Sozialrecht

Gewährung einer stationären Rehabilitation

Aktenzeichen  S 10 KR 171/16

Datum:
4.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 11 Abs. 2, § 40 Abs. 1 u. 2

 

Leitsatz

Das Gesetz sieht in § 40 SGB V ein Stufensystem vor, Voraussetzung für die nächste Stufe ist, dass die vorherige Stufe nicht ausreicht, um das Leistungsziel zu erreichen. Die Erforderlichkeit einer konkreten Reha-Leistung, insbesondere auch ihr Vorzug gegenüber einer der Art nach vor- oder nachrangigen, ergibt sich aus dem individuellen Reha-Bedarf und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2016 verurteilt, dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet, der angefochtene Bescheid stellt sich als rechtswidrig dar und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer stationären Reha-Maßnahme.
Gemäß § 11 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Gemäß § 40 Abs. 2 SGB V erbringt die Krankenkasse eine stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung nur dann, wenn ambulante Rehabilitationsleistungen nach § 40 Abs. 1 SGB V nicht ausreichen. Ambulante Rehabilitationsleistungen werden wiederum gemäß § 40 Abs. 1 SGB V nur dann erbracht, wenn Maßnahmen der ambulanten Krankenbehandlung nicht ausreichen. Das Gesetz sieht ein Stufensystem vor, Voraussetzung für die nächste Stufe ist, dass die vorherige Stufe nicht ausreicht, um das Leistungsziel zu erreichen. Die mit der Finalität („… zu erreichen“) verbundene Abwägung und die Individualisierung im Rahmen der Erforderlichkeit erlauben eine flexible Verknüpfung von Normsystemen und Einzelfall. Die Erforderlichkeit einer konkreten Reha-Leistung, insbesondere auch ihr Vorzug gegenüber einer der Art nach vor- oder nachrangigen, ergibt sich aus dem individuellen Reha-Bedarf und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten (vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB, Stand 03/16, § 40 SGB V, Rn. 44). Die stationäre Reha-Maßnahme muss aus medizinischen Gründen erforderlich sein, die Erforderlichkeit hängt von den persönlichen Voraussetzungen auf Seiten des Versicherten und von den sachlichen Anforderungen an die Maßnahme ab (vgl. Kasseler-Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 96. Ergänzungslieferung September 2017, § 40 SGB V, Rn. 35). Liegen die Voraussetzungen hinsichtlich § 40 Abs. 2 SGB V vor, so steht der Krankenkasse kein Ermessen bezüglich der Frage zu, ob Leistungen gewährt werden. Dann bestimmt die Krankenkasse gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz SGB V nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Leistungsberechtigten Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen sowie die Reha-Einrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen.
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Gewährung einer solchen stationären Reha-Maßnahme hat. Auch der MDK hat in seiner Stellungnahme vom 24.07.2017 zuletzt zugestanden, dass durchaus weiterer Therapiebedarf des Klägers bestehe, um zumindest eine Verbesserung des Sprachverständnisses im Störschall zu erzielen. Dahinstehen kann, ob hierzu alle erforderlichen Therapiemaßnahmen, wie vom Sachverständigen angegeben, möglichst zeitnah erfolgen müssen, oder wie vom MDK ausgeführt, der Großteil der Übungen ohne engen zeitlichen Zusammenhang und gegebenenfalls sogar in Eigenregie zuhause durchgeführt werden könnte. Denn in jedem Fall sind die Ausführungen des Sachverständigen, wonach die beim Kläger erforderliche weitere Anpassung der Sprachprozessoren und Einstellung der Hörprogramme mit jeweils ausgiebiger Möglichkeit zur Erprobung in verschiedenen alltagsrelevanten Hörsituationen und engmaschiger audiologischer Kontrolle mit mehrfachen Nachführungen der Einstellungen im hier vorliegenden Fall nur im Rahmen einer stationären Reha-Maßnahme erfolgen kann, für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der glaubhaften Darstellung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung. Der Kläger hat nachvollziehbar dargestellt, dass die ambulante Einstellung in der implantierenden Uni-Klinik entgegen der Ausführungen des MDK nicht ausreichend ist; zum einen, weil er sich an die Neueinstellung erst gewöhnen müsse, um diese ausreichend beurteilen zu können, was innerhalb der begrenzten Dauer der ambulanten Behandlung nicht möglich sei. Zum anderen auch, weil in dem eingegrenzten Raum während der Behandlung nicht die Nebengeräusche auftreten, mit denen der Kläger in Alltagssituationen konfrontiert ist. Unter Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden zusätzlichen Problematik der Muskelmitbewegungen, die die Einstellung der Prozessoren erschweren, sind die Ausführungen des Klägers durchaus überzeugend, und stehen in Übereinstimmung mit den Darlegungen des Sachverständigen. Auch im Hinblick auf die vom implantierenden C. in der Anlage zum Befundbericht vom 26.07.2016 mitgeteilten zahlreichen Anpassungen mit unbefriedigendem Ergebnis ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass die weitere ambulante Behandlung im Falle des Klägers nicht ausreichend ist, um das zuletzt auch vom MDK zugestandene Therapieziel der notwendigen weiteren Verbesserung des Sprachverständnisses jedenfalls im Störschall in angemessenem Zeitraum zu erreichen und der Kläger hinsichtlich der von ihm bereits geleisteten umfangreichen Bemühungen hierauf nicht weiter verwiesen werden kann. Dass eine weitere Verbesserung des Sprachverstehens, insbesondere auch im Störgeräusch möglich ist, ist von der implantierenden Klinik bestätigt worden, hat der Sachverständige anhand der Testergebnisse nachvollziehbar dargelegt und auch der MDK hat mögliche Verbesserungen zuletzt im sozialmedizinischen Gutachten vom 24.07.2017 grundsätzlich zugestanden.
Soweit nach unwidersprochenem Vortrag des Klägers und des Sachverständigen eine ambulante Reha-Einrichtung, in der die erforderlichen Therapiemaßnahmen angeboten werden, nicht in einem örtlichen Umkreis, der vom Kläger zumutbar und in einem die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen sinnvoll ermöglichenden Zeitrahmen erreicht werden könnten, vorhanden ist, insbesondere auch der MDK und die Beklagte auch auf das Vorbringen des Klägers und des Sachverständigen eine konkrete ambulante Reha-Einrichtung nicht genannt haben, liegen zur Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen für die Gewährung einer im hier vorliegenden Einzelfall zur Überzeugung des Gerichts notwendigen stationären Reha-Maßnahme vor.
Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

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