Aktenzeichen M 12 K 16.2483
Leitsatz
1 Für das Vorliegen eine Dienstunfalls, eines Körperschadens und der Ursächlichkeit des Dienstunfalls für den Körperschaden trägt der Beamte die materielle Beweislast. Der Dienstherr wiederum trägt die Beweislast für das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen, also dafür, dass die seinerzeitigen Dienstunfallanerkennung rechtswidrig war (Rn. 40). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Versorgungsrecht folgt den unfallversicherungsrechtlichen Anforderungen und ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln (Rn. 53). (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Versorgungsmedizin-Verordnung regelt nunmehr verbindlich die Grundsätze und Einzelheiten der Bildung des Grades der Schädigung (GdS). Sie schreibt die früher für die Feststellung des Grades der Behinderung und der Voraussetzungen für den Unfallausgleich heranziehbare GdB/MdE-Tabelle der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht fort. Für die Bildung des GdS gelten dieselben Grundsätze wie für die Bildung der MdE (Rn. 54). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Die mit Bescheid vom 2. Mai 2016 verfügte Rücknahme des Bescheides vom 23. Juni 1997 über die Anerkennung der weiteren Dienstunfallfolgen „suprakondyläre Femurfraktur rechts“ und „Lockerung der vorbestehenden operativen Sprunggelenksversteifung durch die Pilon-Tibialfraktur“ ist zu Recht erfolgt.
Nach Art. 48 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf dabei nur unter den Einschränkungen des Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG zurückgenommen werden. Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder wie im vorliegenden Fall hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist, wobei das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Der Bescheid vom 23. Juni 1997 ist rechtswidrig. Denn die Klägerin hat aufgrund des Dienstunfalls vom 7. November 2003 keine „suprakondyläre Femurfraktur rechts“ und „Lockerung der vorbestehenden operativen Sprunggelenksversteifung durch die Pilon-Tibialfraktur“ erlitten.
Nach Art. 100 Abs. 4 Satz 1 BayBeamtVG steht für die am 31. Dezember 2010 vorhandenen Unfallfürsorgeberechtigten ein vor dem 1. Januar 2011 erlittener Dienstunfall im Sinn des Beamtenversorgungsgesetzes in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung dem Dienstunfall im Sinn des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes gleich. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil der am 24. Januar 1996 erlittene Dienstunfall der Klägerin mit Bescheid vom 16. April 1996 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG anerkannt wurde.
Nach der Legaldefinition des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder als Folge des Dienstes eingetreten ist. Als Folgen eines Dienstunfalls können nur Körperschäden anerkannt werden, die durch diesen verursacht wurden.
Ein äußeres, den Dienstunfall verursachendes Ereignis kann dabei nicht nur ein physisch auf den Körper des Beamten einwirkendes Ereignis sein, sondern auch ein solches, das nur mittelbar krankhafte Vorgänge im Körper auslöst, etwa durch die Verursachung eines seelischen Schocks (vgl. BVerwG, U.v. 9.4.1970 – juris Rn. 14). Unter einem Körperschaden im Sinne des Dienstunfallrechts ist jede über Bagatelleinbußen hinausgehende Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität zu verstehen, mithin auch eine als Folge einer Traumatisierung eingetretene seelische Erkrankung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2009 – 2 C 134.07 – juris Rn. 24).
Als Ursachen im Rechtssinne auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung sind nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Der Ursachenzusammenhang ist nicht schon dann ausgeschlossen, wenn außer dem Unfall auch andere Umstände (namentlich eine anlage- oder schicksalsbedingte Krankheit oder ein anderes Unfallereignis) als Ursachen in Betracht kommen. In derartigen Fällen ist der Dienstunfall vielmehr dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) beigetragen hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.1999 – 2 B 117/98 – juris).
Löst ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigt oder verschlimmert es dieses, so ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen „der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ bei einer Krankheit, „die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der krankhaften Veranlagung) derartig zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist. Nicht Ursache im Rechtssinn sind demgemäß sogenannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, d.h. wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlicher Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2009 – 2 C 134.07 – juris Rn. 26; U.v. 18.4.2002 – 2 C 22.01 – juris Rn. 10; OVG NRW, U.v. 6.5.1999 – 12 A 2983/96 – juris Rn. 50; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Anm. 1 a und 5 zu § 31).
Der Grundgedanke dieser aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung übernommenen Kausaltheorie liegt darin, dass der Dienstherr nicht für Folgen haften soll, die nicht seiner Risikosphäre zugerechnet werden können. Die beamtenrechtliche Unfallfürsorge darf nicht dazu führen, dass dem Beamten jedes denkbare Risiko abgenommen wird, auch wenn es sich in gar keiner Weise aus dem Dienst ableitet; vielmehr kann nur eine solche Risikoverteilung sinnvoll sein, die dem Dienstherrn die eigentümlichen und spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit auferlegt, dagegen dem Beamten mindestens die Risiken belässt, die sich aus seinen persönlichen Anlagen und etwa bereits bestehenden Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes ergeben. Körperschäden auch psychischer Art sind so dem individuellen Lebensschicksal des Beamten und damit seinem Risikobereich zuzurechnen, wenn der Körperschaden jederzeit auch außerhalb des Dienstes bei einer im Alltag vorkommenden Belastungssituation hätte eintreten können (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2002, a.a.O., juris Rn. 11).
Für das Vorliegen eines Dienstunfalls, eines Körperschadens und der Ursächlichkeit des Dienstunfalls für den Körperschaden ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Der Beamte trägt das Feststellungsrisiko bzw. die materielle Beweislast, sowohl für das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch dafür, dass die Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist. Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht offen, ob die anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, geht dies damit zu Lasten des Beamten. Ein Anspruch ist nur dann zuzuerkennen, wenn sowohl das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch der Kausalzusammenhang mit dem Dienstunfallgeschehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – NVwZ 2010, 708; BVerwG, B.v. 4.4.2011 – 2 B 7.10 – juris). Dies gilt auch für den Fall der Rücknahme eines Anerkennungsbescheids hinsichtlich der Unfallfolgen, denn aus der Rücknahme begünstigender Bescheide folgt keine Beweislastumkehr (vgl. u.a. BayVGH München, U.v. 10.3.2014 – 3 ZB 12.914 – juris). Der Dienstherr wiederum trägt die Beweislast für das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen, vorliegend also dafür, dass die seinerzeitige Dienstunfallanerkennung rechtswidrig war, weil die Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne des zu erbringenden Wahrscheinlichkeitsbeweises nicht vorlagen.
Diesen Beweis, dass die bei der Klägerin eingetretenen Körperschäden nicht mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit auf dem Ereignis vom 24. Januar 1996 beruhen, hat der Beklagte im vorliegenden Fall erbracht.
Die Ausführungen des Gutachtens vom 8. Dezember 2015 sind schlüssig und in sich stimmig. Die von Dr. Wa … in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2015 gegebenen Erläuterungen seines schriftlichen Gutachtens haben dessen Ergebnisse bestätigt und bekräftigt. Dieser bekräftigte in der mündlichen Verhandlung, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine unfallbedingten Schäden mehr vorgelegen hätten. Eine suprakondyläre Femurfraktur rechts habe es bei der Klägerin nie gegeben, sondern eine subtrochantäre Femurfraktur. Die Lockerung des Sprunggelenks sowie die vorbestehende Einsteifung seien durch die Polio bedingt. Es bestünden keine Zeichen einer operativen Versteifung. Auf dem Röntgenbild vom 19. März 1996 sei keine operative Versteifung des Sprunggelenks in Spitzfußstellung erkennbar gewesen. Infolgedessen könne es auch keine Lockerung der operativen Sprunggelenksversteifung geben. Bestätigt wird dies durch die Aussagen der Klägerin gegenüber dem Versorgungsamt und den Ärzten aus den Jahren 1987 und 1988, auf Gehstützen angewiesen zu sein, das rechte Bein nicht belasten zu können, nicht frei stehen zu können und maximal 30 bis 50 m ohne Gehstützen gehen zu können. Auch inhaltlich sind die Ausführungen des sachverständigen Zeugen nachvollziehbar und überzeugend. Er hat zunächst dargelegt, dass die 1996 erlittenen Knochenbrüche innerhalb von acht Wochen ohne Fehlstellung verheilt gewesen seien. Bruchlinien habe man kaum noch sehen können. Die schnelle Heilung sei deshalb erfolgt, da die osteoporotischen Knochen der Klägerin sehr dünn seien und deshalb sehr schnell heilten. Am Ende der Reha 1996 sei die Klägerin mit zwei Unterarmgehstützen wieder mobil gemacht worden und habe das Bein voll belasten können.
Diese Auffassung des Sachverständigen hält die Kammer auch angesichts der hiergegen vorgebrachten Einwände der Klägerin und des sachverständigen Zeugen Dr. We … für überzeugend.
Die Aussage im ärztlichen Attest Dr. We … vom 12. Januar 2016, die Klägerin sei vor dem Sturz 1996 wesentlich mobiler gewesen und habe sich ohne Gehhilfe oder Rollstuhl längere Strecken fortbewegen können, stehen im Widerspruch zu den eigenen Angaben der Klägerin. So hat sie bereits 1987 angegeben, auf Gehstützen angewiesen zu sein und diese Aussage im Rahmen ärztlicher Atteste 1988 zweimal bestätigt. Hinsichtlich einer suprakondylären Femurfraktur rechts enthält das Attest keine Aussagen. Im Übrigen enthält das Attest die pauschale Diagnose „Lockerung der vorbestehenden operativen Sprunggelenksversteifung mit Instabilität im rechten Fuß“ ohne näher und nachvollziehbar darauf einzugehen, woraus diese Lockerung resultiert und in welchem Zusammenhang sie zum Unfall steht. Vielmehr stellt der Arzt nur pauschal fest, „das Unfallereignis 1996 habe eine erhebliche Verschlechterung der Lebensqualität mit deutlicher Einschränkung der körperlichen Leistungs- und Belastungsfähigkeit, Minderung der Gehstrecke sowie Funktionsminderung im Bereich des rechten Beines hinterlassen“.
Zudem bestätigte Dr. We … in der mündlichen Verhandlung selbst, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass aufgrund des Alters der Klägerin der Muskel nicht mehr aufgebaut werden könne. Weiter führte Dr. We … aus, dass die Schwächung des Muskels der Klägerin im rechten Bein zum jetzigen Zeitpunkt eher im Älterwerden der Klägerin liege, als in dem Dienstunfall aus dem Jahr 1996. Den Anteil der altersbedingten und durch die Polio verursachten Beschwerden im Vergleich zu den durch den Dienstunfall aus dem Jahr 1996 verursachten Beschwerden sehe er bei 80%. 20% seien auf den Unfall zurückzuführen.
Soweit die Klägerin einwendet, sie sei erst nach dem Unfall 1996 auf Gehstützen angewiesen, ist dies für das Gericht aufgrund der bereits dargelegten eigenen Aussagen der Klägerin aus den Jahren 1987 und 1988 nicht nachvollziehbar. So hat sie bereits 1987 angegeben, auf Gehstützen angewiesen zu sein und diese Aussage im Rahmen ärztlicher Atteste dies 1988 zweimal bestätigt.
Mit diesem vom Beklagten eingeholten Gutachten liegt dem Gericht ein ärztliches Sachverständigengutachten zu den entscheidungserheblichen Tatsachen vor, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann (BVerwG, B.v. 30. 9. 2010 – 8 B 15/10 – juris). Die Einholung weiterer Sachverständigengutachten liegt bei diesem Sachverhalt im Ermessen des Gerichts (§ 98 VwGO; § 412 Abs. 1 ZPO). Eine weitere Beweiserhebung wäre nur dann erforderlich, wenn sich die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens wegen fehlender Eignung des vorliegenden Gutachtens aufdrängen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn das vorhandene Gutachten grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen würde, wenn es von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausginge, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestünde, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegene Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügte oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert werden würde (vgl. BVerwG, B.v. 3. 2. 2010 – 7 B 38/09- juris).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die vorhandenen ärztlichen Sachverständigengutachten sind für das Gericht nachvollziehbar und weisen, soweit ersichtlich, keine Mängel oder Widersprüche auf; sie vermitteln dem Gericht einen hinreichenden Einblick in die Zusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten des Dr. We … hat das Gutachten des Dr. Wa … nicht ernsthaft erschüttern können.
Gegen die Anwendung des Art. 48 Abs. 1 und 2 BayVwVfG im Übrigen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Durch die Einstellung der Zahlung von Unfallausgleich für die Zukunft wurde dem Vertrauensschutzinteresse der Klägerin in vollem Umfang Rechnung getragen. Dies bewirkt, dass es bei bisher erbrachten Leistungen sein Bewenden hat, aber auf künftige Leistungen kein Anspruch mehr besteht. Die Ausschlussfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG, wonach die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig ist, in dem die Behörde von den die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erhält, war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids vom 2. Mai 2016 noch offen. Die Kenntnis der Rücknahmevoraussetzungen ist erst durch das Gutachten vom 8. Dezember 2015 eingetreten. Ermessensfehler sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
2. Die mit Bescheid vom 2. Mai 2016 verfügte Rücknahme des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom 23. Juni 1997 über Gewährung von Unfallausgleich ist zu Recht erfolgt.
Gem. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG erhält ein Beamter, der infolge eines Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 von Hundert beschränkt ist, neben der Besoldung einen Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 bis 4 BVG, solange dieser Zustand andauert. Eine unfallunabhängige Minderung der Erwerbsfähigkeit bleibt außer Betracht, Art. 52 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG. Die Vorschriften stimmen inhaltlich mit den bis 31. Dezember 2010 geltenden Normen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG überein. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der seit dem Dienstunfall unverändert gültigen Fassung erhält ein verletzter Beamter, der infolge des Dienstunfalles in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist, neben den Dienstbezügen, den Anwärterbezügen oder dem Ruhegehalt Unfallausgleich, solange dieser Zustand andauert. Wesentlich ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn sie wenigstens 25 v.H. beträgt. Dies folgt aus der Verweisung in § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG auf § 31 Bundesversorgungsgesetz (Weinbrenner in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, § 35 Rn. 36).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (im Folgenden: MdE) ist nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit wird nicht abgestellt. Es kommt nicht auf die individuellen Verhältnisse, also die persönlichen Kenntnisse oder die geistigen, körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten an. Die Festsetzung der MdE im Versorgungsrecht folgt den unfallversicherungsrechtlichen Anforderungen. Sie richtet sich auch dort nach den verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergeben (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Voraussetzung ist ein Vergleich der vor und nach dem Dienstunfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit.
Der Grad der MdE ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln. Dabei bilden allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, in der Regel die Basis für die Bewertung der MdE durch den Sachverständigen. Die konkrete Bewertung muss jedoch stets auf die Besonderheiten der MdE des betroffenen Beamten abstellen. Entscheidend ist, dass der Sachverständige bei seiner dienstunfallrechtlichen Bewertung als Maßstab die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu Grunde legt (OVG NRW, B.v. 25.8.2011 – 3 A 3339/08, juris; BayVGH, B.v. 1.2.2013 – 3 ZB 11.1166, juris; Weinbrenner in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 35, Rn. 54).
Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) regelt nunmehr verbindlich die Grundsätze und Einzelheiten der Bildung des Grades der Schädigung (GdS). Sie schreibt dabei nahezu wortgleich die früher für die Feststellung des Grades der Behinderung nach § 69 SGB IX und der Voraussetzungen für den Unfallausgleich (vgl. BVerwG U.v. 21.9.2000 – 2 C 27.99 – BVerwGE 112, 92 = DÖD 2001, 68 = NVwZ-RR 2001, 168 = DÖV 2001, 294 = DVBl 2001, 732 = ZBR 2001, 251 = Buchholz 239.1 § 35 BeamtVG Nr. 4) heranziehbare, im Interesse der gleichmäßigen Beurteilung der Behinderungen anerkannte GdB/MdE-Tabelle der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP 2008) fort. Hierbei handelte es sich nach der nun obsolet gewordenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zu den entsprechenden Vorauflagen) um antizipierte Sachverständigengutachten, die (im sozialen Entschädigungsrecht) wie untergesetzliche Normen anzuwenden waren (BSG U.v. 11.11.2004 – B 9 SB 1/03 R – RegNr. 26835 (BSG-Intern); U.v. 18.9.2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 2 = BSGE 91, 205 = Breith 2004, 297). Das bedeutet, dass für die Bildung des GdS dieselben Grundsätze gelten wie für die Bildung der MdE, wobei es sich bei ersterem Begriff um einen Grad handelt, während der letztere ein Vomhundertsatz war.
Im vorliegenden Fall erreichte die Klägerin seit dem 23. Juni 1997 den hierfür nach den obigen Ausführungen erforderlichen Mindestwert von 25% nicht mehr.
Der sachverständige Zeuge Dr. Wa … kommt in seinem Gutachten vom 8. Dezember 2015 zu dem überzeugenden und nachvollziehbaren Ergebnis, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit unter 10% einzuschätzen ist.
Der sachverständige Zeuge Dr. We … führte selbst in der mündlichen Verhandlung aus, er stelle bei der Klägerin einen MdE von 20% fest, die Angabe von 70% in seinem Gutachten vom 12. Januar 2016 sei falsch, er habe dabei den Grad der Behinderung gemeint.
Soweit im amtsärztlichen Gutachten der Landeshauptstadt München (Referat für Gesundheit und Umwelt) vom 30. Januar 2001 ein MdE von 70% festgestellt wird, ist dies zur Überzeugung des Gerichts nicht nachvollziehbar, da im Gutachten nicht substantiiert dargelegt wird, auf was sich die Erkenntnis der verbliebenen Unfallfolgen gründet.
Soweit in einer amtsärztlichen Stellungnahme der Landeshauptstadt München (Referat für Gesundheit und Umwelt) vom 4. November 1998 eine MdE von 70% festgestellt wird, erweist sich diese Feststellung als falsch, da sie sich unter anderem auf die suprakondyläre Femurfraktur rechts und eine Lockerung der vorbestehenden operativen Sprunggelenksversteifung durch die Pilon-Tibialfraktur rechts bezieht. Diese Diagnosen erweisen sich, wie oben bereits festgestellt, als falsch.
Auch das Gesundheitszeugnis der Landeshauptstadt München vom 5. April 2006 stellt zwar eine MdE von weiterhin 70% fest, legt aber nicht nachvollziehbar dar, woraus sich auf weiterhin bestehende Beschwerden, die auf den Unfall zurückzuführen sind, schließen lässt.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass das Versorgungsamt mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 einen bei der Klägerin vorliegenden Grad der Behinderung (GdB) von 100 v.H. anerkannt hat. Der Beklagte ist an die Feststellungen des Versorgungsamtes nicht gebunden, da bei der Ermittlung des GdB abweichende Feststellungskriterien zugrunde gelegt werden und auch nicht unfallbedingte Körperschäden miteinbezogen werden können (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.2000, ZBR 2001,251).
Hinsichtlich der übrigen Rücknahmevoraussetzungen wird auf die obigen Ausführungen unter Nr. 1 verwiesen.
3. Aufgrund der Rücknahme des Bescheides vom 23. Juni 1997 über die Gewährung von Unfallausgleich mit Wirkung für die Zukunft wurde in rechtmäßiger Weise die Zahlung weiteren Dienstunfallausgleichs eingestellt.
4. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).