Sozialrecht

Dienstbeschädigungsausgleich – Grundrente nach dem BVG – Kürzung – Verfassungsmäßigkeit

Aktenzeichen  B 5 RS 8/12 R

Datum:
31.7.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2013:310713UB5RS812R0
Normen:
§ 31 Abs 2 BVerfGG
§ 1 BVG
§ 31 Abs 1 BVG
§ 84a BVG vom 23.09.1990
§ 84a S 1 Halbs 1 BVG vom 19.06.2006
§ 2 Abs 1 S 1 AusglBGG vom 11.11.1996
§ 2 Abs 1 S 1 AusglBGG vom 19.06.2006
§ 3 S 2 AusglBGG vom 11.11.1996
Anlage I Kap VIII K Abschn III Nr 1 Buchst a Abs 1 S 1 EinigVtr
Anlage I Kap VIII K Abschn III Nr 1 Buchst l EinigVtr
Anlage I Kap VIII K EinigVtr
§ 68 Abs 3 SGB 6 vom 10.05.1995
§ 154 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 6 vom 19.02.2002
§ 154 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 6 vom 09.12.2004
§ 44 Abs 1 S 1 SGB 10
Art 1 EntschR/AusglBGGÄndG
Art 6 Nr 3 Buchst a EntschR/AusglBGGÄndG
Art 3 Abs 1 GG
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Stralsund, 22. Februar 2005, Az: S 2 RA 155/04, Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 31. August 2006, Az: L 4 R 114/05, Urteil

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 3 S 2 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet – DbAG – vom 11.11.1996, BGBl I 1674) darüber, ob die Beklagte bestandskräftige Festsetzungen der Höhe des Dienstbeschädigungsausgleichs (DbA) zurücknehmen und dem Kläger für die Zeit vom 1.1.2000 bis 30.6.2007 einen DbA in Höhe der sog Grundrente (West) ohne Berücksichtigung eines Umrechnungsfaktors für das Beitrittsgebiet gewähren muss.
2
Der im Jahre 1935 geborene Kläger gehörte der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR als Berufsoffizier und dem Sonderversorgungssystem der NVA seit dessen Einführung an. Im August 1957 erkrankte er an Lungentuberkulose und wurde zum 31.8.1958 dienstunfähig aus der NVA entlassen. Die Erkrankung wurde als Dienstbeschädigung anerkannt. Ab 1.3.1959 erhielt der Kläger eine Unfallteilrente. Die Rentenzahlung wurde 1965 eingestellt, weil der Körper- bzw Gesundheitsschaden (KS) auf unter 25 vH gesunken war.
3
Mit Bescheid vom 28.3.1994 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1.10.1993 eine Dienstbeschädigungsteilrente (DBTR) aus dem Sonderversorgungssystem der NVA nach einem KS von 20 vH. Mit Bescheid vom 27.3.1995 hob sie die Gewährung der DBTR mit Wirkung vom 1.2.1995 wieder auf, weil dem Kläger ab diesem Zeitpunkt das Recht auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt worden war.
4
Mit Bescheid vom 25.9.1997 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1.1.1997 einen DbA in Höhe von 117 DM, den sie ab 1.7.1999 auf 127 DM (Bescheid vom 16.11.1999), ab 1.7.2000 auf 128 DM (Bescheid vom 21.7.2000), ab 1.7.2001 auf 131 DM (Bescheid vom 20.7.2001) und ab 1.7.2002 auf 69 Euro (Bescheide vom 1.8.2002 und 30.9.2003) erhöhte. Dabei legte sie einen KS von 20 vH zugrunde, setzte ihn einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH iS des BVG gleich, stellte den sich hierfür aus § 2 Abs 1 S 1 und 2 Halbs 2 DbAG iVm § 31 Abs 1 BVG ergebenden Geldbetrag fest und vervielfältigte diesen mit dem “Umrechnungsfaktor im Beitrittsgebiet”, der jeweils ab dem 1.7. eines jeden Jahres galt.
5
Mit Schreiben vom 14.2.2004 beantragte der Kläger, die Festsetzungen der Höhe seines DbA im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 23.9.2003 (B 4 RA 54/02 R – SozR 4-8855 § 2 Nr 1) zurückzunehmen und ihm für Bezugszeiten ab 1.1.2000 einen höheren DbA zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2.3.2004, Widerspruchsbescheid vom 25.6.2004).
6
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Stralsund die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 22.2.2005 unter Aufhebung des Bescheides vom 2.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2004 und unter Abänderung der Bescheide vom 16.11.1999, 21.7.2000, 27.7.2001 , 1.8.2002 und 30.9.2003 dem Grunde nach verurteilt, “dem Kläger ab dem 01. Januar 2000 einen DbA in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG in Verbindung mit der jeweils geltenden KOV-Anpassungsverordnung (sog Grundrente ‘West’) zu zahlen”.
7
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Mecklenburg-Vorpommern den Gerichtsbescheid mit Urteil vom 31.8.2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu Recht abgelehnt, weil die “Anpassungsbescheide” zum DbA des Klägers rechtmäßig seien. Der DbA sei zutreffend unter Anwendung des “Abschlagfaktors” für das Beitrittsgebiet geleistet worden. Das BVerfG habe in seinem Urteil vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96 ua – BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) § 84a BVG lediglich hinsichtlich originärer Grundrenten für Kriegsopfer ab 1.1.1999 für nichtig erklärt. Deshalb sei diese Vorschrift weiterhin auf alle Versorgungsberechtigten anzuwenden, die am 18.5.1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet gehabt hätten, also aufgrund der Verweisungsvorschrift des § 2 Abs 1 DbAG auch auf den DbA. Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (SER/DbAG-ÄndG) vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) stelle insoweit lediglich die ohnehin geltende Rechtslage klar. Die Gewährung des DbA nur in Höhe einer abgesenkten Grundrente gemäß § 84a BVG sei nach wie vor verfassungsgemäß.
8
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung von § 2 Abs 1 DbAG: Er habe einen Anspruch auf DbA in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG. Die Absenkung, die die Beklagte vorgenommen habe, sei seit dem 1.1.1999 rechtswidrig. Dies ergebe sich daraus, dass § 84a BVG seit diesem Zeitpunkt nichtig sei. Das SER/DbAG-ÄndG vom 19.6.2006 sei nicht anzuwenden, weil es eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung zum 1.1.1997 enthalte. Es verstoße zudem gegen den Gleichheitssatz, wenn der DbA nur in Höhe einer abgesenkten Grundrente gewährt werde.
9
Mit Beschluss vom 5.6.2007 – B 4 RS 22/07 R – hat der ehemalige 4. Senat des BSG das Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 2 Abs 1 S 1 DbAG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) insofern mit den rechtsstaatlichen Geboten der Normenklarheit und Justiziabilität vereinbar sei, als sich mittels der Verweisung in § 84a S 1 BVG idF vom 19.6.2006 der monatliche Wert des DbA aus den Maßgaben des Einigungsvertrages (EinigVtr) in Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a Abs 1 S 1 (Regelung 4) und Abs 2 bestimmt. Auf die Anfrage der Berichterstatterin des BVerfG vom 20.2.2009, ob an dem Vorlagebeschluss festgehalten werde, hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 7.9.2010 – B 5 RS 15/09 R – entschieden, die Vorlage aufrechtzuerhalten und hat das Verfahren erneut gemäß Art 100 Abs 1 GG ausgesetzt.
10
Die Beklagte hat mit Bescheiden vom 31.3.2008, 19.2.2009 und 2.3.2011 den DbA des Klägers zum 1.7.2007, 1.7.2008 bzw zum 1.7.2009 unter Anwendung des “Umrechnungsfaktors im Beitrittsgebiet” auf 70 Euro, 71 Euro bzw 73 Euro festgesetzt. Mit weiteren Bescheiden vom 1.12.2011 und 15.10.2012 hat sie den Betrag zum 1.7.2011 bzw zum 1.7.2012 auf 83 Euro bzw 85 Euro erhöht.
11
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 4.6.2012 – 2 BvL 9/08 ua – BVerfGE 131, 88 – die Vorlagen für unzulässig erklärt.
12
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 31.7.2013 die Klage zurückgenommen, soweit Zeiträume ab dem 1.7.2007 betroffen sind.
13
Der Kläger beantragt,
        
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 31. August 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stralsund vom 22. Februar 2005 zurückzuweisen.
14
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
        
die Revision zurückzuweisen.
15
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

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