Patent- und Markenrecht

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung

Aktenzeichen  2 Ni 48/11 (EP)

Datum:
23.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Spruchkörper:
2. Senat

Verfahrensgang

nachgehend BGH, 11. Januar 2017, Az: X ZR 94/16, Beschluss

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 1 644 931
(DE 50 2004 001 963)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Guth, den Richter Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Friedrich sowie die Richterin Dr. Hoppe und die Richter Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Zebisch und Dipl.-Ing. Matter
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 1 0644 931 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Ansprüche 21 bis 23 teilweise für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 9/10 und der Beklagte zu 1/10 zu tragen. Die Kosten der Nebenintervention haben die Klägerin zu 9/10 und die Nebenintervenientin zu 1/10 zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des europäischen Patents 1 644 931 (im Folgenden: Streitpatent). Der Beklagte war bei Klageerhebung Inhaber dieses am 17. Juni 2004 angemeldeten Patents, für das die Priorität der europäischen Patentanmeldung 03015888 vom 11. Juli 2003 und des deutschen Gebrauchsmusters 202004003254 U vom 2. März 2004 in Anspruch genommen wird. Das in der Verfahrenssprache Deutsch abgefasste Patent mit der Bezeichnung „Kennzeichnung eines Trägermaterials für zur Wiedergabe bestimmte Informationen“ wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 50 2004 001 963 geführt. Der Beklagte hat den deutschen Teil des Patents nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Nichtigkeitsklage auf die Nebenintervenientin übertragen. Die Registerumschreibung ist am 16. September 2011 erfolgt.
2
Das Streitpatent umfasst 23 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1 (Verfahren zum individualisierenden Kennzeichnen), 10 (Filmträger), 20 (Gekennzeichneter Träger) und 21 (Verfahren zum Identifizieren) nebengeordnet sind. Die übrigen Ansprüche 2 bis 9, 11 bis 19, 22 und 23 stellen Unteransprüche zu den Ansprüchen 1 bzw. 10 und 21 dar.
3
Anspruch 1 des Streitpatents lautet in der Verfahrenssprache Deutsch (Gliederung eingefügt ohne Änderung des Wortlauts des Anspruchs):
4
M1.1 Verfahren zum individualisierenden Kennzeichnen eines maschinell auslesbaren Filmträgers (10),
5
M1.2 der analoge und digitale Informationen beinhaltet, die in einer kontinuierlichen Abfolge auf dem Filmträger (10) enthalten und zur Wiedergabe bestimmt sind,
6
M1.3 wobei der Träger (10) in einem ersten Abschnitt (20) zur Wiedergabe bestimmte analoge Informationen als redundante sekundäre Informationsquelle und
7
M1.4 in wenigstens einem zweiten Abschnitt (30, 32) zur Wiedergabe bestimmte digitale Informationen als primäre Informationsquelle enthält; und
8
M1.5 wobei im ersten Abschnitt (20) ein Identifizierungs-Code in Form einer den Träger (10) individualisierenden Abfolge örtlich beabstandeter Markierungen (14) ausgebildet wird, der zusammen mit dem ersten Abschnitt (40) auslesbar ist, um die Wiedergabe der im ersten Abschnitt (20) enthaltenen analogen Informationen in einer den Träger (10) individualisierenden Weise zu ändern,
9
M1.6 wobei die digitalen Informationen stellenweise fortgelassen und/oder nicht auslesbar gemacht werden, um zur Wiedergabe der Markierungen (14) einen Übergang von der primären auf die sekundäre Informationsquelle zu erzwingen.
10
Anspruch 10 des Streitpatents lautet (Gliederung eingefügt ohne Änderung des Wortlauts des Anspruchs):
11
M10.1 Maschinell auslesbarer, individualisierter Filmträger (10)
12
M10.2 für analoge und digitale Informationen, die in einer kontinuierlichen Abfolge auf dem Filmträger (10) enthalten und zur Wiedergabe bestimmt sind,
13
M10.3 wobei auf dem Träger (10) in einem ersten Abschnitt (20) zur Wiedergabe bestimmte analoge Informationen als redundante sekundäre Informationsquelle und
14
M10.4 in wenigstens einem zweiten Abschnitt (30, 32) zur Wiedergabe bestimmte digitale Informationen als primäre Informationsquelle enthalten sind;
15
dadurch gekennzeichnet,
16
M10.5 – dass im ersten Abschnitt (20) ein Identifizierungs-Code in Form einer den Träger (10) individualisierenden Abfolge örtlich beabstandeter Markierungen (14) ausgebildet ist, die zusammen mit den zur Wiedergabe bestimmten Informationen auslesbar ist, um die Wiedergabe der im ersten Abschnitt (20) enthaltenen analogen Informationen in einer den Träger (10) individualisierenden Weise zu ändern,
17
M10.6 wobei die digitalen Informationen stellenweise fortgelassen und/oder nicht auslesbar sind, um zur Wiedergabe der Markierungen einen Übergang von der primären auf die sekundäre Informationsquelle zu erzwingen.
18
Anspruch 20 des Streitpatents lautet:
19
20.  Gekennzeichneter Träger enthaltend zur Wiedergabe bestimmte Informationen, erhalten durch Kopieren eines Filmträgers (10) nach einem der Ansprüche 10 bis 19.
20
Anspruch 21 des Streitpatents lautet (Gliederung eingefügt ohne Änderung des Wortlauts):
21
M21.1 Verfahren zum Identifizieren eines Filmträgers (10) nach einem der Ansprüche 10 bis 19, umfassend
22
M21.2 – maschinelles Auslesen der auf dem Träger (10) enthaltenen und zur Wiedergabe bestimmten Informationen in einem mit den Markierungen (14) versehenen Bereich des Trägers (10);
23
M21.3 – Auswerten der ausgelesenen Informationen zum Ermitteln der Abfolge von Markierungen; und
24
M21.4 – Identifizieren des Trägers (10) auf der Grundlage der ermittelten Abfolge von Markierungen.
25
Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 644 931 B1 verwiesen.
26
Der Beklagte und die Nebenintervenientin verteidigen das Streitpatent in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit Patentansprüchen gemäß den am 16. Juni 2016 eingereichten Hilfsanträgen. Der erste Hilfsantrag HA unterscheidet sich vom erteilten Streitpatent durch die Streichung der erteilten Ansprüche 21 bis 23. Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche in den von dem Beklagten und der Nebenintervenientin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen HA, A1, A1a, A2, A2a, A3, A3a wird auf die am 16. Juni 2016 überreichten Hilfsanträge Bezug genommen.
27
 Die Klägerin greift das Streitpatent in vollem Umfang an und macht den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend. Zur Stützung ihres Vorbringens nennt sie u.a. folgende Druckschriften:
28
D1 EP 0 574 239 A1
29
D2 WO 94/24 665 A1
30
D3 US 5 400 319 A D4 EP 0 741 382 A1 D5 US 6 259 575 B1
31
D6 DE 37 07 608 A1
32
D7 WO 01/35 163 A1
33
D8 WO 85/02 293 A1
34
D9 DE 694 23 311 T2
35
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Zeitrang der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 des Streitpatents der 2. März 2004 sei, weil die Priorität vom 11. Juli 2003 aus der EP 03015888 (D10: EP 1 496 516 A1) zu Unrecht in Anspruch genommen werde. Den Gegenständen nach den Ansprüchen 1 und 10 des Streitpatents fehle es an erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik aus dem Dokument D1 oder dem Dokument D9. Zudem stehe der Patentfähigkeit eine offenkundige Vorbenutzung entgegen. Sie behauptet hierzu, dass die erfindungsgemäße Kodierungsmethode in der Filmverleiherbranche allgemein bekannt gewesen sei. Insbesondere seien diverse Kinofilme ab Juli/ August 2002 entsprechend der Lehre des Streitpatents durch die Firma T… mit dem sogenannten „CompCodingSystem“ kodiert worden. Dementsprechend hätten auch der Beklagte und die Nebenintervenientin vorgerichtlich bzw. im Verletzungsverfahren relevante Vorbenutzungshandlungen ab Oktober 2003 geltend gemacht. Da die Filme nach der Kodierung durch die T… GmbH in den Filmverleih gebracht und in Kinos vorgeführt worden seien, sei die erfindungsgemäße Lehre auch offenkundig geworden. Aufgrund der hohen Anzahl von Kopien habe nämlich eine Vielzahl von Personen, insbesondere Filmvorführer, Spediteure und Lageristen, Kontakt mit den kodierten Filmen bekommen. Die Klägerin meint, dass diese Personen keiner Geheimhaltungspflicht unterlägen und macht insbesondere geltend, dass verschiedene Chats im Internet zeigten, dass die Filmvorführer die Kodierung erkannt und offenbart hätten.
36
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Klägerin und die von ihr eingereichten Anlagen Bezug genommen.
37
Die Klägerin beantragt,
38
das europäische Patent 1 644 931 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
39
Der Beklagte und die Nebenintervenientin verstehen die Patentansprüche nach Hauptantrag und Hilfsanträgen jeweils als geschlossene Anspruchssätze und beantragen,
40
die Klage abzuweisen,
41
hilfsweise, das Streitpatent dadurch für nichtig zu erklären, dass seine Ansprüche die Fassung eines der am 16. Juni 2016 überreichten Hilfsanträge HA, A1, A1a, A2, A2a, A3, A3a, in dieser Reihenfolge, erhalten.
42
Der Beklagte hält die Gegenstände des mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen verteidigten Patents für patentfähig. Der druckschriftlich belegte Stand der Technik weise wesentliche Merkmale des Streitpatents nicht auf und lege den Gegenstand des Streitpatents auch nicht nahe. Maßgeblich für die Beurteilung der Patentfähigkeit sei die Priorität der europäischen Patentanmeldung 03015888 vom 11. Juli 2003. Zumindest aber sei eine sechsmonatige Neuheitsschonfrist zu berücksichtigen, weil die Lehre des Streitpatents missbräuchlich offenbart worden sei. Der Beklagte behauptet hierzu, dass die Klägerin den Inhalt eines unstreitig am 17. September 2003 geführten Informationsgesprächs, in dem der Beklagte die Lehre des Streitpatents erläutert habe, entgegen der dabei getroffenen Geheimhaltungsvereinbarung an Dritte offenbart habe.
43
Des Weiteren bestreitet der Beklagte die Vorbenutzung der Lehre des Streitpatents und deren Offenkundigkeit. Er hat hierzu ursprünglich vorgetragen, dass ab Oktober 2003 nahezu alle Filmkopien der Verleiher W…., Centfox, UIP, Sony u.a. erfindungsgemäße Tonkodierungen, mechanisch hergestellt durch die Fa. T… GmbH, enthalten hätten. Später hat er bestritten, dass das patentgemäße Kodierungsverfahren in der Filmbranche vor September/Oktober 2003 bekannt gewesen oder verwendet worden sei. Soweit die von der Klägerin behauptete Vorbenutzung auf die Kodierung der Filme „Herr der Ringe 3“ und „Back to Gaya“, die u. a. Ausgangspunkt der vom Beklagten geltend gemachten Abmahnung vom 12. März 2004 waren, gestützt werde, bestreitet er, dass kodierte Kopien vor dem Prioritätsdatum in den Kinos gezeigt worden seien. An der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzungen fehle es ohnehin schon deshalb, weil sämtliche in den Filmverleih eingebundene Personen zumindest einer stillschweigend vereinbarten Geheimhaltungspflicht unterlägen.
44
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

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