Sozialrecht

Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner

Aktenzeichen  L 20 KR 217/15

Datum:
7.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 74864
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11
AGG § 1, § 2 Abs. 2
SGB I § 33c
SGB IV § 19a

 

Leitsatz

Die für den Zugang zur KVdR notwendigen Vorversicherungszeiten haben mit dem Alter des Klägers nichts zu tun (kein Verstoß gegen das AGG), sondern sind Ausdruck des Versicherungs- und Solidaritätsgrundsatzes in der gesetzlichen Sozialversicherung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 8 KR 340/14 2015-04-20 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 20.04.2015 die Klage gegen den Bescheid vom 17.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2014 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger erfüllt nicht die notwendige Vorversicherungszeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V für eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rentenantragsteller bzw. Rentenbezieher. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraumes Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren.
Die im Jahre 1993 eingeführte Verschärfung der Vorversicherungszeiten, die nur durch die Absolvierung von Pflichtbeitragszeiten erfüllt werden konnten, wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15.03.2000 (1 BvL 16/96) für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt, soweit höherverdienende Arbeitnehmer, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze aus der Pflichtversicherung ausgeschieden waren, schlechter gestellt wurden als pflichtversicherte Arbeitnehmer. Die dem Gesetzgeber vom BVerfG aufgegebene Neuregelung dieser Bestimmung ist nicht innerhalb der vom BVerfG gesetzten Frist erfolgt, so dass die notwendige Vorversicherungszeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V – entsprechend der vor 1993 bestehenden Regelung – durch alle Formen der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt werden kann, d. h. sowohl durch Pflichtbeitragszeiten als auch durch Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft und der Versicherung als Familienangehöriger nach § 10 SGB V. Dies entspricht dem aktuellen gesetzlichen Wortlaut. Das SG hat unter Berücksichtigung sämtlicher vom Kläger geltend gemachter Zeiten zutreffend festgestellt, dass gleichwohl die notwendige Vorversicherungszeit einer 9/10-Belegung der zweiten Hälfte des Zeitraums der Erwerbstätigkeit des Klägers nicht mit entsprechenden Versicherungszeiten belegt ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren neu mitgeteilten Zeiten einer freiwilligen Versicherung. Ein Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V besteht deshalb nicht.
Der Senat sieht ebenso wie das SG keine Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzliche Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V verfassungswidrig sein könnte. Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss aus dem Jahr 2000 (Az: 1 BvL 16/96) ausführlich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit befasst. Die geltende Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V trägt diesen Gedanken unzweifelhaft Rechnung.
Auch ein Verstoß gegen die Regelungen des AGG ist vorliegend nicht ersichtlich. Der Grundsatz nach § 1 AGG gilt gemäß § 2 Abs. 2 AGG über § 33 c Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I – und § 19a Viertes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IV – auch für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Die für den Zugang zur KVdR notwendigen Vorversicherungszeiten haben aber mit dem Alter des Klägers nichts zu tun, sondern sind Ausdruck des Versicherungs- und Solidaritätsgrundsatzes in der gesetzlichen Sozialversicherung, wonach nur diejenigen in den Schutz der Versichertengemeinschaft einbezogen werden sollen, die dieses Schutzes auch bedürfen. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Absicherung in der Krankenversicherung der Rentner und der dortigen Kostenstruktur ist die Regelung besonderer Ausdruck der Solidarität in der Versichertengemeinschaft in der Vergangenheit durch entsprechende Mitgliedschaftszeiten.
Im Übrigen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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