Sozialrecht

Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung der zugeflossenen BAföG-Leistungen

Aktenzeichen  S 8 AS 416/16

Datum:
31.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 69297
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 9, § 11 Abs. 1, § 11a, §§ 19 ff.
BAföG BAföG § 14 Abs. 2a

 

Leitsatz

1. Der tatsächliche Zufluss von Ausbildungsförderung ist unerheblich und die Leistung ist nicht bedarfsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen. (amtlicher Leitsatz)
2 BAföG-Leistungen sind bei der Prüfung eines Anspruches nach dem SGB II dem Monat zuzurechnen, für den sie geleistet werden, unabhängig davon, wann sie dem Berechtigten tatsächlich zufließen. (red. LS Dunja Barkow von Creytz)

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 22. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2016 verpflichtet, der Klägerin Leistungen für September 2015 ohne Berücksichtigung der in diesem Monat zugeflossenen BAföG-Zahlung zu bewilligen.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Leistungen des Beklagten zur Sicherung des Lebensunterhalts im September 2015 in Höhe des Regelbedarfs zuzüglich des Mehrbedarfs für werdende Mütter ohne Berücksichtigung der im September 2015 zugeflossenen BAföG-Leistungen. Soweit er dem entgegensteht, ist der Bescheid des Beklagten vom 22. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2016 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin ist im August 2015 gemäß § 7 Abs. 5 Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) bis auf die vom Beklagten auch bewilligten Leistungen nach § 27 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie sich in diesem Monat noch in einer förderfähigen Ausbildung nach dem BAföG befunden hat. Die gilt auch, wenn die Leistungsbewilligung aufgrund von § 15 Abs. 2a BAföG erfolgt ist, also infolge der schwangerschaftsbedingten Verhinderung an der Durchführung der Ausbildung. Denn die Ausbildung wurde dann lediglich nicht durchgeführt, war aber nicht ab- oder unterbrochen.
Für September 2015 hat die Klägerin nach Anspruch auf Leistungen des Beklagten nach den §§ 19 ff. SGB II. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich nicht mehr in einer förderfähigen Ausbildung im Sinn des § 7 Abs. 5 SGB II. Die Klägerin war auch bedürftig, § 9 SGB II. Insbesondere verfügte sie trotz der im September 2015 zugeflossenen BAföG-Leistungen über kein zu berücksichtigendes Einkommen. Das folgt zwar nicht daraus, dass diese Zahlung eine Nachzahlung für den Monat August 2015 darstellte. Denn es handelte sich bei den BAföG-Leistungen an die Klägerin um eine laufende Einnahme, so dass sich auch durch eine Nachzahlung nichts an dieser Einstufung ändert (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 32/14 R).
Dennoch stellt die im September 2015 geflossene Zahlung kein zu berücksichtigendes Einkommen im Sinn des § 11 Abs. 1 SGB II dar. Grundsätzlich stellt demnach jede Einnahme in Geld Einkommen dar, das – nach Abzug etwaiger Absetzbeträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II aufgeführten Einnahmen – bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist, §§ 9, 11 Abs. 1 SGB II. Bei der BAföG-Zahlung im September 2015 handelt es sich nicht um anrechnungsfreies Einkommen nach § 11a SGB II. Allerdings ist zu beachten, dass für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II unerheblich ist, ob tatsächlich Leistungen bezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007, B 14/7b AS 36/06 R). Daraus muss abgeleitet werden, dass auch unerheblich ist, zu welchem Zeitpunkt eine derartige Leistung dann tatsächlich zufließt. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr, dass de facto die Leistungsbeschränkung aufgrund einer förderfähigen Ausbildung über § 7 Abs. 5 SGB II hinaus ausgedehnt würde. Das kann aber schon wegen der grundrechtsrelevanten Bedeutung der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II nicht gewollt sein. Vielmehr rechtfertigt sich die Leistungseinschränkung nach § 7 Abs. 5 SGB II mit der Annahme, dass die Leistungen des BAföG und des SGB III bedarfsgerecht ausgestaltet sind und neben dem speziellen Ausbildungsbedarf auch den Lebensunterhalt des Geförderten abdecken, so dass keine Aufstockung der Leistungen durch solche des SGB II erforderlich ist. Dadurch soll eine versteckte Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene verhindert werden (Juris-PK, SGB II, § 7 Rz. 287). Diese Überlegungen treffen vorliegend aber nur für August, nicht aber September 2015 zu. Nur für den August hat die Klägerin Ausbildungsförderung erhalten. Im September 2015 ist gerade keine anderweitige Deckung des Lebensunterhalts beabsichtigt und gewährt worden. Somit besteht die Gefahr einer versteckten Ausbildungsförderung über das SGB II ebenfalls nicht. Das bedingt nach Auffassung des Gerichts, dass der tatsächliche Zufluss erst im September 2015 unbeachtlich ist und die Leistungen vielmehr wertend dem Monat August 2015 zuzurechnen ist.
Deswegen ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

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