Sozialrecht

Anzurechnendes Einkommen bei Leistungen der Grundsicherung

Aktenzeichen  S 9 AS 349/17

Datum:
31.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 31 Abs. 2, § 39 Nr. 1, § 40 Abs. 2 Nr. 1, § 59
SGB III SGB III § 309, § 328 Abs. 1 S. 1, § 336 a S. 1 Nr. 3
SGG SGG § 54 Abs. 1 S. 2, § 64 Abs. 2 S. 1, § 67, § 87 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Versäumnis der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse für die vorbeugende Unterlassungsklage ist nicht gegeben, wenn der Kläger auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen die Bescheide vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2017 wird abgewiesen. Der Antrag auf Unterlassung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Da die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, hat das Gericht von der Möglichkeit, durch Gerichtbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, Gebrauch gemacht. Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Beklagte hat sein Einverständnis zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erteilt.
Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die Bescheide vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2017 ist unzulässig; sie wurde nicht fristgerecht eingereicht.
Gemäß § 87 Abs. 1 und 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben.
Der Widerspruchsbescheid vom 17. März 2017 wurde der Klägerin am 21. März 2017 durch die Deutsche Post AG zugestellt.
Die Klagefrist endete somit spätestens am 21. April 2017 (§§ 87 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 2 Satz 1 SGG, 21. April 2017 Freitag). Da die Klage jedoch erst am 1. Juni 2017 beim Sozialgericht Köln (§ 98 SGG i. V. m. § 17b Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)) einging, war sie nicht fristgerecht.
Wiedereinsetzung nach § 67 SGG kann nicht gewährt werden, da die Klagefrist nicht ohne Verschulden versäumt wurde.
Gemäß § 67 Abs. 1 SGG kann auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Versäumnis der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Für die Fristversäumnis muss das Verschulden ursächlich geworden sein (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage 2017, § 67, Rdnr. 3 – BAYERN.RECHT). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen. Die Fristversäumnis erfolgte somit schuldhaft. Das Verschulden war auch ursächlich für die Fristversäumnis, so dass Wiedereinsetzung im Sinne von § 67 SGG nicht gewährt werden kann.
Die von der Klägerin erhobene vorbeugende Unterlassungsklage ist gleichfalls unzulässig, vgl. entsprechend § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse für die vorbeugende Unterlassungsklage ist nicht gegeben, da die Klägerin auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 54, Rdnr. 42a – BAYERN.RECHT). Dieses besondere Zulässigkeitserfordernis ergibt sich bei vorbeugenden Unterlassungs- oder Feststellungsklagen daraus, dass das Rechtsschutzsystem des SGG grundsätzlich auf die nachträgliche Überprüfung von Verwaltungshandeln ausgerichtet ist und der Kläger gegenüber Verwaltungsakten durch die Möglichkeit insbesondere des Antrags auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 3 Satz 1 SGG) bzw. des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG) ausreichend geschützt ist. Daher ist in der Hauptsache für eine vorbeugende Unterlassungsklage nur ausnahmsweise dann Raum, wenn die Verweisung auf den erst nach Erlass des Verwaltungsaktes möglichen Rechtsschutz unzumutbar ist, zum Beispiel weil ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen würden (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Juni 2016 – L 1 B 16/06 AS ER – juris).
Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass das Abwarten einer Beeinträchtigung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden ist. Zwar wurde die Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 sanktioniert (Minderung um monatlich 40,90 € vom 1. Januar 2017 bis 31. März 2017). Die Leistungen wurden jedoch weiterhin ungekürzt ausgezahlt. Eine Rechtsverletzung ist somit nicht eingetreten.
Der Klägerin ist es zuzumuten, sich auf den Rechtsschutz gegen ergangene Meldeaufforderungen des Beklagten bzw. die im Falle eines Meldeversäumnisses ohne wichtigen Grund erfolgende Absenkung gemäß § 31 Abs. 2 SGB II verweisen zu lassen. Die Meldeaufforderung gemäß § 59 SGB II i. V. m. § 309 SGB III begründet für die Klägerin bzw. die Leistungsempfängerin nach dem SGB II zunächst nur die Verpflichtung, zum vereinbarten Termin zu erscheinen. Hierdurch treten keine unzumutbaren Nachteile ein. Im Übrigen besteht trotz der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Meldeaufforderungen (§ 336a Satz 1 Nr. 3 SGB III in entsprechender Anwendung) die Möglichkeit, die Aussetzung der Vollziehung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Maßgabe der bereits genannten Vorschriften zu beantragen. Zwar kann das Meldeversäumnis – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – zur Absenkung des Arbeitslosengeldes II führen (§ 31 Abs. 2 SGB II). Der Klägerin ist es jedoch ebenfalls zuzumuten, eine solche Entscheidung des Beklagten abzuwarten und sich – da der Widerspruch insoweit gemäß § 39 Nr. 1 SGB II ebenfalls keine aufschiebende Wirkung hat – auch dagegen mit den genannten Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zu wehren. Hierdurch kann der Eintritt irreparabler Nachteile in ausreichendem Maße verhindert werden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Juni 2016 – L 1 B 16/06 AS ER – juris).
Daher war die unzulässige Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.
Der Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden, vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

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