Aktenzeichen 4 Ni 7/14 (EP)
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 395 851
(
DE 602 13 235
)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, die Richter Dr. Müller und Dr. Zebisch und die Richterin Zimmerer
für Recht erkannt.
I. Das europäische Patent 1 395 851 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 9, sowie 11, 13 und 15, soweit sich diese jeweils auf einen der vorgenannten Ansprüche rückbeziehen, für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent 1 395 851 (Streitpatent), das am 17. Mai 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität der Patentanmeldung GB 0 111 979 vom 17. Mai 2001 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 602 13 235 geführt. Es betrifft eine Überwachungsvorrichtung für Fahrzeuge (Sensing apparatus for vehicles) und umfasst 22 Patentansprüche, die teilweise, nämlich im Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 9, 11 (soweit auf einen der Ansprüche 6 bis 9 rückbezogen), 13 und 15 angegriffen sind.
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Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
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und in der deutschen Übersetzung
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Hinsichtlich der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 22 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 395 851 B1 Bezug genommen.
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Mit ihrer zunächst auf Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 IntPatÜG gestützten Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche gehe über den Inhalt der ursprünglichen, in der WO 02/092376 A2 veröffentlichten internationalen Anmeldung hinaus, und der Gegenstand des Streitpatents sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2015 (Bl. 254 ff. d. A.) hat die Klägerin zudem die Klage auf den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit erweitert und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei im Umfang der angegriffenen erteilten Ansprüche nicht neu und beruhe zudem nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG). Insoweit hat die Klägerin sich auf folgende Schriften berufen:
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D1 (=BM5) EP 890 470 A2 (aus EP-Prüfungsverfahren)
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D2 US 5 999 874 A
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D3 US 5 617 085 A
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D4 U. Hofmann et al: „EMS-Vision: Application to Hybrid Adaptive Cruise Control“, Proceedings of the IEEE Intelligent Vehicles Symposium 2000, Dearborn (MI), USA, October 3-5, 2000, S. 468 – 473.
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Die Klägerin macht geltend, dass die Lehre des Streitpatents gegenüber den Schriften D1 bis D4 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die abhängigen Ansprüche des Streitpatents enthielten ebenfalls keine patentfähigen Merkmale. Sie seien aus dem Stand der Technik bekannt und gingen nicht über ein einfaches fachmännisches Handeln hinaus. Soweit die Beklagte das Streitpatent mit den Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidige, seien deren Gegenstände unzulässig erweitert, die Fassungen der Hilfsanträge mithin unzulässig. Zudem seien diese darüber hinaus auch nicht patentfähig.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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das Patent EP 1395851 B1 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 9, sowie 11, 13 und 15, soweit sich diese jeweils auf einen der vorgenannten Ansprüche rückbeziehen für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit den in der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 eigereichten Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidigt werde.
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Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge 1 bis 4 wird auf die Anlage 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 verwiesen.
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Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin uneingeschränkt entgegen. Sie trägt vor, eine unzulässige Erweiterung liege nicht vor. Die Streitpatentschrift offenbare die Erfindung auch ausreichend und ausführbar. Darüber hinaus sei keine der von der Klägerin herangezogenen Entgegenhaltungen D1 bis D4 geeignet, die Neuheit der Gegenstände des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag oder einem der vier Hilfsanträge in Frage zu stellen. Auch beruhten sie gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns. Der Sichtweise der Klägerin liege ein unzutreffendes Verständnis der Anspruchsmerkmale zugrunde.
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Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 6. März 2015 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 192 ff. d. A.).
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Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 Bezug genommen.