Aktenzeichen M 15 K 16.3464
Leitsatz
1 Bei der in § 24 Abs. 2 S. 3 BAföG vorgesehenen Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung sind die Ämter für Ausbildungsförderung an die Angaben in einem bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid gebunden (wie BVerwG BeckRS 1988, 06686). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Anzurechnendes Elterneinkommen im Sinne von § 21 Abs. 1 S. 1 BAföG wird nur um Abzüge nach § 21 Abs. 1 S. 3, nicht aber um Sonderausgaben nach § 10d EStG gemindert. Förderungsrechtlich ist ausschließlich auf die im maßgeblichen Kalenderjahr erzielte Summe der positiven Einkünfte (§ 2 Abs. 1, 2 EStG) abzustellen (wie BayVGH BeckRS 1999, 18841). (Rn. 20 – 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Abweichend vom Wortlaut des § 25 Abs. 6 S. 1 BAföG kann ein Antrag, weitere Teile des Einkommens zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei zu stellen, auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gestellt werden, wenn dem Auszubildenden vorher kein Anhaltspunkt dafür bekannt war, dass das vom Amt für Ausbildungsförderung in Ansatz gebrachte Elterneinkommen zu einer Rückforderung führt (BVerwG BeckRS 9998, 48027). Andernfalls könnte dem Zweck der Vorschrift nicht Rechnung getragen werden (wie OVG Bautzen BeckRS 2012, 59970). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 In der Widerspruchseinlegung gegen einen Rückforderungsbescheid kann kein konkludenter Antrag nach § 25 Abs. 6 BAföG gesehen werden. Vielmehr bedarf es zur Geltendmachung eines Härtefalls eines besonderen Antrags mit einer eindeutigen Erklärung, dass ein bestimmter Sachverhalt bei der Einkommensanrechnung gesondert zu berücksichtigen ist (wie OVG Bautzen BeckRS 2012, 59970). (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet, da der Bescheid des Beklagten vom 18. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2016 rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bei der abschließenden Entscheidung gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG über den Antrag auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 10/2012 bis 09/2013 nach Auskunftserteilung des Finanzamts über die positiven Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb des Vaters im Veranlagungsjahr 2010 ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung in der mit Bescheid vom 22. November 2013 bewilligten Höhe hat. Der Beklagte hat das zu berücksichtigende Einkommen ihres Vaters zutreffend unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bindung der Ämter für Ausbildungsförderung an die Angaben im bestandskräftigen Steuerbescheid gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG ermittelt. Bei der in § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG vorgesehenen abschließenden Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung sind die Ämter für Ausbildungsförderung an die Angaben in dem bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid gebunden (BVerwG, B.v. 9.11.1988 – 5 B 143/87 – Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 12 unter Festhaltung an B.v. 18.2.1986 – 5 B 84/85 – Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 8, jeweils auch juris). Wenn nach der gesetzlichen Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG die abschließende Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung erst ergeht, sobald der Steuerbescheid vorliegt, so kann dies nur bedeuten, dass der Inhalt des Steuerbescheids für die Berechnung des anrechenbaren Einkommens maßgebend und damit bindend ist. Dies entspricht auch dem Sinn der gesetzlichen Regelung. So gilt gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG als Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes. Wie sich aus den Grundlagen des Gesetzgebungsverfahrens ergibt, hat der Gesetzgeber sich für den Einkommensbegriff vor allem deshalb an die Regelungen des Einkommensteuergesetzes angelehnt, um die Einkommensermittlungen und Feststellungen der Finanzbehörden als Grundlage der förderungsrechtlichen Entscheidungen übernehmen zu können (BT-Drucks. 9/603 S. 23 zu 2.7). Dadurch sollten die Ämter für Ausbildungsförderung entlastet werden. Dies würde ins Gegenteil verkehrt, wenn die Ämter für Ausbildungsförderung trotz Vorliegens eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides für den maßgebenden Berechnungszeitraum eigene Ermittlungen anstellen müssten. Soweit es um die Einkommensteuerveranlagung sowie die dafür notwendigen Ermittlungen und Feststellungen geht, verfügen aber die zuständigen Finanzbehörden über die erforderliche Sachkunde und die angemessenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten. Im Rahmen dieses Verfahrens stehen dem Steuerpflichtigen auch Rechtsmittel zur Verfügung, die eine behördliche und notfalls gerichtliche Überprüfung durch die Finanzgerichte als die dazu berufenen Fachgerichte ermöglichen. Auch diese Überlegungen rechtfertigen es, § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG dahin zu verstehen, dass die Ämter für Ausbildungsförderung bei ihrer Entscheidung an den vorliegenden Steuerbescheid gebunden sind (BVerwG, B.v. 18.2.1986 – 5 B 84/85 a.a.O. m.w.N.).
Zutreffend hat der Beklagte daher der abschließenden Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 100.418,- € zu Grunde gelegt. Aufgrund des hohen anzurechnenden Einkommens hat sich für die Klägerin daraus keine Ausbildungsförderung mehr errechnet.
Bei der Anrechnung des Einkommens des Vaters der Klägerin wird entgegen ihrer Ansicht auch kein Verlustvortrag bzw. Verlustabzug nach § 10d EStG vorgenommen. Denn das Einkommen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird nur um die Abzüge nach Absatz 1 Satz 3, nicht aber um sonstige Sonderausgaben gemindert. Aufgrund dessen konnten die Verluste des Vaters der Klägerin in Höhe von 75.106,- € im betreffenden Berechnungszeitraum nicht berücksichtigt werden. Der im Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2010 ausgewiesene Verlustvortrag/-abzug hat lediglich Bedeutung für die Berechnung des zu versteuernden Einkommens bzw. die zu zahlende Steuer. Förderungsrechtlich ist jedoch ausschließlich auf die im oben genannten Kalenderjahr erzielte Summe der positiven Einkünfte (§ 2 Abs. 1 und 2 EStG) in Höhe von 100.418,- € abzustellen (BayVGH, B.v. 14.7.1999 -12 ZC 99.974 – juris).
§ 21 Abs. 1 Sätze 3 und 4 i.V.m. Absatz 2 BAföG regelt abschließend die Möglichkeit, Abzüge vom Einkommen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorzunehmen (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Auflage 2014, § 21 Rn. 15). Als Sonderausgaben konnten nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids geltenden Rechtslage gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BAföG nur die Beträge abgezogen werden, die für ein selbstgenutztes Einfamilienhaus oder eine selbstgenutzte Eigentumswohnung nach § 10e EStG oder § 10i EStG berücksichtigt werden. Mittlerweile wurde diese Vorschrift mit Wirkung zum 1. August 2016 ganz aufgehoben.
Die grundsätzliche Nichtberücksichtigung von Sonderausgaben ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber muss im Rahmen seiner weiten Gestaltungsfreiheit im Bereich der Ausbildungsförderung nicht um eine differenzierte Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt sein; er ist vielmehr berechtigt, aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus dem ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, wie er dies im Bundesausbildungsförderungsgesetz an mehreren Stellen getan hat, ohne allein schon wegen der damit im Einzelfall unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (OVG NRW, B.v. 17.6.2010 – 12 A 1312/08 – juris m.w.N.; vgl. auch Hess. VGH, U.v. 7.11.1989 – IX OE 60/82 – juris).
Schließlich war abweichend von den genannten Vorschriften auch nicht ein weiterer Teil des Einkommens des Vaters im Berechnungsjahr 2010 zur Vermeidung unbilliger Härten gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG anrechnungsfrei zu stellen.
Zur Vermeidung unbilliger Härten kann „auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist“, ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Einen solchen Antrag hat die Klägerin jedoch weder innerhalb des Bewilligungszeitraums noch unverzüglich nach Kenntnis der Umstände, die zur Anrechnung auf den Bedarf geführt haben, gestellt. Dabei geht das Gericht davon aus, dass ein Antrag abweichend vom Wortlaut des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG ausnahmsweise auch noch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gestellt werden kann, wenn dem Auszubildenden vorher kein Anhaltspunkt dafür bekannt war, dass das vom Amt für Ausbildungsförderung in Ansatz gebrachte Einkommen (des Vaters) zu einer Rückforderung führt (BVerwG, U.v. 15.11.1990 – 5 C 78/88 – BVerwGE 87, 103). Dem Zweck der Vorschrift, unzumutbare Härten bei der Einkommensberechnung zu vermeiden, könnte ansonsten in diesen Fällen nicht Rechnung getragen werden (Sächs. OVG, U.v. 13.9.2012 – 1 A 78/11 – juris). Vorliegend hat die Klägerin zwar am 8. August 2016 einen Antrag gemäß § 25 Abs. 6 BAföG gestellt. Sie hat die Härtegründe jedoch nicht unverzüglich gestellt, nachdem für sie erkennbar war, dass das Einkommen ihres Vaters zu einer höheren Anrechnung auf den Bedarf führt. Sie hatte hier spätestens nach Erlass des Rückforderungsbescheides vom 18. März 2016 Kenntnis von der veränderten Bedarfsberechnung und hätte den Antrag damit innerhalb der Widerspruchsfrist stellen müssen. Dies hat sie in diesem Zeitraum jedoch weder ausdrücklich noch konkludent getan. Dabei reicht die Widerspruchseinlegung gegen den Rückforderungsbescheid insoweit nicht aus, weil § 25 Abs. 6 BAföG einen besonderen Antrag verlangt. Danach bedarf es einer eindeutigen Erklärung, dass ein bestimmter vorgetragener Sachverhalt bei der Einkommensanrechnung gesondert zu berücksichtigen ist (vgl. Sächs. OVG a.a.O.). Insoweit genügt auch die am 13. April 2016 beim Beklagten eingegangene Erklärung, dass im Einkommensteuerbescheid des Vaters von 2010 „Forderungsnachlässe der Lieferanten und ein Darlehensverzicht der Raiffeisenbank“ „enthalten“ seien und das zu versteuernde Einkommen 20.835,- € betragen habe, nicht. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass der Vater der Klägerin im Bewilligungszeitraum nicht leistungsfähig gewesen wäre und deshalb ein besonderer Härtefall geltend gemacht wird. Andernfalls müsste das Amt für Ausbildungsförderung in Fällen, in denen Auszubildende eine Berücksichtigung des Verlustabzugs erreichen möchten, fast immer einen konkludenten Antrag auf unbillige Härte annehmen. Dies wird aber nach der obergerichtlichen Rechtsprechung gerade nicht angenommen (vgl. Sächs. OVG a.a.O.; Hess. VGH, U.v. 7.11.1989 – IX OE 60/82 – juris). Nach dem bisherigen Schriftverkehr musste der Beklagte bei der am 13. April 2016 eingegangene Erklärung vielmehr davon ausgehen, dass sich die Klägerin wiederum auf die Anerkennung des Verlustabzug i.S.d. § 10d EStG bezöge. Den Hinweis auf die fehlende Leistungsfähigkeit des Vaters und den Zusammenhang der Forderungsnachlässe der Lieferanten und eines Darlehensverzichts der Raiffeisenbank mit der Abwendung einer Insolvenz des Vaters hat die Klägerin erstmals in ihrem Antrag auf Billigkeit nach Erlass des Widerspruchsbescheids am 8. August 2016 und damit verspätet gegeben.
Die Rückzahlungspflicht für die entstandene Überzahlung in Höhe von 7.164,- € ergibt sich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 24 Abs. 2 BAföG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit auf den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Juli 2016 Bezug genommen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.