Sozialrecht

Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses durch nahtlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Aktenzeichen  S 11 KR 610/15

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 46 S. 1 Nr. 2, § 47b Abs. 1 S. 2, § 192 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Zwar ist § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht zu entnehmen, dass es bei Versicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V allein auf den wirklichen Beginn der Arbeitsunfähigkeit und nicht auf die ärztliche Feststellung ankommen soll, jedoch wird § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (in der Fassung vom 17.07.2009) insoweit modifiziert, als der Krankengeldanspruch bereits am ersten Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit und nicht erst mit dem Folgetag entsteht.
2. Für die Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses durch § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es ausreichend, dass sich der Anspruch auf Krankengeld nahtlos anschließt. Dafür reicht es bei Versicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V wegen § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V aus, dass die Arbeitsunfähigkeit am nächsten Tag nach dem Ende der Fortzahlung des Arbeitslosengeldes – bzw. nach dem Ende eines Krankengeldbewilligungsabschnittes, sofern das Versicherungsverhältnis bereits durch § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrecht erhalten wurde – ärztlich festgestellt wird.
3 Einer wie auch immer gearteten Überschneidung des vorangehenden Versicherungsverhältnisses und der Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung bedarf es nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2015 verurteilt, an den Kläger Krankengeld in gesetzlicher Höhe über den 20.10.2014 hinaus bis zum 05.01.2015 zu zahlen.
II.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 21. Oktober 2014 bis zum 05. Januar 2015, über den die Beklagte mit Bescheid vom 26. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2015 entschieden hat.
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere wurde die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) zum örtlich (§ 57 Abs. 1 SGG) und sachlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) zuständigen Sozialgericht Würzburg erhoben. Das Vorverfahren wurde durchgeführt (§§ 78 ff. SGG). Die Klagefrist wurde eingehalten (§§ 87, 89 und 91 SGG).
2. Die Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Krankengeldzahlung für den Zeitraum vom 21. Oktober 2014 bis zum 05. Januar 2015 in gesetzlicher Höhe.
a. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krankengeld sind § 44, § 46 und § 47b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkassen stationär behandelt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestimmt allein das bei Entstehen eines Krankengeldanspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als „Versicherter“ Anspruch auf Krankengeld hat (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 12.03.2013, B 1 KR 7/12 R, juris).
Ein Anspruch auf Krankengeld setzt grundsätzlich eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld (vgl. § 44 Abs. 2 SGB V), die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder die stationäre Behandlung auf Kosten der Krankenkasse (vgl. § 44 Abs. 1 SGB V) und – sofern eine stationäre Behandlung nicht erfolgt – die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (vgl. § 46 SB V) voraus.
Die Voraussetzungen eines Krankengeldanspruchs müssen bei zeitlich befristeter ärztlicher Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, juris).
Alle Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs waren bis einschließlich 05. Januar 2015 erfüllt.
b. Dass der Kläger arbeitsunfähig war ist zu Recht zwischen den Beteiligten nicht strittig. Die Beklagte beruft sich darauf, dass das Versicherungsverhältnis des Klägers mit Anspruch auf Krankengeld am 20. Oktober 2014 geendet habe. Dies war nach Auffassung der Kammer jedoch nicht der Fall. Vielmehr lagen alle Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankengeld weiterhin bis einschließlich 05. Januar 2015 vor. Der Kläger war insbesondere bis zum 05. Januar 2015 mit Anspruch auf Krankengeld versichert.
aa. Nicht in allen Versicherungsverhältnissen besteht ein Anspruch auf Krankengeld. So besteht insbesondere bei einer Versicherung als Arbeitslosengeldbezieher (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V), wie sie beim Kläger bestand, ein Anspruch auf Krankengeld nicht jedoch bei einer Familien- oder Auffangversicherung (vgl. § 44 Abs. 2 SGB V).
Der Kläger war am 30. Dezember 2013 zum Zeitpunkt zu dem erstmals ein Krankengeldanspruch entstehen konnte, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V als Arbeitslosengeldbezieher bei der Beklagten krankenversichert. Nach dem Ende der Fortzahlung des Arbeitslosengeldes wäre die Versicherung gemäß § 190 Abs. 12 SGB V grundsätzlich erloschen. Weil der Kläger jedoch zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Krankengeld hatte, blieb die Versicherung als Arbeitslosengeldbezieher gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestehen, solange ein (nahtloser) Anspruch auf Krankengeld fortbestand (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, juris). Dies war hier bis zum 05. Januar 2015 der Fall.
bb. Grundsätzlich entsteht der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden, hier maßgeblichen Fassung) von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Bei nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V wegen Arbeitslosengeldbezuges Versicherten – zu denen der Kläger zu zählen war – modifiziert § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V diese Regelung jedoch. Danach wird Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an gewährt. Zwar ist § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V mit Rücksicht auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht zu entnehmen, dass es – anders als bei allen anderen Krankenversicherungsverhältnissen – insoweit auf den wirklichen Beginn der Arbeitsunfähigkeit und nicht auf die ärztliche Feststellung ankommen soll (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2002, B 1 KR 11/02 R, juris), jedoch entsteht der Krankengeldanspruch bereits am ersten Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit und nicht erst mit dem Folgetag (vgl. BSG, Urteil vom 06.11.2008, B 1 KR 37/07 R, juris Rn. 23; Brandts in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 88. Ergänzungslieferung Dezember 2015, § 47b SGB V Rn. 13).
Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde zunächst bis zum 20. Oktober 2014 ärztlich bescheinigt. Für einen nahtlosen Anspruch auf Krankengeld genügte es im Hinblick auf § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V – wegen § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V – dass die Arbeitsunfähigkeit am 21. Oktober 2014 erneut ärztlich festgestellt wurde.
Das Bundessozialgericht hat wiederholt entschieden, dass es für den Erhalt der Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung genügt aber auch erforderlich ist, dass sie mit Ablauf des letzten Tages ihrer Beschäftigung alle Voraussetzungen dafür erfüllen, dass mit dem zeitgleichen Beginn des nächsten Tages ein Anspruch auf Krankengeld entsteht (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R, juris). Die ergangenen Urteile haben sich jedoch nicht mit der Situation der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V versicherten Arbeitslosengeldbezieher beschäftigt. Hier gelten wegen § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V Besonderheiten.
Für die Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses durch § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist es ausreichend, dass sich der Anspruch auf Krankengeld nahtlos anschließt. Dafür reicht es bei Versicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V wegen § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V aus, dass die Arbeitsunfähigkeit am nächsten Tag nach dem Ende der Fortzahlung des Arbeitslosengeldes – bzw. nach dem Ende eines Krankengeldbewilligungsabschnittes, sofern wie hier das Versicherungsverhältnis bereits durch § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhalten wird – ärztlich festgestellt wird. Der Krankengeldanspruch beginnt wegen § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V bereits am diesem Tag. Hierdurch liegt eine Nahtlosigkeit vor.
Einer wie auch immer gearteten Überschneidung des vorangehenden Versicherungsverhältnisses und der Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung bedarf es nicht, auch wenn Überschneidungen nicht ausgeschlossen sind. Das belegen andere Fallgestaltungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, in denen sich der Anspruch auf die Sozialleistung lediglich ohne Überschneidung an das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis anschließt und dadurch die Mitgliedschaft aufrechterhält (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R, juris). Das Gesetz verlangt lediglich eine Nahtlosigkeit und keine Überschneidung. Für die Aufrechterhalten des Versicherungsverhältnisses gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V des Klägers nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V war es daher ausreichend, dass die Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 21. Oktober 2014 erneut ärztlich festgestellt wurde. Wegen § 47b SGB V begann der Krankengeldanspruch des neuen Bewilligungsabschnitts mit diesem Tag. Der letzte Bewilligungsabschnitt endete am 20. Oktober 2014. Beide Bewilligungsabschnitte folgen taggenau nahtlos aufeinander. Damit lag ein durchgehender Anspruch auf Krankengeld im Sinne von § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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