Sozialrecht

Aufhebung der Aussetzungsentscheidung mangels erforderlicher Ermessensentscheidung

Aktenzeichen  L 13 R 517/16 B

Datum:
10.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 114 Abs. 2, § 172 Abs. 1, § 173

 

Leitsatz

1. Die Entscheidung nach § 114 Abs. 2 SGG steht auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen des Gerichts. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 114 die zu erwartende Arbeitserleichterung, die Fachkunde des anderen Gerichts und die Vermeidung von Doppelarbeit gegen die Verzögerung des Rechtsstreits abzuwägen.
2. Fehlt es an einer solchen Abwägung, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor, der zur Aufhebung des Beschlusses führt.

Verfahrensgang

S 31 R 2332/15 2016-07-06 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 6. Juli 2016 über die Aussetzung des Rechtsstreits mit dem Aktenzeichen S 31 R 2332/15 aufgehoben.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aussetzung eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht München, in dem es um die Rückforderung überzahlter Rentenleistungen geht.
Der Kläger bezog vom 01.01.2006 bis zum 28.02.2007 von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Deren Weitergewährung wurde mit Bescheid vom 21.03.2007 abgelehnt und vom Kläger im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München erfolglos gerichtlich geltend gemacht (Urteil vom 04.08.2010 – S 47 R 2646/07). Im anschließenden Berufungsverfahren (L 14 R 893/10) schloss der Kläger, vertreten durch seinen früheren Bevollmächtigten, mit der Beklagten einen Vergleich über die Bewilligung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Die vom Kläger angestrebte Fortsetzung des Verfahrens wurde mit Urteil des Landessozialgerichts vom 30.01.2014 (L 14 R 1063/13) abgelehnt. Tatsächlich wurde die Rente noch bis zum 31.10.2007 weiter bezahlt.
Die Weitergewährung der Rente ab dem 01.03.2007 ist nach erfolgloser Durchführung eines Überprüfungsverfahrens und der Abweisung der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 (S 31 R 1589/15) Gegenstand des beim erkennenden Senat anhängigen Berufungsverfahrens mit dem Aktenzeichen L 13 R 186/16. In diesem Verfahren ist eine Entscheidung noch nicht ergangen.
Streitig im Klageverfahren S 31 R 2332/15 ist der Bescheid vom 16.02.2015, mit dem die Beklagte vom Kläger die vom 01.03.2007 bis zum 31.10.2007 erbrachte Rentenleistung in Höhe von insgesamt 5.041,89 € zurückfordert.
In diesem Klageverfahren hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 06.07.2016 das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens L 13 R 186/16 gemäß § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgesetzt. Eine Vorgreiflichkeit werde schon deshalb gesehen, weil bei einem Erfolg des Antrags auf Weitergewährung die Grundlage für die streitige Rückforderung entfalle.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner am 25.07.2016 beim Bayerischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde. Die Aussetzung sei ohne Zustimmung der Klägerseite nicht möglich und das Berufungsverfahren nicht vorgreiflich. Tatsächlich werde die Ansicht vertreten, dass der streitgegenständliche Rückforderungsbescheid bereits wegen Zeitablaufs rechtswidrig sei und dass auch Vertrauensschutzgründe der Rückforderung entgegenstehen würden.
Er beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.07.2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Aussetzung sei auch ohne Zustimmung des Klägers zulässig. Im Übrigen werde die Auffassung des Sozialgerichts geteilt. Wenn der Kläger bis Oktober 2007 Anspruch auf eine Rente hätte, könne die Rückerstattung der Rentenzahlung nicht verlangt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge auch im Berufungsverfahren L 13 R 1856/16 sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie nach § 172 Abs. 1 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig und im Ergebnis auch begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, das Klageverfahren S 31 R 2332/15 bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens L 13 R 186/16 auszusetzen, ist aufzuheben, weil es an der erforderlichen Ermessensausübung fehlt.
Nach § 114 Abs. 2 SGG kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens anordnen, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.
Die Entscheidung nach § 114 Abs. 2 SGG steht auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen des Gerichts. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach § 114 SGG die zu erwartende Arbeitserleichterung, die Fachkunde des anderen Gerichts und die Vermeidung von Doppelarbeit gegen die Verzögerung des Rechtsstreits abzuwägen (Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, § 114 Rn. 8). Das Gericht muss in der Begründung seines Beschlusses erkennbar machen, dass es die maßgeblichen Gesichtspunkte sorgfältig abgewogen hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 114 Rn. 9). Fehlt es an einer solchen Abwägung, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor (BFH, Beschluss vom 31.05.2010 – X B 136/09).
Zwar kann das Ermessen nach allgemeinen Regeln auf Null reduziert sein, wenn es entscheidend auf ein Rechtsverhältnis ankommt, das nur von einem anderen Gericht festgestellt werden kann, etwa bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung (Wehrhahn, a.a.O.). Dafür liegen vorliegend aber keine Anhaltspunkte vor. Die Frage, ob der Kläger im Rückforderungszeitraum materiell-rechtlich rentenberechtigt war, ist nur eine von mehreren rechtlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung des Rückforderungsbescheids zu klären sind. Vor diesem Hintergrund konnte auf eine Ermessensausübung nicht verzichtet werden.
Tatsächlich hat aber das Sozialgericht im Beschluss vom 06.07.2016 kein Ermessen ausgeübt, sondern sich auf die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen beschränkt.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da das Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss kostenrechtlich als Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit zu behandeln ist (Keller, a.a.O.; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.11.2012 – L 1 KR 421/12 B -; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.08.2006 – L 8 AL 2352/06 B -, jeweils nach juris).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

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