Aktenzeichen L 15 BL 6/17
VG – SGB X
VG Teil B Vorbem. 4
Leitsatz
1. Von einem Antrag auf „Blindengeld“ nach dem BayBlindG ist auch ein Antrag auf Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen mit umfasst.
2. Die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 3 Ziff. 2 BayBlindG sind nicht bereits dadurch erfüllt, dass zugunsten des sehbehinderten Menschen im Verfahren nach dem SGB IX ein Einzel-GdB von 100 wegen schwerer Störungen seines Sehvermögens festgestellt worden ist.
Verfahrensgang
S 7 BL 1/15 2017-01-10 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Regensburg vom 10. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG). Die Klägerin hat am 19.12.2018 erklärt, an der Verhandlung nicht teilzunehmen, und hat um Entscheidung des Rechtsstreits gebeten.
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG), jedoch nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG zu Recht verneint. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 09.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung im Sinne des BayBlindG ist im streitgegenständlichen Zeitraum ab Mai 2014 nicht nachgewiesen.
A. Blindheit
Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass ihre Sehschärfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 0,02 oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 24.01.2017 – L 15 BL 7/15 – und vom 26.09.2017 – L 15 BL 8/14) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92).
Diese Voraussetzungen für die Annahme einer Blindheit der Klägerin sind vorliegend nicht erfüllt.
1. Lichtlosigkeit
Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschließen; hierauf muss angesichts der vorliegenden einschlägigen Befunde nicht näher eingegangen werden.
2. Faktische Blindheit
Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat ganz erhebliche Zweifel.
Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das fundierte und überzeugende Gutachten von Dr. B. und seine ergänzenden Stellungnahmen. Der Sachverständige hat die bei der Klägerin vorliegenden (Seh-) Beeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen des genannten Sachverständigen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation und mit den Feststellungen im Gutachten von Prof. Dr. K. stehen, nach eigener Prüfung zu eigen.
Bereits an dieser Stelle weist der Senat darauf hin, dass er die Vorbehalte der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. B. nicht nachvollziehen kann. Dr. B., der als ausgewiesener Kenner der Materie, nämlich der Problematik des Blindheitsnachweises (gerade bezüglich des BayBlindG), gilt, hat insbesondere seine Aufgaben und Kompetenzen nicht überschritten. Er hat letztlich lediglich das getan, was sein Auftrag war, nämlich die Beweisfragen des Gerichts im Einzelnen – und dies auf einem besonders hohen Qualitätsniveau der medizinischen Begutachtung – abzuarbeiten und schlüssig zu beantworten. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat der Sachverständige keine Ausführungen zu Rechtsfragen gemacht, sondern auf das gerichtliche Ersuchen hin untersucht, ob vorliegend die vom BayBlindG bzw. den VG aufgestellten medizinischen Anforderungen erfüllt sind. Im Einzelnen kann hier auf die zutreffenden Darlegungen des Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme vom 15.03.2018 verwiesen werden.
Nach dem plausiblen Gutachten leidet die Klägerin in erster Linie an einer massiven Sehnervendegeneration (mit Verdacht auf glaukomatöser Genese), die das Sehvermögen erheblich einschränkt. Aufgrund dessen ist, wie Dr. B. verständlich dargelegt hat, u.a. auch mit Blick auf die schlechte Ableitbarkeit der Blitz-VEP nicht auszuschließen und nicht unwahrscheinlich, dass Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 BayBlindG vorliegt. Blindheit kann aber nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (s.o.) nachgewiesen werden. Anders als die Klägerseite offenbar meint, ist diese Feststellung des Sachverständigen im Übrigen nicht aufgrund inhaltlicher Mängel des Gutachtens kritikwürdig, sondern ohne weiteres nachvollziehbare Folge der – dem Senat aus zahlreichen Verfahren nach dem BayBlindG bekannten – grundsätzlichen Problematik des Blindheitsnachweises (hierzu z.B. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82), die unter anderem, worauf der Sachverständige ebenfalls in diesem Verfahren hingewiesen hat, darin liegt, dass die vorgegebenen Blindheitskriterien vornehmlich auf Sehschärfe und Gesichtsfeld und somit auf psychophysische Parameter abzielen. Das bedeutet, dass sie sich nach den subjektiven Angaben des Betroffenen richten und keine objektiven Untersuchungsergebnisse mit Anspruch auf Wahrheit darstellen.
Zwar ist mit dem Sachverständigen Dr. B. davon auszugehen, dass der bei der Klägerin bestehende Strukturschaden an beiden Papillen so ausgeprägt ist, dass er mit der von der Klägerin angegebenen Sehschärfe und dem angegebenen Gesichtsfeld durchaus vereinbar sein könnte. Damit könnte also das (auch von den VG gem. Teil B, Vorbem. 4 geforderte) strukturelle Korrelat gegeben sein, nämlich im Einzelnen die Papillenexkavation und Papillenablassung mit Nervenfaserverlust, und damit eine plausible Erklärung für das massiv gemindert angegebene Sehvermögen. Der Sachverständige hat jedoch überzeugend darauf hingewiesen, dass derartige Strukturveränderungen aller klinischen Erfahrung nach auch mit einem besseren Sehvermögen jenseits der gesetzlichen Blindheitsgrenze einhergehen können, was auch die Klägerseite nicht substantiiert bestritten hat. Damit kann das strukturelle Korrelat nicht per se als Nachweis dienen.
Somit kommt es auch in diesem Verfahren, was auch der Sachverständige ausdrücklich hervorgehoben hat, maßgebend auf die erfolgten objektiven Funktionsprüfungen an. Dabei sind diese entsprechend der Darlegung von Dr. B. vorliegend nicht in der Lage, die tatsächlich bestehenden Werte genau zu quantifizieren, da es insbesondere an in sich stimmigen Angaben der Klägerin fehlt. Die Ergebnisse der objektiven Funktionsprüfungen begründen jedoch massive Zweifel an einer Blindheit der Klägerin gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG (und im Übrigen auch an einer hochgradigen Sehbehinderung gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, s.u.). So hat der Sachverständige festgestellt, dass sich die Klägerin am Untersuchungstag den subjektiven Angaben zur Sehschärfe und zum Beitrag gegen Gesichtsfeld nicht konsequent und nicht konform verhalten hat; im Einzelnen kann hier auf die detaillierten Darlegungen unter Ziffer 4.13 des Gutachtens (Seite 14) verwiesen werden.
Hinsichtlich der von der Klägerin beim Gutachter angegebenen Sehschärfe, bei deren Zugrundelegung die Blindheitskriterien erfüllt wären, sieht sich der Senat mit Dr. B. daran gehindert, einen Nachweis anzunehmen. Zwar beträgt nach den subjektiven Angaben der Klägerin die Sehzeichenschärfe (Landoltringe) jeweils nur noch Wahrnehmung von Licht. Wegen der deutlichen Widersprüche – alleine schon das bei der Untersuchung gezeigte Verfolgen der Handbewegungen mit den Augen, ohne dass deren Bewegungsrichtung angegeben werden konnte, ist unverständlich – und wegen der guten Auslösbarkeit des OKN durch strukturierte Reize (vgl. hierzu im Einzelnen das Urteil des Senats vom 26.09.2017 – L 15 BL 8/14) bestehen jedoch starke Zweifel am Ausmaß der Sehschärfeminderung. Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb die Klägerin bei der Prüfung des OKN richtigerweise Kindermotive auf dem Stoffband (und bei der Prüfung der Spiegelraumbewegungen den Hintergrund) erkennen hat können, in der Sehschärfeprüfung aber dann nur noch Licht ohne korrekte Lokalisation. Hinzu kommt, dass, auch wenn grundsätzlich die Gittersehschärfe (insbesondere bei Makulaerkrankungen und bei Amblyopie) der Sehzeichenschärfe nicht gleichgesetzt werden darf, das vorliegende Ergebnis entsprechend der plausiblen Darlegung durch den Sachverständigen doch durchaus zeigt, dass der Klägerin ein detaildifferenzierendes Kontursehen in gewissem Ausmaß möglich ist. Die Diskrepanz zwischen der Gittersehschärfe von 0,3 und dem Erkennen von nicht einmal mehr Handbewegungen und nur noch von Licht bei Prüfung der Sehzeichensehschärfe ist vorliegend derart eklatant, dass aller klinischer Erfahrung nach eine höhere Sehzeichenschärfe als von 1/50 erwartet werden darf.
In der Zusammenschau der strukturellen Befunde, der subjektiven Angaben und der objektiven Funktionsbefunde spricht viel dafür, dass bei der Klägerin von einer noch besseren Sehschärfe als 1/50 auszugehen ist.
Entsprechendes gilt für das Gesichtsfeld. Die subjektiven Angaben widersprechen, wie Dr. B. nachvollziehbar dargestellt hat, dem visuellen Verhalten der Klägerin deutlich. Auch die objektiven Funktionsergebnisse (OKN, Pupillenreaktionen) setzen aller klinischer Erfahrung nach ein deutlich besseres Gesichtsfeld voraus, als von der Klägerin angegeben. Zur Auslösung eines OKN ist ein zentrales Mindestgesichtsfeld in deutlich größerer Ausdehnung als von der Klägerin behauptet, erforderlich, so dass bereits insoweit Zweifel am angegebenen Beinahe-Totalausfall des Gesichtsfelds an beiden Augen bestehen. Zudem ist auch in diesem Zusammenhang auf die o.g. Angaben der Klägerin bei der OKN-Testung zu verweisen, die einerseits Kindermotive erkannt, andererseits aber einen Beinahe-Totalausfall des Gesichtsfelds angegeben hat.
Eine maßgebliche Einengung des Gesichtsfelds (s.o.) ist damit ebenfalls nicht nachgewiesen.
Im Übrigen liegt entsprechend der plausiblen Feststellung des Sachverständigen auch keine andere Sehbeeinträchtigung von einem solchen Schweregrad vor, insbesondere keine Kombination aus Sehschärfeminderung und Gesichtsfeldeinschränkung, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe im o.g. Sinne gleichzuachten wäre (s.o.).
B. Hochgradige Sehbehinderung
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Blindengeld wegen hochgradiger Sehbehinderung nach Art. 1 Abs. 3 BayBlindG ab 01.01.2018.
1. Auch diese Leistung ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Anders als der Beklagte meint, ist sie auch vom Antrag der Klägerin mit umfasst. Wie die gesetzliche Fassung von Art. 1 BayBlindG zeigt, handelt es sich insoweit um einen einheitlichen Anspruch. Die Klägerin hat vorliegend Blindengeld gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG wegen ihrer starken Sehschwäche beantragt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihren Antrag auf Blindengeld für blinde Menschen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG hätte beschränken wollen. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Sehstärke oder auf den „Höchstbetrag“ etc. ist nicht erfolgt. Dies folgt unzweifelhaft aus dem Antrag vom 02.05.2014, im Einzelnen aus dem verwendeten Antragsformular des Beklagten. Dabei ist auch zu beachten, dass die Übergänge zwischen hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit (im „technischen“ Sinne) auch in tatsächlicher Hinsicht fließend sind, jedenfalls in der Wahrnehmung des einzelnen Betroffenen kaum unterscheidbar.
Ob für den Anspruch auf „Taubblindengeld“ (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BayBlindG) etwas anderes zu gelten hätte, wovon das BSG (Urteil vom 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R) ausgeht, kann vorliegend offenbleiben, da eine Taubheit der Klägerin vorliegend weder geltend gemacht wurde noch sonst im Raum steht.
Der Hinweis des Beklagten, dass in Bezug auf das Blindengeld wegen hochgradiger Sehbehinderung keine Verwaltungsentscheidungen vorliegen, ist zwar zutreffend, jedoch hinzunehmende Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, die Leistung erst ab 01.01.2018 einzuführen. Maßgebend hinsichtlich der Sach- und Rechtslage ist aber der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats, da eine Verpflichtungssituation gegeben ist (vgl. z.B. Groß/Castendiek, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auf. 2017, § 54, Rn. 47 und 99, m.w.N).
2. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen, da (auch) die Voraussetzungen für die Annahme einer hochgradigen Sehbehinderung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 BayBlindG nicht gegeben sind.
Auch die diesen Anspruch begründenden Tatsachen sind grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. im Einzelnen oben A.) Es ist aber nicht zur Gewissheit des Senats nachgewiesen, dass die Sehschärfe der Klägerin auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder dass sie so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen GdB von 100 nach dem SGB IX bedingen.
a. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die plausible ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. B. vom 24.05.2018 in Verbindung mit seinem fundierten und überzeugenden, oben im Einzelnen dargestellten Gutachten vom 01.11.2016. In der genannten Stellungnahme hat Dr. B. nachvollziehbar dargestellt, dass, wenn der Strukturbefund schon nicht ausreicht, Blindheit nach dem Gesetz zu beweisen, er noch weniger eine hochgradige Sehbehinderung nachweisen kann. Zudem können (auch) insoweit die subjektiven Angaben der Klägerin nicht mit Glaubwürdigkeit in den Gesamtkontext eingeordnet werden. Auch im Hinblick auf die hochgradige Sehbehinderung sind entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen die Angaben der Klägerin zu Sehschärfe und Gesichtsfeld nicht plausibel, sodass auch eine Feststellung der Voraussetzungen für einen GdB im augenärztlichen Bereich nicht möglich ist, erst recht nicht in der Stufe von 100. Wie Dr. B. im Gutachten überzeugend herausgearbeitet hat (s.o.), ist es nicht auszuschließen und gegebenenfalls nicht unwahrscheinlich, dass Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG vorliegt. Dass wenigstens eine hochgradige Sehbehinderung vorliegt, wird, wie Dr. B. ausdrücklich dargelegt hat, anhand der Befundkonstellation noch wahrscheinlicher als Blindheit. Die objektiven Funktionsergebnisse lassen aber weiterhin die Möglichkeit offen, dass auch ein noch besseres Sehvermögen als eine hochgradige Sehbehinderung vorliegt. Auch wenn die Darstellung des Sehschärfeverlaufs eine seit 2013 niedrigere Sehschärfe als 0,05 aufgelistet hat, bleiben die Sehschärfeangaben der Klägerin subjektiv und entsprechend der Annahme des Sachverständigen, der sich der Senat – wie oben gezeigt – anschließt, widersprüchlich und müssen daher skeptisch betrachtet werden.
b. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vorliegenden Bescheid des Beklagten vom 16.09.2014, in dem ein Gesamt-GdB von 100 auf der Grundlage eines (einzigen) Einzel-GdB für die Gesundheitsstörungen Sehminderung beidseits und Gesichtsfeldeinengung anerkannt wurde.
Nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Ziff. 2 BayBlindG ist hochgradig sehbehindert, wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen GdB von 100 nach dem SGB IX bedingen. Auch der Senat ist davon überzeugt, dass „bedingen“ in diesem Zusammenhang „tatsächlich vorliegen“ bedeutet, da ansonsten eine Formulierung des Gesetzgebers nahegelegen hätte, die eine Bindungswirkung deutlich machen würde. Dass bei der Klägerin so schwere Störungen des Sehvermögens vorliegen würden, dass diese einen GdB von 100 bedingen würden, ist jedoch nicht der Fall, da mit Dr. B., wie eben dargelegt, nicht davon auszugehen ist, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen insoweit erfüllt sind. Zwar hat die Klägerin (vom Beklagten im Verfahren nach dem SGB IX) einen GdB von 100 für die Sehminderung zuerkannt erhalten. Der Gesetzgeber hat jedoch keine Bindungswirkung in Bezug auf (hier unzutreffende) GdB-Feststellungen angeordnet. Auch in den Materialien von Art. 1 Abs. 3 Ziff. 2 BayBlindG wird nicht von einer Bindungswirkung einer Entscheidung nach dem SGB IX gesprochen.
Nach Überzeugung des Senats ist daher hinsichtlich der Feststellung des GdB von 100 für die Sehminderung der Klägerin und der Rechtswirkungen für Art. 1 Abs. 3 Ziff. 2 BayBlindG auf die allgemeinen Regeln zurückzugreifen. Danach kann eine bestandskräftige Feststellung des Einzel-GdB von 100 für die Sehminderung, selbst wenn daneben keine weiteren Einzel-GdB bestehen, hinsichtlich der Voraussetzungen der hochgradigen Sehbehinderung nach dem BayBlindG keine Bindungswirkung entfalten. Denn es ist höchstrichterlich längst geklärt und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. für viele z.B. Urteil vom 17.09.2013 – L 15 SB 69/12), dass ein Einzel-GdB keiner eigenen Feststellung zugänglich ist (BSG, Urteile vom 05.05.1993 – 9/9a RVs 2/92, vom 10.09.1997 – 9 RVs 15/96 und vom 16.02.2012 – B 9 SB 48/11 B). Wie das BSG (a.a.O.) zutreffend festgestellt hat, erscheint ein Einzel-GdB nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsakts und ist auch nicht isoliert anfechtbar. Er erwächst auch nicht in Bindung. Entsprechend dieser Rechtsprechung (a.a.O.) muss, wenn die Festlegung eines Einzel-GdB angegriffen wird, zugleich dargetan werden, dass sich hierdurch der Gesamt-GdB ändern müsse.
Wie der Beklagte zutreffend annimmt, kann die Alternative von Ziff. 2 des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG also nur dann erfüllt sein, wenn die Voraussetzungen eines GdB von 100 (allein) für die Sehminderung materiell-rechtlich erfüllt sind, was somit im Einzelfall zu prüfen und was vorliegend entsprechend den plausiblen Darlegungen von Dr. B. gerade nicht nachgewiesen ist.
Der Senat kann durchaus nachvollziehen, dass die Klägerin annimmt, bei ihr seien die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 Ziff. 2 BayBlindG ohne weiteres gegeben, nachdem für sie ein (Einzel-)GdB von 100 für die Sehminderung festgestellt worden ist. Aufgrund der fehlenden spezialgesetzlichen Regelung (im BayBlindG), der gesetzlichen Systematik und der unbestrittenen Rechtsprechung zu den Rechtswirkungen von Einzel-GdB sieht er sich wie eben dargelegt aber daran gehindert, hier zu einer anderen Auslegung und damit zu einem anderen Ergebnis zu kommen.
Nach alledem ist also nicht auszuschließen, dass das Sehvermögen der Klägerin doch unter die maßgeblichen Grenzen des Art. 1 Abs. 2 oder Art. 1 Abs. 3 BayBlindG herabgesunken sein könnte. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders./Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 103, Rdnr. 19a mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen daraus tragen, dass eine große Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG und der hochgradigen Sehbehinderung gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG trägt der in seinem Sehvermögen beeinträchtigte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat in seinen Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) eine Beweiserleichterung – selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden – klar abgelehnt.
Weitere Ermittlungen sind nicht angezeigt. Insbesondere bestand mit Blick auf das vorliegende Gutachten von Dr. B. entgegen der Ansicht der Klägerin nicht im Ansatz ein Anlass dafür, ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben, da nicht im Entferntesten erkennbar ist, dass ein anderer Sachverständiger Mittel und Wege hätte, die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Feststellung des exakten Sehvermögens der Klägerin aufzuklären.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).