltende pH-Wert von 6,9 die Abbauprozesse des Antikörpers beschleunige. Im Übrigen könne das aus einer früheren Screening-Studie stammende Wissen bezüglich der Bildung von desamidierten Asn30-Varianten der leichten Kette sowie von Succinimid102- bzw. isoAsp102-Varianten der schweren Kette in flüssigem Medium, von dem in der NiK4 berichtet werde, nicht auf die in der Figur 5 gezeigten Trastuzumab-Zusammensetzungen übertragen werden, in denen die Antikörper zuerst lyophilisiert und dann rekonstituiert worden seien.
51
Nachdem die Druckschrift NiK4 mit der Stabilität von lyophilisierten Formulierungen des Antikörpers humMAb4D5-8 befasst sei, während sich BB2 mit den aus der Zellkultur gewonnen humMAb4D5-8-Lösungen beschäftige, sei aufgrund der Unterschiedlichkeit der Proben zudem fraglich, ob der Fachmann die Druckschrift NiK4 überhaupt mit BB2 kombiniert hätte. Gegen ein Heranziehen der NiK4 spreche ferner, dass die Lehre der NiK4 auf Proben im analytischen Maßstab ausgerichtet sei, wohingegen sich die BB2 mit einer großtechnischen Produktion befasse. Somit divergierten beide Druckschriften auch in den Produktionsmaßstäben, die den jeweiligen Lehren zugrunde lägen.

Entscheidungsgründe

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Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 1a) und Art. 54 und 56 EPÜ) sowie der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1c) EPÜ) gestützten Klagen sind zulässig.
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Sie erweisen sich auch als begründet, da die Gegenstände des Streitpatents in den verteidigten Fassungen weder neu sind noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
I.
54
1. Das Streitpatent betrifft Anti-HER2 Antikörperzusammensetzungen.
55
Einleitend berichtet das Streitpatent davon, dass die großangelegte wirtschaftliche Reinigung von Proteinen ein zunehmendes Problem für die Biotechnologie-Industrie darstellt. Dies erklärt sich den Angaben im Streitpatent zur Folge damit, dass Proteine üblicher Weise durch Zellkulturen produziert werden, die aus lebenden Organismen bestehen. Demzufolge muss dem Kulturmedium ein komplexes Wachstumsmedium zur Ernährung der Zellen zugesetzt werden. Die Bestandteile des Mediums, wie Zucker, Aminosäuren und Wachstumsfaktoren, führen jedoch zu Verunreinigungen des gesuchten Proteins, die letztendlich wieder abgetrennt werden müssen. Der Aufwand für die Proteinreinigung wird außerdem durch den Umstand erhöht, dass – unabhängig davon, ob das Protein intrazellulär gebildet wird oder aus der Wirtszelle in das umgebende Medium ausgeschleust wird – das Protein in beiden Fällen mit intrazellulären Bestandteilen vermischt ist. Die Aufreinigung des Proteins bis zu einem Reinheitsgrad, der dessen Verwendung als Human-Therapeutikum erlaubt, stellt daher eine enorme Herausforderung dar.
56
Zur Vorgehensweise bei den bekannten Proteinreinigungsverfahren gibt das Streitpatent an, dass hierfür regelmäßig eine Kombination unterschiedlicher Chromatographietechniken eingesetzt wird. Wie dem Streitpatent in seiner einleitenden Beschreibung zu entnehmen ist, lassen sich mit diesen Techniken Proteine auf der Basis ihrer Ladung, ihres Hydrophobiegrades oder ihrer Größe auftrennen. Die Ionenaustauschchromatographie hebt das Streitpatent dabei als eine Chromatographietechnik hervor, die besonders häufig zur Reinigung von Proteinen eingesetzt wird. Das Streitpatent erwähnt außerdem, dass für die verschiedenen Chromatographieverfahren unterschiedliche Harze zur Verfügung stehen, die ein Maßschneidern des Reinigungsschemas für das jeweils betroffene Protein erlauben (vgl. NiK1, Abs. [0002 bis 0005]).
57
2. Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabenstellung darin zu sehen, den monoklonalen humanisierten Anti-HER2-Antikörper mit der Bezeichnung humMAb4D5-8 in einer noch höheren Reinheit zur Verfügung zu stellen.
58
Diese Aufgabenstellung gibt das technische Problem, das für den Fachmann erkennbar mit der Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1 gelöst wird, objektiv wieder.
59
Die Einbeziehung des spezifischen Antikörpers humMAb4D5-8 ist dabei nicht zu beanstanden. Die Beschreibung der Streitpatentschrift macht durch die wiederholte Verknüpfung des Antikörpers mit unterschiedlichen Literaturstellen deutlich, dass sowohl die Identifizierung als auch die Charakterisierung des spezifischen Antikörpers humMAb4D5-8 als die wirksamste Form unter den Anti-HER2-Antikörpern ein von der Lehre des Streitpatents unabhängiges Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit darstellt. Infolgedessen handelt es sich bei der Bereitstellung des Anti-HER2-Antikörpers humMAb4D5-8 nicht um einen Teil der patentgemäßen Lösung, so dass die oben genannte Aufgabenstellung frei von Lösungsansätzen und damit korrekt formuliert ist.
60
Eine davon abweichende Formulierung der Aufgabenstellung, wie sie die Beklagte vorschlägt, etwa als Bereitstellung einer Zusammensetzung enthaltend den Antikörper humMAb4D5-8 mit einer verbesserten therapeutischen Eigenschaft, kommt dagegen nicht in Betracht. Hiergegen spricht, dass das Streitpatent keinerlei Angaben zur therapeutischen Wirkung der patentgemäß aufgereinigten Zusammensetzung enthält. Zudem enthält die Antikörper-Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1 mit beispielsweise 76 % an nativem Antikörper und 24 % an sauren Varianten einen wesentlich geringeren Anteil an nativem humMAb4D5-8-Antikörper als andere, im Stand der Technik bekannte Zusammensetzungen, auf die das Streitpatent selbst verweist (vgl. NiK1, Abs. [0095], letzter Satz mit Hinweis auf WO 97/04801, die vorliegend als NiK4 bezeichnet wird). Und schließlich führt eine höhere Reinheit auch nicht zwangsläufig zu einer verbesserten therapeutischen Wirkung. Folglich orientiert sich die vorgeschlagene Aufgabenstellung in unzulässiger Weise an einem Problem, welches durch die Erfindung nicht gelöst wird (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 4 Rdn. 35, Lit.-Punkt e)).
61
3. Gelöst wird die patentgemäße Aufgabe durch die Zusammensetzung des
62
erteilten Patentanspruchs 1, die in deutscher Sprache folgende Merkmale aufweist:
63
1. Eine Zusammensetzung, die eine Mischung aus einem
64
1.1 Anti-HER2-Antikörper und
65
1.2 einer oder mehreren sauren Varianten davon umfasst,
66
2. wobei der Anti-HER2-Antikörper humMAb4D5-8 ist und
67
3. die Menge der sauren Variante(n) weniger als etwa 25% beträgt, wobei
68
3.1 die saure(n) Variante(n) vorwiegend desamidierte Varianten sind, bei denen ein oder mehrere Asparaginreste desamidiert wurden und
69
3.2 in den desamidierten Varianten das Asparagin in der Position 30 (kurz Asn30) der CDR1 in einem oder beiden VL-Bereichen des hum-MAb4D5-8 zu Aspartat umgewandelt worden ist.
70
4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen in der pharmazeutischen Industrie tätigen Biologen oder Chemiker, jeweils mit Ausbildungsschwerpunkt Biochemie, der über eine mehrjährige Berufserfahrung in der Bereitstellung monoklonaler Antikörper verfügt.
II.
71
1. Da die Patentansprüche die maßgebliche Grundlage des Patentschutzes bilden, sind diese vor der Beurteilung der Patentfähigkeit auszulegen. Dabei ist zu bestimmen, wie weit die offenbarte Erfindung in den Patentansprüchen, vorliegend insbesondere im erteilten Patentanspruch 1, Ausdruck gefunden hat.
72
Der erteilte Patentanspruch 1 mit den patentgemäßen Merkmalen 1. bis 3.2 (siehe Punkt I.3), die eine humMAb4D5-8-Zusammensetzung mit einem Anteil von weniger als 25 % an sauren Antikörper-Varianten mit vorwiegend desamidiertem Asn30 beschreiben, ist als absoluter Erzeugnisanspruch formuliert.
73
1.1 Verfahrenstechnische Maßnahmen haben in diesem Erzeugnisanspruch keinen Niederschlag gefunden.
74
Der Grund hierfür ist, dass es für die patentgemäße Lehre nicht darauf ankommt, wie z. B. der in der patentgemäßen Zusammensetzung enthaltene spezifische Antikörper humMAb4D5-8 hergestellt wird. Deshalb verweist die Streitpatentschrift für die Offenbarung von Daten betreffend die Herstellung sowie die Charakterisierung dieses Antikörpers in ihrer Beschreibung entweder auf diverse Literaturstellen (vgl. NiK1, Abs. [0063], [0095], letzter Satz, und Abs. [0102]), oder macht lediglich allgemein gehaltene Angaben zur rekombinanten Herstellung des Antikörpers (vgl. NiK1, Abs. [0072 bis 0080]). Der spezifische Antikörper ist damit unabhängig von der Art seiner Herstellung in der patentgemäßen Zusammensetzung enthalten.
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Völlig offen ist der erteilte Patentanspruch 1 auch in Bezug auf die Methode formuliert, nach der „die weniger als etwa 25 % an sauren Varianten“ bestimmt werden. Im einzigen Ausführungsbeispiel wird der Wert zwar als Fläche unter den integrierten Peaks des Chromatogramms berechnet (vgl. NiK1, Abs. [0113]). An diese beispielhaft genannte Berechnungsmethode ist der Fachmann jedoch nicht gebunden. Es steht vielmehr in dessen Belieben, mit welcher der im Stand der Technik etablierten Methoden er den Anteil an sauren Varianten ermittelt.
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Aber auch dazu, wie die sauren Varianten in der patentgemäßen Zusammensetzung reduziert werden, finden sich im erteilten Patentanspruch 1 keine verfahrenstechnischen Angaben.
77
Nach Ansicht der Beklagten sei die in den patentgemäßen Merkmalen 3. bis 3.2 definierte Reduzierung der sauren Varianten auf weniger als 25 % nur mit Hilfe einer Ionenaustauschchromatographie möglich, die – wie im patentgemäßen Ausführungsbeispiel 1 beschrieben – einen reversen Waschschritt enthalte. Deshalb seien die im patentgemäßen Merkmal 3 genannten „weniger als etwa 25% an sauren Varianten“ aus ihrer Sicht unweigerlich mit einer Ionenaustauschchromatographie entsprechend dem patentgemäßen Ausführungsbeispiel 1 verbunden.
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Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. In der Beschreibung der Streitpatentschrift wird die Ionenaustauschchromatographie mit inversem Waschschritt für den Erhalt der patentgemäßen Zusammensetzung nicht als unverzichtbar, sondern lediglich als „particularly useful“ und damit als besonders nützlich beschrieben oder allenfalls als besonders vorteilhaft zur Trennung von Polypeptiden erachtet, die sich – wie im vorliegenden Fall – z. T. nur in einer einzigen Ladung unterscheiden (vgl. NiK1, Abs. [0012 und 0092]). Infolgedessen begrenzt weder der Patentanspruch 1 noch die Beschreibung des Streitpatents das Schutzbegehren auf die im Ausführungsbeispiel 1 beschriebene Zusammensetzung, die durch Anwendung einer Ionenaustauschchromatographie mit einem inversem Waschschritt erhalten wird. Eine Beschränkung des erteilten Patentanspruchs 1 auf solche Zusammensetzungen führt daher zu einer unzulässigen Auslegung des erteilten Patentanspruchs 1 unterhalb dessen technischen Wortsinns und ist demzufolge nicht statthaft (vgl. BGH GRUR 2007, 309, 1. Ls. i. V. m. Rdn. 17 – Schussfädentransport).
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1.2 Einer Auslegung bedarf der erteilte Patentanspruch 1 auch in Bezug auf die Menge der in der patentgemäßen Zusammensetzung enthaltenen Mischung sowie in Bezug auf die Menge der einzelnen in dieser Mischung enthaltenen Bestandteile, da der erteilte Patentanspruch 1 hierzu entweder keine Angaben enthält oder lediglich eine allgemeine Obergrenze nennt.
80
So wird die Menge an sauren Varianten darin mit weniger als etwa 25 % angegeben, worunter 24,99 % genauso zu subsumieren sind, wie 0,1, 10 oder 15 %. Eine solche Interpretation der im Patentanspruch 1 genannten Obergrenze steht im Einklang mit den Angaben in der Beschreibung der Streitpatentschrift. Darin wird die genannte Obergrenze mit vorzugsweise weniger als 20 % und in diesem Zusammenhang wiederum mit einem Bereich von etwa 1 % bis 18 % assoziiert (vgl. NiK1, Abs. [0018]). In Übereinstimmung damit enthält die nach dem patentgemäßen Ausführungsbeispiel 1 hergestellte Mischung etwa 13% oder weniger an sauren Varianten (vgl. NiK1, Abs. [0113]). Infolgedessen interpretiert der Fachmann die im Patentanspruch 1 genannte Obergrenze von „weniger als 25 %“ im rein mathematischen Sinn als einen Wert der unter 25 % liegt, aber zugleich größer als Null ist.
81
Für die in der patentgemäßen Mischung enthaltene Menge an nativem Antikörper finden sich im erteilten Patentanspruch 1 dagegen keinerlei Angaben, genau wie zum Maßstab, in dem die patentgemäße Zusammensetzung bereitgestellt wird.
82
Hinsichtlich der Menge an nativem Antikörper, die in der patentgemäßen Mischung enthalten ist, geht der zuvor unter Punkt I.4 definierte Fachmann aufgrund fehlender anderweitiger Angaben bei einer funktionsorientierten Auslegung des Patentanspruchs 1 davon aus, dass der native Antikörper und dessen saure Varianten zusammen 100 % des Gemisches der patentgemäßen Zusammensetzung ausmachen. Da der Anteil der sauren Varianten den vorangegangenen Ausführungen zur Folge bei maximal 24,99 % liegt, ergibt sich rein rechnerisch somit ein Anteil von mindestens 75,01 % für den nativen Antikörper, dessen Anteil folglich mit der Verringerung der Menge an sauren Varianten ansteigt.
83
Über den Herstellungsmaßstab der patentgemäßen Zusammensetzung erfährt der Fachmann im Ausführungsbeispiel 1, dass für die Aufreinigung des Antikörpers eine Kationenaustauschersäule mit einem Volumen von 27 ml verwendet wird (vgl. NiK1, Abs. [0106]). Bei Ladedichten von 15 bis 35 mg an Antikörper pro ml wird für diese Säule eine Produktausbeute im Elutionspool von etwa 75 % errechnet, während sie bei einer Ladedichte von 40 mg/ml nur mehr bei 65 % liegt. Daraus ist für den Fachmann ersichtlich, dass das streitpatentgemäße Ausführungsbeispiel nicht im großtechnischen Maßstab durchgeführt wird (vgl. NiK1, Abs. [0116]). Im Zusammenhang mit den in der Figur 3 gezeigten Ergebnissen spricht das Streitpatent in der Beschreibung allerdings auch ein „full manufacturing scale“ und damit eine großtechnische Produktion an (vgl. NiK1, S. 4, Z. 5/6). Im erteilten Patentanspruch 1 findet allerdings keiner der genannten Produktionsmaßstäbe einen Niederschlag. Die im erteilten Patentanspruch 1 genannten Merkmale 1 bis 3.2 gelten daher sowohl für Antikörper-Zusammensetzungen, die im Labormaßstab generiert werden, als auch für großtechnisch hergestellte Zusammensetzungen.
84
Die Beklagte wendet dagegen ein, dass die patentgemäße Zusammensetzung den bei der Behandlung bestimmter Formen von Brustkrebs wirksamen Antikörper humMAb4D5-8 enthält, was die Bereitstellung der patentgemäßen Zusammensetzung in einer Menge erforderlich mache, die eine therapeutische Behandlung von Patienten über einen längeren Zeitraum ermögliche. Die Angaben zur patentgemäßen Zusammensetzung im erteilten Patentanspruch 1 müssten daher für großtechnisch hergestellte Zusammensetzungen gelten.
85
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Hiergegen spricht einerseits, dass die patentgemäße Zusammensetzung selbst mit der im Ausführungsbeispiel verwendeten 27 ml-Säule, z. B. in Abhängigkeit davon wie häufig die Säule mit nicht aufgereinigtem Antikörper beladen wird, in einer therapeutisch notwendigen Menge erzeugt werden kann. Ein großtechnischer Produktionsmaßstab kann auch deshalb nicht allein daraus abgeleitet werden, dass die Zusammensetzung den therapeutisch wirksamen Antikörper humMAb4D5-8 enthält, da der Antikörper nicht nur auf eine therapeutische Verwendung der Zusammensetzung schließen lässt, sondern noch weitere Einsatzmöglichkeiten eröffnet, wie z. B. diagnostische Zwecke, wofür jedoch wesentlich geringere Mengen benötigt werden. Daraus ergibt sich, dass die dem Antikörper humMAb4D5-8 innewohnende therapeutische Wirkung nicht dazu führt, dass die im erteilten Patentanspruch 1 beschriebene Zusammensetzung als großtechnisch produziertes Produkt zu interpretieren ist.
86
Und selbst wenn der erteilte Patentanspruch 1 eine therapeutische Zweckbindung enthalten würde – was nicht der Fall ist -, wäre diese vorliegend nicht in der Lage, den absoluten Schutzbereich dieses Erzeugnisanspruchs zu beschränken, da der therapeutische Einsatz der patentgemäßen Antikörper-Zusammensetzung eine dem Fachmann bekannte und für diese Zusammensetzung nur beispielhaft genannte Verwendung darstellt, die keine beschränkende Wirkung entfaltet (vgl. Schulte, PatG, 10. Aufl. § 14 Rdn. 101 m. w. N.). Es gilt daher auch in Bezug auf den Produktionsmaßstab, dass die Antikörper-Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1 diesbezüglich keine weitere Einschränkung erfährt.
87
1.3 Wie bereits zuvor ausgeführt, ist dem einschlägig tätigen Fachmann aus der im Streitpatent zitierten Literaturstelle „Carter et al.“ (vgl. NiK1, Abs. [0102]), die vorliegend als NiB7 bezeichnet wird, bekannt, dass der Antikörper hum-MAb4D5-8 das mit Brustkrebs assoziierte Antigen p185HER2 in „in vitro“-Studien 250-fach stärker bindet als die Antikörper-Variante humMAb4D5-1 bzw. 3-mal mehr bindet als die Antikörper-Variante humMAb4D5 (vgl. NiB7, S. 4285, Abstract und S. 4287, Tabelle 1). Ihm ist überdies bekannt, dass bis zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents mit diesem Antikörper bereits klinische Studien der Phasen I bis III bei der Behandlung von Brustkrebs durchgeführt wurden (vgl. NiK24, S. 140, mittlerer Abs.). Es steht daher außer Frage, dass die patentgemäße Zusammensetzung mit dem Antikörper humMAb4D5-8 den in der Fachwelt unter seinem Freinamen Trastuzumab bekannten Antikörper enthält, den die Beklagte in ihren eigenen Veröffentlichungen der Einfachheit halber häufig nur als „monoklonalen Anti-HER2-Antikörper“ bezeichnet (vgl. NiK41, S. 1, erster Abs.). Eine solche Vereinfachung spricht dafür, dass die Beklagte keinerlei Verwechslung mit anderen Anti-HER2-Antikörpern befürchtet. Dies kann nur damit erklärt werden, dass der auf dem Gebiet der Onkologie tätigen Fachwelt zur Behandlung des metastasierenden Brustkrebses zu diesem Zeitpunkt kein anderer Anti-HER2-Antikörper zur Verfügung stand, so dass es sich bei diesem Antikörper um den einzigen, klinisch relevanten Antikörper für die genannte Indikation handelt. Die synonyme Verwendung der Bezeichnungen „Anti-HER2-Antikörper“ und „humMAb4D5-8“ findet sich im Übrigen auch im erteilten Patentanspruch 1. Der im patentgemäßen Merkmal 2 genannte Antikörper kann daher ohne den Sinngehalt dieses Merkmals zu verändern als „Anti-HER2-Antikörper“, „humMAb4D5-8“ oder als „Trastuzumab“ bezeichnet werden.
88
1.4 Schließlich ist noch anzumerken, dass sich weder in der Beschreibung noch in den Zeichnungen der Streitpatentschrift Angaben dazu finden, dass die patentgemäße Trastuzumab-Zusammensetzung einer Lagerung unterzogen wird. Eine solche Angabe findet sich auch im Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 nicht. Es ist demzufolge davon auszugehen, dass die Komponenten der patentgemäßen Zusammensetzung direkt aus der Zellkultur isoliert und im Anschluss daran, ohne zwischenzeitliche Lagerung chromatographisch aufgetrennt werden. Unter der Prämisse, dass das einzige in der Streitpatentschrift enthaltene Ausführungsbeispiel den Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 nicht beschränkt, sei an dieser Stelle lediglich am Rande erwähnt, dass selbst die in diesem Beispiel beschriebene Herstellung der patentgemäßen Zusammensetzung ohne Lagerungsschritt erfolgt (vgl. NiK1, Abs. [0102 bis 0104]).
89
2. Die Antikörper-Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1 erweist sich gegenüber dem Inhalt der Druckschrift NiK4 als nicht neu.
90
2.1 Ein kurzer Rückblick auf die unter Punkt II.1 durchgeführte Auslegung des Wortlauts von Patentanspruch 1 lässt erkennen, dass die im Patentanspruch 1 beschriebene Antikörper-Zusammensetzung allein dadurch charakterisiert wird, dass in ihr der Anteil an sauren Varianten, die überwiegend aus desamidierten Asn30-Varianten bestehen, auf weniger als etwa 25 % reduziert wird.
91
Die Reduzierung der sauren Varianten steht dabei synonym für die Reinheit der patentgemäßen Zusammensetzung. Daran besteht kein Zweifel, da sich die Streitpatentschrift nicht nur einleitend in allgemeiner Form mit der Proteinreinigung befasst, sondern dieser zentrale Punkt der patentgemäßen Lehre auch in anderen Teilen der Beschreibung wiederholt zur Sprache kommt, indem z. B. davon berichtet wird, dass die patentgemäße Zusammensetzung Verunreinigungen enthält, die bei der rekombinanten Herstellung des spezifischen Anti-HER2-Antikörpers humMAb4D5-8 entstehen und mit Hilfe von Reinigungsverfahren letztendlich wieder entfernt werden müssen (vgl. NiK1, Abs. [0002] bis [0005], Abs. [0013], erster und zweiter Satz, Abs. [0020 und 0022] sowie Abs. [0113]). Mithin beschreiben die patentgemäßen Merkmale 3 bis 3.2 nichts Anderes als den Grad der Reinheit der patentgemäßen Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1.
92
Es stellt sich somit die Frage, ob ein derartiges „Reinheitsmerkmal“ überhaupt in der Lage ist, die Neuheit der patentgemäßen Zusammensetzung zu begründen. Einem etablierten Grundsatz folgend kann die Reinheit jedenfalls dann nicht die Neuheit eines bereits bekannten Stoffes begründen, wenn konventionelle Reinigungsverfahren für den im Stand der Technik enthaltenen unreinen Stoff zur Verfügung stehen (vgl. Busse, PatG, 8. Auflage, § 3 Rdn. 108, vierter Satz m. w. N.). Wie schon der Einleitung der Streitpatentschrift zu entnehmen ist, existieren für die Aufreinigung von Antikörpern jedoch zahlreiche konventionelle Chromatographieverfahren, die aufgrund ihrer verschiedenen Harze sogar ein Maßschneidern des Reinigungsschemas auf jedes einzelne Protein erlauben (vgl. NiK1, Abs. [0004], erster bis dritter Satz). Hinzu kommt, dass das Streitpatent im Ausführungsbeispiel für die Reinigung der patentgemäßen Zusammensetzung zwar eine neue Form der Ionenaustauschchromatographie verwendet, dieser dabei kein Alleinstellungsmerkmal einräumt. Der Inhalt der Streitpatentschrift signalisiert somit an keiner Stelle, dass der patentgemäße Reinheitsgrad nur mit dem im Ausführungsbeispiel beschriebenen Verfahren erreichbar ist. Auch wenn die Beklagte in ihrer Argumentation stets von dieser Annahme ausgeht, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sich eine solche Angabe in der Streitpatentschrift nicht findet. Die Offenbarung der Streitpatentschrift lässt vielmehr eindeutig erkennen, dass der Erhalt der Reinheit, wie in den patentgemäßen Merkmalen 3 bis 3.2 angegeben, vorliegend mit konventionellen Techniken erreichbar ist.
93
Die Frage der Neuheit muss im Zusammenhang mit der Reinheit der patentgemäßen Zusammensetzung jedoch nicht abschließend geklärt werden, da sich die Druckschrift NiK4 – wie im Folgenden gezeigt wird – unabhängig davon als neuheitsschädlicher Stand der Technik erweist.
94
2.2 Die Beklagte bestreitet die Neuheitsschädlichkeit der NiK4 schon unter dem Gesichtspunkt, dass die in NiK4 offenbarte Lehre aus ihrer Sicht nicht ausführbar sei.
95
Die Beklagte führt hierzu im Wesentlichen aus, dass in NiK4 weder die Herstellung noch die Aufreinigung des im Beispiel 1 verwendeten Antikörpers humMAb4D5-8 beschrieben sei. Entsprechende Angaben fehlten in der NiK4, da die Proben für das Beispiel 1 der NiK4 von der Beklagten selbst stammten und nach dem patentgemäßen Verfahren hergestellt worden seien, was die von der Beklagten vorgelegten Dokumente NiB2 bis NiB6 bestätigten.
96
Diese Argumentation vermag nicht durchzugreifen. Es ist zwar zutreffend, dass die NiK4 selbst keine Arbeitsanweisung dafür enthält, wie der im Beispiel 1 der NiK4 eingesetzte Antikörper humMAb4D5-8 (Trastuzumab) herzustellen und aufzureinigen ist (vgl. NiK4, S. 18/19, seitenübergreifender Abs.). Dafür enthält die NiK4 jedoch den Hinweis auf die Literaturstelle WO 92/22653, die vorliegend als Dokument NiK10 bezeichnet wird. Gegenstand dieses Dokuments ist ein Verfahren zur Herstellung humanisierter Antikörper. Einer der darin beschriebenen Antikörper ist der Antikörper humMAb4D5-8, so dass es sich bei NiK10 gewissermaßen um das Basispatent für den Antikörper Trastuzumab handelt. In diesem Patent finden sich Angaben dazu, wie aus dem murinen Antikörper MAb4D5 gentechnisch acht humanisierte Varianten erzeugt, diese exprimiert und gereinigt wurden und anhand von Bindungsstudien ermittelt wurde, dass es sich bei der Variante humMAb4D5-8 um die potenteste Antikörper-Variante gegen das Protoonkogen p185HER2 handelt (vgl. NiK10, S. 63 bis 74, Beispiel 1 i. V. m. Tabellen 3 und 4). Die Reinigung der einzelnen Antikörper-Varianten erfolgte entsprechend den Angaben der NiK10 mittels Affinitätschromatographie unter Einsatz einer Protein A-Sepharosesäule (vgl. NiK10, S. 67, Z. 5/6). Die auf diese Weise erhaltenen Antikörper-Proben werden in die Stabilitätsuntersuchungen des Beispiels 1 der NiK4 eingesetzt (vgl. NiK4, S. 19, Z. 1/2).
97
Auch wenn sich danach die Lehre der NiK4 nicht direkt mit der Herstellung und Aufreinigung des Antikörpers humMAb4D5-8 beschäftigt, kann dennoch keine Rede davon sein, dass sich in der NiK4 keine Angaben dazu finden, wie der Fachmann den Antikörper Trastuzumab in einer Reinheit und Menge in die Hände bekommt, die für die Durchführung der Stabilitätstests der NiK4 ausreichen. Selbst wenn für die Tests im Beispiel 1 der NiK4 mehr Antikörper-Material als die in NiK10 genannten mehreren hundert Mikrogramm notwendig sein sollten (vgl. NiK10, S. 70, Z. 20 bis 22), weisen die Angaben von NiK4 und NiK10 dem Fachmann in jedem Fall die Richtung, in der er unter Einsatz seines Fachwissens weiterarbeiten kann, um Trastuzumab in der entsprechenden Menge und Reinheit zu erhalten (vgl. BGH GRUR 2014, 758, Ls. 2a. und 2b. i. V. m. Rdn. 39 und 40 – Proteintrennung). Dass trotz dieser Kenntnis Modifikationen am Chromatographieverfahren, wie z. B. eine Optimierung der Salzkonzentration der verwendeten Puffer, des pH-Wertes oder der Säulentemperatur, vorgenommen werden oder geeignete Wirtszellen für die Expression des Antikörpers ermittelt werden müssen, geht dabei nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinaus.
98
Dass der zuvor angelegte Maßstab bei der Bewertung der Ausführbarkeit der in NiK4 offenbarten Lehre gerechtfertigt ist, macht ein Vergleich mit der im Streitpatent offenbarten Lehre deutlich. Denn auch das Streitpatent verweist bei der Bereitstellung von Trastuzumab auf Sekundärliteratur, wie die Druckschriften NiK4 und NiB7, und schreibt dem Fachmann in Bezug auf die Aufreinigung von Antikörpern einen derart fundierten Kenntnisstand zu den gängigen Chromatographieverfahren zu, der ihm sogar die maßgeschneiderte Aufreinigung eines jeden Proteins/Antikörpers ermöglicht (vgl. NiK1, Abs. [0004], Sätze 1 bis 3 und Abs. [0095], letzter Satz sowie Abs. [0102]). Die Anerkennung der Ausführbarkeit der in NiK4 offenbarten Lehre ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt geboten.
99
Der hiergegen von der Beklagten unter Vorlage der Dokumente NiB2 bis NiB6 erhobene Einwand, mit denen belegt werden soll, dass die in Figur 5 der NiK4 gezeigte Trastuzumab-Zusammensetzung mit einer Reinheit von 82 % an nativem Antikörper und 18 % an Antikörper-Varianten allein durch das patentgemäße Ionenaustauschverfahren mit inversem Waschschritt herstellbar ist, führt zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage. Denn wie bereits zuvor mehrfach festgestellt, erhebt weder das Streitpatent einen Anspruch darauf, dass eine Trastuzumab-Zusammensetzung mit dem patentgemäßen Reinheitsgrad nur nach einem speziellen Verfahren erhältlich ist, noch findet sich in der NiK4 ein Hinweis dafür, dass der Erhalt der in Figur 5 gezeigten Trastuzumab-Zusammensetzung ein spezielles Verfahren erfordert. Für die Beurteilung der Ausführbarkeit der in NiK4 offenbarten Lehre besteht daher keine Notwendigkeit dafür, festzustellen, mit welchen Verfahren die Zusammensetzung der NiK4 hergestellt werden kann und mit welchen nicht, sondern lediglich dafür, dass die Trastuzumab-Zusammensetzung mit den in NiK4 offenbarten Merkmalen grundsätzlich erhältlich ist und der native Antikörper von seinen Varianten mittels Kationenaustauschchromatographie zumindest im analytischen Maßstab abgetrennt werden kann. Daran besteht aus den zuvor genannten Gründen jedoch kein Zweifel.
100
Die Druckschrift NiK4 stellt infolgedessen relevanten Stand der Technik für die Beurteilung der Neuheit dar.
101
2.3 Die in NiK4 offenbarte Lehre ist mit der Herstellung rekonstituierbarer (=wieder in Lösung bringbarer), stabiler lyophilisierter (= gefriergetrockneter) Proteinlösungen für die subkutane Verabreichung befasst (vgl. NiK4, Titel i. V. m. Abstract).
102
Die im Beispiel 1 der NiK4 beschriebene Proteinlösung beinhaltet den Anti-HER2-Antikörper humMAb4D5-8 (Trastuzumab) und weist damit die patentgemäßen Merkmale 1.1 und 2 auf (vgl. NiK4, S. 4, Z. 20 bis 24 i. V. m. S. 19, Z. 1/2). In Verbindung mit dem im flüssigen Zustand vorliegenden nativen Antikörper Trastuzumab beschreibt die NiK4 ferner dessen Abbauwege als Desamidierung des Asparaginrests in der Position 30 der leichten Kette sowie als Isoaspartat- bzw. Succinimidbildung am Aspartatrest in der Position 102 der schweren Kette, wobei die Succinimidbildung bei pH 5,0 überwiegt (vgl. NiK4, S. 19, Z. 11 bis 16 und S. 26, Z. 14 bis 16). Wie das nachfolgende Reaktionsschema belegt, entstehen nur bei der in NiK4 angegebenen Desamidierung in der Position Asn30 Antikörper-Varianten mit neuen freien OH-Gruppen, die durch die dabei entstehenden COOH-Gruppen demzufolge den Anteil an sauren Varianten effektiv erhöhen (vgl. NiK35, S. 339, Fig. 6):
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
103
Die Bildung des zyklischen Succinimids erfolgt dagegen ohne die Bildung neuer OH-Gruppen und auch bei der Umwandlung vom Aspartat120 zum Iso-Aspartat120 entstehen keine neuen OH-Gruppen. Angaben dazu, dass Asp30 teilweise oder vollständig in isoAsp30 umgewandelt wird, finden sich in NiK4 nicht. Da die analytische Trennung der Trastuzumab-Zusammensetzung in NiK4 mittels CSX-Säule bei einem pH von 6,9 durchgeführt wird und damit bei einem pH-Wert, bei dem laut NiK4 die Succinimidbildung nur eine untergeordnete Rolle spielt, erweist sich dieser Abbauweg unter den genannten Bedingungen nicht als dominant (vgl. NiK4, S. 19, Z. 13 bis 16 und S. 26, Z. 17 bis 20). Mit diesen Angaben offenbart die NiK4 folglich unmittelbar und eindeutig, dass in einer nicht gelagerten und keinen speziellen Bedingungen ausgesetzten Trastuzumab-Zusammensetzung die sauren Abbauprodukte überwiegend aus desamidiertem Asn30 bestehen. Mithin erfüllt die in NiK4 beschriebene Trastuzumab-Zusammensetzung auch die patentgemäßen Merkmale 3.1 und 3.2.
104
Um die durch die genannten Abbauwege bedingten Verluste an nativem Antikörper ermitteln zu können, werden vier rekonstituierte Trastuzumab-Lösungen in der NiK4 untersucht. Ein Ergebnis dieser Analyse ist in der Figur 5 der NiK4 zusammengefasst, wobei die darin angegebenen prozentualen Mengen an nativem Antikörper über die Peakfläche des nativen Antikörpers relativ zur gesamten bei der Kationenaustauschchromatographie mit einer CSX-Säule gemessenen Peakfläche ermittelt werden (vgl. NiK4, S. 4, Z. 20 bis 24 i. V. m. S. 26, Z. 17 bis 20). Wie der Figur 5 zu entnehmen ist, beinhalten alle vier Proben zum Zeitpunkt der Probenherstellung 82 % an nativem Antikörper und demzufolge nur maximal 18 % an Abbauprodukten, unter denen sich den vorangegangenen Ausführungen zur Folge saure Antikörper-Varianten befinden, die vorwiegend auf die Desamidierung von Asn30 zurückgehen. Infolgedessen erfüllt die humMAb4D5-8-Zusammensetzung der NiK4 auch die patentgemäßen Merkmale 1 und 3. Daraus ergibt sich, dass die NiK4 eine Zusammensetzung offenbart, die sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 aufweist.
105
Die Beklagte wendet dagegen ein, dass in NiK4 lediglich die Menge des nativen Antikörpers konkret bestimmt werde, während die Zusammensetzung der Abbauprodukte unbestimmt bleibe. Zudem werde die Desamidierung darin in einem anderen Kontext als Hauptabbauweg genannt. Die NiK4 enthalte daher keinerlei Angaben dazu, dass es sich bei der Desamidierung von Asn30 um eine intrinsische Eigenschaft des Antikörpers humMAb4D5-8 (Trastuzumab) handle. Die NiK4 offenbare demzufolge keine Trastuzumab-Zusammensetzung mit den patentgemäßen Merkmalen 3.1 und 3.2.
106
Dieser Sichtweise kann sich der Senat aus folgenden Gründen nicht anschließen: Andya et al. beschäftigen sich in NiK4 mit stabilen Proteinlösungen für den therapeutischen Einsatz, die zuerst lyophilisiert und anschließend wieder in Lösung genommen werden (vgl. NiK4, S. 1, Z. 4 bis 6). Die von ihnen im Beispiel 1 untersuchten Lösungen enthalten als wirksame Komponente den Antikörper humMAb4D5-8 (Trastuzumab). Um Aussagen über die Stabilität dieses Antikörpers machen zu können, müssen sich Andya et al. unwillkürlich mit dessen natürlichen Abbauwegen auseinandersetzen. Sie unterscheiden dabei ausdrücklich zwischen solchen Abbauwegen, die im flüssigen Zustand beobachtet werden und denjenigen, die der Antikörper nach Lyophylisierung, d. h im trockenen Zustand, zeigt. Dies wird dadurch deutlich, dass die Autoren der NiK4 den Abbau flüssiger Proben mit einer Kationenaustauschchromatograpie analysieren, während sie die im trockenen Zustand als Abbauprodukte identifizierten Aggregate mittels Größenausschlußchromatographie untersuchen (vgl. NiK4, S. 19, Z. 25 bis 27 und S. 26, Z. 14 bis 20).
107
Über die Abbauwege des flüssigen Antikörpers humMAb4D5-8 ist den Autoren der NiK4 – wie bereits zuvor ausgeführt – bekannt, dass sich die Desamidierung am Asparaginrest in der Position 30 der leichten Kette als Hauptabbauweg erweist. Diese Beobachtungen aus früheren Studien stehen in keinerlei Widerspruch zu den in NiK4 gegenständlichen Stabilitätsuntersuchungen. Sie bilden vielmehr die Grundlage für die Stabilitätsuntersuchungen der NiK4. Aufgrund dessen nehmen Andya et al. bei ihren aktuellen Untersuchungen auch auf die früheren Studienergebnisse direkten Bezug, da die aktuellen Stabilitätsuntersuchungen der NiK4 an flüssigen, d. h. rekonstituierten humMAb4D5-8-Proben, die für eine subkutane Verabreichung vorgesehen sind, durchgeführt werden (vgl. NiK4, S. 26, Z. 14/15). Anders als von der Beklagten angenommen, stehen die aus früheren Studien bekannten Abbauwege des in flüssiger Form vorliegenden nativen Antikörpers Trastuzumab daher in keinem anderen Kontext als bei den Stabilitätsuntersuchungen der NiK4. Die Übereinstimmung der Abbauwege des nativen Antikörpers Trastuzumab in früheren sowie aktuellen Untersuchungen macht vielmehr deutlich, dass es sich bei den beschriebenen Abbauwegen um eine inhärente Eigenschaft des nativen Antikörpers Trastuzumab handelt, die immer dann zu beobachten ist, wenn der Antikörper in flüssiger Form vorliegt und keinen forcierten Alterungsprozessen oder gezielt niedrigen pH-Werten ausgesetzt wird.
108
Es ist überdies keinesfalls zutreffend, dass die Autoren der NiK4 den in flüssigen Trastuzumab-Proben stattfindenden Abbaureaktionen keine Beachtung schenken und nur die Menge an nativem Antikörper bestimmen. Richtig ist vielmehr, dass Andya et al. mit Hilfe einer CSX-Kationenaustauschchromatographie die Desamidierung und Succinimidbildung in flüssigen Trastuzumab-Proben exakt analysieren (vgl. NiK4, S. 26, Z. 17 bis 31). Nachdem es für die in NiK4 offenbarte Lehre letztendlich jedoch nur darauf ankommt, wieviel nativer Antikörper unter gewissen Bedingungen nach einer bestimmten Lagerdauer in einer Probe vorhanden ist und den Autoren die Abbauwege und Abbauprodukte bestens bekannt sind, erübrigt es sich für Andya et al. außer den in der Figur 5 gezeigten 82 % an nativem Antikörper auch die bereits abgetrennten 18 % an Antikörper-Varianten anzugeben. Die fehlende graphische Darstellung der 18 % an Antikörper-Varianten in Figur 5 ändert jedoch nichts daran, dass der Beschreibung der NiK4 die Desamidierung des Asparaginrestes an der Position 30 der leichten Kette als dominanter Abbauweg in flüssigen Produktionschargen des Antikörpers Trastuzumab zu entnehmen ist. In der NiK4 findet sich daher eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für die patentgemäßen Merkmale 3.1 und 3.2 (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 1. Ls i. V. m. Rdn. 25 – Olanzapin).
109
Aus den von der Beklagten zitierten Darlegungen in Druckschriften, wie der Druckschrift NiK38, wonach zahlreiche andere Untersuchungen an flüssigen Trastuzumab-Proben gezeigt hätten, dass außer der Asn30-Desamidierung auch die Isoaspartatbildung sowie die Succinimid-Bildung wichtige Abbauweg darstellten, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die in NiK4 genannten 18 % an Abbauprodukten vorwiegend saure desamidierte Asn30-Varianten enthielten, ergibt sich kein neuer Gesichtspunkt (vgl. NiK38, S. 20, erster Abs.).
110
Die Druckschrift NiK38 lehrt nichts Anderes als die Druckschrift NiK4. Der Autor der Druckschrift NiK38 macht lediglich einmal mehr deutlich, dass der Aspartatrest an der Position 102 in der schweren Kette von Trastuzumab nicht bereits bei der Produktion sondern erst nach einer Lagerzeit von 1,5 Jahren in ein Succinimid bzw. ein Isoaspartat umgewandelt wird. Er führt zudem aus, dass diese Art der Abbauprodukte eine untergeordnete Bedeutung hat, da die Abbauprodukte ihre volle biologische Aktivität beibehalten (vgl. NiK38, S. 20, erster Abs.). Den Asparaginrest in der Position 30 der CDR1 identifiziert der Autor der NiK38 dagegen ebenfalls als die prominenteste Stelle für eine Desamidierung in der leichten Kette des Antikörpers Trastuzumab, die bereits während des Zellkulturprozesses seinen Untersuchungen zur Folge typischerweise 10 bis 12 % ausmacht (vgl. NiK38, S. 21, erster Abs.). In Übereinstimmung mit den Angaben in der NiK4 bestätigt die NiK38 somit, dass der Hauptabbauweg des nativen Antikörpers Trastzumab in herkömmlichen Produktionschargen, die keinen ungewöhnlichen Lagerbedingungen ausgesetzt sind, in der Desamidierung von Asn30 zu sehen ist, da sich eine Succinimid- oder Isoaspartat-Bildung erst nach einer längeren Lagerung des Antikörpers bzw. unter bestimmten Bedingungen, wie einem pH-Wert von 5, einstellt. Auch ohne die Bestätigung dieser Aussage durch die Angaben in der nachveröffentlichten Druckschrift NiK19 sieht es der Senat daher als erwiesen an, dass es sich – wie in NiK4 offenbart – bei der Desamidierung von Asn30 in der CDR1 der leichten Kette um den Hauptabbauweg des in flüssiger Form aus einer Zellkulturcharge gewonnen Antikörpers Trastuzumab handelt und damit der vorwiegende Anteil in den 18% an Verunreinigungen der in NiK4 beschriebenen Trastuzumab-Proben aus desamidiertem Asn30 besteht (vgl. NiK19, S. 237, spaltenübergreifender Abs. und S. 243, li Sp., zweiter Abs.).
111
Dass die rekonstituierten Trastuzumab-Proben der NiK4 zusätzlich verschiedene stabilisierende Substanzen enthalten, wie Succinate (= Salze der Bernsteinsäure), Trehalose (= Disaccharid) und Tween (= grenzflächenaktive Substanz), stellt die Neuheitsschädlichkeit der NiK4 ebenfalls nicht in Frage, da der erteilte Patentanspruch 1 den Zusatz solcher Substanzen nicht ausschließt (vgl. NiK4, S. 4, Z. 20/21 i. V. m. Patentansprüchen 1 bis 5).
112
3. Dessen ungeachtet beruht die Trastuzumab-Zusammensetzung des erteilten Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
113
3.1 Vorliegend erweist sich die Druckschrift BB2 als ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
114
Die in Form einer Präsentation vom April 1996 vorliegende Druckschrift BB2 befasst sich inhaltlich mit den Prozessen zur Entwicklung des humanisierten mono
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klonalen Antikörpers rhuMAb HER2 sowie mit Aspekten betreffend dessen industrielle Herstellung (vgl. BB2, S. 2 und S. 3, jeweils obere Folie). Von einem solchen Dokument erwartet der Fachmann, dass er darin Angaben findet, die ihm bei der Lösung der patentgemäßen Aufgabe – wie zuvor unter Punkt I.2 definiert – helfen.
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Gegen die Wahl der Druckschrift BB2 als Ausgangspunkt spricht dabei nicht, dass in der BB2 von dem als „rhuMAb HER2“ bezeichneten Antikörper (vgl. BB2, S. 2, untere Folie) berichtet wird, da – wie bereits in den vorangegangenen Ausführungen festgestellt (siehe Punkt II.1.3) – die Fachwelt darin mit Gewissheit den Antikörper humMAb4D5-8 erkennt, der den internationalen Freinamen Trastuzumab trägt. Um diesbezüglich jeglichen Zweifel auszuräumen, sei an dieser Stelle ergänzend darauf hingewiesen, dass auf einer Konferenz im März 1996, die somit in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der April-Konferenz der BB2 stattgefunden hat, gleichfalls vom „rhuMAb HER2“-Antikörper berichtet und dessen Herstellung darin mit der Bereitstellung des Antikörpers humMAb4D5-8 gleichgesetzt wird (vgl. NiK21, S. 737, spaltenübergreifender Abs. i. V. m. S. 738, li Sp., zweiter Abs. mit Referenznummer 22, welche NiB7 entspricht; vgl. NiB7, S. 4285, Abstract). Eine Assoziation von der auch die Streitpatentschrift ausgeht (vgl. NiK1, Abs. [0102]). Die Identität des auf den beiden Konferenzen genannten Antikörpers „rhuMAb HER2“ ergibt sich wiederum daraus, dass sowohl der Antikörper der März-Konferenz als auch der Antikörper der April-Konferenz spezifisch gegen das Protoonkogen p185HER2 gerichtet ist und der Antikörper entweder in einer klinischen Studie der Phase II (vgl. NiK21) oder der Phase III (vgl. BB2) zur Behandlung bei metastasierendem Brustkrebs eingesetzt wird (vgl. BB2, S. 2, untere Folie, letzter Aufzählungspunkt; vgl. NiK21, S. 737, Titel i. V. m. li Sp., Abschnitt „Purpose“). Nachdem sich die Präsentation BB2 somit eindeutig mit dem im patentgemäßen Merkmal 2 des erteilten Patentanspruchs 1 genannten Anti-HER2-Antikörper humMAb4D5-8 befasst, stellt die BB2 einen geeigneten Ausgangspunkt bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit dar.
117
Die Beklagte bestreitet die Eignung der BB2 als Ausgangspunkt mit der Begründung, dass sich in der BB2 keine Angaben dazu fänden, wie sich die darin gezeigte chromatographische Trennung von nativem Antikörper und sauren Antikörper-Varianten praktisch realisieren lasse, da die analytische Trennung der Antikörper-Zusammensetzung mit der in BB2 allgemein genannten MonoS-Kationenaustauschchromatographie den Angaben in NiK13 zur Folge nicht nacharbeitbar sei und sich die Lehre der BB2 somit als nicht ausführbar erweise. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die in Rede stehende chromatographische Trennung unter Einsatz einer CSX-Säule möglich sei, da hierfür erst verschiedene Parameter anzupassen seien. Eine Anwendung der CSX-Säule erfordere demzufolge Veränderungen, die über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinausgingen.
118
Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Harris in seiner Präsentation BB2 zu den exakten Versuchsbedingungen, die von ihm bei der Trennung des nativen Antikörpers Trastuzumab von dessen sauren Varianten mittels Kationenaustauschchromatographie angewendet worden sind, keine näheren Angaben macht und es damit offen lässt, wie das Chromatogramm auf Seite 3 der BB2 zustande gekommen ist. Nachdem dem Fachmann jedoch bewusst ist, dass wissenschaftliche Präsentationen, wie die BB2, derartige Details in aller Regel nicht enthalten, sucht der Fachmann in einem solchen Fall gezielt nach weiteren Veröffentlichungen des Autors, in denen der Autor ebenfalls auf den Antikörper rhuMAb HER2 bzw. Trastuzumab Bezug nimmt und stößt dabei auf die Druckschrift NiB8. In ihr findet der Fachmann nähere Angaben zu der Durchführung einer Kationenaustauschchromatographie mittels einer MonoS-Säule. Wie das in der Figur 2 der NiB8 gezeigte Chromatogramm belegt (vgl. NiB8, S. 130, Abschnitt 2.2 und 2.3 i. V. m. S. 132, Fig. 2), ermöglichen die in NiB8 genannten Bedingungen eine Auftrennung von Trastuzumab und dessen sauren Varianten in einer Art und Weise, wie sie auch das Chromatogramm der BB2 wiederspiegelt (vgl. BB2, Fig. 3, untere Folie). Allerdings geht der Fachmann selbst bei den Angaben der NiB8 nicht davon aus, dass er diese bei einer Nacharbeitung 1:1 übernehmen kann, da er solche Daten nicht als „Gold-Standard“ ansieht, sondern lediglich als richtungsweisende Angaben, in deren Sinn er weiterarbeiten kann, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Der Fachmann muss daher kein Forschungsprogramm initiieren, wenn ihm bei einem Vergleich der Angaben in der NiB8 und der BB2 z. B. auffällt, dass in der BB2 eine Zunahme der Desamidierung von Trastuzumab während einer Lagerung der Antikörper-Lösung bei 2 bis 8°C beschrieben wird (vgl. BB2, S. 6, obere Folie, letzter Aufzählungspunkt), die in NiB8 verwendete MonoS-Säule für die Auftrennung der Antikörper-Zusammensetzung im Gegensatz dazu aber eine Säulentemperatur von 40°C erfordert, was einen Anstieg der Desamidierung während der Auftrennung vermuten lässt. Das Auffinden einer Lösung für diese Diskrepanz gehört vielmehr zu den Routinetätigkeiten des Fachmanns. Seinem allgemeinen Können und Wissen entsprechend unternimmt der Fachmann in diesem Fall Versuche die MonoS-Säule bei niedrigeren Temperaturen zu fahren, oder aber eine andere Kationenaustauschersäule zu verwenden, die ein anderes Harz als die MonoS-Säule aufweist. Den praktischen Erfolg, der sich einstellt, wenn statt einer MonoS-Säule eine CSX-Säule verwendet wird, bestätigt vorliegend die Nacharbeitung NiK13 (vgl. NiK13, Rdn. 7). Dass derartige Überlegungen dem allgemeinen Können und Wissen des Fachmanns ohne Weiteres zuzurechnen sind, bestätigt die Einleitung der Streitpatentschrift, aus der hervorgeht, dass der Fachmann nicht nur diverse Chromatographietechniken beherrscht, sondern für die einzelnen Techniken auch diverse Harze kennt, die ihm ein Maßschneidern jedes einzelnen Reinigungsschemas ermöglichen (vgl. NiK1, Abs. [0004], dritter Satz).
119
Die Beklagte trägt als weiteren Einwand gegen die Ausführbarkeit der in BB2 beschriebenen Lehre vor, dass die in BB2 empfohlene MonoS-Säule schon wegen ihrer Abmessungen für die in BB2 angegebene Produktionsmenge von 12.000 L nicht geeignet sei. Die BB2 enthalte daher keine Angaben dazu, auf welche Weise sich die Trennung von nativem Antikörper und Antikörper-Varianten im präparativen Maßstab realisieren lasse.
120
Diesbezüglich ist Folgendes festzustellen: Der Fachmann erkennt anhand der auf S. 3 der Präsentation BB2 gezeigten Angaben mit der Überschrift „rhuMAb HER2 Structure“, dass die MonoS-Säule in diesem Fall für strukturelle analytische Zwecke verwendet wird, um die in einer Antikörper-Probe enthaltenen einzelnen Antikörper-Komponenten zu bestimmen. Es versteht sich für den Fachmann daher von selbst, dass für die Trennung der einzelnen Komponenten im großtechnischen Maßstab ein sog. „Scale-up“ erfolgen muss, d. h., dass das Volumen der Kationenaustauschersäule an den Produktionsmaßstab angepasst werden muss. Die sich bei einem solchen „Scale-up“ ergebenden Probleme kennt der Fachmann jedoch aus seinem beruflichen Alltag und kann daher auf verschiedene Möglichkeiten zur Lösung solcher Probleme zurückgreifen. Ein „Scale-up“ verbindet der Fachmann vorliegend sogar mit einer Erfolgserwartung, da ihm bekannt ist, dass mit der in der BB2 beschriebenen analytischen Kationenaustauschchromatographie die Fraktion des von Antikörper-Varianten befreiten nativen Antikörpers nicht wie bei anderen analytischen Verfahren – wie z. B. der Massenspektroskopie – zerstört wird, sondern ohne Probleme isoliert und damit weiteren Untersuchungen, wie einem tryptischen Verdau, (=Verdau des Proteins mit der Protease Trypsin), einer Sequenzanalyse und einem Bindungsassay zugänglich gemacht werden kann (vgl. BB2, S. 5, untere Folie und S. 6, obere Folie, erster Aufzählungspunkt). Einen Beweis dafür, dass MonoS- oder CSX-Kationenaustauschersäulen für die Aufreinigung größerer Mengen an Trastuzumab grundsätzlich nicht geeignet sind, hat die Beklagte nicht vorgelegt. Allein der Verweis auf die diesbezüglichen Einschätzungen der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (vgl. NiK6) im parallelen Beschwerdeverfahren vermag den hierfür erforderlichen technisch fundierten Beweis nicht zu ersetzen.
121
Der Senat sieht daher keine Veranlassung dafür, an der Ausführbarkeit der in BB2 genannten chromatographischen Trennung des Antikörpers Trastuzumab von dessen sauren Varianten zu zweifeln, selbst dann nicht, wenn diese im präparativen Maßstab erfolgt, zumal es im Hinblick auf den zuvor unter Punkt II.1.2 ermittelten Wortsinn des erteilten Patentanspruchs 1 ausreichend ist, wenn sich die Lehre der BB2 im analytischen Maßstab realisieren lässt.
122
3.2 Die Druckschrift BB2 in Kombination mit der Druckschrift NiK4 sowie dem in NiK38 offenbarten Fachwissen liefert zudem eine Anregung dafür, eine Trastuzumab-Zusammensetzung mit weniger als etwa 25 % an vorwiegend desamidierten Asn30-Varianten bereitzustellen.
123
Für den mit der patentgemäßen Aufgabe (siehe Punkt I.2) betrauten Fachmann (siehe Punkt I.4) ist von den in der BB2 präsentierten Ergebnissen insbesondere von Interesse, dass eine Trastuzumab-haltige Zusammensetzung nicht nur den nativen Antikörper, sondern auch saure und basische Varianten davon enthält. Dies geht aus dem Chromatogramm hervor, welches der Autor der BB2 mittels einer MonoS-Kationenaustauschchromatographie von einer Trastuzumab-Zusammensetzung erstellt hat (vgl. BB2, S. 3, untere Folie). Diesem Chromatogramm entnimmt der Fachmann, dass es sich bei den zuerst eluierten Peaks (1) und (2) (Elution nach ca. 15 bzw. ca. 17,5 Minuten) aufgrund ihrer erhöhten Anzahl an negativen Ladungen um saure Varianten von Trastuzumab handelt, wohingegen die zuletzt eluierten Peaks (4) und (5) (Elution nach ca. 25 bzw. ca. 30 Minuten) basische Trastuzumab-Varianten repräsentieren. Den mittleren und zugleich größten Peak (3) identifiziert der Fachmann in logischer Konsequenz daraus als nativen Antikörper Trastuzumab. Im Weiteren schenkt der Autor der Präsentation BB2 allerdings nur den Peaks (1) und (3) besondere Beachtung. Der Fachmann erkennt dies daran, dass Harris nur diese beiden Peaks – nicht aber den sauren Peak (2) sowie die beiden basischen Peaks (4) und (5) – einem tryptischen Verdau mit anschließender Sequenzanalyse sowie einem Bindungsassay unterzieht. Das Ergebnis des tryptischen Verdaus sowie der Sequenzanalyse zeigt anhand der im Chromatogramm nachgewiesenen und anschließend sequenzierten Peaks (c) und (d), dass der saure Charakter des Peaks (1) auf eine Desamidierung am Asparaginrest in der Position 30 der leichten Kette zurückzuführen ist. Zugleich liefert diese Analyse durch das Fehlen der für die desamidierten Asn30-Varianten typischen Peaks (c) und (d) im Peak (3) einen zusätzlichen Beleg dafür, dass dieser Peak tatsächlich den nativen Antikörper Trastuzumab repräsentiert (vgl. BB2, S. 5, untere Folie). Der Bindungsassay macht fernerhin deutlich, dass die saure Variante gemäß Peak (1) eine spezifische Aktivität von nur mehr 82 % zeigt, während die spezifische Aktivität des nativen Antikörpers Trastuzumab weiterhin bei 100 % liegt (vgl. BB2, S. 6, obere Folie, erster Aufzählungspunkt). Aus alledem ergibt sich für den Fachmann, dass es sich bei den desamidierten Asn30-Varianten des Peaks (1) um das Hauptabbauprodukt des Antikörpers Trastuzumab handelt, welches sich aufgrund seiner verringerten biologischen Aktivität in einer Trastuzumab-Zusammensetzung als Verunreinigung erweist, die es zu entfernen gilt.
124
An den sauren desamidierten Asn30-Varianten als Hauptabbauprodukten hegt der Fachmann aus folgenden Gründen auch keinerlei Zweifel:
125
Zum einen erachtet er die Angaben in der BB2 als glaubhaft, da sie von einem leitenden Wissenschaftler stammen, der bei der für die Entwicklung des klinisch relevanten Antikörpers Trastuzumab verantwortlichen Firma tätig ist (vgl. BB2, S. 21, letzter Abs.). Zum anderen macht bereits ein rein optischer Vergleich der Flächen unter den Peaks (1) und (2) in allen drei Chromatogrammen der Kationenaustauschchromatographie deutlich, dass unter den sauren Varianten die desamidierten Asn30-Varianten des Peaks (1) selbst unter der Annahme überwiegen, dass der Peak (2) zwar ebenfalls saure, aber von den desamidierten Asn30-Varianten abweichende Varianten repräsentiert. Aufgrund der scharfen Trennung der Peaks sowie fehlender anderweitiger Informationen zieht der Fachmann ferner die Existenz weiterer Desamidierungsprodukte an anderen Aminosäureresten oder eine Isomerisierung von Asp30 zu isoAsp30 als weiter Hauptabbauwege nicht in Betracht, obwohl ihm die Bildung solcher oder ähnlicher Abbauprodukte im Zusammenhang mit dem Antikörper Trastuzumab durchaus geläufig sind, allerdings nur dann, wenn der Antikörper bestimmten Bedingungen ausgesetzt wird (vgl. BB2, S. 14, untere Folie und S. 15, obere Folie).
126
Der Fachmann gelangt somit, ohne erfinderische Überlegungen anstellen zu müssen, zu der Erkenntnis, dass die sauren Varianten in einer Trastuzumab-Zusammensetzung vorwiegend aus desamidierten Asn30-Varianten bestehen, die in der CDR1 in einer oder beiden VL-Regionen des Antikörpers liegen und die sich aufgrund ihrer verringerten biologischen Aktivität als nachteilig erweisen. Diese Erkenntnis liefert dem Fachmann eine Anregung dafür, den Anteil dieser Antikörper-Varianten in einer Trastuzumab-Zusammensetzung zu reduzieren, da dies zu einer Erhöhung der spezifischen Aktivität der Zusammensetzung führt, ein Effekt den jeder mit spezifischen Antikörper-Formulierungen befasste Fachmann anstrebt.
127
Davon lehrt die BB2 auch durch die in ihr getroffene Äußerung „Decided not to remove the deamidated material“ nicht weg. Es ist zwar zutreffend, dass Harris in seiner Präsentation auf eine als „Pool“ bezeichnete Trastuzumab-Zusammensetzung hinweist, die 25 % an sauren desamidierten Asn30-Varianten mit einer spezifischen Aktivität von 82 % sowie 75 % an nativem Antikörper Trastuzumab mit einer spezifischen Aktivität von 100 % enthält. Für diese Zusammensetzung errechnet Harris insgesamt eine spezifische Aktivität von 95 % und gibt an, bei dieser Zusammensetzung auf die Entfernung der desamidierten Asn30-Varianten verzichtet zu haben (vgl. BB2, S. 6, obere Folie, zweiter und dritter Aufzählungspunkt). Mit dieser Aussage setzt Harris aber weder einen fixen Mindestwert für den Anteil an desamidierten Asn30-Varianten in einer Trastuzumab-Zusammensetzung fest, noch empfiehlt er damit einen entsprechenden Anteil an desamidierten Asn30-Varianten grundsätzlich nicht aus Trastuzumab-Zusammensetzungen zu entfernen. Im pauschalen Verzicht auf die Abtrennung der 25 % an desamidierten Asn30-Varianten erkennt der einschlägig tätige Fachmann vielmehr eine rein pragmatische Entscheidung im Zusammenhang mit den in der BB2 präsentierten analytischen Ergebnissen. Zur dieser Erkenntnis gelangt der Fachmann, da er die in BB2 gezeigten Daten nicht mit einer großtechnischen industriellen Produktion in Verbindung bringt, sondern ausschließlich mit im Labormaßstab durchgeführten Analysen. Der in BB2 angesprochene Produktionsmaßstab von 12.000 L ändert daran nichts. Mit dieser Größenangabe informiert Harris nur in allgemeiner Form darüber, in welchem Umfang die großtechnische Produktion der Trastuzumab-Zusammensetzung geplant oder bereits erfolgt ist, ohne jedoch weitere Angaben zu einzelnen Produktionsbedingungen zu machen. Aus der isolierten Angabe von 12.000 L zieht der Fachmann daher den Schluss, dass Harris in seiner Präsentation BB2 nicht über reale Produktionsbedingungen spricht – was durchaus den Gepflogenheiten in der Biotechnologie-Branche entspricht – sondern sich auf analytische Ergebnisse beschränkt. Für den Fachmann erscheint es daher pragmatisch, bei einer analytisch untersuchten Probe, die bereits eine spezifische Aktivität von 95 % aufweist, auf die Entfernung von 25 % an desamidierten Asn30-Varianten zu verzichten.
128
Für den Fachmann, dessen Aufgabe es ist eine Trastuzumab-Zusammensetzung mit einer noch größeren Reinheit bereitzustellen (siehe Punkt I.2), stellen die in BB2 angegebenen 25 % an desamidierten Asn30-Varianten folglich einen Richtwert dar, den es für ihn zu unterbieten gilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die Kenntnis der Druckschrift NiK4 – wie schon zuvor unter Punkt II.2.3 dargelegt – für den Fachmann bereits Trastuzumab-Zusammensetzungen mit nur maximal 18 % an sauren Varianten auf der Hand liegen (vgl. NiK4, Fig. 5). Die weitere Reduzierung der desamidierten Asn30-Varianten auf „weniger als etwa 25 %“, wie im patentgemäßen Merkmal 3 des erteilten Patentanspruchs 1 gefordert, kann bei dem zuvor aufgezeigten Kenntnisstand infolgedessen nicht mit einer erfinderischen Tätigkeit in Verbindung gebracht werden, zumal das patentgemäße Merkmal 3 keine drastische Reduzierung des Anteils an sauren Asn30-Varianten im Vergleich zu den aus der BB2 bekannten 25 % fordert, sondern lediglich eine Reduzierung auf beispielsweise 24,99 % und damit nur in einem minimalen Umfang (siehe Punkt II.1.2).
129
Zu einer anderen Beurteilung der Sachlage geben auch die weiteren Einwendungen der Beklagten keinen Anlass:
130
Die Beklagte führt aus, dass sich in der BB2 kein Hinweis dafür finde, die Menge der desamidierten Asn30-Varianten zu reduzieren. Aus ihrer Sicht vermittle die BB2 vielmehr die Lehre, bei der Bereitstellung einer Trastuzumab-Zusammensetzung auf den Stopp der Desamidierung zu achten, da in der BB2 angegeben werde, dass die Desamidierung zunehme, wenn der Zellkulturüberstand mit dem darin enthaltenen Antikörper Trastuzumab bei 2 bis 8°C gelagert werde (vgl. BB2, S. 6, obere Folie, letzter Aufzählungspunkt). Um den Stopp der Desamidierung ginge es nach Ansicht der Beklagten auch bei der in NiK4 vermittelten Lehre, die darauf abstelle unter Einsatz von sog. „lyoprotectants“ stabile lyophilisierte und damit gut lagerfähige Protein-Formulierungen zu erhalten, die jederzeit wieder in stabile flüssige Formulierungen mit hohen Proteinkonzentrationen überführt werden könnten.
131
Aus der Sicht des Senats ist in den von der Beklagten zitierten Angaben kein sog. „teach-away“ von der patentgemäßen Lehre zu erkennen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die patentgemäße Lehre darauf abstellt, bei einer aus einer Zellkultur erhaltenen Trastuzumab-Zusammensetzung die Menge an desamidierten Asn30-Varianten ohne Zeitverzug auf unter 25 % zu senken (siehe Punkt II.1.4). Die von der Beklagten zitierten Stellen in den Dokumenten BB2 und NiK4 befassen sich dagegen jedoch mit der langfristigen Lagerstabilität von Trastuzumab-Zusammensetzungen, die unter bestimmten Bedingungen gelagert werden (vgl. BB2, S. 6, obere Folie, letzter Aufzählungspunkt und NiK4, S. 4, Z. 20 bis 24 i. V. m. Fig. 5). Demzufolge betreffen die von der Beklagten isoliert herausgegriffenen Stellen in den Dokumenten BB2 und NiK4 nicht den Aspekt der Reinheit einer aus einer Zellkultur gewonnen Trastuzumab-Zusammensetzung (siehe Punkt II.1.4) in Bezug auf den Anteil an sauren desamidierten Asn30-Varianten als Hauptabbauprodukten, sondern den Aspekt der Stabilität solcher Zusammensetzungen während einer längeren Lagerung und damit einen anderen Gesichtspunkt als die patentgemäße Lehre. Aufgrund dessen sind die von der Beklagten singulär herangezogenen Zitatstellen nicht in der Lage, in eine der patentgemäßen Lehre entgegengesetzte Richtung zu weisen.
132
Die Beklagte geht ferner davon aus, dass es für den Fachmann ausgehend von der Präsentation BB2 keine Veranlassung gebe, die Druckschrift NiK4 zu Rate zu ziehen. Dieser Sichtweise kann sich der Senat ebenfalls nicht anschließen. Die Druckschrift NiK4 stammt aus dem gleichen Jahr wie die Präsentation BB2. Hinzu kommt, dass die Autoren der NiK4 in demselben Unternehmen tätig sind wie der Autor der BB2 (vgl. NiK4, Titelblatt im Vergleich zu BB2, S. 2, obere Folie). Darüber hinaus beschäftigt sich auch die NiK4 mit der Herstellung verschiedener Trastuzumb-Zusammensetzungen (vgl. NiK4, S. 18 ff, Beispiel 1). Aus den genannten Gründen ist daher entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung vielmehr davon auszugehen, dass die NiK4 eine der ersten Informationsquellen ist, die der Fachmann ausgehend von BB2 bei seiner Suche nach einer Lösung für die patentgemäße Aufgabe in Betracht zieht.
133
Auch die Tatsache, dass in der NiK4 für die chromatographische Trennung von Trastuzumab und dessen Varianten eine CSX-Säule eingesetzt wird, während in der BB2 hierfür eine MonoS-Säule verwendet wird, spricht nicht gegen eine kombinierte Betrachtung der beiden Druckschriften. Es belegt in Übereinstimmung mit der Einleitung der Streitpatentschrift vielmehr (vgl. NiK1, Abs. [0004], dritter Satz), dass dem Fachmann verschiedene chromatographische Möglichkeiten für eine solche Trennung zur Verfügung stehen, die er aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis auf jeden Einzelfall abstimmen kann, so dass er in den verschiedenen Techniken, die in den Druckschriften NiK4 und BB2 angewendet werden, keinen Grund sieht, der gegen eine Verbindung der beiden in diesen Druckschrift offenbarten Lehren spricht.
134
Ausgehend von BB2 spricht gegen eine gleichzeitige Berücksichtigung der NiK4 auch nicht, dass in NiK4 nur von einer analytischen, nicht aber von einer großtechnischen Auftrennung der Trastuzumab-Zusammensetzung, die Rede ist (vgl. NiK4, S. 26, Z. 17 bis 20). Aus der Sicht des Fachmanns steht dies mit der Lehre der BB2 im Einklang, da er das in der BB2 auf Seite 3 gezeigte Chromatogramm – wie schon zuvor erläutert – ebenfalls als Analyseergebnis erkennt. Andererseits geht der Fachmann davon aus, dass eine funktionierende Analytik durch ein routinemäßiges „Scale-up“ auch bei der industriellen Produktion eingesetzt werden kann. Im Übrigen spielt die Größenordnung, in der eine Trennung des nativen Antikörpers von dessen Varianten durchgeführt werden kann, für die Überlegungen des Fachmanns – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle, da es ihm nicht auf den Produktionsmaßstab ankommt, sondern auf die Reinheit der Trastuzumab-Zusammensetzung (siehe Punkt I.2).
135
Die Beklagte behauptet ferner, dass in der BB2 mit der Methionin-Oxidation noch andere Probleme angesprochen würden, die eine Fokussierung auf die Desamidierung von Asn30 in der CDR1 einer oder beider VL-Regionen von Trastuzumab abschwächen und die Überlegungen des Fachmanns zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe damit in eine andere Richtung lenken würden, als sie im erteilten Patentanspruch 1 beschrieben sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Hinweis auf die Methionin-Oxidation erfolgt in der BB2 unabhängig von den zuvor genannten Abbaureaktionen und ohne Angaben dazu, welche nachteiligen Effekte sich durch die genannte Methionin-Oxidation in einer Trastuzumab-Zusammensetzung ergeben (vgl. BB2, S. 15, untere Folie, erster Aufzählungspunkt). Schon aus diesem Grund ist die in BB2 erwähnte Methionin-Oxidation nicht in der Lage die Aufmerksamkeit des Fachmanns zu wecken. Zudem ist dem Fachmann aus der NiK38 bekannt, dass die Methionin-Oxidation weder bei der während der Zellkultur in Form einer Desamidierung des Asparaginrests 30 ablaufenden Abbaureaktion, noch bei denjenigen Abbaureaktionen, die sich erst nach einer längeren Lagerung einer Trastuzumab-Zusammensetzung am Aspartatrest 102 unter bestimmten Bedingungen einstellen, eine Rolle spielt (vgl. NiK38, S. 20 und 21, jeweils erster Abs.). Aufgrund dessen hat der Fachmann keine Veranlassung, sich näher mit der in BB2 genannten Methionin-Oxidation zu befassen.
136
4. Die Anspruchsfassung des Hauptantrags hat aus den zuvor genannten Gründen somit keinen Bestand, da die Zusammensetzung des erteilten Patent-anspruchs 1 nicht neu ist und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
III.
137
Aber auch die beschränkte Verteidigung der Anspruchsfassung mit den Hilfsanträgen I und II führt nicht zum Erfolg.
138
1. Die Zusammensetzung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I weist ergänzend zum erteilten Patentanspruch 1 folgende Merkmale auf:
139
Ia) Die Zusammensetzung ist steril,
140
Ib) für eine in-vivo Verabreichung geeignet und
141
Ic) enthält einen pharmazeutisch annehmbaren Träger.
142
Allerdings sind auch diese Merkmale nicht in der Lage die Neuheit gegenüber der Druckschrift NiK4 herzustellen bzw. eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die in der NiK4 beschriebenen lyophilisierten und danach rekonstituierten Trastuzumab-Zusammensetzungen nicht nur steril und für die in-vivo Anwendung vorgesehen sind, sondern zugleich pharmazeutisch annehmbare Träger enthalten und die patentgemäßen Merkmale Ia) bis Ic) aus der NiK4 somit bereits bekannt sind bzw. für den Fachmann auf der Hand liegen (vgl. NiK4, S. 16, Z. 1 bis 4 und Z. 14).
143
2. Im Patentanspruch 1 des Hilfsantrags II weist die patentgemäße Zusammensetzung im Vergleich zu der im erteilten Patentanspruch 1 beschriebenen Zusammensetzung zusätzlich folgende Merkmale auf:
144
IIa) Die Zusammensetzung ist für eine Anwendung in der Therapie geeig- net und
145
IIb) enthält pharmazeutisch annehmbare Träger.
146
Wie bereits zuvor unter Punk III.1 ausgeführt ist der Einsatz pharmazeutisch annehmbarer Träger in Trastuzumab-Zusammensetzungen aus der NiK4 bekannt und zudem dem allgemeinen Können und Wissen des Fachmanns zuzurechnen. Die NiK4 offenbart darüber hinaus, dass Anti-HER2-Zusammensetzungen zur Behandlung oder Prävention von Krebserkrankungen eingesetzt werden und zählt dabei u. a. Krebserkrankungen der Brust, des Magens oder der Niere auf (vgl. NiK4, S. 18, Z. 6 bis 11). Die Zusammensetzung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag II erlangt durch die Merkmale IIa) und IIb) demzufolge weder die erforderliche Neuheit gegenüber der Druckschrift NiK4, noch lassen die Merkmale IIa) und IIb) erkennen, dass die Bereitstellung dieser Zusammensetzung auf eine erfinderische Tätigkeit zurückzuführen ist.
147
Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch in den Gegenständen der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 nicht zu erkennen. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Die nachgeordneten Patentansprüche des Hilfsantrags II fallen daher ebenfalls der Nichtigkeit anheim. Das Streitpatent ist somit vollumfänglich für nichtig zu erklären.
IV.
148
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
149
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
V.
150
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

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