Aktenzeichen L 4 KR 359/15
SGB V § 44 Abs. 1, § 46
Leitsatz
1 Das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit ist jeweils im Einzelfall nachzuweisen. Finden sich hierfür keine Nachweise, fand insbesondere keine Untersuchung statt und ist auch aus den Befundberichten nicht erkennbar, dass wesentliche Behandlungen im streitbefangenen Zeitraum stattgefunden haben, geht dies zu Lasten des Versicherten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ohne weitere Begründung und ohne den Nachweis von Befunden durch die behandelnden Ärzte ausgestellte AU-Bescheinigungen reichen als Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 6 KR 176/14 2015-07-28 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.2015 und der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2014 werden abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld nach den gesetzlichen Bestimmungen ab 21.11.2013 für 12 Wochen zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu 6/10 zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Krankengeld über den 20.11.2013 hinaus für 12 Wochen. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg und der Bescheid der Beklagten waren deshalb dahingehend abzuändern. Im Übrigen steht Krankengeld bis 30.4.2013 nicht zu, insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden (§ 44 Abs. 1 SGB V) und ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld besteht (ständige Rechtsprechung, vergl. BSG vom 26.6.2007, B 1 KR 2/07 R). Der Anspruch auf Krankengeld entsteht 1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einem Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, 2. im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Satz 1 SGB V in der bis zum 22.7.2015 geltenden Fassung).
Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn aufgrund eines regelwidrigen körperlichen, seelischen oder geistigen Zustands die Fähigkeit zur Arbeitsverrichtung fehlt. Maßgebend ist dabei, da der Kläger zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen hat, ob der Versicherte wegen seiner gesundheitlichen Einschränkung nicht mehr in der Lage ist, Arbeiten zu verrichten, für die er sich der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt hat (§ 121 SGB III). In Betracht kommt danach jede Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere auch leichte Tätigkeiten unter Beachtung von Einschränkungen (s. dazu BSG SozR 3-2500 § 44 Nr. 9, BSGE 96, 182, sowie Brandts in Kasseler Kommentar § 44 Rn. 44 ff). Dabei geht der Senat, anders als das Sozialgericht und die Gutachterin Dr. N., davon aus, dass bei Entlassung aus der Reha-Maßnahme am 20.11.2013 noch kein vollschichtiges Leistungsvermögen beim Kläger bestanden hat. Dies ergibt sich aus den Formulierungen des Entlassungsberichts der Klinik I-Stadt, worin ausdrücklich dargelegt ist, dass die Entlassung als arbeitsunfähig erfolgte und der Patient erst nach weiterer komplikationsloser Rekonvaleszenz insgesamt von zehn bis 12 Wochen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der Lage sein wird, eine leichte Tätigkeit unter Beachtung der genannten Einschränkungen drei bis unter sechs Stunden durchzuführen. Es ist nach Auffassung des Senats weder im Verwaltungsverfahren noch im sozialgerichtlichen Verfahren ausreichend beachtet worden, dass die Entlassung als arbeitsunfähig erfolgte und auch die behandelnden Ärzte fortlaufend Arbeitsunfähigkeit attestiert haben. Frau Dr. N. hat in ihrem Gutachten, das nach Untersuchung des Klägers erst am 24.4.2015 erstellt wurde, nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Entlassung als arbeitsunfähig erfolgte und erst nach einer weiteren Rekonvaleszenz ein vollschichtiges Leistungsvermögen zu erwarten war. Für die Aussage, dass die von ihr festgestellte Leistungsbeurteilung ab 20.11.2013 zu gelten habe, hat sie außerdem keine Begründung abgegeben. Soweit sie ausgeführt hat, dass zwischen dem im Entlassungszeitpunkt 20.11.2013 dokumentierten Bewegungsausmaß und dem von ihr erhobenen Untersuchungsbefund am 24.04.2015 eine Diskrepanz besteht, ist deshalb davon auszugehen, dass sich die Bewegungsfähigkeit wie von den Ärzten beider Reha-Maßnahmen erwartet, zwischen der Entlassung und der Untersuchung bei Dr. N. gebessert hat. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Beweglichkeit ca. eineinhalb Jahre früher im gleichen Umfang unverändert bestanden haben sollte. Dabei ist die Gutachterin auch nicht darauf eingegangen, dass der Kläger sowohl in der Anamnese bei ihr als auch im Klageverfahren über erheblichen Schmerzmittelbedarf berichtet hat und auch im Entlassungsbericht die Verordnung von entsprechenden Medikamenten erkennbar ist. Auch ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Entscheidung über die Erwerbsunfähigkeitsrente von einem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit am 29.10.2013 ausgegangen wurde. Auch wenn die Erwerbsminderung beim Kläger nur auf Zeit aufgrund der Berücksichtigung des Arbeitsmarktes nach rentenrechtlichem Maßstab festgestellt wurde, so ist daraus trotzdem zu schließen, dass zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Reha-Maßnahme, die vom Rentenversicherungsträger durchgeführt wurde und die offenbar als Antrag auf Erwerbsminderungsrente umgedeutet wurde, ein vermindertes Leistungsvermögen bestand. Da auch die behandelnden Ärzte über diesen Zeitpunkt hinaus von einer Arbeitsunfähigkeit ausgegangen sind, wie dies die durchgehend ausgestellten Bescheinigungen nachweisen, steht für den Senat fest, dass noch für 12 Wochen nach Entlassung aus der Reha-Maßnahme Arbeitsunfähigkeit beim Kläger bestand.
Für das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung für länger als 12 Wochen nach der Entlassung aus der Reha-Maßnahme gibt es allerdings keine Nachweise, insbesondere fand keine Untersuchung statt und es ist auch aus den Befundberichten nicht erkennbar, dass wesentliche Behandlungen im Zeitraum Februar bis April 2014 stattgefunden haben. Die vorgelegten Untersuchungsberichte zeigen vielmehr, dass erst ab Juli, August 2014 verstärkt wegen der orthopädischen Erkrankungen Arztbesuche erfolgten und dabei z. B. in der Klinik A-Stadt bei der ambulanten Untersuchung am 9.7.2014 die Indikation zur Implantation einer Hüft-TEP gestellt wurde. Objektive Befunde für die Zeit Februar bis einschließlich April 2014 liegen nicht vor. Besuche beim Orthopäden erfolgten offenbar jeweils nur zur Fortschreibung der Arbeitsunfähigkeit mit Nennung der unveränderten Diagnosen. Als Diagnosen sind vermerkt M 16.2, Coxarthrose als Folge Dysplasie beidseits, sowie M 51.1 oder M 51.4, womit lumbale oder sonstige Bandscheibenschäden erfasst sind. Da weitere Untersuchungsbefunde aus dieser Zeit, auch nicht in der Akte der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern vorliegen und eine Untersuchung dort erst 2015 stattfand, ist für den Zeitraum 12 Wochen nach der Entlassung aus der Reha nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen, dass durchgehend Arbeitsunfähigkeit bestand. Insoweit kann den Ausführungen von Dr. N. und den Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes gefolgt werden, da zumindest zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung eine Leistungsfähigkeit von mehr als drei Stunden gegeben war, was auch in Einklang steht mit der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers, Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit wegen des verschlossenen Arbeitsmarkts zu bewilligen. Die ohne weitere Begründung und ohne den Nachweis von Befunden durch die behandelnden Ärzte ausgestellten AU-Bescheinigungen reichen als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit bis 30.4.2014 nach Auffassung des Senats nicht aus.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht beantragt hatte, ein weiteres Gutachten einzuholen, war diesem Antrag nicht zu entsprechen, da mangels objektivierbare Befunde aus dieser Zeit und dem Ergebnis der Untersuchung durch Dr. N. zu einem späteren Zeitpunkt kein Aufklärungsbedarf bestand.
Die Berufung des Klägers konnte somit nur für die Zeit über den 20.11.2013 hinaus für 12 Wochen Erfolg haben, so dass das Urteil des Sozialgerichts vom 28.07.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16.1.2014, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.5.2014, abzuändern waren und die Beklagte zu verpflichten war, dem Kläger Krankengeld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ab dem 21.11.2013 für 12 Wochen zu bezahlen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.