Sozialrecht

Anrechnung von Verletztengeld, freiwillig Versicherte, Hinzuverdienstgrenzen, freiwillige Versicherung, Erstattungsansprüche, Erwerbsminderungsrente, Arbeitseinkommen

Aktenzeichen  L 19 R 383/17

Datum:
26.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41546
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 96a Abs. 1 Satz 1
SGB VI § 96a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
SGB X § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist jeder Zufluss von Geld und Geldeswert, der Ausfluss auf die konkrete Sozialleistung hat, d.h. diese zum Ruhen oder zum (hier: völligen) Wegfall bringt, d. h. auch Einnahmen und Vermögenswerte, die nicht zu den Einkünften im Sinne des Steuerrechts gehören wie z. B. geldwerte Bezüge und Sozialleistungen.
2. Bei einer Rente wegen Erwerbsminderung ist als Hinzuverdienst auch das Verletztengeld zu berücksichtigen (§ 96a Abs. 3 Satz 2 SGB VI). Die Anrechnung von Verletztengeld erfolgt nicht nur bei einem gesetzlich in der Unfallversichung Versicherten, sondern auch bei einem freiwillig Versicherten.

Verfahrensgang

S 7 R 289/16 2017-06-13 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.06.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 13.06.2017 ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 13.06.2017 die Klage gegen den Bescheid vom 25.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2016 als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte hat zu Recht mit diesem Bescheid das vom Kläger in der Zeit vom 04.11.2015 bis 31.12.2015 aus seiner freiwilligen Unfallversicherung bei der V-BG erhaltene Verletztengeld als Einkommen im Sinne des § 96a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB VI auf seine laufende Erwerbsminderungsrente angerechnet und die hierdurch entstandene Überzahlung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zurückgefordert. Der Betrag in Höhe von 960,92 € ist vom Kläger nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Der Kläger bezieht von der Beklagten aufgrund des Ausführungsbescheids vom 04.12.2007 seit dem 01.01.2006 volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer nach § 43 SGB VI. Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung sind nicht ersichtlich, so dass der ursprüngliche Rentengewährungsbescheid als rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 SGB X anzusehen ist.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ab Änderung der Verhältnisse soll der Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit (u.a.) nach Nr. 3 nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VI ist jeder Zufluss von Geld und Geldeswert, der Ausfluss auf die konkrete Sozialleistung hat, d.h. diese zum Ruhen oder zum völligen Wegfall bringt, d. h. auch Einnahmen und Vermögenswerte, die nicht zu den Einkünften im Sinne des Steuerrechts gehören wie z. B. geldwerte Bezüge und Sozialleistungen (vgl. hierzu im Einzelnen Schütze, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., 2014, § 48 Rdnr 24 ff. m. w. N.). Auch wenn der Kläger vorträgt, dass er aus der Betreuung der privaten Immobilien seiner Ehefrau kein steuerrechtlich relevantes Einkommen erzielt, kann gleichwohl ein auf eine bezogene Sozialleistung anrechenbares Einkommen im Sinne des § 48 SGB X vorliegen.
Der Kläger hat in der hier streitigen Zeit vom 01.11.2015 bis 31.12.2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterhin bezogen und gleichzeitig von der V-BG Verletztengeld in Höhe von 200,00 € kalendertäglich, mithin also 6.000,00 € monatlich bezogen. Dieses Verletztengeld überschreitet unstreitig die in § 96a SGB VI genannten Hinzuverdienstgrenzen, die die Beklagte nochmals im Widerspruchsbescheid vom 12.04.2016 aufgelistet hatte.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das aus der freiwilligen Versicherung bei der V-BG bezogene Verletztengeld auch als Hinzuverdienst im Sinne des § 96a SGB VI zu bewerten. Nach § 96a Abs. 3 S. 2 SGB VI steht dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen das für denselben Zeitraum geleistete Verletztengeld und Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung gleich.
Auch wenn der Kläger kein Arbeitsentgelt aus abhängiger Beschäftigung im Rahmen der Verwaltung privater Immobilien seiner Ehefrau erzielt und hierbei auch – zumindest steuerrechtlich – keinen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit erwirtschaftet, ist er aufgrund der bei der V-BG bestehenden freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung, der im konkreten Versicherungsfall, nämlich dem von der V-BG angezeigten Arbeitsunfall vom 14.10.2015, Anspruch auf Verletztengeld nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB VII hat.
Der Kläger ist als freiwillig Versicherter nach § 2 Abs. 1 SGB IV Mitglied der Sozialversicherung und erhält im Leistungsfall damit auch Sozialleistungen im Sinne des § 11 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Regelungen der §§ 45 ff. SGB VII differenzieren nicht danach, in welcher Form das Versicherungsverhältnis des Klägers zum Träger der gesetzlichen Unfallversicherung besteht. Vielmehr sind den dort versicherten Personen Leistungen zu gewähren, sobald ein Versicherungsfall eingetreten und der Versicherungstatbestand erfüllt ist.
Die Besonderheit einer freiwilligen Versicherung besteht darin, dass eine Versicherungspflicht kraft Gesetzes nach § 2 SGB VII oder kraft Satzung nach § 3 SGB VII nicht vorliegt, aber der Kläger nach § 6 SGB VII das Recht zur freiwilligen Versicherung hat. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII können sich Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten versichern. Ob und inwieweit die freiwillige Versicherung des Klägers in der gesetzlichen Unfallversicherung bei der V-BG rechtmäßig war oder nicht, ist hier nicht zu überprüfen. Gleichwohl bestehen für den Senat keine Zweifel, dass die Tätigkeit des Klägers (Verwaltung eines privaten Immobilienvermögens und „Erträge“ hieraus) dem weiten Unternehmer-Begriff der gesetzlichen Unfallversicherung zugeordnet werden kann oder er zumindest als Ehegatte einer Unternehmerin in diesem Sinne zu qualifizieren ist. Unternehmer ist nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII die natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personenvereinigung oder -gemeinschaft, der das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Die „Verwaltung privaten Immobilienvermögens“ und daraus fließende „Erträge“ lassen sich unzweifelhaft unter diesen weiten Unternehmensbegriff subsumieren (vgl. hierzu auch Diel, in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 05/2018, § 136 SGB VII Rdnr 45 ff. m.w.N.), auch wenn dies mit der steuerrechtlichen Beurteilung gegebenenfalls nicht übereinstimmt.
Im Übrigen übt der Kläger im Rahmen dieser Vermögensverwaltung Tätigkeiten aus, die üblicherweise durch einen Unternehmer oder durch einen Arbeitnehmer auf entsprechende Weisung hin verrichtet werden könnten, so dass auch insoweit keine Bedenken gegen eine freiwillige Unfallversicherung des Klägers nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sprächen. Notwendig für eine Leistungsgewährung bei Eintritt eines Versicherungsfalles wäre dementsprechend auch der notwendige innere Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit der Vermögensverwaltung, der bei dem erlittenen Verkehrsunfall wohl von der V-BG auch bejaht wurde.
Rechtliche Eigenart der freiwilligen Versicherung ist, dass der Kläger die notwendigen Beiträge selbst aufzubringen hat und dass sich die Beitragshöhe nach dem fiktiv zugrunde gelegten Jahresarbeitsentgelt richtet. Es wird unabhängig von der Frage, ob tatsächlich Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ein fiktives Entgelt zugrunde gelegt und aus diesem Entgelt heraus die Beiträge erhoben. Gemäß § 6 Abs. 2 SGB VII beginnt die Versicherung mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuss binnen 2 Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt nach § 6 Abs. 2 S. 3 SGB VII solange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuss entrichtet worden ist. Der Kläger hat sich bei der V-BG für die Zugrundelegung eines fiktiven monatlichen Einkommens von 7.500,00 € entschieden. Hieraus waren die Beiträge zu entrichten, die vom Kläger dann auch nach Maßgabe der §§ 150 ff. SGB VII zu zahlen waren.
Als freiwillig Versicherter in der gesetzlichen Unfallversicherung erhält der Kläger bei Eintritt eines Versicherungsfalls – wie hier lt. Mitteilung der V-BG am 14.10.2015 – die gleichen Leistungen wie ein gesetzlich Versicherter. Insoweit ist nicht ersichtlich, aus welchem rechtlichen Grund eine Anrechnung von Verletztengeld zwar bei einem gesetzlich in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherten erfolgen, bei einem freiwillig Versicherten aber nicht erfolgen sollte. Das Gesetz selbst differenziert hier nicht.
Auch aus übergeordneten Überlegungen, insbesondere aus rechtssystematischen Gründen, kann kein Grund dafür abgeleitet werden, eine Anrechnung des Verletztengeldes nicht vorzunehmen. Insbesondere dienen die beiden Sozialleistungen, die der Kläger in der hier streitigen Zeit parallel nebeneinander bezogen hat, also Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung, derselben Zielsetzung, nämlich der Kompensation eines tatsächlichen oder fiktiven Entgeltausfalls infolge verletzungs- oder krankheitsbedingter Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit.
Ein solcher Grund kann auch nicht in dem Umstand gesehen werden, dass der Kläger als freiwillig Versicherter seine Beiträge selbst getragen und auch der Höhe nach selbst bestimmt hat. Er erlangt dadurch den umfassenden Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Gleichzeitig ist der Sicherungszweck der bezogenen Leistungen zu sehen, nämlich die Lebensunterhaltssicherung im Fall einer vorübergehenden oder dauerhaften Erwerbseinschränkung und der durch § 96a SGB VI bezweckten Vermeidung von Übersicherung.
Nachdem das Verletztengeld nach § 96a Abs. 3 S. 2 SGB VI auf die volle Erwerbsminderungsrente anzurechnen ist, ist der Zufluss des Verletztengeldes auch eine wesentliche Änderung beim Bezug der vollen Erwerbsminderungsrente im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Der Rentenbescheid vom 04.12.2007 war deshalb mit Wirkung ab der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Der Kläger hat nach § 50 Abs. 1 SGB X die überzahlte Rente nach § 50 Abs. 1 SGB X in Höhe von 960,92 € zu erstatten.
Im Übrigen sieht der Senat von einer weiteren Begründung des Urteils ab und bezieht sich in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 13.06.2017.
Soweit der Kläger einen Wechsel der Aktenbearbeitung durch den wohnortnahen Rentenversicherungsträger wünscht, ist dies hier nicht streitgegenständlich, so dass hierüber auch nicht in der Sache zu entscheiden war. Darauf wurde der Kläger bereits im Erörterungstermin vom 06.09.2018 hingewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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