Sozialrecht

Anordnung des Ruhens der Approbation eines Psychiaters

Aktenzeichen  B 4 K 15.409

Datum:
18.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MedR – 2018, 44
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO BÄO § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
VwGO VwGO § 114 Satz 1

 

Leitsatz

1 Die im Rahmen des § 6 Abs. 1 BÄO auszuübende Ermessenentscheidung ist fehlerhaft, wenn statt der von der Behörde zugrunde gelegten dauerhaften psychischen Erkrankung eine Erkrankung vorliegt, die sich durch lange symptomfreie Phasen auszeichnet, in denen keine gesundheitliche Einschränkung der Berufsausübung vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Erkrankung mit langen symptomfreien Phasen sind völlig neue Ermessenserwägungen anzustellen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 07.05.2015 wird in Ziffer 2 bis 5 aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 07.05.2015 ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Ziffern 2 bis 5 aufzuheben, weil er insoweit rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
1. Rechtsgrundlage der Ziffer 2 des Bescheides ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO. Danach kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn nachträglich die Voraussetzung für die Erteilung der Approbation nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 weggefallen ist. Dies ist der Fall, wenn ein Arzt in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufes ungeeignet ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Dies folgt aus § 6 Abs. 2 BÄO, wonach die Anordnung aufzuheben ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Deshalb hat das Gericht alle Änderungen zu berücksichtigen, die seit Erlass der Anordnung eingetreten sind (OVG NRW, B. v. 21.10.2016 – 13 B 893/16 – juris Rn. 5).
Soweit, wie hier, die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt u.a. dann vor, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 114 Rn.12). Maßgeblich bei der gerichtlichen Kontrolle des Ermessensgebrauchs sind dabei diejenigen Erwägungen, die die Behörde tatsächlich angestellt hat, d.h. es kommt auf die tatsächlichen Gründe für die Entscheidung, nicht auf deren Begründbarkeit an (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn.22).
Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht. Er ist in dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage der Stellungnahme des Amtsarztes vom 30.03.2015 von der Annahme ausgegangen, beim Kläger liege eine komplexe Persönlichkeitsstörung vor, aufgrund derer seine gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Arztberufes dauerhaft nachträglich wegfallen sei. Damit ist der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung von nicht zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen.
Dies ergibt sich für das Gericht aus dem fachpsychiatrischen Gutachten der Ärztlichen Direktorin Dr. L., die das Vorliegen sowohl einer manifesten Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F60 als auch einer organischen Erkrankung im Sinne einer dementiellen Entwicklung ausschließt.
Unter einer Persönlichkeitsstörung nach ICD 10 – F 60 wird allgemein eine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens verstanden, die mehrere Bereiche der Persönlichkeit betrifft und mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einhergeht. Die Leitlinien der Persönlichkeitsstörung umfassen die Kriterien: deutlich unausgeglichene Einstellungen und Verhaltensweisen in mehreren Funktionsbereichen, andauerndes, tiefgreifendes abnormes Verhaltensmuster, Beginn der Störungen in Kindheit und Jugend, die sich im Erwachsenenalter manifestieren, Erfahren der Störung als Leiden und deutliche Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit.
Diese geforderten andauernden Verhaltensmuster in verschiedenen Bereichen sind laut Gutachterin beim Kläger nicht auszumachen. Zudem hätte eine solche Störung bereits in Kindheit und Jugend auffallen müssen. Darüber hinaus hätte der Kläger, läge bei ihm eine komplexe Persönlichkeitsstörung vor, nicht einen höheren Schulabschluss erworben, zwei Studiengänge absolviert und wäre nicht, abgesehen von krankheitsbedingten Einbrüchen, erfolgreich in seinem Beruf gewesen (Gutachten S.36f.).
Eine organische Erkrankung im kognitiven Bereich wird durch die testpsychologische Begutachtung ausgeschlossen, die keinen Anhaltspunkt auf einen hirnorganischen Abbauprozess ergeben hat.
Stattdessen gelangt die Gutachterin zu der Feststellung, dass beim Kläger eine Bipolar-II-Störung nach ICD-10 F31 vorliegt (Gutachten S. 27-37). Der klinische Verlauf dieser Störung ist gekennzeichnet durch wiederkehrende affektive Episoden, eine oder mehrere Episoden einer Major-Depression und mindestens eine hypomane Episode. Die Störung beginnt in der späten Adoleszenz. Die diagnostischen Kriterien sieht die Gutachterin beim Kläger als erfüllt an. Insbesondere habe er sich immer dann, wenn sein Antrieb und Redefluss gesteigert, sein Selbstwertgefühl übersteigert und er aufgrund von Stimmungsschwankungen gereizt war, in einer hypomanen Episode seiner Erkrankung befunden. Nach Auswertung der Befunde traten solche Phasen 1982, 1984, 1987,1990, 2014 und 2015 auf (Gutachten S. 30-34). Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung erläuterte, sei die hypomane Phase, die am 24.07.2014 zu seiner Einweisung ins Bezirkskrankenhaus geführt habe, bereits wenige Tage später bei der Nachuntersuchung am 28.07.2014 wieder abgeklungen gewesen. Daneben habe es lange symptomfreie Phasenintervalle gegeben, in denen der Kläger uneingeschränkt als gesund zu gelten habe. Davon sei auch am heutigen Tag der mündlichen Verhandlung auszugehen. Da der Kläger aber in den nicht vorherzusehenden hypomanen Phasen wegen Selbstüberschätzung krankheitsuneinsichtig sei, halte sie eine durchgehende medikamentöse Phasenprophylaxe für erforderlich.
Den fundierten Einschätzungen der Gutachterin, deren fachliche Kompetenz außer Frage steht, hat die Beklagtenseite nichts entgegengehalten. Das Gericht hat deshalb keine Zweifel, dass beim Kläger keine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die seine Eignung zur Berufsausübung dauerhaft ausschließt. Damit erweisen sich die Ruhensanordnung und die Ermessenserwägungen in dem angefochtenen Bescheid im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund des fachpsychiatrischen Gutachtens als rechtswidrig. Der Bescheid kann auch nicht mit der von der Gutachterin diagnostizierten Erkrankung einer bipolaren affektiven Störung aufrecht erhalten werden. Nachdem sich diese Störung durch lange symptomfreie Phasen auszeichnet, in denen keine gesundheitliche Einschränkung der Berufsausübungseignung vorliegt, wären völlig neue Ermessenserwägungen anzustellen. Insbesondere wenn sich der Kläger, wie in der Verhandlung angekündigt, bereitwillig der von der Gutachterin vorgeschlagenen Phasenprophylaxe unterzieht, dürfte die fehlende gesundheitliche Eignung des Klägers und eine Gefährdung seiner Patienten schwer zu begründen sein.
Da der streitgegenständliche Bescheid ausschließlich auf gesundheitliche Gründe gestützt ist, spielen die vom Beklagten angesprochenen Verhaltensweisen des Klägers, die auf eine Unwürdigkeit i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO hindeuten (Strafbefehl des Amtsgerichts Wunsiedel wegen Beleidigung einer Patientin), im vorliegenden Verfahren keine Rolle.
2. Nachdem nach Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 07.05.2015 die Approbation des Klägers nicht länger ruht, ist auch die Grundlage für die Rückforderung der Approbationsurkunde gemäß Art. 52 Satz 1 BayVwVfG unter Androhung eines Zwangsgeldes in Ziffern 3 und 5 des Bescheides entfallen.
II.
Als unterliegender Teil trägt der Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.

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