Sozialrecht

Ausbildungsförderung für ein Forschungspraktikum an einer ausländischen Hochschule

Aktenzeichen  12 ZB 16.1581

Datum:
1.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 101790
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Bafög § 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der Besuch einer ausländischen Ausbildungsstätte setzt voraus, dass der Auszubildende dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an ihr auch tatsächlich betreibt (BVerwG BeckRS 2000, 30147722). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die organisationsrechtliche Eingliederung in die ausländische Hochschule erfordert keine bestimmte Form, insbesondere keinen generellen Vertrag zwischen inländischer und ausländischer Hochschule. Denn nach Sinn und Zweck des Bundesausbildungsförderungsgesetzes soll nicht die Begründung eines organisationsrechtlichen Status an einer Ausbildungsstätte, sondern die Durchführung einer förderungsfähigen Ausbildung gefördert werden (BVerwG BeckRS 2000, 30147722). (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Das Merkmal der organisationsrechtlichen Zugehörigkeit zu einer ausländischen Hochschule  dient zur Abgrenzung von Personen, die die Ausbildungsstätte nur gelegentlich bzw. aufgrund eigenen Entschlusses und ohne Gestattung der Teilnahme an den Veranstaltungen der Ausbildungsstätte und Gestattung der Nutzung der dort angebotenen sachlichen und persönlichen Ausbildungsmittel besuchen. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Aktive Forschung an einer Universität stellt einen essentiellen Bestandteil eines Hochschulstudiums dar und rechnet daher zum Besuch einer Ausbildungsstätte im Sinne von § 2 Abs. 1 BAföG. (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RO 6 K 16.261 2016-07-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Juli 2016, mit dem der Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheids vom 25. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2016 verpflichtet wurde, dem Kläger für den Zeitraum September 2015 bis März 2016 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren, bleibt ohne Erfolg. Zulassungsgründe liegen – soweit überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt – nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger auf der Grundlage des § 5 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 BAföG ein Anspruch auf die begehrte Ausbildungsförderung zusteht, weil er im streitgegenständlichen Zeitraum eine im Ausland gelegene Ausbildungsstätte besucht hat. Es hat ferner mit Recht zur Auslegung des Begriffs des Besuchs einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herangezogen. Mit dem Einwand, die angeführten Entscheidungen stützten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht, vermag der Beklagte nicht durchzudringen.
1.1. Der Besuch einer ausländischen Ausbildungsstätte setzt voraus, dass der Auszubildende dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an ihr auch tatsächlich betreibt (BVerwG, B.v. 13.11.1987 – 5 B 99/86 – juris; BVerwG, U.v. 5.12.2000 – 5 C 25/00 – BVerwGE 112, 248 – 252; Rothe/Blanke, BAföG, § 5 Rn. 1). Die vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Maßstäbe für die Annahme einer organisationsrechtlichen Zugehörigkeit sind, auch wenn die zugrundeliegenden Sachverhalte nicht im Einzelnen übereinstimmen, durchaus geeignet, die Begründung der streitgegenständlichen Entscheidung zu tragen. Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2000 (5 C 25/00, a.a.O.) nicht entnehmen, dass für die Annahme einer hinreichenden organisationsrechtlichen Zugehörigkeit zwingend ein genereller Vertrag zwischen einer inländischen und einer ausländischen Hochschule bestehen müsste. Eine organisationsrechtliche Eingliederung sieht nicht eine bestimmte Form vor. Denn gefördert werden soll nach Sinn und Zweck des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht die Begründung eines organisationsrechtlichen Status an einer Ausbildungsstätte, sondern die Durchführung einer förderungsfähigen Ausbildung (BVerwG v. 5.12.2000, a.a.O.). Eine individuelle Vereinbarung kann im Ergebnis nicht anders beurteilt werden als das Vorliegen eines generellen Vertrages zwischen zwei Hochschulen. Durch die Bestätigung des Prof. P** vom 18. Februar 2016 wird deutlich, dass ein förmlicher Aufnahmeakt zur Eingliederung in den Organisationsbetrieb der B* … University und somit die Anerkennung der für diese Ausbildungsstätte existierenden organisationsrechtlichen Regelungen sichergestellt wird. Das Merkmal „organisationsrechtlich angehört“ dient zur Abgrenzung von solchen Personen, die die Ausbildungsstätte nur gelegentlich bzw. aufgrund eigenen Entschlusses und ohne Gestattung der Teilnahme an den Veranstaltungen der Ausbildungsstätte und Gestattung der Nutzung der dort angebotenen sachlichen und persönlichen Ausbildungsmittel besuchen (vgl. VG Frankfurt, U.v. 12.2.2002 – 10 E 1270/96 – juris). Dies ist beim Kläger ersichtlich nicht der Fall und wurde auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
1.2. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht deshalb die Einschreibung des Klägers als „visiting scholar“ für die Annahme einer hinreichenden organisationsrechtlichen Zugehörigkeit ausreichen lassen. Es hat dabei auch nicht, wie der Beklagte wohl meint, allein auf die Inhaberschaft eines Studentenausweises abgestellt, sondern maßgeblich auf das Schreiben des Prof. P** vom 18. Februar 2016 von der B* … University, wonach der Kläger hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten den anderen Studierenden dieser Hochschule gleichgestellt war. Der Kläger hatte das Recht, zusammen mit anderen Studierenden an Forschungs- und Lehrveranstaltungen in der Universität teilzunehmen, wovon er offensichtlich auch Gebrauch gemacht hat. Damit ist das Erfordernis der organisationsrechtlichen Zugehörigkeit zur ausländischen Ausbildungsstätte nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles erfüllt.
1.3. Mit dem Einwand, es fehle an einer hinreichend tiefen Erwägung der maßgeblichen Kriterien, insbesondere zu den Unterschieden im Betreiben der Ausbildung durch amerikanische Studierende im Vergleich zu einem lediglich das Forschungslabor besuchenden (ausländischen) Studierenden, kann der Beklagte nicht durchdringen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass aktive Forschung an den Universitäten essentieller Bestandteil eines Hochschulstudiums und damit auch wesentlicher Bestandteil des Besuchs einer Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 BAföG ist. Ein Vergleich mit anderen Studierenden ist bereits deshalb nicht zielführend, weil jedes Studium individuell nach Maßgabe der jeweiligen Studienordnung durchgeführt wird. So sieht die Fachprüfungs- und Studienordnung für den Masterstudiengang Chemieingenieurwesen an der technischen Universität M* … vom 15. Januar 2015 in der hier maßgeblichen Fassung vom 3. September 2015 in § 37a Abs. 4 einen Auslandsaufenthalt im Umfang von 20 Credits an einer ausländischen Universität ausdrücklich vor, währenddessen eine Semesterarbeit/ein Forschungspraktikum durchzuführen ist. Ein Forschungspraktikum, alternativ eine Semesterarbeit, ist demnach wesentlicher Bestandteil des Studiums. Deshalb kann es für die Einschätzung einer förderungswürdigen Ausbildung nicht mehr ausschlaggebend sein, ob darüber hinaus auch noch, ggf. unnötige, Vorlesungen besucht wurden (vgl. hierzu VG Frankfurt v. 12.2.2002, a.a.O. zum insoweit vergleichbaren Fall der Anfertigung einer Diplomarbeit im Ausland). Es bedurfte deshalb keines weiteren Vergleichs mit den ausländischen Studierenden der dortigen Ausbildungsstätte und damit keiner weiteren Aufklärung.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die vom Beklagten formulierte und seiner Auffassung nach klärungsbedürftige Frage, ob die für den Besuch einer Ausbildungsstätte erforderliche organisationsrechtliche Zugehörigkeit im Rahmen eines nach deutschen Ausbildungsbestimmungen vorgesehenen Forschungspraktikums an einer ausländischen (amerikanischen) Universität bei Benutzung lediglich des dort eingerichteten Forschungslabors ohne zusätzliche Kurse hinreichend gegeben ist, insbesondere im Vergleich zu in üblicher Weise eingeschriebenen Studierenden der ausländischen Hochschule, ist, wie sich schon aus den obigen Ausführungen in Ziffer 1 entnehmen lässt, bereits nicht verallgemeinerungsfähig. Ungeachtet dessen ist der Begriff der organisationsrechtlichen Zugehörigkeit zu einer ausländischen Hochschule für die Annahme des „Besuchs“ einer Ausbildungsstätte im Sinne des § 5 Abs. 2 Ziff. 1 BAföG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch bereits grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG v. 5.12.2000, a.a.O.; v. 13.11.1987, a.a.O.) und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erging darüber hinaus im Hinblick auf den speziellen Einzelfall. Ein fallübergreifender, die Annahme grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigender Bezug fehlt jedoch, wenn die Beantwortung der Frage – wie hier – von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls abhängt (BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11/05 – NVwZ 2005, 709) und diese sich deshalb einer allgemein gültigen Beurteilung entzieht.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124a Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen im vorliegenden Fall nicht, da der Sachverhalt weder besonders unübersichtlich ist, noch besondere Schwierigkeiten aufweist. Die vom Beklagten angeführte Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen bereitet, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, weder hinsichtlich der rechtlichen Maßstäbe noch hinsichtlich ihrer Anwendung auf den zu beurteilenden Sachverhalt überdurchschnittlichen Schwierigkeiten.
4. Da weitere Zulassungsgründe nicht geltend gemacht worden sind, hat der Zulassungsantrag mithin insgesamt keinen Erfolg.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.
6. Mit dieser Entscheidung wird das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Juli 2016 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
7. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Dr. Mayer Kurzidem Abel

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