Sozialrecht

Abschließende Leistungsfestsetzung mit unzureichender Fristsetzung und unzureichender Belehrung über die Rechtsfolgen

Aktenzeichen  S 8 AS 400/17

Datum:
3.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 41a Abs. 3, Abs. 5 S. 1, § 80 Abs. 2 Nr. 1
SGG SGG § 131 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Zurückverweisung an das Jobcenter wegen unzureichender Fristsetzung und Belehrung vor der abschließenden Leistungsfestsetzung.
1 Bei zu prüfenden Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ist im Rahmen der abschließenden Entscheidung eine Frist von zwei Monaten angemessen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch bei Bewilligungsabschnitten, die vor Inkrafttreten des § 41a SGB II endeten, bedarf es einer Belehrung über die nunmehr in § 41a SGB II geregelten Rechtsfolgen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Bescheide des Beklagten vom 10. August 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. März 2017 werden aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Leistungsanspruch der Kläger im Zeitraum von August 2015 bis Januar 2016 an den Beklagten zurückverwiesen.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Gründe

Das Gericht entscheidet trotz Ausbleibens der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung. Es ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 110 Abs. 1, § 126 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), und die Sache war entscheidungsreif. Eine Terminsänderung war nicht veranlasst, da der geltend gemachte Hinderungsgrund des Klägers zu 1 nicht belegt worden ist. Dies wäre aber angesichts des Zeitpunktes, zu dem Antrag bei Gericht einging, erforderlich gewesen. Denn aufgrund des zeitlichen Ablaufs war es dem Vorsitzenden nicht mehr möglich, entsprechendes zu verlangen. Zudem sind die Kläger bei einer telefonischen Anfrage wenige Tage zuvor auf die Einreichung eines Nachweises hingewiesen worden. Hinsichtlich der übrigen Kläger ist ein Verhinderungsgrund weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Gegenstand des Verfahrens ist das Ziel der Kläger, nicht mit den Rückforderungen belastet zu werden, die aus der endgültigen Leistungsfestsetzung resultieren. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus dem bisherigen Vorbringen in den Vorverfahren. Daraus schließt das Gericht außerdem, dass die Klage nicht allein betreffend die Rückforderung gegenüber der Klägerin zu 2 erhoben werden sollte, sondern auch für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Denn diese sind ebenfalls von Rückforderungen betroffen. Deshalb ist es unschädlich (§ 123 SGG), dass in der Klageschrift nur der an die Klägerin zu 2 adressierte Widerspruchsbescheid genannt ist. Das Gericht versteht die Klage ferner als reine Anfechtungsklage, weil bei der vorläufigen Leistungsbewilligung kein Einkommen des Klägers zu 1 bedarfsmindernd berücksichtigt worden ist und damit die Beibehaltung dieser Leistungsbewilligung für die Kläger am günstigsten wäre. Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, § 41a Abs. 5 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) mit dem 31. Juli 2017 ablaufende Frist zur abschließenden Leistungsfestsetzung für den streitigen Zeitraum.
Die so verstandene Klage ist als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zulässig.
Die Klage hat in der Sache Erfolg im Sinn der Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide und der Zurückverweisung an den Beklagten zur erneuten Entscheidung über den endgültigen Leistungsanspruch der Kläger von August 2015 bis Januar 2016.
Inwieweit die Bescheide des Beklagten vom 10. August 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheids vom 7. März 2017 im Ergebnis rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen, bedarf weiterer Sachaufklärung.
Als Rechtsgrundlage für die Entscheidungen des beklagten Jobcenters über den abschließenden Leistungsanspruch der Kläger im Zeitraum von August 2015 bis Januar 2016 kommen nur § 80 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 41a Abs. 3 SGB II infrage. Demnach ist auch für vorläufig beschiedene Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 endeten, über den monatlichen Leistungsanspruch gemäß des seit 1. August 2016 geltenden § 41a SGB II abschließend zu entscheiden. Die leistungsberechtigten Personen sind demzufolge nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die vom Träger der Grundsicherung zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen. Kommt die leistungsberechtigte Person ihrer Nachweis- und Auskunftspflicht nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzt der Grundsicherungsträger den Leistungsanspruch nur in der Höhe fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.
Danach sind die Voraussetzungen für die vom Beklagten getroffenen Feststellungen, dass ein Leistungsanspruch der Kläger im Bewilligungszeitraum von August 2015 bis Januar 2016 gar nicht bestand, nicht gegeben.
Zwar hat der Beklagte zutreffend die zum 1. August 2016 durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (BGBl I, 2016, S. 1824) erfolgten Änderung zur Regelung der vorläufigen und abschließenden Leistungsbewilligung in § 41a SGB II angewandt; § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II sieht dies auch für den vorliegenden Fall vor, in dem der vorläufig beschiedene Bewilligungszeitraum bereits vor dem 1. August 2016 beendet war, hier mit Ablauf des 31. Januar 2016.
Jedoch hat der Beklagte weder eine angemessene Frist zur Vorlage der Unterlagen des Klägers zu 1 über seine tatsächlich erfolgten Einnahmen und Ausgaben aus seiner selbstständigen Tätigkeit im streitigen Zeitraum gesetzt noch ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen belehrt, welche bei Versäumnis einer Frist drohen.
Aus den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit leitet das Gericht ab, dass diese bei zu prüfenden Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit – wie es beim Kläger zu 1 infrage kommt – eine Frist von zwei Monaten für angemessen hält. Dies erscheint dem Gericht ebenfalls sachgerecht, weil derartige Unterlagen erfahrungsgemäß häufig erst beschafft oder zusammengestellt werden müssen. Dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen kann, liegt für das Gericht auf der Hand. Zudem war in dem bis 31. Juli 2016 geltenden § 3 Abs. 6 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ebenfalls eine Frist von zwei Monaten zum Nachweis des tatsächlichen Einkommens vorgesehen – wenngleich beginnend ab dem Ende des betreffenden Bewilligungszeitraums. Zu bedenken ist aber, dass die nun von § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II vorgesehene Verfahrensweise zu deutlich einschneidenderen Ergebnissen, nämlich der Feststellung des kompletten Anspruchswegfalls führen kann – so geschehen im Fall der Kläger. Aus diesen Gründen hält das Gericht eine mindestens zweimonatige Frist für angemessen. Dem entsprach die mit Schreiben des Beklagten vom 10. Mai 2016 bis 8. Juni 2016 gesetzte Frist nicht.
An dieser Bewertung ändert sich auch dadurch nichts, dass im Zeitpunkt der angefochtenen Festsetzung im August 2016 seit Ablauf des Bewilligungszeitraums über sechs Monate verstrichen waren. Denn maßgeblich ist allein die vom Beklagten gesetzte Frist, da das Verfahren zur abschließenden Entscheidung über die Leistungen nicht zwangsläufig einsetzt, sondern entweder vom Träger oder vom Leistungsberechtigten angestoßen wird. Anders als § 3 Abs. 6 Alg II-V in seiner alten Fassung ist auch kein automatischer Beginn einer Frist rechtlich vorgesehen.
Hinzu kommt, dass der Beklagte die Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Er hat in der Aufforderung vom 10. Mai 2016 darauf hingewiesen, dass bei fruchtlosem Verstreichen der Frist das Einkommen so geschätzt würde, dass von Hilfebedürftigkeit nicht auszugehen sein würde. In den Anhörungen vom 19. Juli 2016 wiederrum wurde dann ein geschätztes Erwerbseinkommen des Klägers zu 1 von monatlich 700 EUR zugrunde gelegt. Beides genügt den Anforderungen des § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II nicht. Das angekündigte Vorgehen des Beklagten bestand darin, die endgültige Leistungsentscheidung unter Berücksichtigung eines geschätzten Einkommens vorzunehmen. Die daraus resultierende abschließende Leistungshöhe und die entsprechenden Rückforderungen unterschieden sich auch deutlich von den später tatsächlich getroffenen Festsetzungen und zwar sowohl im Ergebnis als auch im Weg dazu. Gerade letzteres wirkt sich aber maßgeblich darauf aus, was ein Leistungsberechtigter gegebenenfalls dazu vortragen wird und wie er eine unliebsame Entscheidung anficht. Denn eine Verletzung von Mitwirkungspflichten unterscheidet sich qualitativ von einer Leistungsberechnung mittels einer Schätzung. Es wäre daher erforderlich gewesen, dass der Beklagte – unter Setzung einer angemessenen Frist und Belehrung über die nun drohenden Konsequenzen – nochmals zur Vorlage von Nachweisen über das tatsächliche Einkommen auffordert. Das ist aber nicht geschehen.
Konsequenz daraus ist nach Ansicht des Gerichts aber nicht, dass die streitigen Bescheide vollständig aufgehoben werden und es dann bei der vorläufigen Leistungsbewilligung auch endgültig bleibt. Vielmehr sind lediglich die Voraussetzungen für das vom Beklagten gewählte Vorgehen nach § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II nicht erfüllt. Damit ist aber nicht das Verfahren zur abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch vollständig beendet, sondern es greift dann wieder das von § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II vorgesehene Prozedere, zumal der Kläger zu 1 im August 2016 die abschließende EKS noch eingereicht hat.
Ob und in welcher Höhe sich im streitgegenständlichen Zeitraum danach ein abschließender Leistungsanspruch der Kläger ergibt, bleibt noch zu klären. Hierzu fehlt es bislang völlig an Ermittlung und Prüfung durch den Beklagten, weil dieser ein anderes Vorgehen gewählt hatte.
Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Allerdings ist es nicht gerichtliche Aufgabe, anstellte der Behörde erstmals umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und den Leistungsanspruch zu berechnen. Denn die Verwaltung trifft primär eine Amtsermittlungspflicht und die Gerichte sind primär zur Nachprüfung behördlicher Entscheidung berufen. Gerade bei reinen Anfechtungsklagen, wie vorliegend, und einem erheblichem Ermittlungsdefizit tritt daher die Pflicht der Gerichte aus § 103 SGG hinter die Amtsermittlungspflicht der Verwaltung zurück (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 131 Rz. 17 ff.).
Angesichts dieser Umstände hält es das Gericht für zweckmäßig, nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG vorzugehen. Es besteht, wie dargelegt, noch Ermittlungs- und Prüfungsbedarf und es handelt sich um die Situation einer isolierten Anfechtung einer behördlichen Entscheidung. Auch die Interessen der Kläger sprechen nicht dagegen, weil sie vom Beklagten eine eingehende Prüfung erwarten können. Zudem ist der Beklagte wegen des anstehenden Fristablaufs für die abschließende Leistungsbewilligung zu einer zügigen Prüfung gehalten. Den Klägern drohen also keine Nachteile aus diesem Vorgehen. Im Gegenteil: Sie werden nicht erstmals im gerichtlichen Verfahren mit einer Leistungsberechnung auf völlig anderer Grundlage konfrontiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

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