Aktenzeichen M 15 K 16.3249
VwGO VwGO § 166
ZPO ZPO § 114
SGB X SGB X § 42 S. 1, § 44
Leitsatz
1 Die Regelung des § 2 Abs. 1a S. 1 Nr. 1 BAföG beruht auf dem Grundgedanken, dass die Ausbildungsfinanzierung bis zum Abschluss der Allgemeinbildung originäre Aufgabe der Eltern des Auszubildenden ist und der Staat deshalb nur dann im Weg der Ausbildungsförderung einspringen soll, wenn die Ausbildung wegen einer ausbildungsbedingt notwendigen auswärtigen Unterbringung besonders hohe Kosten verursacht (vgl. BayVGH BeckRS 2011, 53020). Dementsprechend wird Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BAföG genannten Ausbildungsstätten nur erbracht, wenn der Auszubildende aus Gründen, die in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung stehen, außerhalb der elterlichen Wohnung untergebracht ist; andere Gründe sind förderungsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Von der in § 2 Abs. 1a S. 2 BAföG vorgesehenen Möglichkeit, mittels Rechtsverordnung Fallgruppen zu bestimmen, bei deren Vorliegen Förderung auch dann zu leisten ist, wenn dem Auszubildenden das Wohnen bei seinen Eltern oder einem Elternteil „aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist“, hat der Verordnungsgeber keinen Gebrauch gemacht. Daher vermögen weder die tatsächlichen Wohnverhältnisse der Eltern oder des maßgeblichen Elternteils noch das Vorliegen einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung eine Förderung nach dem BAföG wegen notwendiger auswärtiger Unterbringung eines Auszubildenden zu begründen, solange sich am Wohnort der Eltern eine zu der besuchten vergleichbare Ausbildungsstätte findet (wie BayVGH BeckRS 2013, 47542). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin … wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … 1997 geborene Kläger ist seit dem Jahr 2003 vom Kreisjugendamt T. im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII bei der Familie … in … (Landkreis T.) untergebracht.
Das Kreisjugendamt T. beantragte für ihn am 11. September 2013 Ausbildungsförderung für den Besuch der 12. Klasse der Mittelschule … und am 9. September 2014 Ausbildungsförderung für den Besuch der 11. Klasse der Fachoberschule … Am 21. Juli 2015 beantragte der mittlerweile volljährige Kläger selbst Ausbildungsförderung für den Besuch der 12. Klasse der Fachoberschule … (sozialer Zweig).
Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Landratsamts T. vom 11. Oktober 2013, vom 9. September 2014 und vom 1. Oktober 2015 abgelehnt. Zur Begründung wurde jeweils ausgeführt, Ausbildungsförderung könne nicht bewilligt werden, weil von der Wohnung der Mutter des Klägers aus eine entsprechende zumutbare Schule in angemessener Zeit erreicht werden könne.
Gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2015 (betr. das Schuljahr 2015/2016) hat der Kläger am 29. Oktober 2015 Widerspruch eingelegt.
Zu dessen Begründung brachten seine Bevollmächtigten vor, der Bescheid sei von einer unzuständigen Stelle erlassen worden und sei daher formell rechtswidrig. Der Bescheid sei aber auch materiell rechtswidrig, weil der Kläger bereits als Minderjähriger daran gehindert gewesen sei, in der Wohnung seiner Mutter zu leben. Seit 19. Mai 2003 sei er in Vollzeitpflege bei Familie … untergebracht. Laut der Akten des Jugendamts T. sei der Kläger im Jahr 2006 von seiner Mutter beim Jugendamt … „abgegeben“ worden. Damals habe die elterliche Sorge der Mutter teilweise geruht. Sie habe der Vollzeitpflegemaßnahme zugestimmt, d.h. sie nehme seit 2006 das Sorgerecht nicht wahr. Wenn der Kläger noch minderjährig wäre, müsste das Jugendamt ihn wegen Kindeswohlgefährdung von der Mutter wegholen. Daher sei gemäß 2.1a.6 der BAföG-VwV die räumliche Nähe zur Mutter zu verneinen. Dem Kläger sei es nicht zumutbar, auf den Wohnort der Mutter verwiesen zu werden. Die Tatsache, dass der Mutter das Sorgerecht nicht entzogen worden sei, dürfe nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden.
Am 20. November 2015 hat das Landratsamt T. die Akten der Beklagten übersandt, weil deren Zuständigkeit übersehen worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2016 hat die Regierung von Niederbayern den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen wird ausgeführt, der Bescheid vom 1. Oktober 2015 sei formell rechtswidrig ergangen, weil die Beklagte zuständig gewesen wäre, denn die Mutter des Klägers habe ihren Wohnsitz in München. Dies sei jedoch nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich. Entscheidungen, die sich in der Sache als richtig erweisen würden, dürften nicht wegen eines unwesentlichen Verfahrensfehlers aufgehoben werden, wenn und weil sie sogleich nach materiellem Recht wieder erlassen werden müssten. So liege der Fall hier. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG werde Ausbildungsförderung für den Besuch einer Fachoberschule, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetze, nur dann gewährt, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern bzw. einem Elternteil wohne und wenn von der Wohnung der Eltern bzw. eines Elternteils aus die besuchte oder eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar sei. Der Kläger könne aber von der Wohnung seiner Mutter aus in angemessener und zumutbarer Zeit die …Fachoberschule für Sozialwesen in München erreichen. Auf die Wohnung der Mutter sei abzustellen, weil der Kläger nicht rechtlich gehindert sei, dort zu wohnen (Tz. 2.1a.6 BAföG-VwV); unerheblich sei, ob zwischen dem Kläger und seiner Mutter eine Kind-Eltern-Bindung bestehe. Dass der Kläger über das Jugendamt in der Pflegefamilie … untergebracht worden sei, stehe der Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der Wohnung der Mutter aus nicht entgegen, da der leiblichen Mutter nicht das Sorgerecht bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden sei. Bis zur Volljährigkeit des Klägers habe die leibliche Mutter die alleinige Personensorge gehabt und auch der Vollzeitpflegemaßnahme zugestimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten Förderleistungen nach § 12 Abs. 2 BAföG nur dann erbracht werden, wenn die auswärtige Unterbringung des Auszubildenden ausschließlich auf Gründen beruhe, die in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung stünden. Andere, insbesondere soziale Gründe könnten hierbei keine Berücksichtigung finden. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 2 Abs. 1a Satz 2 BAföG und der Entstehungsgeschichte dieser Norm könnten derartige soziale Gründe erst dann berücksichtigt werden, wenn eine entsprechende Rechtsverordnung der Bundesregierung erlassen worden sei, was nicht der Fall sei. Daher sei die auswärtige Unterbringung des Klägers nicht notwendig im Sinne des BAföG.
Hiergegen hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 17. Mai 2016 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen. Zu deren Begründung wurde im Wesentlichen ergänzend zum bisherigen Vorbringen noch ausgeführt, der Kläger sei sehr wohl aus rechtlichen Gründen gehindert, bei seiner Mutter zu wohnen, denn diese nehme seit Jahren das Sorgerecht nicht wahr. Nach Aussage des Jugendamts sei es ihm nicht zumutbar, auf die Wohnung seiner leiblichen Mutter verwiesen zu werden.
Mit Beschluss vom 13. Juli 2016 hat sich das Verwaltungsgericht Regensburg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München verwiesen.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts T. vom 1. Oktober 2015 und des Widerspruchsbescheids der Regierung von Niederbayern vom 20. April 2016 zu verpflichten, ihm Ausbildungsförderung zu bewilligen.
Außerdem hat der Kläger beantragt,
ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin
… beizuordnen.
Die Beklagte hat die Akten vorgelegt und Klageabweisung beantragt.
Parallel zum Widerspruchsverfahren betreffend das Schuljahr 2015/2016 hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten beantragen lassen, gemäß § 44 SGB X die Bescheide vom 11. Oktober 2013 und vom 9. September 2014 (betr. die Schuljahre 2013/2014 und 2014/2015) zu überprüfen. Dies wurde durch Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2016 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 6. Juni 2016 ebenfalls Widerspruch einlegen lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin … hat keinen Erfolg.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn es fehlt schon an den hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage.
Gemäß § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Besuch einer Fachoberschule, deren Besuch keine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist. § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG beruht auf der Überlegung, dass die Ausbildungsfinanzierung bis zum Abschluss der Allgemeinbildung originäre Aufgabe der Eltern ist und der Staat deshalb nur dann im Weg der Ausbildungsförderung einspringen soll, wenn die Ausbildung wegen einer ausbildungsbedingt notwendigen auswärtigen Unterbringung besonders hohe Kosten verursacht (BayVGH, U.v. 26.1.2011 – 12 B 10.2406 – juris, m.w.N.). Dementsprechend wird Ausbildungsförderung für den Besuch der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG genannten Ausbildungsstätten nur erbracht, wenn der Auszubildende aus Gründen, die in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung stehen, außerhalb der elterlichen Wohnung untergebracht ist; andere Gründe sind förderungsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig (BayVGH, a.a.O.). Von der Möglichkeit in § 2 Abs. 1a Satz 2 BAföG, mittels Rechtsverordnung Fallgruppen zu bestimmen, bei deren Vorliegen Förderung auch dann zu leisten ist, wenn dem Auszubildenden das Wohnen bei seinen Eltern oder einem Elternteil „aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist“, hat der Verordnungsgeber keinen Gebrauch gemacht. Daher vermögen weder die tatsächlichen Wohnverhältnisse der Eltern/des Elternteils noch das Vorliegen einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung eine Förderung nach dem BAföG wegen notwendiger auswärtiger Unterbringung eines Auszubildenden zu begründen, solange sich am Wohnort der Eltern eine zu der besuchten vergleichbare Ausbildungsstätte findet (BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2665 – juris). Somit scheitert hier die Bewilligung von Ausbildungsförderung daran, dass vom Wohnort der Mutter des Klägers aus eine entsprechende zumutbare Schule, nämlich die …Fachoberschule für Sozialwesen in München, zu erreichen ist. Insoweit wird auf den Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 20. April 2016 und die in den Akten der Beklagten befindliche Schulwegezeitenberechnung verwiesen.
Außerdem fehlt es hier auch an der Voraussetzung, dass die auswärtige Unterbringung auf ausbildungsbezogenen Gründen beruht. Der Kläger wohnt nicht aus ausbildungsbezogenen Gründen in …, sondern weil er dort vom Jugendamt T. bei einer Pflegefamilie untergebracht worden ist. Von dort aus besucht er nach seinen Angaben im BAföG-Antrag vom 21. Juli 2015 die Fachoberschule in … (nach Internetangaben gibt es eine gute Zugverbindung zwischen beiden Orten bei einer Fahrzeit von etwas mehr als 10 Minuten). Deshalb entsteht auch kein ausbildungsbedingter Mehrbedarf, der durch § 2 Abs. 1a BAföG ausgeglichen werden soll.
Nach alledem ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin … abzulehnen.