Aktenzeichen S 8 R 866/16
Leitsatz
Der Vorrang der Leistungen zur Teilhabe vor Rentenleistungen gilt dann nicht, wenn Rehabilitationsleistungen nicht erfolgversprechend sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.08.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 verurteilt, den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem 17.01.2017 anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen bis einschließlich Dezember 2018 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Gründe
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist zulässig (vgl. §§ 51, 57, 78, 87 und 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Klage ist auch teilweise begründet. Der Kläger ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zumindest seit Januar 2017 nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilzunehmen.
Versicherte haben Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, die teilweise (§ 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 6. Buch – SGB VI -) bzw. voll (§ 43 Abs. 2 SGB VI) erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Diese Voraussetzungen bezüglich einer vollen Erwerbsminderung sind bei dem Kläger zumindest ab Januar 2017 erfüllt. Maßgeblich für die Beurteilung der dem Kläger verbliebenen Leistungsfähigkeit sind dabei die medizinischen Befunde und die daraus folgende Bewertung, in welchem Umfang eine Arbeitsleistung noch zumutbar ist.
Die Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers ergibt sich vorliegend im Wesentlichen aus dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. S. vom 20.01.2017. Dieser konnte dabei als wesentliche Gesundheitsstörungen insbesondere eine schwere depressive Episode, eine generalisierte Angststörung, eine Zwangsstörung, eine Essstörung und eine abnorme Tagesmüdigkeit diagnostizieren. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen hält der Sachverständige nur noch eine weniger als dreistündige Tätigkeit für durchführbar.
Dieser sozialmedizinischen Beurteilung schließt sich das Gericht an. Der ärztliche Sachverständige gelangt zu dieser Einschätzung des Leistungsvermögens nach ausführlicher eigener Befunderhebung und unter Würdigung der bereits vorhandenen Vorgutachten und ärztlichen Unterlagen. Das Gutachten selbst ist hinreichend begründet und lässt Widersprüche zwischen Befunderhebung und Beurteilung des Leistungsvermögens nicht erkennen. Das Gericht überzeugen insbesondere die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen, dass der Kläger in jeder vermittelten Anstellung scheitern würde, da er sich weiterhin primär um das Aufrechterhalten seiner Kontrollmechanismen kümmern würde. Es wäre dem Kläger nicht möglich, mit zumutbarer Willensanspannung einfach davon zu lassen. Insgesamt ist damit ein unter dreistündiges Leistungsvermögen des Klägers nachvollziehbar belegt.
Insgesamt steht damit für die Kammer fest, dass der Kläger zumindest seit dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. S. nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilzunehmen. Ein weiter zurückliegender Leistungsfall ist nicht ausreichend nachgewiesen. Dagegen spricht insbesondere auch die Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch Dr. M. vom 28.07.2016. Auch Dr. S. führt aus, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um einen schleichend zunehmenden Verlauf handelt.
Weiterhin geht Dr. S. davon aus, dass die geminderte Erwerbsfähigkeit vorübergehend für einen Zeitraum von ca. zwei Jahren besteht. Die Gesundheitsstörungen des Klägers sind ihrer Natur nach durch eine Behandlung überwindbar. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem 17.01.2017 anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen für zunächst zwei Jahre bis einschließlich Dezember 2018 zu gewähren (vgl. § 102 Abs. 2 und § 101 Abs. 1 und Abs. 1a SGB VI).
Eine Rentengewährung ist vorliegend auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte dem Kläger eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation angeboten hat. Zwar ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI und § 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, 9. Buch (SGB IX) ein Vorrang von Leistungen zur Teilhabe vor Rentenleistungen. Allerdings sind Rehabilitationsleistungen vorliegend nicht erfolgversprechend. Der Kläger möchte selbst an einer solchen Maßnahme nicht teilnehmen. Auch Dr. S. führt an, dass sich der Kläger nicht auf eine eigentlich indizierte stationäre schwerpunktmäßig psychosomatische Behandlung einlassen kann. Es stünden ihm dabei seine Kontrollmöglichkeiten nicht zur Verfügung. Dr. S. führt weiterhin an, dass erst nach spezifischen Therapiemaßnahmen entsprechend dem weiteren Verlauf sich evtl. eine stationäre Therapiemaßnahme anschließen könnte. Insgesamt können damit die angebotenen Leistungen zur Teilhabe den Rentenanspruch nicht ausschließen.
Zusammenfassend hat der Kläger damit einen Anspruch auf die Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente mit einem Leistungsfall im Januar 2017. Die Rente ist bis Dezember 2018 zu befristen. Ein früherer Leistungsfall ist nicht nachgewiesen. Insoweit ist die Klage im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.