Aktenzeichen W 3 K 18.553
Leitsatz
1. Unabweisbar iSd § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BAföG ist ein Grund nur dann, wenn er eine Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und ihrem Abbruch oder dem Überwechseln in eine andere Fachrichtung nicht zulässt oder der es im Einzelfall schlechterdings unerträglich erscheinen ließe, den Auszubildenden unter den gegebenen Umständen an der zunächst aufgenommenen Ausbildung festhalten zu lassen. Es müssen nachträglich außergewöhnliche Umstände eingetreten sein, die die Eignung des Auszubildenden für die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung oder die Ausübung des bisher angestrebten Berufs bei objektiver und subjektiver Betrachtung haben wegfallen lassen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wegfall der Eignung für die Ausübung des angestrebten Berufes kann im Grundsatz seine Ursache in unabweisbaren psychischen Beeinträchtigungen finden. Ein unabweisbarer Grund kann auch gegeben sein, wenn es dem Studenten aus subjektiven, also in seiner Person liegenden oder aber objektiven Gründen unmöglich ist, das Studium in der gewählten Fachrichtung fortzuführen. Davon umfasst ist nicht nur der Wegfall der subjektiven Fähigkeit, die Ausbildung zu beenden oder den Beruf auszuüben, sondern auch den Wegfall der Eignung aufgrund besonderer gesellschaftlicher oder sozialer Gegebenheit. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch persönliche oder familiäre Umstände aus dem Lebensbereich des Auszubildenden kommen als unabweisbarer Grund für einen Fachrichtungswechsel oder einen Studienabbruch in Betracht, sofern sie mit der Ausbildung in unmittelbarem Zusammenhang stehen und ihrer Gewichtung nach als unabweisbar anerkannt werden können. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein wichtiger Grund iSv § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BAföG und erst Recht ein unabweisbarer Grund iSv § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BAföG können nur anerkannt werden, wenn der Auszubildende, sobald er Gewissheit über den Grund für einen Fachrichtungswechsel oder Ausbildungsabbruch erlangt hat, unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern die erforderlichen Konsequenzen zieht. Es handelt sich hierbei um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, entwickelt aus der Rechtsprechung zum wichtigen Grund, an den mit zunehmender Semesterzahl hohe Anforderungen zu stellen sind. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Stadt Schweinfurt vom 26. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Niederbayern vom 23. März 2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für das Schuljahr 2017 / 2018 zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Klägerin war notwendig.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf die Gewährung von Ausbildungsförderung. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig; sie verletzen die Klägerin in ihren Rechten und waren daher unter Ausspruch einer entsprechenden Verpflichtung aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 1 des Bundesgesetzes über die individuelle Förderung der Ausbildung – Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) hat ein Auszubildender einen Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechenden Ausbildung nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Der Grundgedanke des Ausbildungsförderungsrechts besteht darin, öffentliche Mittel (nur) für eine sinnvoll geplante und zielstrebig durchgeführte Ausbildung einzusetzen. Nach einem Abbruch oder einem Wechsel der Fachrichtung wird Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung deshalb gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG nur geleistet, wenn der Auszubildende die Ausbildung aus wichtigem Grund bis zum Beginn des 4. Fachsemesters, später nur dann, wenn er die Ausbildung aus unabweisbarem Grund abgebrochen oder gewechselt hat. Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BAföG bricht ein Auszubildender die Ausbildung ab, wenn er den Besuch von Ausbildungsstätten einer Ausbildungsstättenart endgültig aufgibt.
Die Klägerin hat im 6. Semester ihre Universitätsausbildung abgebrochen und begehrt Ausbildungsförderung für den Besuch einer Berufsfachschule. Eine Weiterförderung bzw. Förderung der neuen Ausbildung kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Abbruch der Ausbildung aus unabweisbarem Grund erfolgte. Unabweisbar im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG ist ein Grund nur dann, wenn er eine Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und ihrem Abbruch oder dem Überwechseln in eine andere Fachrichtung nicht zulässt oder der es im Einzelfall schlechterdings unerträglich erscheinen ließe, den Auszubildenden unter den gegebenen Umständen an der zunächst aufgenommenen Ausbildung festhalten zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 12 ZB 11.999- juris Rn. 9). Es müssen nachträglich außergewöhnliche Umstände eingetreten sein, die die Eignung des Auszubildenden für die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung oder die Ausübung des bisher angestrebten Berufs bei objektiver und subjektiver Betrachtung haben wegfallen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 5 C 6/03 – juris).
Der Wegfall der Eignung für die Ausübung des angestrebten Berufes kann im Grundsatz seine Ursache in unabweisbaren psychischen Beeinträchtigungen finden (VG Göttingen, U.v. 19.1.2010 – 2 A 124/08 – juris). Ein unabweisbarer Grund kann auch gegeben sein, wenn es dem Studenten aus subjektiven, also in seiner Person liegenden oder aber objektiven Gründen unmöglich ist, das Studium in der gewählten Fachrichtung fortzuführen. Davon umfasst ist nicht nur der Wegfall der subjektiven Fähigkeit, die Ausbildung zu beenden oder den Beruf auszuüben, sondern auch den Wegfall der Eignung aufgrund besonderer gesellschaftlicher oder sozialer Gegebenheit (vgl. VG Greifswald, U.v. 30.5.2017 – 2 A 2091/16, HGW – juris). Auch persönliche oder familiäre Umstände aus dem Lebensbereich des Auszubildenden kommen als unabweisbarer Grund für einen Fachrichtungswechsel oder einen Studienabbruch in Betracht, sofern sie mit der Ausbildung in unmittelbarem Zusammenhang stehen und ihrer Gewichtung nach als unabweisbar anerkannt werden können (VG Stuttgart, U.v. 26.9.2002 – 11 K 4777/01 – juris).
Ein wichtiger Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG und erst Recht ein unabweisbarer Grund im Sinne vom § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG können nur anerkannt werden, wenn der Auszubildende, sobald er Gewissheit über den Grund für einen Fachrichtungswechsel oder Ausbildungsabbruch erlangt hat, unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern die erforderlichen Konsequenzen zieht. Es handelt sich hierbei um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, entwickelt aus der Rechtsprechung zum wichtigen Grund, an den mit zunehmender Semesterzahl hohe Anforderungen zu stellen sind. Dem Auszubildenden, der in der Pflicht steht, seine Ausbildung umsichtig zu planen und zügig durchzuführen, wird entsprechend seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zugemutet, den Gründen, die einer Fortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen (BVerwG, U.v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 – juris Rn. 13 m.w.N.). Sobald der Auszubildende Gewissheit über den Grund für den Fachrichtungswechsel bzw. Abbruch erlangt hat, muss er unverzüglich die erforderlichen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung abbrechen. Ob der Auszubildende seiner Verpflichtung zu unverzüglichem Handeln nachgekommen ist, beurteilt sich nicht alleine nach objektiven Umständen. Vielmehr ist auch in subjektiver Hinsicht zu prüfen, ob ein etwaiges Unterlassen notwendiger Maßnahmen dem Auszubildenden vorwerfbar ist und ihn damit ein Verschulden trifft (vgl. BVerwG, U.v.21.6.1990 – a.a.O.).
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass bei ihr ein unabweisbarer Grund für die Aufgabe des Studiums vorliegt und sie deshalb unverzüglich ihr Studium abgebrochen hat.
Die Klägerin hat nicht etwa ihre Lehrerausbildung wegen allgemeiner, schon länger bestehender psychischer Probleme abgebrochen. Vielmehr konnte sie an der Universität ihre Leistungen erbringen, ohne dass Bedenken hinsichtlich ihrer Studierfähigkeit aufgetreten sind. Aus dem Bericht der behandelnden Psychotherapeutin vom 12. Oktober 2017 geht hervor, dass die Klägerin von Seiten ihrer Dozenten über ihre Lehrbefähigung im schulpraktischen Teil durchweg positive Reaktionen erhalten habe, so dass die Klägerin nicht das Gefühl gehabt hätte, für den Beruf einer Lehrerin oder Pädagogin ungeeignet zu sein. Den psychischen Problemen im Verlauf ihres Studiums ist sie mit Therapien und einem Urlaubsemester begegnet. Aus alledem ergibt sich, dass die Klägerin durchaus fähig gewesen wäre, ihr Studium abzuschließen, dies trotz ihrer psychischen Probleme aufgrund ihrer familiären Situation.
Demgegenüber hat die Klägerin im Rahmen der vom 11. August bis zum 3. November 2015 durchgeführten Therapie erstmals die Erkenntnis erlangt, dass sie nach Abschluss des Studiums den Anforderungen des Lehrerberufes nicht einmal ansatzweise gerecht werden kann. Denn erstmals im Rahmen dieser Therapie hat sie erkannt, dass sie aufgrund ihrer äußerst problematischen Elternbeziehung keinesfalls in der Lage sein würde, den Problemen, die sich auf schulischer Ebene aus der Zusammenarbeit mit den Eltern der ihr anvertrauten Schulkinder zwangsläufig ergeben werden, angemessen zu begegnen. Erstmals in diesem Rahmen ist ihr bewusst geworden, dass sie aus psychischen Gründen nicht fähig ist, fordernd und autoritär auftretenden Personen eigene Autorität entgegen zu setzen. Eine solche Fähigkeit ist jedoch unabdingbar für die Ausübung des Lehrerberufs. Erkennt aber die Klägerin, dass sie den Beruf, für den sie sich ausbilden lässt, nie ausüben können wird, ist dies ein unabweisbarer Grund für einen Abbruch des Studiums. Zu einem solchen Studienabbruch wurde der Klägerin auch erstmals im Rahmen der Therapie vom 11. August bis zum 3. November 2015 geraten.
Das Gericht hat sich mit dem Hintergrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen (Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik Schweinfurt v. 27.10.2015; Gutachten Dr. R* … v. 5.10.2015) durch die Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst die Überzeugung verschafft, dass bei ihr die obengenannte Unfähigkeit, mit Autoritäten umzugehen, vorliegt und dass sie damit an psychischen Beeinträchtigungen leidet, die sie für die Ausübung des Lehrerberufs objektiv und subjektiv ungeeignet machen. Zudem hat sich das Gericht die Überzeugung verschafft, dass die Klägerin unverzüglich die Ausbildung abgebrochen hat, nachdem ihr aufgrund der Therapie bei dem letzten Klinikaufenthalt (11.8.2015 – 3.11.2015) die Ursachen und die Dimension ihrer psychischen Probleme klar geworden ist. Hier hat die Klägerin auch erstmals die Empfehlung bekommen, das Studium abzubrechen. Die Klägerin ist dieser Empfehlung sofort gefolgt. Dies macht deutlich, dass die Klägerin in subjektiver Hinsicht erst im Rahmen des Klinikaufenthaltes im Sommer 2015 die Erkenntnis gewonnen hat, dass sie aus vorstehend geschilderten Gründen für die Ausübung des Lehrerberufes ungeeignet ist. Ihre Exmatrikulation ist unverzüglich, nämlich am 3. November 2015 (unmittelbar am Tag der Entlassung aus der Klinik) erfolgt.
Nachdem die Klägerin also einen unabweisbaren Grund für den Studienabbruch geltend machen kann und dieser Studienabbruch auch ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist, besteht dem Grunde nach Anspruch auf die Gewährung von Ausbildungsförderung. Die Voraussetzung des § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG ist erfüllt. Die Schule hat im Formblatt 2, Zeile 25 ( Blatt 135 Behördenakte) bestätigt, dass die Schule mindestens 20 Wochenstunden vorgeschriebenen Unterricht erteilt. Die Klägerin hat auch bestätigt, dass im fraglichen Schuljahr pro Woche an vier Tagen Halbtagsunterricht und jeweils ein ganztägiges Praktikum in der Einrichtung stattfand.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 188 Satz 2, 1. Hs. VwGO).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.