Sozialrecht

Änderung der Leistungsbewilligung im Wege der Überprüfung

Aktenzeichen  S 8 AS 66/18

Datum:
1.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2485
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 11a Abs. 3
SGB X § 44

 

Leitsatz

Kein Änderung der Leistungsbewilligung im Wege der Überprüfung, wenn dies zu keinem dauerhaften Mittelzufluss führen kann, sondern ein Zufluss mit einem Erstattungsanspruch belastet ist. (Rn. 22)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Gericht entscheidet trotz Ausbleibens der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung. Es ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 110 Abs. 1, § 126 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), und die Sache war entscheidungsreif. Von den anwaltlichen Vertretern der Kläger ist keine Verhinderung rechtzeitig vorgetragen und keine Terminsverlegung beantragt worden.
Gegenstand der Klage ist nach Auslegung durch das Gericht (§ 123 SGG) das klägerische Begehren nach höheren Leistungen für die Monate Dezember 2016 bis März 2017 dergestalt, dass in diesem Zeitraum keine Unterhaltsvorschussleistungen von insgesamt 797 EUR als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt werden und bei der Klägerin zu 1 in den genannten vier Monaten jeweils weitere 30 EUR von ihrem zu berücksichtigenden Einkommen abgesetzt werden. Dieses Rechtsschutzziel ergibt sich hinreichend deutlich aus dem Vorbringen im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren, beide Male mit fachanwaltlicher Unterstützung formuliert.
Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig. Anders als der Beklagte im Widerspruchsbescheid geht das Gericht insbesondere nicht davon aus, dass der Klage bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn in welcher Höhe sich ein etwaiger Anspruch der Kläger ergibt und in welcher Höhe diesem ein etwaiger Anspruch des Beklagten gegenübersteht, erfordert eine eingehendere Betrachtung, welche den Rahmen der Zulässigkeitsprüfung übersteigen würde. Daran zeigt sich auch, dass nicht relativ augenscheinlich auf der Hand liegt, dass die Kläger durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert sein können.
Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Denn der Beklagte hat im Ergebnis zu Recht eine Überprüfung der Leistungsbewilligung abgelehnt.
Als Grundlage für einen höheren Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitgegenständlichen Zeitraum kommen allein § 40 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) i.V.m. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) sowie die §§ 19 ff. SGB II infrage. Danach ist ein Verwaltungsakt, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu – insofern greift im Grundsicherungsrecht die Modifikation durch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – einem Jahr vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.
Demnach ist die bisherige Leistungsbewilligung zulasten der Kläger zwar rechtswidrig. Die Kläger waren von Dezember 2016 bis März 2017 leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und den §§ 19 ff. SGB II und der Beklagte hat den Anspruch der Kläger im Zeitraum Dezember 2016 bis März 2017 zu gering festgestellt. So haben die Kläger im Dezember 2016 an sich einen um 194 EUR höheren Anspruch, weil an die Klägerin zu 3 der in dieser Höhe berücksichtigte Unterhaltsvorschuss nicht gezahlt wurde. Für einen noch höheren Anspruch aufgrund der Absetzung der 30 EUR-Pauschale nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II und § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V), wie die Klägerseite meint, besteht keine Grundlage, weil in diesem Monat bei der Klägerin zu 1 kein übersteigendes Kindeseinkommen in Form von Kindergeld als bedarfsminderndes Einkommen anzurechnen ist. Denn die Kläger zu 2 und 3 konnten ihren Bedarf jeweils nicht vollständig durch das Kindergeld decken. Für Januar 2017 ergibt sich ein gegenüber der bisherigen Bewilligung um sieben Euro geringerer Anspruch der Bedarfsgemeinschaft der Kläger. Zwar ist kein Unterhaltsvorschuss zu berücksichtigen, jedoch ist der Klägerin zu 1 laut der vorliegenden Kontoauszüge in diesem Monat nicht nur der Lohn für Dezember 2016 (am 3. Januar 2017), sondern auch für Januar 2017 (am 31. Januar 2017) zugeflossen. Im Februar 2017 ist der Anspruch der Kläger dafür um 409 EUR höher als bisher bewilligt, weil neben dem nicht erhaltenen Unterhaltsvorschuss der Klägerin zu 3 auch das Januargehalt der Klägerin zu 1, wie bereits erwähnt, dieser schon Ende Januar 2017 zugeflossen ist. Schließlich ergibt sich für März 2017 ein gegenüber der bisherigen Bewilligung um 201 EUR höherer Anspruch der Kläger wegen des nicht erhaltenen Unterhaltsvorschusses für die Klägerin zu 3. In den Monaten Januar bis März 2017 ist ferner ebenso wie im Dezember 2016 keine weitere Absetzung vom Einkommens der Klägerin zu 1 vorzunehmen. Vor allem ist im Januar und März der Grundfreibetrag von 100 EUR nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II abzusetzen, in dem die 30 EUR-Pauschale aufgeht, und für Februar 2017 gilt dasselbe wie im Dezember 2016, nämlich dass kein übersteigendes Kindergeld vorhanden ist, das bei der Klägerin zu 1 als Einkommen zu berücksichtigen wäre.
Allerdings steht diesem um insgesamt 797 EUR höheren Anspruch der Kläger ein mindestens ebenso hoher Erstattungsanspruch des Beklagten für den Zeitraum Juli bis Dezember 2017 gegenüber aufgrund der im Juli 2017 zugeflossenen Unterhaltsvorschussnachzahlung, die gemäß § 11a Abs. 3 SGB II als bedarfsminderndes Einkommen mit monatlich um die 233 EUR angerechnet werden kann. Die Nachzahlung stellt einmaliges Einkommen im Sinn des § 11a Abs. 3 SGB II dar und würde auf sechs Monate aufgeteilt den Bedarf der Kläger entsprechend senken und damit zu einem etwa 1.400 EUR niedrigeren Anspruch führen. Der Beklagte konnte den Anspruch sowohl im Zeitpunkt der Ablehnung des Überprüfungsantrags mit Bescheid vom 21. November 2017 als auch jetzt noch geltend machen, da die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bzw. des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X noch nicht abgelaufen war bzw. ist.
Nach Auffassung des Gerichts ist der darauf zu stützende, gegen die Kläger gerichtete Anspruch des beklagten Jobcenters, auch wenn er bisher nicht bescheidmäßig vollziehbar festgestellt wurde, dahin zu berücksichtigen, dass der Anspruch der Kläger für den Zeitraum Dezember 2016 bis März 2017 als damit belastet bewertet wird und deswegen keinen im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X zu erfüllenden Anspruch darstellt. Zwar besteht keine Situation, in welcher der Beklagten zur Aufrechnung berechtigt wäre. Jedoch meint das Gericht, dass die für die Behandlung von bereits bei Auszahlung mit Rückzahlungsansprüchen belasteten Leistungen entwickelte Überlegung (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R), wonach eine solche Leistung eben nicht als zu berücksichtigendes, bereites Einkommen angerechnet wird, auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann. Denn die Situation ist in den Augen des Gerichts vergleichbar: Einem (potenziellen) Anspruch steht ein (potenzieller) Gegenanspruch gegenüber. Für die Anwendung dieser Überlegung auf die vorliegende Konstellation spricht auch der Sinn und Zweck des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, wie hier inmitten stehend. Diese ist auf eine Korrektur einer rechtswidrig zu geringen Leistungserbringung zugunsten des Anspruchsstellers ausgerichtet. Soweit dieses Ziel aber ohnehin nicht (mehr) erreicht werden kann, besteht auch keine ausreichende Grundlage für die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen. Diese wären umgehend wieder zu erstatten. Die bloße Beschäftigung der Sozialleistungsträger mit der Bescheidung von Ansprüchen und Gegenansprüchen kann aber nicht Sinn und Zweck des § 44 SGB X sein. Als Konsequenz daraus leitet das Gericht ab, dass eine Änderung der bisherigen Leistungsbewilligung im Wege der Überprüfung nicht veranlasst ist, wenn der betreffende Zeitraum bereits abgelaufen ist und die Änderung nicht zu einem absehbar dauerhaften Mittelzufluss und -verbleib bei den Leistungsberechtigten führen kann, sondern der Zufluss bereits mit einem gegenläufigen Erstattungsanspruch belastet ist.
Im vorliegenden Fall kommt dies zum Tragen, da der Anspruch der Kläger sogleich mit seiner Entstehung mit einer Gegenforderung belastet ist, wie oben dargelegt. Daher bestand jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten nicht mehr eine ausreichende Grundlage für eine Rücknahme der bisherigen Leistungsbewilligung von Dezember 2016 bis März 2017 und Bewilligung zu Unrecht in diesem Zeitraum nicht erbrachter Leistungen gemäß § 44 SGB X.
Deswegen ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

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