Aktenzeichen 4 Ni 34/13 (EP)
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 0 735 922
(DE 594 09 131)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie den Richter Dipl.-Ing. Univ. Rippel, die Richterin Kopacek, den Richter Dr.-Ing. Dorfschmidt und den Richter Dipl.-Ing. Brunn
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 0 735 922 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten:
1. Zerkleinerungsmaschine mit aus Scheiben (4) bestehendem Rotor (2), der aktive und inaktive Schleißteile (7, 8) aufweist und einen im Wesentlichen walzenförmigen, den Rotor (2) schützenden Mantel mit Durchbrüchen bzw. Freiräumen (9) zum Durchschwingen der aktiven Schleißteile (7), wobei der Mantel aus einer Vielzahl von inaktiven Schleißteilen (8), die jeweils aus einer Deckfläche (8.1) und einer Halterung (8.2, 8.3) bestehen und mit den Scheiben (4) lösbar gefügt sind, gebildet ist und die Durchbrüche bzw. Freiräume sich zwischen den Deckflächen benachbarter inaktiver Schleißteile (8) befinden, dadurch gekennzeichnet, dass
a) die inaktiven Schleißteile (8) zumindest teilweise aus Lagen, Schichten und/oder Zonen (8.3, 8.4) unterschiedlicher Materialeigenschaften wie Güte, Härte, Zähigkeit und/oder Dicke in einem gefügten Verbund verschiedener Stahlbleche bestehen,
b) der Mantel durch die Deckflächen (8.1) radial und axial derart aufgeteilt ist, dass
c) diese Anordnung ein zu einem abgestimmten Verschleißverhalten führendes Schleißteilsystem bildet.
2. Zerkleinerungsmaschine nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die aktiven und/oder inaktiven Schleißteile (7, 8) lösbar und/oder unlösbar gefügt sind.
3. Zerkleinerungsmaschine nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest Teile der Schleißteile (7, 8) in Sandwichbauweise ausgeführt sind.
4. Zerkleinerungsmaschine nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die aktiven Schleißteile (7) in selbstschärfender Sandwichbauweise ausgeführt sind.
5. Zerkleinerungsmaschine nach einem der Ansprüche 1 bis 4, gekennzeichnet durch einen Konstruktionsverbund mehrerer aktiver und inaktiver Schleißteile (7, 8) miteinander, wobei mindestens ein aktives Schleißteil (7) zwischen mindestens zwei inaktiven Schleißteilen (8) getragen und/oder an diesen gelagert ist und das inaktive Schleißteil (8) jeweils einen vom äußeren Schwungkreis des aktiven Schleißteils (7) im Wesentlichen definierten Verschleißbereich an einer Scheibe (4) umfasst.
6. Zerkleinerungsmaschine nach einem der Ansprüche 1 bis 5, gekennzeichnet durch ein aktives Schleißteil (7) aus mehreren Materialschichten (7.1, 7.2), von denen mindestens eine (7.2) härter als die übrige(n) (7.1) ist.
7. Zerkleinerungsmaschine nach Anspruch 6, gekennzeichnet durch zwei Deckschichten (7.2) mit dazwischenliegender Kernschicht (7.1).
8. Zerkleinerungsmaschine nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Deckschichten (7.2) eine größere Härte besitzen als die vor allem im Bereich des Lagerauges (7.3) zähfeste Kernschicht (7.1).
9. Zerkleinerungsmaschine nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Deckschichten (7.2) bis auf die Kernschicht (7.1) reichende Durchbrüche aufweisen.
10. Zerkleinerungsmaschine nach einem der Ansprüche 6 bis 9, gekennzeichnet durch eine Glockenform.
11. Zerkleinerungsmaschine nach einem der Ansprüche 6 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine Deckschicht (7.2) die Kernschicht (7.1) am Hammerrand überragt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 735 922, deutsches Aktenzeichen DE 594 09 131.4 (Streitpatent), das am 13. Dezember 1994 unter Inanspruchnahme der nationalen Priorität vom 22. Dezember 1993 angemeldet worden ist und dessen Erteilung am 2. Februar 2000 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent betrifft eine Zerkleinerungsmaschine mit Rotor. Das Streitpatent umfasst 11 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind.
2
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
3
Zerkleinerungsmaschine mit aus Scheiben (4) bestehendem Rotor (2), der aktive und inaktive Schleißteile (7, 8) aufweist und einen im Wesentlichen walzenförmigen, den Rotor (2) schützenden Mantel mit Durchbrüchen bzw. Freiräumen (9) zum Durchschwingen der aktiven Schleißteile (7), wobei der Mantel aus einer Vielzahl von inaktiven Schleißteilen (8), die jeweils aus einer Deckfläche (8.1) und einer Halterung (8.2, 8.3) bestehen und mit den Scheiben (4) lösbar gefügt sind, gebildet ist und die Durchbrüche bzw. Freiräume sich zwischen den Deckflächen benachbarter inaktiver Schleißteile (8) befinden,
4
dadurch gekennzeichnet, dass
5
a) die inaktiven Schleißteile (8) zumindest teilweise aus Lagen, Schichten und/oder Zonen (8.3, 8.4) unterschiedlicher Materialeigenschaften wie Güte, Härte, Zähigkeit und/oder Dicke in einem gefügten Verbund bestehen,
6
b) der Mantel durch die Deckflächen (8.1) radial und axial derart aufgeteilt ist, dass
7
c) diese Anordnung ein zu einem abgestimmten Verschleißverhalten führendes Schleißteilsystem bildet.
8
Wegen der direkt oder indirekt auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
9
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei im Streitpatent (insbesondere in Bezug auf die Merkmale 1.8, 1.9 und 1.10) nicht so offenbart, dass der zuständige Fachmann ihn ausführen könne. Das Streitpatent mache keinerlei Angaben dazu, wie die Schleißteile hinsichtlich ihrer Materialeigenschaften, wie beispielsweise Härte der Deckflächen, auszubilden und relativ zueinander zur Ausbildung des Mantels zuzuordnen seien, damit ein abgestimmtes Schleißverhalten erzielt werden könne. Zwar könne der Fachmann durch Experimentieren zum Gegenstand des betreffenden funktionalen Merkmals gelangen, dies wäre jedoch mit einem erheblichen Aufwand verbunden.
10
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei unzulässig erweitert gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Nach den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen umfasse die Anordnung der Schleißteile, die das Schleißsystem bildeten, immer aktive und inaktive Schleißteile. Nach dem Wortlaut von Anspruch 1 des Streitpatents sei das Schleißsystem jedoch alleine von inaktiven Schleißteilen ausgebildet.
11
Zudem macht die Klägerin mangelnde Patentfähigkeit im Hinblick auf Patentanspruch 1 geltend. Auch die Unteransprüche seien nicht patentfähig.
12
Die Klägerin beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentlichte Schriften und Dokumente:
13
D4 DE 26 05 751 A 1 (advotec. 4, K4)
14
D5 DE 35 24 725 A 1 (advotec. 5, K5)
15
D6 Zeitschriftenartikel „Verschleißkostensenkung durch Einsatz von Verbundlösungen“ aus Aufbereitungstechnik Nr. 10/1979 advotec. 6, K6)
16
D7 DE 39 05 492 A 1 (advotec. 7, K7)
17
D8 DE 30 17 437 A1 (advotec. 8, K8)
18
D9 DE 39 38 725 A 1 (advotec. 9, K9)
19
D11 – D13 Anlagenkonvolut zum Beleg einer offenkundigen Vorbenutzung (advotec 11 – advotec 13)
20
Soweit die Beklagte das Streitpatent mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2015 eingereichten Antrag verteidigt, vertritt die Klägerin die Auffassung, dass Patentanspruch 1 gegen Art. 84 EPÜ verstoße.
21
Den ursprünglichen Neuheitsangriff aus der D4 hält die Klägerin nicht mehr aufrecht, nachdem die Beklagte das Streitpatent ausschließlich in eingeschränkter Fassung verteidigt. Ausgehend von der D4 werde der Fachmann jedoch in der D6 die patentgemäße Lösung finden. Dort werde das Auflöten als eine mögliche Verbundlösung beschrieben sowie eine Panzerung durch Auftragsschweißen mit Röhrchendraht gezeigt. Damit sei der Verbund nach dem Merkmal 1.8 des Anspruchs 1 des Streitpatents hergestellt. Patentanspruch 1 sei auch nicht auf einen speziell gefügten Verbund beschränkt. Die D6 zeige das Herstellen und Aufschweißen von Panzerplatten, wobei der Begriff der Panzerplatte demjenigen des Stahlblechs entspreche, weshalb auch hier ein Verbund von Stahlblechen hergestellt werde.
22
Auch die Unteransprüche seien aus D4, D5 und D6 bekannt und könnten dem Patentanspruch 1 nichts Neues oder Erfinderisches hinzufügen.
23
Die Klägerin beantragt,
24
das Patent EP 0 735 922 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
25
Die Beklagte beantragt,
26
die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit dem in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2015 eingereichten Patentanspruch 1 (vgl. Bl. 434 d. A.) und den weiteren Patentansprüchen 2 bis 11 gemäß Patentschrift EP 0 735 922 B1 verteidigt wird.
27
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Nichtigkeitsklage sei nicht begründet. Die Ausführbarkeit des Patentanspruchs 1 sei zu bejahen. Patentanspruch 1 sei auch nicht unzulässig erweitert (vgl. Tabelle Bl. 109 d. A.). Der von der Klägerin geltend gemachte Stand der Technik vermöge die Erfindung gemäß Streitpatent weder neuheitsschädlich vorwegzunehmen noch nahezulegen.
28
Ausgehend vom Stand der Technik, der in Bezug auf die Verschleißschutzplatten (inaktive Schleißteile) jeweils gegossene Schutzkappen offenbare, zeichne sich die erfindungsgemäße Lehre vor allem durch das Merkmal 1.8 aus. Dadurch, dass die inaktiven Schleißteile in einem gefügten Verbund bestünden, ergäben sich gegenüber den bekannten gegossenen inaktiven Schleißteilen genau die aufgabengemäß erlangten Vorteile, nämlich die Verlängerung der Lebensdauer der Schutzkappen. Die in der D6 aufgezeigten Lösungen seien nicht geeignet, die Zielsetzung des Hinausschiebens der Reparaturintervalle zu erfüllen. Die D6 lehre nicht das Aufeinanderschweißen von verschiedenen Stahlblechen zu einem Verbund, es würden nur im Hinblick auf den Abrieb Schutzschichten auf das Stahlblech aufgebracht. Bei der D6 gehe es im Unterschied zum Streitpatent um ein Beschichten.
29
Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 20. August 2014 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 325 ff. d. A.).
30
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2015 Bezug genommen.