Sozialrecht

Erstattung der Mehrkosten für selbstbeschafften Betreuungsplatz in privater Kinderkrippe

Aktenzeichen  M 18 K 16.2206

Datum:
21.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27199
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 24 Abs. 2 u Abs. 6, § 36a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist zur Übernahme von Aufwendungen für vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Leistungen nach § 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII nicht verpflichtet, wenn der Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII erfüllt wurde. Die dem Betreuungsbedarf entsprechende Betreuung durch eine Tagesmutter stellt dabei einen bedarfsgerechten Betreuungsplatz dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für den selbstbeschaffenen Betreuungsplatz. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten vom 6. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für den Fall, dass Hilfen abweichend von § 36a Absätzen 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
1.der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für jugendhilferechtliche Leistungen, welche die frühkindliche Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII betreffen, entsprechend Anwendung (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16; U.v. 12.9.2013 – 5 C 35/12 – jeweils juris).
Die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 SGB VIII liegen im Fall des Klägers nicht vor, da der Anspruch des Klägers auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII durch den Beklagten erfüllt wurde.
Der Kläger hatte unstreitig gegenüber dem Beklagten aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ab Dezember 2015. Die Mutter des Klägers hatte die Wohnortgemeinde sowie den Beklagten fristgerecht drei Monate vor dem Bedarf über die geplante Inanspruchnahme in Kenntnis gesetzt, § 24 Abs. 6 SGB VIII i.V.m. Art. 45a Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG).
Der Nachweis eines Angebotes zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege genügt den Anforderungen des § 24 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 SGB VIII nur, wenn es dem konkret-individuellen Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 41).
Bei dem Nachweis der Betreuung durch eine Tagesmutter handelt es sich um ein öffentlich-rechtlich gefördertes Betreuungsverhältnis.
Mit dem Schreiben der Nachbarschaftshilfe … e.V. vom 8. Mai 2015 wurde verbindlich eine Betreuung des Klägers durch die Tagesmutter L. entsprechend dem konkret-individuellen Bedarf nachgewiesen. Unschädlich ist insoweit, dass das Schreiben bereits vor dem Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit dem Beklagten erging und nicht von dem Beklagten selbst stammt, da sich der Beklagte ab seiner Einschaltung die Nachweise der Nachbarschaftshilfe … e.V. zu Eigen machte und auf diese bestehenden Nachweise verwies.
Die Betreuung durch die Tagesmutter L. stellt einen bedarfsgerechten Betreuungsplatz da. Der konkrete individuelle Bedarf wird durch die Verhältnisse des anspruchsberechtigten Kindes und seine Erziehungsberechtigten gekennzeichnet. Insbesondere ist hierbei auch die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben maßgeblich zu berücksichtigen. Begrenzt wird der Anspruch primär durch das Wohl des zu betreuenden Kindes (BVerwG, a.aO., Rn. 41f).
Klägerseits wurde im vorliegenden Fall ein täglicher Bedarf auf Betreuung bis 18:00 Uhr geltend gemacht. Dieser Betreuungsbedarf wurde von der alleinsorgeberechtigten und alleinerziehenden Mutter des Klägers, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, hinreichend nachvollziehbar dargelegt. Eine regelmäßige Betreuungszeit von täglich zehn Stunden außer Haus widerspricht auch nicht grundsätzlich dem Wohl des Kindes, auch wenn hierdurch sicherlich der äußerste Rahmen erreicht sein dürfte (vgl. VG München, U.v. 13.7.2016 – M 18 K 14.3284 – juris Rn. 55 m.w.N.). Dementsprechend bieten auch die von Beklagtenseite in Anspruch genommenen Einrichtungen Buchungszeiten bis zu zehn Stunden täglich an, allerdings mit Buchungszeiten von 7 bis 17:00 Uhr.
Mit der Betreuung durch die Tagesmutter L. wäre der Bedarf des Klägers erfüllt gewesen.
Das Gericht geht hierbei aufgrund der Aktenlage und den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Tagesmutter L. aufgrund einer individuellen Absprache mit dem Nachbarschaftshilfe … e.V. tatsächlich bereit war, den Kläger auch – über ihre übliche Betreuungszeit bis 17:00 Uhr – bis 18:00 Uhr zu betreuen und dies auch entsprechend kommuniziert wurde. Die Aussagen der Mutter des Klägers hierzu erscheinen widersprüchlich. Zwar beruft sie sich nunmehr primär darauf, dass die Tagesmutter ihr gegenüber erklärt habe, dass eine Betreuungszeit lediglich bis 17:00 Uhr bereit stehe, allerdings lehnte sie gegenüber dem Nachbarschaftshilfe … e.V. die Tagesmutter ausschließlich wegen der angeblichen Tierhaarallergie des Klägers ab. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte die Mutter des Klägers ergänzend aus, dass die Tagesmutter ihr gegenüber geäußert habe, dass „ihre Kinder“ um 17:00 Uhr geholt werden würden. Auch eine solche Äußerung widerspricht jedoch nicht dem Vortrag des Beklagten, dass für den Kläger eine individuelle Betreuungszeit bis 18:00 Uhr mit der Tagesmutter L. vereinbart worden sei. Insbesondere aufgrund der vielfachen persönlichen Kontakte der Mutter des Klägers mit dem Beklagten und den weiteren auf Beklagtenseite beteiligten Personen geht das Gericht davon aus, dass gegenüber der Mutter des Klägers eindeutig kommuniziert war, dass die Tagesmutter L. den Kläger auch bis 18:00 Uhr betreuen würde und insoweit eine individuelle Vereinbarung getroffen worden sei.
Auch die klägerseits behauptete Tierhaarallergie des Klägers steht der Erfüllung des Anspruchs des Klägers nicht entgegen.
Ein Nachweis über eine Hundehaarallergie wurde nicht erbracht und einen solchen konnte die Mutter des Klägers auch in der mündlichen Verhandlung nicht vorliegen. Vielmehr erklärte sie, dass bei ihrem Sohn kein Allergietest gemacht worden sei, der Kläger habe damals sehr starke Neurodermitis gehabt. Die vorgelegte Arztrechnung vom 9. Dezember 2014 enthält als Diagnose für den Kläger lediglich allergische Diathese, also eine allgemeine Allergieneigung und keinen Hinweis auf eine spezielle Hunde- oder Tierhaarallergie. Auch die Wahl des privaten Kindergarten mit tierpädagogischem Konzept widerspricht der Annahme, dass bei dem Kläger tatsächlich eine deutlich ausgeprägte Tierhaarallergie vorliegt, die die Annahme des angebotenen Platzes bei der Tagesmutter L. tatsächlich unzumutbar gemacht hätte. In dem Erziehungskonzept der Einrichtung wird die tiergestützte Pädagogik besonders hervorgehoben und ausgeführt, dass es für besonders wichtig erachtet werde, kleine Kinder in einen positiven Kontakt mit Tieren zu bringen und diese Tierkontakte mit vielen guten und schönen Erlebnissen und Gefühlen zu verknüpfen. Die Kinder fänden im Haus Meerschweinchen, Zwerghasen sowie einen Therapiehund. Für die Meerschweinchen und Hasen würden die Kinder bereits die Verantwortung übernehmen und diese täglich füttern. Zwar führte die Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung aus, dass der Hund der Einrichtung nicht in den Krippenräumen untergebracht sei, sondern ein Kontakt ausschließlich im Garten unter Aufsicht stattfände, wobei wegen der Allergie des Klägers dieser Kontakt unterbunden worden sei. Innerhalb der Krippe befände sich im Flur ein Stall mit Meerschweinchen, welche immer im Stall bleiben würden und von den Kindern gefüttert würden. Der Stall sei mit einer Glasscheibe nach außen abgetrennt. Selbst aufgrund dieser Schilderung ist davon auszugehen, dass sowohl in den Räumen, als auch im Garten der Kindertagesstätte – selbst bei einem unterbundenen unmittelbaren Kontakt des Klägers mit den Tieren – Tierhaare vorhanden sind und der Kläger diesen dauerhaft ausgesetzt war. Dementsprechend erscheint es nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger unter einer Hundehaarallergie leidet, die es dem Kläger tatsächlich unzumutbar gemacht hätte, den Betreuungsplatz bei der Tagesmutter L. wahrzunehmen. Vielmehr erscheint es dem Gericht so, dass die Mutter des Klägers von dem Betreuungsangebot der Tagesmutter L., insbesondere aufgrund der Anzahl der dort betreuten Kinder und der Gesamtsituation, die sie bei der Tagesmutter L. wahrgenommen hatte, nicht ausreichend überzeugt war und eine andere Betreuungsform für ihren Sohn wünschte. Ein Wahlanspruch bezüglich der verschiedenen Betreuungsplätze, insbesondere zwischen Kindertageseinrichtungen und Tagesmüttern besteht jedoch gemäß der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade nicht. Ein Kind kann von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes in der Kindertagespflege verwiesen werden, sofern Plätze in einer Tageseinrichtung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 37ff).
Dem Kläger wurde daher ein geeigneter Betreuungsplatz bei der Tagesmutter L. nachgewiesen. Die Nichtannahme dieses Betreuungsplatzes führt nicht zu einer fehlenden Erfüllung der Nachweispflicht.
Aufgrund der Erfüllung des Anspruchs des Klägers durch den Nachweis eines Betreuungsplatzes bei der Tagesmutter L war vom Gericht nicht mehr zu entscheiden, ob im Übrigen auch ein ausschließliches Angebot von Betreuungsplätzen bis 17:30 Uhr ebenfalls zur Anspruchserfüllung ausgereicht hätte.
Da der Primäranspruch des Klägers erfüllt wurde, steht dem Kläger bereits dem Grunde nach kein Erstattungsanspruch zu, so dass auch über die Erstattungsfähigkeit von Fahrtkosten sowie die relevanten Vergleichskosten für die Höhe eines Erstattungsanspruchs nicht mehr zu entscheiden war.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 ff ZPO.

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