Aktenzeichen M 18 K 17.1292
BayGO Art. 21 Abs. 1
Leitsatz
1. Für den Anspruch auf Nachweis eines Kindergartenplatzes ergibt sich – wie bei den Krippen- bzw. Tagespflegeplätzen – weder ein Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, noch ist die Höhe des dort zu entrichtenden Teilnahmebeitrags beschränkt (vgl. ausführlich zu § 24 Abs. 2 SGB VIII: BVerwG BeckRS 2017, 140847). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen, somit nur die Mehrkosten, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind (zu § 24 Abs. 2. SGB VIII: BVerwG BeckRS 2017, 140847 – Leitsatz 4). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klagepartei über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Klagepartei ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zum Teil unzulässig, zum Teil unbegründet.
Die Anträge des Klägers werden nach § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass zum einen die Verpflichtung der Beklagten beantragt wird, einen (städtischen) Kindergartenplatz nachzuweisen, zum anderen die Verpflichtung der Beklagten, die Mehrkosten für den selbst beschafften Kindergartenplatz zu erstatten.
Der Antrag auf Nachweis eines Kindergartenplatzes ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlte dem Antrag das Rechtschutzbedürfnis wegen bereits erfolgter Erfüllung des eingeklagten Anspruchs.
Nach § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII bestand für den Kläger nach Vollendung des dritten Lebensjahres, also ab dem …, ein Anspruch auf bedarfsgerechte Förderung in einer Tageseinrichtung. Mit Schreiben vom 30. Mai 2017 hat die Beklagte einen bedarfsgerechten Kindergartenplatz in der Einrichtung W. nachgewiesen.
Angesichts der starken Ähnlichkeit der Ansprüche aus § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII ist die Rechtsprechung zu § 24 Abs. 2 SGB VIII bezüglich der Möglichkeit, den Anspruch durch Nachweis eines bedarfsgerechten Platzes bei einem freien Träger -ohne Ansehung der Kostenhöhe – zu erfüllen, parallel anwendbar. Auch für den Anspruch auf Nachweis eines Kindergartenplatzes ergibt sich – wie bei den Krippen- bzw. Tagespflegeplätzen – weder ein Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, noch ist die Höhe des dort zu entrichtenden Teilnahmebeitrags beschränkt (vgl. ausführlich zu § 24 Abs. 2 SGB VIII: BVerwG, U. v. 26.10.2017, Az. 5 C 19/16 – juris Rn. 40, 44). Die Beklagte war auch nicht gehindert, den im Zeitpunkt des Nachweises von dem Kläger bereits besuchten Platz anspruchserfüllend nachzuweisen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 75). Die von den Eltern des Klägers gewählte Einrichtung erhält sowohl staatliche wie kommunale Förderung und konnte daher anspruchserfüllend nachgewiesen werden. Ab Zugang des Schreibens der Beklagten vom 30. Mai 2017 bei den Eltern des Klägers trat Erledigung ein. Eine Erledigungserklärung wurde durch den Kläger oder seine Eltern jedoch nicht abgegeben, sodass der Klageantrag mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig wurde.
Der weitere Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, die Mehrkosten für den selbstbeschafften Betreuungsplatz für den Kläger zu erstatten, ist unbegründet. Ein Anspruch aus § 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII steht dem Kläger nicht zu.
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für den Fall, dass Hilfen abweichend von § 36a Absätzen 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
1.der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für jugendhilferechtliche Leistungen, welche die frühkindliche Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII betreffen, entsprechend Anwendung (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16; U.v. 12.9.2013 – 5 C 35/12 – jeweils juris). Das Gericht sieht auf Grund der sehr ähnlichen Ausgestaltung der Ansprüche nach § 24 Abs. 2 (ab dem vollendeten ersten Lebensjahr) und Abs. 3 (ab dem vollendeten dritten Lebensjahr) SGB VIII diese Rechtsgrundlage und die Art der erstattungsfähigen Mehrkosten auch für die Fallkonstellation der fehlenden oder verspäteten Erfüllung des Anspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII als anwendbar an.
Bereits mangels ausreichender Inkenntnissetzung der Beklagten über den Hilfebedarf vor der Selbstbeschaffung des Kindergartenplatzes in der Einrichtung W. ist ein Anspruch nicht gegeben, § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII analog.
Die Eltern des Klägers machten vor der Klageerhebung am 28. März 2017 einen Anspruch auf Förderung des Klägers in einer Tageseinrichtung ab dem vollendeten dritten Lebensjahr nach § 24 Abs. 3 SGB VIII bei der Beklagten nicht hinreichend geltend. Eine frühkindliche Förderung des Klägers nach § 24 Abs. 2 SGB VIII ab dem ersten vollendeten Lebensjahr wurde zu keinem Zeitpunkt von den Eltern des Klägers begehrt. Wie mit Schreiben der Eltern des Klägers an die Beklagte vom 1. April 2017 klar gestellt wurde, begehrt der Kläger von der Beklagten ausschließlich einen Kindergartenplatz (§ 24 Abs. 3 SGB VIII). Angesichts des Alters des Klägers und der Geltendmachung der Kosten erst ab Vollendung des dritten Lebensjahres, ist dies in dem Schreiben deutlich – auch entgegen des (fehlerhaften) Bezugs auf § 24 Abs. 2 SGB VIII – erkennbar. Auch der Klageschriftsatz der Eltern des Klägers vom 24. März 2017 ist aufgrund der Bezugnahme auf die Vollendung des dritten Lebensjahres eindeutig.
Eine allgemeine Geltendmachung des Bedarfs an einem Kindergartenplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII erfolgte erst mit Zugang des Klageschriftsatzes bei der Beklagten. Die vorliegend erfolgte konkrete Anmeldung des Klägers bei Tageseinrichtungen über das Kita-Finder-Portal allein genügt hierfür nicht (vgl. zu § 24 Abs. 2 SGB VIII: VG München, B.v. 8.1.2014 – M 18 E 13.4877 – juris Rn. 12). Angesichts der weitreichenden Parallelität der Ansprüche aus § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII kann die zu § 24 Abs. 2 SGB VIII ergangene Rechtsprechung in weiten Teilen und insbesondere auch bezüglich der Anforderungen an die Geltendmachung des Bedarfs auf den Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII deckungsgleich übertragen werden. Demnach muss der Wille, nicht nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO, sondern den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII geltend zu machen, hinreichend deutlich hervortreten. Denn nur in diesen Fällen kann (und muss) die Gemeinde bzw. der örtlich zuständige Jugendhilfeträger erkennen, dass sich der Bedarf des Anspruchsberechtigten nicht lediglich auf die konkret angefragten Einrichtungen beschränkt und im Hinblick auf den durch § 24 Abs. 3 SGB VIII gewährten Rechtsanspruch bislang unerfüllt geblieben ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 25). Hingegen ist für die Geltendmachung nicht erforderlich, dass die innerorganisatorische Zuständigkeitsverteilung beachtet wird, vielmehr sind entsprechende Anträge ggf. weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 18f). Ebenso wenig bedarf es für die Geltendmachung weiterer konkretisierender Angaben, so dass auch nicht auf den Rücklauf des von der Beklagten bereitgestellten Formulars abgestellt werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 26). Eine ausschließliche Anmeldung über den Kita-Finder ist gleichbedeutend mit der Anmeldung bei einzelnen Einrichtungen. Das Internetportal stellt lediglich die Möglichkeit bereit, sich online bei verschiedenen Einrichtungen gleichzeitig anzumelden. Es dient jedoch nicht dazu, gegenüber der Beklagten als Träger der Jugendhilfe einen Anspruch auf Nachweis eines Platzes bei (irgend-)einer Einrichtung geltend zu machen. Dies wäre nur über weitere Kontakte zur Beklagten, insbesondere über die Elternberatungsstelle möglich gewesen.
Mangels Erscheinens der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung konnte der schriftliche Vortrag zum Inhalt der nach klägerischen Angaben erfolgten, telefonischen Beratung bei der Beklagten Ende 2016 nicht substantiiert werden. Da der Gesprächsinhalt und auch die Stelle der Beklagten, die kontaktiert wurde, unklar ist, kann in der telefonischen Beratung keine Bedarfsmeldung gesehen werden. Auch in dem Schreiben der Eltern des Klägers an die Beklagte vom 17. Februar 2017 ist kein Inkenntnissetzen über den Bedarf zu sehen, denn mit diesen Schreiben wurde ausschließlich der Sekundäranspruch auf Übernahme der Mehrkosten geltend gemacht; ein Hinweis auf einen weiterhin bestehenden Bedarf bzw. die Bitte, einen anderen Kindergartenplatz zu vermitteln, finden sich darin nicht. Erstmals mit der am 24. März 2017 erhobenen Klage wurde die Zuweisung eines Platzes in einer Kindertagesstätte nach § 24 Abs. 3 SGB VIII bei der Beklagten beantragt.
Die Selbstbeschaffung des Platzes in der Einrichtung W. erfolgte jedoch bereits mit Vertragsschluss über die Aufnahme und Betreuung des Klägers im Kindergarten W. am 8. September 2016, spätestens jedoch zum Eintritt des Klägers in die Einrichtung zum 1. Oktober 2016. Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII wurde daher „(…) schon gar nicht erst effektuiert und das staatliche System der Jugendhilfe überhaupt nicht aktiviert, weder primär noch im Wege des Aufwendungsersatzes sekundär. Das Jugendamt kann in einem solchen Fall auch später nicht als reine „Zahlstelle“ in Anspruch genommen (…) werden“ (BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 63 m.w.N.).
Unabhängig von einer fehlenden Inkenntnissetzung vor der Selbstbeschaffung sind dem Kläger auch keine erstattungsfähigen Mehrkosten entstanden. Denn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes in analoger Anwendung von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen (zu § 24 Abs. 2. SGB VIII: BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – Leitsatz 4 – juris Rn. 69 ff.). Sofern folglich – wie vorliegend – kein Recht auf die kostenfreie Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes besteht, beschränkt sich der Sekundäranspruch auf die Mehrkosten, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind. Nicht beansprucht werden können die Aufwendungen, die ohnehin zu tragen gewesen wären. Zu Letzteren gehören die hier streitigen Aufwendungen. Die Einrichtung konnte anspruchserfüllend nachgewiesen werden, so dass dem Kläger keine Mehrkosten entstanden sind.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff ZPO.