Sozialrecht

Beschwerdewert der Berufung nach unsachgemäßer Klageverbindung

Aktenzeichen  L 11 AS 587/14

Datum:
24.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 120112
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 113 Abs. 1, § 143, § 144, § 151
ZPO § 5
SGB II § 7 Abs. 1, § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 19 Abs. 1, § 20

 

Leitsatz

1 Werden mit der Berufung mehrere selbstständige Ansprüche geltend gemacht, bestimmt deren Summe den Beschwerdewert selbst dann, wenn das Sozialgericht mehrere Klagen durch unsachgemäße Behandlung miteinander verbunden hat.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes ist auch dann die Einlegung der Berufung. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 13 AS 99/13 2014-07-11 Endurteil SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.07.2014 wird in Bezug auf das vormalige Verfahren S 13 AS 99/13 (Ziffer I des Tatbestandes und Entscheidungsgründe) zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann die Berufung vorliegend nach erfolgter Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen, da kein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegt und er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGG). Im Rahmen der zu treffenden Ermessungsentscheidung hat der erkennende Senat berücksichtigt, dass das SG zwar nur nach Lage der Akten entschieden hat, die Klägerin jedoch erstinstanzlich die Möglichkeit hatte, sich rechtliches Gehör in einer mündlichen Verhandlung zu verschaffen. Sie war ordnungsgemäß zu der mündlichen Verhandlung am 09.07.2014 geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Lage der Akten hingewiesen worden (vgl. zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach einer erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 126 SGG; Sommer in Roos/ Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, § 153 Rn.25). Anhaltspunkte dafür, dass ein Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung vor der Entscheidung im Verfahren beim SG eingegangen war, gibt es nach Lage der Akten nicht. Das SG hat die mündliche Verhandlung (dem Protokoll zufolge wohl auch) eröffnet, die Klägerin ist allerdings nicht erschienen. Zudem war zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch im Laufe des Berufungsverfahren zu zwei Terminen, anlässlich derer sie die Gelegenheit gehabt hätte, sich mündlich zur Sache zu äußern, ohne Angabe von Gründen bzw. ohne Angabe hinreichender Gründe nicht erschienen ist.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist trotz der geltend gemachten Beschwer von ledig 187,40 EUR zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), denn das Verfahren S 13 AS 99/13 war mit anderen Verfahren verbunden, wobei die Berufungen in Bezug auf diese Streitgegenstände (u.a. S 13 AS 642/14 – Auskunftsklage) zum Teil keiner Zulassung bedurften. Soweit mit einer Berufung mehrere selbstständige Ansprüche geltend gemacht werden, sind nach herrschender Meinung die geltend gemachten Ansprüche zur Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes entsprechend § 202 SGG iVm § 5 Zivilprozessordnung (ZPO) zusammenzurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 25.02.1966 – 3 RK 9/63 – BSGE 24, 260; Urteil vom 05.02.1998 – B 11 AL 19/97 R – NZS 1998, 580); dies soll auch gelten, wenn das SG mehrere Klagen verbunden und über diese anschließend mit einem Urteil entschieden hat (vgl. BSG, Urteil vom 08.10.1981 – 7 RAr 72/80 – juris), auch wenn § 5 Hs 1 ZPO nur die Zusammenrechnung mehrerer in einer Klage geltend gemachter Ansprüche vorsieht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes ist grundsätzlich die Einlegung der Berufung (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 4 Abs. 1 Satz 1 ZPO – ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 13.06.2013 – B 13 R 437/12 B – juris mwN). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Verbindung der Ausgangsverfahren unsachgemäß war (vgl. Beschluss des Senates vom 30.09.2015 – L 11 AS 587/14), denn der Senat konnte sich vorliegend nicht davon überzeugen, dass das SG unter bewusster Missachtung der rechtlichen Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 SGG, mithin willkürlich, die Verfahren miteinander verbunden hat (idS vgl. BayLSG, Urteil vom 26.11.2015 – L 18 AS 669/15 – juris)
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage auf Zahlung höheren Alg II für November 2011 (Ziffer I des Tatbestandes und Entscheidungsgründe) zu Recht abgewiesen. Der zuletzt allein streitige (Teilabhilfe-)Bescheid vom 04.11.2011 idG des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die von ihr zu beanspruchenden Leistungen sind unter Berücksichtigung des im November 2011 anzurechnenden Einkommens zutreffend ermittelt.
Die Klägerin, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II für den Bezug von Alg II (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II) dem Grunde nach erfüllt, hat Anspruch auf Leistungen, die vorliegend den Regelbedarf (iSd § 20 SGB II) und die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (iSd § 22 SGB II) umfassen (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Die Leistungen werden in der Höhe der Bedarfe erbracht, soweit diese nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen gedeckt sind (§ 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II), wobei vorhandene Mittel zunächst der Deckung des Bedarfes nach § 20 SGB II dienen (§ 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II). Hinweise darauf, dass die von der Klägerin zu beanspruchenden Bedarfe unzutreffend ermittelt wären (Regelbedarf: 364,00 EUR; Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung: 149,09 EUR) gibt es nach Lage der Akten nicht. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet.
Die Anrechnung der von der Klägerin im Oktober 2011 erzielten Zinseinkünfte für den Bedarfsmonat November 2011 in Höhe von 187,40 EUR ist hierbei weder dem Grunde, noch der Höhe nach zu beanstanden. Als Einkommen sind zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II), wobei u.a. absetzbar sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II). Als Einkommen in diesem Sinne sind die Zinseinkünfte zu berücksichtigen, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Nachzahlung der BA in Höhe von 217,40 EUR im Oktober 2011 zugeflossen sind. Aufwendungen dh absetzbare Beträge iSd § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erwerb dieser Einnahmen angefallen wären, sind weder von der Klägerin nachvollziehbar dargelegt noch nach Lage der Akten ersichtlich.
Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit Aufwendungen in Form von Werbungskosten gehabt, führt dies im Ergebnis zu keiner Reduzierung der anzurechnenden (Gesamt-)Einkünfte. Grundsätzlich sind Absetzungen für jede festgestellte Einnahmeart gesondert vorzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass ein rechnerisches Minus in einer Einkunftsart grundsicherungsrechtlich unberücksichtigt bleibt. Ein Verlustausgleich (d. h. die Verrechnung der positiven Einkünfte eines Zeitabschnitts mit den negativen Einkünften desselben Zeitabschnitts) ist nicht zulässig (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB, 02/15, § 11b SGB II Rn. 39 mwN). Ausgehend hiervon führen die von der Klägerin geltend gemachten Werbungskosten weder zu einer Minderung der Einkünfte aus den Zinserträgen, denn mit diesen stehen sie in keinem Zusammenhang, noch haben die eventuell negativen Einkünfte aus einer (selbständigen oder abhängigen) Erwerbstätigkeit Einfluss auf den anzurechnenden Gesamtbetrag der Einkünfte. Darüber hinaus kommt der Klägerin auch nicht der Grundfreibetrag des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,00 EUR zugute. Dem Wortlaut der Regelung ist zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass sich dieser Abzugsbetrag auf eine bestimmte Einkommensart beziehen muss. Die Beschränkung, den Grundfreibetrag lediglich im Zusammenhang mit dem Bezug von Erwerbseinkommen zu berücksichtigen, ergibt sich jedoch aus Regelungszusammenhang des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 iVm § 11b Abs. 3 SGB II und den Motiven des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks 15/5446), der im Hinblick auf die bis dahin maßgebliche, aber unzureichende und wenig transparente Regelung der Freibeträge für Erwerbseinkommen höhere Freibeträge für Erwerbstätigkeit einräumen und die Freibetragsregelung vereinfachen wollte (vgl. Urteil des Senates vom 27.03.2013 – L 11 AS 810/11 – juris). Unabhängig davon, dass die Klägerin kein Einkommen aus der von ihr behaupteten Erwerbstätigkeit erzielt, kann der Grundfreibetrag nur vom Erwerbseinkommen abgesetzt werden, wobei eine Übertragung eines nicht verbrauchten Restes auf andere Einkommensarten nicht zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2015 – B 14 AS 1/14 R – juris).
Abzugsfähig sind vorliegend nur Aufwendungen iSd § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, d.h. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Auch derartige Aufwendungen hat die Klägerin zwar nicht dargelegt, jedoch hat der Beklagte zu Recht für die Klägerin, als volljährige Leistungsberechtigte gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld – Verordnung (Alg II – V) einen Pauschbetrag in Höhe von 30,00 EUR (monatlich) für die Beiträge zu privaten Versicherungen als Absetzbetrag nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II berücksichtigt.
Zuletzt ist auch die Anrechnung der Zinseinkünfte in Höhe von 187,40 EUR (= 217,40 EUR – 30,00 EUR) auf den Bedarf (allein) für November 2011 nicht zu beanstanden, auch wenn der tatsächliche Zufluss der Mittel im Anschluss an den Bescheid der BA vom 10.10.2011 nach Angaben der Klägerin bereits am 14.10.2011 erfolgt war und die Klägerin mit einer Aufteilung der einmaligen Einnahme über sechs Monate durch die mehrfache Inanspruchnahme der Pauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II – V begünstigt würde. Grundsätzlich sind einmalige Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II). Sofern jedoch wie hier geschehen für den Monat des Zuflusses Oktober 2011 bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat, d.h. vorliegend im November 2011, berücksichtigt (§ 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II). Der Beklagte hatte die einmalige Einnahme auch nicht auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen, denn hierzu wäre er nur verpflichtet gewesen, wenn durch die Berücksichtigung in einem Monat der Leistungsanspruch entfallen wäre (§ 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II).
Nach alledem war die streitige Bewilligung für November 2011 nicht zu beanstanden und die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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