Aktenzeichen S 16 AL 186/15
Leitsatz
1 § 161 Abs. 2 SGB III enthält eine gesetzliche Bestimmung, welche die Wiedereinsetzung ausschließt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es besteht keine allgemeine Pflicht der Bundesagentur für Arbeit, Leistungsbezieher über den Ablauf der Verfallsfrist des § 161 Abs. 2 SGB III aufzuklären. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand ist die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 30.09.2015, die die Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 05.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2015 abgelehnt hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 30.09.2015. Ein solcher Anspruch setzt nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Der Kläger hat die für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 30.09.2015 notwendige Anwartschaftszeit i.S.v. § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht erfüllt.
Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 SGB III zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Der Kläger hat sich am 30.09.2015 arbeitslos gemeldet und sich zu diesem Zeitpunkt den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestellt. Damit ergibt sich hieraus eine Rahmenfrist vom 30.09.2013 bis 29.09.2015.
Innerhalb der genannten Rahmenfrist hat der Kläger nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis i.S.d. §§ 24, 25, 26 SGB III gestanden. Auch wurde kein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gemäß § 28a SGB III begründet.
Auch hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld aus einem am 30.09.2015 noch bestehenden, früher entstandenen Stammrecht. Die Geltendmachung eines Restanspruchs aus dem am 01.04.2009 entstandenen Anspruch auf Arbeitslosengeld von ursprünglich 450 Tagen (Bescheid vom 09.04.2009) kommt nicht mehr in Betracht. Nach § 161 Abs. 2 SGB III kann der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die ohne jede Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeit rein kalendermäßig abläuft, und auch nicht bei Vorliegen von Härten verlängert werden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 21.10.2003, Az. B 7 AL 28/03 R, und vom 19.01.2005, Az. B 11a/11 AL 35/04 R; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. September 2016, Az. L 10 AL 305/15, juris Rn. 21; Karmanski in: Brand, SGB III, 7. Auflage, § 161 Rn. 20). Diese Ausschlussfrist soll im Interesse der Versichertengemeinschaft das in der Arbeitslosenversicherung versicherte Risiko dadurch begrenzen, dass lediglich bei einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall Leistungen zu erbringen sind. Die Fristberechnung richtet sich nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie beginnt mit der Entstehung des Anspruchs (hier am 09.04.2009) und endet infolge ihres kalendermäßigen Ablaufs vier Jahre später mit dem Tag, der seiner Benennung nach dem Tag entspricht, an dem er entstanden ist (vgl. Karmanski in: Brand SGB III, 7. Auflage, § 161 Rn. 29; Gagel/Striebinger, 66. EL Juni 2017, SGB III § 161 Rn. 26 – 29). Sowohl im Zeitpunkt der Nachfrage des Klägers bei der Beklagten am 02.09.2015 (wollte man hierauf abstellen) als auch im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld am 30.09.2015 war die Vier-Jahres-Frist kalendermäßig bereits abgelaufen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 27 Abs. 5 SGB X ausgeschlossen. § 161 Abs. 2 enthält eine gesetzliche Bestimmung, welche die Wiedereinsetzung ausschließt. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass bereits auf den Ablauf der Frist keinerlei tatsächliche oder rechtliche Hindernisse Einfluss haben unabhängig davon, ob der Arbeitslose sie beeinflussen kann oder ob sie eine Härte bedeuten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.1992, Az. 10 RAr 14/91 m.w.N.; Gagel/Striebinger, 66. EL Juni 2017, SGB III § 161 Rn. 29).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach den Bestimmungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung gerichtet, um den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger eine Nebenpflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis ordnungsgemäß erfüllt hätte (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. Bundessozialgericht, Urteil vom 12.11.1980, Az. 1 RA 45/79; Karmanski in: Brand, SGB III, 7. Auflage, § 161 Rn. 24). Fehlende Tatbestandsmerkmale oder anspruchsschädliche Tatsachen, die außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegen, können im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs jedoch nicht fingiert bzw. beseitigt werden.
Hier besteht nach Auffassung der Kammer grundsätzlich schon keine allgemeine Pflicht der Beklagten, Leistungsbezieher über den Ablauf der Verfallsfrist des § 161 Abs. 2 SGB III aufzuklären (vgl. hierzu Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.08.2009, Az. L 9 AL 121/06, juris-Rn. 32). Auch trägt die Beklagte vor, der Kläger sei über das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Zeitablaufs mit dem ihm anlässlich seiner Arbeitslosmeldung im Jahre 2009 ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er im Antrag unterschriftlich bestätigt habe, ausdrücklich hingewiesen worden. Doch selbst wenn man im vorliegenden Fall eine Aufklärungspflicht der Beklagten annehmen würde und der Kläger nicht durch ein Merkblatt auf die Ausschlussfrist des § 161 Abs. 2 SGB III hingewiesen worden wäre, würde daraus kein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld nach den Bestimmungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erwachsen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass sich der Kläger erst mit der Arbeitslosmeldung am 30.09.2015 den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestellt hat und damit erst ab diesem Zeitpunkt (subjektiv und wohl auch objektiv) verfügbar i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III war. Das Vorliegen von Verfügbarkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kann jedoch nicht nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden (vgl. BSG, Urteile vom 19.03.1986, Az. 7 Rar 48/84 und 7 Rar 17/84, sowie vom 31.01.2006, Az. B 11 a AL 15/05 R; BSG, Beschluss vom 07.05.2009, Az. B 11 AL 72/08 B; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.07.2016, Az. L 14 AL 184/15 und Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 06. August 2009, Az. L 9 AL 121/06 juris-Rn. 39).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.